LdN370 - Zumutungen

Da machst Du es Dir m. E. zu einfach. Anders als bei dem Traktor oder dem Fließband stellen sich hier komplexere ethische Fragen. Wie soll die KI entscheiden, wenn entschieden werden muss, ob Passagiere des Autos oder Außenstehende geschützt werden sollen? Was ist, wenn ein Ausweichen in beide Richtung Menschen verletzen würde? Hier Vorfestlegungen zu treffen ist auch mit Blick auf Grundrechte schwierig.
Es geht nicht nur um Haftungsfragen und Strafrecht.

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Mal ein anderer Gedanke dazu:

Menschen rauchen. Menschen trinken Alkohol.
Nachweislich ist beides schädlich für die eigene Gesundheit. Sekundär verursacht es auch hohe Kosten im Gesundheitswesen, Krankheitstage im Job, dazu negative Nebenwirkungen wie Passivrauchen von Kindern, Alkohol im Straßenverkehr oder erhöhte Gewaltbereitschaft durch Alkohol.

Vorteile von beidem fallen mir grad nicht ein, bis auf Gewinne und Arbeitsplätze der zugehörigen Industrien.

Würde man jetzt aus nachvollziehbaren Gründen beides verbieten, würden das Betroffene als Zumutung empfinden. Als Bevormundung, Einschränkung der Freiheit, etc.

Will sagen: bei aus der einen Sicht positiven Veränderungen gibt es immer auch eine Seite, welche diese Veränderungen als negativ betrachtet. Das macht es wohl so zäh.

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Zunächst ein Vorschlag: wollen wir das Thema in einen neuen Thread auslagern? Finde es spannend aber etwas off-topic.
Dann: mich würde auch die Quelle interessieren. Nicht weil ich behaupte, dass die Zahlen nicht stimmen, sondern weil ich gerne verstehen würde, wie sie zustande gekommen sind.
Dann zum Thema: selbst wenn wir die Zahlen mal so hinnehmen: vergleichbar sind sie halt leider nicht. Auf rein rationaler Ebene wäre es ggf. vernünftiger, Menschen ließen sich von einer KI kutschieren, die weniger Unfälle baut, als sie selbst. Viele würden sich dadurch aber nicht sicherer fühlen. Ähnlich wie beim Fliegen, dass statistisch deutlich sicherer ist, als das Autofahren. Die Tatsache, dass man seine Sicherheit in die Hände von jemand anderem legt, der damit ggf. sogar besser aber eben nicht perfekt umgeht ist da aus meiner Sicht eine schwer zu überwindende psychologische Hürde. Machbar wäre es dennoch, wenn man das Ganze im Kleinen irgendwo einführt, wo es für jedermann zu beobachten ist, dadurch das Vertrauen stärkt, und dann nach und nach ausbaut.

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Nicht zu vergessen die Politik und insbesondere die Verkehrsminister, die sich seit Jahrzehnten gegen Tempolimits aussprechen. Auch diese tragen mindestens eine Teilschuld

Bezog sich auf diesen Artikel, den ich just zuvor gelesen hatte:

Was ich angreife, ist die Logik dahinter, nicht die konkreten Zahlen. Also meinetwegen kannst du auch 30-40% oder sogar 60-70% daraus machen. Also selbst wenn vollautomatisches Fahren „nur“ 1000 Verkehrstote pro Jahr weniger erzeugen würde (also 40% weniger als aktuell) wäre das für mich schon genug, es ernsthaft in’s Auge zu fassen.

Das Problem ist und bleibt dabei die Ablehnung des Neuen: Wenn wir durch einen „menschlichen Fehler“ getötet werden, ist das ein tragischer, oft unvermeidbarer, Unfall, wenn wir durch einen „technischen Fehler“ getötet werden, der ebenso - auf dem aktuellen Stand der Entwicklung - unvermeidbar ist, ist das ein riesiges Problem. Das kann man mit Haftungsfragen begründen, halte ich aber für problematisch, weil sich dafür wie gesagt Lösungen finden ließen, wenn man einen ähnlichen Maßstab im Hinblick auf Perfektionismus anlegt, wie bei den aktuellen Regelungen (die alles andere als Perfekt sind!). Bei einer Neuerung legen wir aber einen anderen, nicht mal theoretisch erfüllbaren Maßstab an, nämlich tatsächliche Perfektion.

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Wenn es dir um die strafrechtliche Haftung geht gilt das gleiche wie oben: Wir wollen hier eine perfekte Regelung, obwohl die Regelung aktuell auch nicht perfekt ist. Aktuell ist es - vereinfacht gesagt - so: Handelte der Fahrer fahrlässig und war der Unfall deshalb vermeidbar, haftet er für fahrlässige Körperverletzung / Tötung. War der Unfall nicht vermeidbar („Verkettung unglücklicher Umstände“) haftet der Fahrer nicht. Der gleiche Maßstab kann auch an automatisiertes Fahren angelegt werden, aber dazu müssen wir an technische Systeme den gleichen Maßstab anlegen wie an Menschen. Einen Menschen verurteilen wir nicht wegen fahrlässiger Tötung, wenn der Unfall für den durchschnittlichen Fahrer nicht vermeidbar gewesen wäre. Beim automatischen Fahren setzen wir den Maßstab höher, da vergleichen wir nicht mit „dem durchschnittlichen Fahrer“ oder „der durchschnittlichen KI auf dem aktuellen technischen Stand“, sondern mit absoluter Perfektion. Und das ist genau die Fortschrittsbremse.

