LdN382: Bürgergeld, Sanktionen

Das es nit dem verdienten Euro und im Nachhinein weniger haben kenne ich nur aus dem Punkt das z.b. für die Arbeit ein Auto mit all seinen zusätzlichen Kosten benötigt wird. Diese Mehrkosten werden nicht zur Gänze übernommen, womit am ende des Monsts wirklich weniger auf dem Konto sein kann als vorher. Dies trifft natürlich nur einen bestimmten Teil der betroffenen. Wenig Qualifiziert, gesundheitlich/wegen care Arbeit auf Teilzeit angewiesen und nur Angebote die weiter von Zuhause entfernt bzw. nicht über ÖPNV angebunden sind. Über den Stundenlohn der am Ende der Rechnung rauskommt muss man hierbei gar nicht reden.

Mit dem Bürgergeld alleine kommt das nicht zustande, sondern nur in einer Gesamtbetrachtung von verschiedenen (nicht aufeinander abgestimmten) Sozialleistungen, relevant ist beispielsweise auch das Wohngeld. Dieser Bericht stellt die Gesamtsituation ausführlich dar und macht auch Reformvorschläge. In Abbildung 4 auf Seite 27 sieht man, dass die Grenzbelastungen im status quo teilweise über 100% sind.

Entschuldigung für die direkte Frage. Bei der Schilderung der ganzen Probleme jenseits der Langzeitarbeitslosigkeit stellt sich die Frage, sind die BürgergeldempfängerInnen sich ihrer Herausforderungen bewusst? Ich meine noch nicht mal, dass sie die aktiv angehen. Allein die Erkenntnis würde ja Hilfe zielgerichtet nützlich machen. Wenn sie aber da sitzen und sagen, es ist alles in Ordnung bei mir - xyz ist das Problem, dann macht Sozialarbeit keinen Sinn.

edit: Klarheit

Es ist bestimmt nicht so gemeint aber die Frage impliziert ein wenig als wollten Sie gar nicht Zeil der Gesellschaft sein. Ich glaube die Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit sind vielen nicht bewusst und ich glaube der Teil, der sich wirklich damit zufrieden gibt ist sehr sehr gering. Man arrangiert sich vielleicht oder macht nach draußen ein gutes Bild aber allein das du keine Teilhabe an der Gesellschaft mehr hast ist unglaublich schwierig. Den Leuten ist das auch bewusst aber finden entweder keine Hilfe, oder wissen gar nicht wo/wie sie Hilfe bekommen sollen. Viele kostet der Alltag bereits soviel Kraft das sich Hilfe holen schwer fällt.

@HerrJ.ausH kann aber bestimmt besser aus erster Hand und über ein breiteres Spektrum berichten wie es allgemein ist.

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Wenn „sie aber da sitzen und sagen, es ist alles in Ordnung“, bedeutet das sicherlich nicht, dass Sozialarbeit keinen Sinn macht, sondern, dass Sozialarbeit einen anderen Fokus hat: Überhaupt erstmal Änderungsbereitschaft zu wecken. Diese Unterscheidung zwischen „Arbeitswillig und Arbeitsunwillig“ macht im Hinblick auf die Notwendigkeit von Sozialarbeit und Therapie bei Langzeitarbeitslosen keinen Unterschied, in dieser Gruppe hat jeder einzelne seine Probleme und Coping-Strategien, und wenn die Coping-Strategie „Verdrängung des Problems“ oder gar „Offensives Abstreiten des Problems“ (i.S.v. „Arbeitslos und Stolz darauf“) sind, dann bedeutet das nicht, dass diese Menschen weniger Sozialarbeit oder Therapie oder gar mehr „Zwang“ durch Sanktionen bräuchten, es bedeutet lediglich, dass diese Menschen andere Hilfeformen benötigen.

Langzeitarbeitslosigkeit und Arbeitsverweigerung - das habe ich ja schon öfter offensiv hier im Forum vertreten - lassen sich nicht durch Sanktionen sinnvoll beheben, sondern allenfalls durch massive Förderung der Benachteiligten. Der Konservativ-Neoliberale hingegen will das nicht sehen, für ihn ist Langzeitarbeitslosigkeit und Arbeitsverweigerung im Prinzip eine Ordnungswidrigkeit, die bestraft werden muss - und das ist mMn einfach nur ein menschenverachtendes Nach-unten-treten.

