LdN381 Gewalt gegen Politiker - Strafmaß

Hallo Lage Team,
in Eurem Beitrag sagt ihr das weniger das Strafmaß und mehr die Verfolgungswahrscheinlichkeit und die Schnelle der Strafe für die Abschreckungswirkung wichtig ist. Leuchtet jedem ein und ist altbekannt.

Aber gibt es nicht Grenzfälle in denen das praktisch ausgesprochenen Strafmaß ein „ist nicht so schlimm“ ausdrückt? Im weiteren Verlauf sagt ihr das Körperverletzung meistens mit einigen Stunden Arbeit bestraft wird. (Ich selbst arbeite viele Stunden die Woche, ich bin kein Straftäter sonder lebe davon). Im Gesetzbuch steht etwas von mehrjährigen Haftstrafen!.

Ich sehe natürlich die besondere Bedeutung von Angriffen auf ehrenamtliche Politiker ohne Personenschutz, aber sollte nicht auch ein Normalbürger (z.B. nachts in einer dunklen Gasse etc.) sicher sein können das ein Angriff auf ihn von unserem Staat sehr ernst genommen wird? Das z.B. bei Sachbeschädigung etc. Erziehung über Strafe geht ist verständlich aber bei absichtlicher Körperverletzung? Ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit irgendwie weniger wichtig? Wo ist die Justiz hier falsch abgebogen? Ulf kennt sich dort doch aus und könnte mal erklären weshalb Körperverletzung irgendwie nicht so ernst genommen wird.
Viele Grüße Jens

Es gibt immer einen Strafrahmen. Leider ist es in den Medien sehr verbreitet, bei Straftaten immer nur so etwas zu schreiben wie „Darauf stehen mehrjährige Haftstrafen“ oder „Dem Täter drohen bis zu 5 Jahre Haft!“, was technisch richtig ist, praktisch aber eben an den Realitäten - zum Glück! - meilenweit vorbei geht.

Ja, für eine einfache Körperverletzung (also ohne Waffen oder dauerhafte Schäden) kann es theoretisch bis zu 5 Jahren Haft geben. Der Strafrahmen ist jedoch „1 Monat bis 5 Jahre“ - und für einen Ersttäter mit zumindest neutraler Sozialprognose wird man bei einer einfachen Körperverletzung eben - wieder: mit Recht! - erstmal im untersten Bereich des Strafrahmens bleiben, wobei bei unter 2 Jahren i.d.R. alles zur Bewährung ausgesetzt wird und unter einem Jahr in der Regel Geldstrafen statt Haftstrafen verhängt werden (dh. aus 2 Monaten werden 60 Tagessätze).

Wenn im Podcast von Arbeitsstunden gesprochen wird - ich habe die Folge noch nicht gehört - werden wir uns dort im Jugendstrafrecht bewegen. Im Jugendstrafrecht gilt grundsätzlich, dass die Strafrahmen des StGB nicht zur Anwendung kommen, sondern die Strafe sich nach dem Gedanken der Erziehungswirkung ausrichten (siehe §18 Abs. 1 S. 3 JGG: „Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.“).

Das Konzept der „Erziehung“ (und bei Erwachsenen: „Resozialisation“) dient in erster Linie dazu, zukünftige Straftaten zu verhindern, das Konzept der „Strafe“ kann das in aller Regel nicht leisten. Es ist ein nachvollziehbarer Impuls, zu denken: „Da müssen höhere Strafen her, der Täter muss leiden für das, was er getan hat!“, aber damit kommt man gesellschaftlich einfach keinen Schritt voran, sondern landet in einem Justizsystem wie dem der USA (wo Konservative immer noch jammern, es sei zu milde, obwohl die USA das Ranking der Länder mit den meisten Strafgefangenen pro 100.000 Einwohner anführen). Haftstrafen sind in unserer Rechtsordnung die Ultima Ratio, das letzte Mittel. Und das ist auch gut so!

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Hallo Daniel,
ja klar sind 5 Jahre die Obergrenze. Ich habe nicht gefordert, daß jede Körperverletzung mit 5 Jahren Knast bestraft wird.

Im Podcast macht Ulf eine Bemerkung im Zusammenhang mit einer Untersuchungshaft für den jungen Mann der den ehrenamtlichen Prolitiker geschlagen hat und der Fluchtgefahr die vom zu erwartenden Strafmaß abhängt. Hier spricht er von einigen Stunden Elefantenstall reinigen oder so.

Dann verstehe ich die Diskussion um die Angriffe auf Politiker nicht bzw. habe anders gewichtete Werte.

Wenn ein Jugentlicher einen Politiker niederschlägt und das aus Deiner Sicht die richtige und angemessene Folge ist einigen Sozialstunden zu verhängen, wo ist dann das Problem? Dann ist doch alles in Ordnung, das Risiko geschlagen zu werden muß dann jeder Normalbüger und jeder Politiker akzeptieren (wenn man deinen Argumenten folgt bzw. die heutigen Vorschriften und die Praxis fur gut hält).

Wirtschaft/Wohnen/Mobilität/Energieversorgung, Klima, Rüstung/Verteidigung, Einwanderung, … sollten wir politisch diskutieren (gerne auch heftig und mit klaren Worten), aber Menschen schlagen? Das ist für mich ein Thema für Polizei und Justitz (und die machen aus meiner Sicht hier einen nicht so guten Job).

Viele Grüße
Jens

Du stellst die falschen Fragen.