Das Beispiel sollte eigentlich nicht den ganzen Thread derailen, aber manchmal kommt es leider so. Wenn der Thread weiter „auseinandergeht“, also über zwei Themen parallel diskutiert wird, müssten wir es in der Tat trennen, aber vielleicht kommen wir ja von dem Beispiel weg wieder zur allgemeinen Problematik der Beharrungskräfte, weil jede Veränderung als Zumutung aufgefasst wird.

Mir ging es hauptsächlich darum, dass auch jede Veränderung nur einseitig über Zumutungen dargestellt wird. Das ist auch hier in der Lage der Fall. Beim Klima hatte ich das bereits angemerkt und hier ist es mir so deutlich nochmals aufgefallen, dass ich auch hier nochmal drauf hinweisen wollte. Denn das zieht sich irgendwie so durch die gesamte Berichterstattung und Politik, dass sich alle schon daran gewöhnt haben.

Dieses Verhalten ist meines Erachtens der Kern von Zumutungen. Es scheitert an dem Irrglauben, dass es eine noch bessere und erstrebenswertere Lösung gibt, was dazu führt, dass man sämtlichen Fortschritt ablehnt, obwohl die Zumutung entweder gar nicht oder nur sehr vage definiert/spezifiziert werden kann. @Mike hat diese „Unschärfe“ bei der Definition finde ich schon recht gut an einem Beispiel dargestellt.

Das ganze ist durch das Phänomen der „Nirvana Fallacy“, bzw. der Subkategorie „Perfect Soulution Fallacy“ genau beschrieben:

The perfect solution fallacy is a related informal fallacy that occurs when an argument assumes that a perfect solution exists or that a solution should be rejected because some part of the problem would still exist after it were implemented. This is an example of black and white thinking, in which a person fails to see the complex interplay between multiple component elements of a situation or problem, and, as a result, reduces complex problems to a pair of binary extremes. It is common for arguments which commit this fallacy to omit any specifics about exactly how, or how badly, a proposed solution is claimed to fall short of acceptability, expressing the rejection only in vague terms. Alternatively, it may be combined with the fallacy of misleading vividness, when a specific example of a solution’s failure is described in emotionally powerful detail but base rates are ignored (see availability heuristic). The fallacy is a type of false dilemma.

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Da gab es ein meiner Meinung nach gutes Beispiel gerade bei einem Vogelbrutgebiet, das bewässert werden soll, da der Vogel dort wegen Ackerbau immer weniger Gebiet zur Verfügung hat.
Das Landratsamt sagt, es sei mit Bauern im Gespräch, die Land gegen Entschädigung zur Verfügung stellen würden. Der Bauernverband glaubt aber nicht, dass es bei diesem Land bleibt und lehnt darum das ganze Projekt ab. Jetzt platzt es wohl, weil man sich über die Zumutungen, die es erfordert uneinig ist.

Aber ich freue mich jederzeit über konstruktive und umsetzbare Lösungsvorschläge.
Perfekte Lösungen erwarte ich gar nicht, nur halbwegs machbare Lösungen. Da warte ich noch drauf.:wink:

Manche Probleme oder Zumutungen werden m.E. Oft zu eng diskutiert, der größere Rahmen fehlt mir da oft.

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Vereinfachtes Beispiel:

Da sitzt man in Berlin, kommt morgens vorbildlich mit der S-Bahn zum Ministerium, sieht auf dem restlichen Fußweg viele E-Ladesäulen, und denkt sich, ist doch perfekt, können doch alle in Deutschland aufs (Verbrenner-)Auto verzichten.
Aber man will ja nicht aus der Blase heraus entscheiden, fährt also ins Land hinaus in Kleinstädte wie Köln, Darmstadt oder Ingolstadt. Stellt fest, dort funktioniert es auch, also spricht nichts dagegen, das Auto und speziell den Verbrenner mit höheren Kosten etc. so unattraktiv wie möglich zu machen.

Und da ja in den beobachteten Fällen alles da ist, braucht man sich über alternative Lösungen keine Gedanken machen, oder erst später

Für solch weitreichende Entscheidungen ist mir der betrachtete Rahmen zu klein. Und keine Alternative ist nunmal weniger als eine schlechte Alternative.

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Die Zahlen sind eben relevant, wenn es statt 60-70% eher 200% sind. Ob das so ist, kann ich nicht abschließend beurteilen, aber der Artikel, den du selbst verlinkt hast, geht ja auf verschiedene größere Baustellen beim autonomen Fahren ein.