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Solang keine Problemeinsicht da ist, wird es immer ein Reden mit einer Wand. Ein „schöne“ Geschichte ist: „Sie sagen im Radio, auf der Autobahn ist ein Falschfahrer unterwegs. Einer? Dutzende!“

Ich habe Sanktionen nicht als „gerechte“ Strafe betrachtet, sondern immer als deutliches Signal - „du, da läuft was falsch bei dir“. Was will man denn tun, wenn man sich diesem Signal verweigert, weil die Person es nicht hören will oder kann. Als ob wir als Gesellschaft etwas davon hätten, durch Strafen 10 Euro zu sparen. Widerspruch, Klagen, etc. kosten in Summe viel mehr. Das Geld ist mir da echt egal.

Eine Strafe ist aber kein Signal. Das ist ja auch so wenn Leute ins Gefängnis müssen. In erster Linie ist es dafür gedacht Leute wieder, soweit möglich, in die Gesellschaft einzugliedern. Zumindest in Deutschland im Grundgedanken.

Und gerade bei Langzeitslosen reden wir von Bürgergeldempfängern. Welche Strafe schwebt dir vor für jemanden der am Existenzminimum lebt? Entzug von Wohnraum oder Nahrungsmitteln? Den darauf läuft jede finanzielle Strafe hinaus. Es ist nicht so das Bürgergeldempfänger am Ende des Monats nicht wüssten wohin mit dem restlichen Geld.

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Nach meiner Erfahrung ist an beiden Sichtweisen was dran: Viele haben ein Problembewusstsein, strampeln sich nach Kräften ab um aus Langzeitarbeitslosigkeit/Bürgergeld heraus zu kommen. Leider nur oft vergebens, da ihnen die nötigen Strategien und Kompetenzen fehlen. Hätten sie nämlich genau diese Kompetenzen, wären viele meines Erachtens nicht in der Lage.
Aber auch das andere Szenario sehe ich oft: Die Betroffenen sehen eigene Probleme nicht und/oder streiten sie ab.

Das! Besser könnte ich es nicht formulieren!

Genau so ist es. Und damit geraten die Betroffenen echt in einen Teufelskreis.
Ob das allerdings den meisten wirklich bewusst ist, würde ich eher bezweifeln. Sie merken, dass sie es schwerer haben und sie viele Sachen nicht packen, die „uns“ leicht fallen. Genau der Schritt zum Erkennen, was ihnen fehlt, ist aber einer, den viele nicht gehen (können).

Ich bin immer wieder an kleinen Punkten entsetzt, wie grundsätzliche Kompetenzen meinen Kund:innen fehlen. Ein Beispiel: Kund:innen verstehen ein Schreiben vom Jobcenter nicht und rufen bei mir an. Damit ich mit ihnen Buchstäblich auf der gleichen Seite bin und das Schreiben bei mir aufrufen kann, frage ich sie nach dem Datum des Schreibens. Vielen Kund:innen fehlt das Wissen, dass bei jedem geschäftlichen Brief oben rechts auf der Seite ein Infoblock ist und direkt darunter das Datum. Wenn ich dann nach dem Datum frage, finden sie es nicht sofort und fangen oben links in der Ecke mit dem Suchen an und gehen den Brief Wort für Wort durch, bis sie es haben.

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Warum verzichten wir dann nicht auf Strafzettel, wenn das Auto falsch parkt? Der nette, schriftliche Hinweis durch die Polizeibehörde müsste ja als Sanktion genügen. Vielleicht funktionieren die Menschen nicht so - idealistisch.

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Auch hier wäre ein anderer Ansatz besser. Zum Beispiel das Auto abschleppen lassen um die Gefahrensituation zu entfernen.

Aber es geht hier ja darum das diese Menschen Grundlegende Hilfe brauchen, wie auch Menschen die straffällig werden.
Bei Menschen die im Gefängnis landen ist die Reintegration in der Gesellschaft ja auch nicht mit einem schriftlichen Hinweis getan. Sondern mit Betreuung und darum geht es hier ja. Nicht darum das einer ohne Parkscheibe zu lange bei Aldi steht. Ich denke das ist dir auch bewusst und deine Argumentation nicht ernst gemeint. Ausserdem hast du keine Antwort darauf gegeben was du hier als mögliche Sanktion siehst. Beachte dabei bitte das diese Menschen bereits am Existenzminimum leben? Ich bin gespannt.

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Der Autofahrer wird sanktioniert, weil wir davon ausgehen, dass der Regelfall des Autofahrers ein sozial und psychisch gesunder Mensch ist - und eine Sanktion hier auch einen Abschreckungseffekt hat, weil die Täter in der Regel tatsächlich rational handeln, daher Erfolg und Risiko/Kosten gegeneinander abwägen. Der Autofahrer lebt in der Regel auch nicht am Existenzminimum, sodass die Sanktion ihn auch extrem selten unverhältnismäßig hart trifft.