Wenn ein Jugendlicher einen Politiker niederschlägt ist die Frage, die wir uns stellen müssen: Was ist gesellschaftlich schief gelaufen, dass ein Jugendlicher so sozialisiert werden konnte, dass er es für angemessen hält, einen anderen Menschen niederzuschlagen. Und vor allem: Wie können wir auf den Jugendlichen einwirken, dass er vielleicht doch noch ein gesetzestreues, für die Gesellschaft akzeptables Leben führt? Dieser Mensch wird noch 60+ Jahre Teil dieser Gesellschaft sein - wenn wir ihn leichtfertig in den Knast stecken, werden das für alle Beteiligten in der Regel keine guten 60 Jahre, denn Strafvollzug hat nach nahezu jeder wissenschaftlichen Studie zur Folge, dass die Resozialisationswahrscheinlichkeit sinkt.

Du scheinst Strafe als Lösung eines Problems zu sehen. Mein Schwerpunkt im Sozialarbeitsstudium war Straffälligenhilfe (und damit Kriminologie) und auch im Jura-Studium habe ich mich auf Kriminologie spezialisiert. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass Strafe hier keine Lösung ist - die Forderung nach höheren Strafen ist ein klassischer Populismus, eine Scheinlösung, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gibt, die aber für - vor allem konservativ geprägte Menschen - sehr logisch und nachvollziehbar klingt und deshalb gefordert wird.

Für einen schweren körperlichen Angriff muss es sicherlich mehr als nur Sozialstunden geben, das wäre ein klassischer Fall, wo man neben Sozialstunden auch noch über eine Betreuungsweisung nachdenken sollte. Eine Haftstrafe ist hier aber bei weitem noch nicht indiziert.

Hallo Daniel,
meine Frage war schon richtig, gibt jedoch kein volständiges Bild.
Ja, Jugendarbeit, Resozialisierung. Perpektiven für Junge Menschen etc. sind gut und wichtig, aber isoliert betrachtet, ohne vernünftiges Strafrecht auch eine populistische Scheinlösung! Andere Länder (Schweden, Niederlande) sind uns da etwas vorraus. Evtl. haben die Inhalte das Sozialarbeitsstudium / Jurastudium auch eine etwas eingeschränkte Sicht? Die Menschen in der Jugendarbeit die das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Menschenrechte hochhalten, würden ja von Fakten für die die Justiz sorgt überstimmt falls dann ein solcher Angriff nicht so schlim ist. Dann wären Jugendarbeiter wenig Glaubhaft. Beides, Vorbeugung/Sozialarbeit und ein in der Praxis angemessenes Strafrecht ist eben erforferlich. Warten wir jetzt mal ab:

  • Wie Lange benötigen Polizei und Gerichte bis das entschieden ist?
  • Was sind die Folgen für den Täter?

Viele Grüße Jens

In Schweden sind Jugendliche generell erst mit 15 strafmündig, in den Niederlanden mit 12 und in Deutschland mit 14. Deine Beispiele liegen daher in beiden Richtungen von Deutschland entfernt. Auch die Verurteilung von jugendlichen Straftätern ist in diesen Ländern nicht „schärfer“ als in Deutschland.

Dieses Wording macht mich echt ein bisschen aggressiv. Bitte hör auf, von „nicht so schlimm“ zu reden, niemand sagt, dass solche Angriffe „nicht so schlimm“ seien. Sind Morde in Deutschland „nicht so schlimm“, weil wir keine Todesstrafe haben?!? Wohl kaum!

Wir beide unterscheiden uns NICHT darin, für wie „schlimm“ wir Straftaten halten, sondern einzig darin, wie mit diesen Straftaten umzugehen ist, welche Maßnahmen unter’m Strich zum besten Ergebnis führen. Du scheinst davon auszugehen, dass „harte Strafen“ zum besten Ergebnis führen würden, ich sage dir ganz klar, dass die überwältigende Mehrheit der Kriminologen, also der Wissenschaftler, die sich mit genau dieser Frage beschäftigen, das anders sieht.

Niemand bestreitet das, aber die Frage, welches Strafrecht „angemessen“ ist, wird von uns beiden eben fundamental unterschiedlich beantwortet, wenn du für „härtere Strafen“ argumentierst, was zumindest meine Interpretation deiner Beiträge ist (berichtige mich, wenn ich dich falsch interpretiere).

Niemand, der den Täter nicht kennt und den Prozess nicht verfolgt und Einsicht in die Akten (und damit etwaige Gutachten) hat, wird sich hier ein faires Urteil erlauben können. Aber natürlich werden Außenstehende sich empören, wenn das Urteil nicht die maximale Härte des Gesetzes ausnutzt. Ich hingegen bin verdammt froh darüber, dass nicht der empörte Pöbel, sondern die Gerichte über die Strafhöhe entscheiden, sonst hätten wir ganz schnell wieder Hinrichtungen auf den Marktplätzen und Kerkerstrafen bei Wasser und Brot - was das Mittelalter übrigens auch nicht sicherer gemacht hat, ganz im Gegenteil sogar.

Für mich klang es so, als würden auch sie genau die Frage stellen, ob es richtig ist, hier von einer spontanen Emotionshandlung zu sprechen oder nicht von einem Anschlag von Mitgliedern einer terroristischen Vereinigung wie im Fall der Linksextremisten.
Die Motivation, die der Tat zu Grunde liegt, muss mit in das Urteil einfließen. Das mag dem Opfer nicht schmecken, aber es geht eben nicht um Rache, sondern eine faire Beurteilung des Falls.
Habe auch hier im Forum bereits einen Beitrag gelesen, der davor warnte, hier eine politische Tat zu unterstellen.

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