Ich denke, ein großes Problem - um mal die Kurve zum Threadthem wieder hinzubekommen - ist hier auch die Erwartungshaltung, die von der Industrie (und teilweise auch von Medien) aufgebaut wird. Eine neue Technologie wird entwickelt, und um Finanzierung einzuwerben (und auch weil Menschen, die daran forschen wirklich passioniert sind - ich will das nicht monokausal auf Kapitalismuskrtik runterbrechen) werden großartige Versprechungen gemacht. Am Ende können die wenigsten eingehalten werden.

So passiert es fast immer: autonomes Fahren, Kernfusion, CRISPR, ChatGPT etc. Natürlich sind die Leute dann enttäuscht und fühlen sich verarscht, wenn diese großen Ankündigungen platzen. Uns wurden fliegende Autos versprochen, und jetzt sollen wir mehr Bahn fahren.

Welche großen Ankündigungen und von wem? Das meiste an übertriebener Darstellung über Möglichkeiten und zeitliche Horizonte kommt doch eher aus den Medien als von den Machern selbst.

Elon Musk glaubt 2015, dass die Technologie für autonomes Fahren in zwei Jahren (also dann 2017) aufgereift sei.

Sam Altman, CEO von OpenAI, glaubt, dass KI dafür sorgen wird, dass die Welt in wenigen Jahren emmissionsfrei sein wird.

Sicher lassen sich noch sehr viel mehr Beispiele finden. Von Elisabeth Holmes habe ich noch gar nicht angefangen.

Ok. Du meinst eher Einzelpersonen, die teils ohnehin eher für Kontroversen bekannt sind oder im Falle von Holmes in erster Linie als Betrüger unterwegs waren.

Ich hatte den Blick eher auf die Wissenschaftler und Entwickler im Allgemeinen und die vermitteln ein sehr viel differenzierteres Bild. Aber da kommen wir auch wieder zurück auf die Medien. Natürlich können die Aussagen eines Elon Musk viel besser zu einem Artikel gemacht werden, der dann auch Auflage erzielt, als differenziertere Betrachtungen von Entwicklern in diesem Bereich.

Aber Fortschritte in Sachen Autonomen Fahrens sind ja offensichtlich da. Es ist also nicht so, dass diese nur von Elon Musk herbeigeredet werden, sondern die letzten Jahre zeigen ja, dass die Entwicklung voranschreitet.
Und auch bei CRISPR ist in der Wissenschaft ja unbestritten, dass dieses Werkzeug einen Nutzen haben kann. Es bleibt aber erstmal ein Werkzeug.
Ebenso wie ChatGPT erstmal ein Werkzeug ist, welches Arbeiten effizienter machen kann. Nur weil der Fortschritt kleiner ist als von ein paar Leuten behauptet, heißt es ja nicht, dass es nicht riesigen Fortschritt gibt.

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Genau das sehe ich auch als Kasus Knacksus! Und es reicht einfach nicht, wenn wir hier darüber einig sind. Die regierenden Parteien - am Ende der Kanzler - müssen klar und deutlich aussprechen, wo uns der Kittel brennt. Wir müssen auf globale Gegebenheiten reagieren: Kriege, Autokraten, Klima… Unsere Ziele sind Klima-/Energiewandel und Demokratieerhalt, Unterziele soziale Gerechtigkeit und stabile Wirtschaft u. v. m. So in etwa stelle ich mir das vor. Dann wüsste man wenigstens schon mal, wo die Aufgaben/Prioritäten liegen. Und dann muss man sich verständigen, wie man das erreichen will/kann, am besten mit wissenschaftlicher Unterstützung und Fakten. Schluss mit dem Geschwurbel und Rumgeeiere! Es darf endlich mal und die Sache gehen und nicht um das Parteien-Ego. Und das alles schnell, damit man schon vor der nächsten Wahl Ergebnisse sehen, zumindest ahnen kann.
Vielleicht bin ich auch ein Träumer;-)

… und wenn es Zumutungen/Herausforderungen gibt, muss erkennbar sein, dass diese (sozial) gerecht verteilt sind. Dann kann man auch ein Wir-Gefühl schaffen und die notwendigen Veränderungen gemeinsam angehen. Wenn das in der falschen Richtung so einfach ist, sollte es doch mit etwas Mühe auch in der richtigen Richtung möglich sein!

Welche Zumutungen? Die meisten anstehenden Veränderungen sind nur positiv. Von Zumutungen wird nur dann geredet wenn etwas verhindert werden soll oder die Armen etwas finanzieren sollen.

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Meine Priorisierung wäre ähnlich. Ich glaube aber, dass diese Priorisierung nicht mehrheitsfähig ist. Mein Eindruck ist eher, dass eine stabile oder wachsende Wirtschaft für die meisten Priorität vor Klimaschutz hat. Halte ich für einen Ausdruck mangelnder Vorstellungskraft und mangelnder Solidarität, aber was will man machen.

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