Der Langzeitarbeitslose ist in aller Regel gerade nicht sozial und psychisch gesund. Er handelt in aller Regel gerade nicht rational, sondern bedingt durch seine Problematiken oft geradezu irrational. Er lebt am Existenzminimum, sodass Sanktionen nahezu immer unverhältnismäßig sind.

Es geht hier wirklich um die pädagogische Frage, welche Pädagogik in welcher Situation hilft. Vergleich es vielleicht mal mit der Kindererziehung: Das Kind, das böse Dinge tut, weil es Grenzen austesten will, wird bestraft, um es zu erziehen. Das Kind, das böse Dinge tut, weil es traumatisiert ist, weil es aus einem problematischen Elternhaus kommt, braucht hingegen keine Strafe, sondern Hilfe, dieses Trauma zu überwinden und dadurch überhaupt erst die Möglichkeit zu erhalten, anders zu handeln. Genau so verhält es sich in deinem Autofahrer-Beispiel - bei Autofahrern sind angemessene Bußgelder in der Regel ein zielführendes Mittel, beim Langzeitarbeitslosen sind Sanktionen hingegen kein zielführendes Mittel, weil sie nicht die Wurzel der Problematik bekämpfen, sondern nur versuchen, ohne diese Grundproblematik zu lösen, durch reinen Zwang, einen ohnehin schon massiv benachteiligten Menschen in eine für ihn unerträgliche Situation zu pressen. Das ist wie gesagt - im Gegensatz zu Bußgeldern im Straßenverkehr - menschenverachtend.

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Sehr gut auf den Punkt gebracht.

Der Strafzettel ist eigentlich sogar ein ziemlich gutes Beispiel dafür, dass Sanktionen oftmals nicht wirken.

Die einen kalkulieren knallhart, dass über kurz oder lang Falschparken günstiger ist als regulär zu parken und zu bezahlen, die anderen nehmen die Strafe dafür in den Kauf weniger Laufen zu müssen und die nächsten sehen die Knöllchen grundsätzlich als Gängelung von Autofahrern und sehen gar nicht mehr, was sie für Probleme verursachen wenn sie auf Geh- oder Radwegen parken. Auch hier ist es so, dass die Strafe oftmals kein Umdenken hervorruft. Bei Knöllchen müsste die Strafe höher sein um abschreckend zu wirken.

Bei Sanktionen beim Bürgergeld ist die Abschreckung ja ohnehin schon groß. Es ist unwahrscheinlich, dass mehr Abschreckung hier mehr hilft, solange das Problem nicht an der Wurzel gepackt wird.

Anderes Beispiel: Einen schlechten Fußballer macht man auch nicht erfolgreicher indem man ihn bei Niederlagen bestraft.

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Verbieten sich Sanktionen beim momentanen Regelsatz knapp über dem Existenzminimum nicht allein schon durch Artikel 1 Grundgesetz („Die Würde des Menschen ist unantastbar“)? Oder gibt es irgendwo eine Pflicht zur Arbeit für die Gesellschaft, durch welche diese Würde eben doch „antastbar“ und somit an Bedingungen geknüpft wird?
Im ursprünglichen Post ging es mE nicht darum das Langzeitarbeitslosigkeit per se „das Problem“ sei (den Eindruck bekam ich beim Lesen dieses Threads), sondern, dass Langzeitarbeitslose oftmals ganz andere Probleme haben, die eben nicht mit Sanktionen gelöst werden können.

Aber eigentlich wollte ich einen anderen Aspekt einbringen. Beim hören der aktuellen Lagefolge bekam ich den Eindruck, dass die eingebrachten Ideen eigentlich sehr gut mit dem aktuellen Modell des Grundeinkommens übereinstimmen. Bei dem Modell, dass hier im Forum beschrieben wird, handelt es sich ja eben nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern abhängig vom Gehalt darf man unterschiedlich viel des Grundeinkommens behalten oder muss es eben über Steuern wieder abgeben.
Mich würde eure und natürlich Ulfs und Philips Meinung interessieren, ob das verlinkte Modell eurer Idee des „langsam aus der Arbeitslosigkeit herausschleichen“ (so hattet ihr es glaube ich genannt) entspricht?!
Vielen Dank für die, wie immer, tolle und unterhaltsame Folge und euer Engagement.

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Ich möchte das Thema um die Sanktionen noch erweitern und auf das große Dunkelfeld der Nichtinanspruchnahme im Bereich von Grundsicherungsleistungen hinweisen. Dass es viele Menschen gibt, die trotz Anspruch auf Bürgergeld verzichten, wird in der Diskussion meist komplett ausgelassen. Schätzungen zufolge liegt der Verzicht bei 35-60% aller Anspruchsberechtigten. Verzichtende leben damit aus verschiedenen Gründen unterhalb des sog. sozio-kulturellen Existenzminimum - meist aufgrund von Stigma und Scham. Sanktionen leisten ihren Beitrag dazu. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die hohe Dunkelziffer mit hohen Folgekosten für das Sozialbudget einhergeht. Vielleicht könntet ihr das Thema einmal in die Diskussion mit aufnehmen?
Infos zu einer entsprechenden Studie etwa:
https://www.sw.eah-jena.de/institute-projekte/forschung/die-nichtinanspruchnahme-von-grundsicherungsleistungen/

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Dachte Anfangs das das Prinzip der Kindergrundsicherung doch tatsächlich auf alle Sozialleistungen angewendet wird. Wäre wohl zu sonnvoll und es ist js gar nocht gewollt das die Leute wirklich alle Hilfen bekommen die ihnen laut Gesetz zustehen :man_shrugging:

Richtig - mir ging es nicht um Bestrafung, sondern um die klare Formulierung der Ausgangslage. Glaub, das passt nun ganz gut.

Der Bericht der Wirtschaftsweisen weist ebenfalls darauf hin, dass ein zusätzlich verdienter Brotto-Euro je nach Einkommenssituation in sehr unterschiedlichem Ausmaß bei den Bürgergeldempfänger:innen ankommt. Die folgende Abbildung zeigt die Grenzbelastung, d.h. den Anteil eines zusätzlich verdienten Euros, der wieder abgezogen wird, im derzeitigen Bezugssystem. Man erkennt, dass die Grenzbelastung stark schwankt:

Besser wäre laut Bericht eine umfassende Reform, die die verschiedenen Leistungsbezüge bündelt, sodass die Grenzbelastung geglättet wird:

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Ich hatte einen kurzen kreativen Moment, der als Anreizsystem mit Prüfung oder Vorbeugung von Missbrauch gedacht sein soll. Unfertig gedacht, aber vllt erledigt das die Schwarmintelligenz.

Abbau von Sanktionen und das Ersetzen durch Anreizen sehe ich in diesem Fall als sinnvoll. Häufig ist es doch die Frage des Wie. Eine Möglichkeit die mir nun eingefallen ist, könnte sein, das Anreizsystem in seiner jetzigen Vision z.B. durch sukzessive Zuschüsse für Fortbildung während der Arbeit auszuzahlen - von staatliche Seite, direkt an den ehemals Arbeitslosen. Darunter verstehe ich, dass unter Beibehaltung des Ansatzes bzw. Förderung von der Vermittlung von Jobs, welche die ehemals Arbeitslosen auch länger beibehalten, zusätzliche Zuschüsse vom Staat ausgezahlt werden. Ich unterstelle, dass viele Jobs eine Einführung oder Mindestbedarf an Schulung benötigen. Wird diese im ersten oder zweiten Monat absolviert und vom Arbeitgeber bescheinigt, wird ab dem 6. Monat (unauffälliger: nicht häufig krank, etc.) Arbeit ein einmaliger Zuschuss z.B. i.H.v. 50 Euro ausgezahlt. Weiterbildende Maßnahmen innerhalb der ersten 1-2 Jahren könnten mit bis zu 500 Euro einmalig attraktiv gemacht werden. Am besten netto… Je besser die Fortbildung, je länger die Ausübung einer Tätigkeit am Stück, desto höher.

Zusätzlich könnte, um auch das Rentenproblem leicht anzupacken, von staatlicher Seite ein dediziertes Rentendepot eröffnet und monatlich mit 10 Euro gutgeschrieben werden. Das lässt sich bestenfalls nicht vor der Rente anfassen, gehört aber dem ehemals Arbeitslosen. Selbiges könnte auch für alle Arbeitnehmer mit einem Einkommen unter einer intelligenten Grenze in Betracht gezogen werden. Inflationsausgleichend mitwachsend. Sowohl die Grenze, als auch die 10 Euro. Das schafft einen Anreiz im Job zu bleiben und Perspektive in der Rente auch was aus einem Depot zu bekommen. Das Depot dem schwedischen, dänischen system entsprechend; Wahl aus 10 oder so.