LdN370 - Nawalny

Im Podcast-Teil zu Alexej Nawalny wird Jewgeni Prigoschin in einer Reihe - quasi in einem Atemzug - mit dem ermordeten Politiker Boris Nemzow und der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja genannt. Das ist aus meiner Sicht ein grober Fehler. Jewgeni Progoschin gehört nicht in diese Reihe und war nie ein Oppositioneller. Er gehörte vielmehr zu Putins engstem Kreis, ein übler Krimineller und Chef der für ihre Gräueltaten bekannten Söldnertruppe Wagner. Sein Tod seht keinesfalls in einer Reihe mit dem von Boris Nemzov, Anna Politkowskaja oder Alexej Nawalny. Eine Korrektur wäre aus meiner Sicht wichtig.

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Sehe ich nicht so.

Mit seinem „Marsch auf Moskau“ hat sich Prigoschin eindeutig in Opposition zu Putin (oder zumindest der militärischen Führung Russlands) begeben und exakt dafür wurde er ermordet. Der moralische Wert Prigoschins ist natürlich ein ganz, ganz anderer, weil er eben ein mörderischer Söldnerführer war, der eher für ein noch härteres Vorgehen gegen die Ukraine war.

In der Aufzählung in einer Liste liegt keine Bewertung der Moral der jeweiligen Personen - und das wurde auch nicht angedeutet. Du hast natürlich Recht, dass man Prigoschin keine Träne nachweinen sollte, der Mann war vermutlich kein Stück besser als Putin selbst. Trotzdem wurde er ohne jeden Zweifel ermordet, weil er sich in Opposition zur russischen Führung begeben hat - aus der Position eines Söldnerführers heraus, nicht aus der Position einen Politikers. Aber das war nicht der Kern der Aufzählung.

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Ich bleibe bei meiner Meinung - er gehört nicht in diese Reihe. Es geht nicht um eine moralische Bewertung. Es handelt sich einfach um völlig verschiedene Kategorien. Prigoschin ging es nie um politischen Wandel, Menschenrechte und Demokratie. Nemzow, Politkowskaja (als Journalistin), Navalny und auch Kara-Mursa ging und geht es darum.

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Die Rede im Podcast ist von der „langen Reihe der toten Gegner Putins“. Wie gesagt, da liegt keine Bewertung drin, warum sie Gegner waren oder geworden sind - aber mit seinem Marsch auf Moskau hat Prigoschin Putin extrem, extrem schwach wirken lassen und sich damit zum Gegner Putins gemacht.

Nach der Aufzählung geht es weiter mit „das sind nur einige Beispiele von dutzenden Toten Journalisten, Oppositionellen und anderen Abtrünnigen“. Prigoschin gehört hier in Kategorie 3, die „sonstigen Abtrünnigen“, Kara-Mursa in Kategorie 1 (Journalisten) und Nawalny und Nemzow in Kategorie 2 (Oppositionelle).

Es geht in dieser Aufzählung nicht darum, die in der Aufzählung genannten zu adeln oder ihr Engagement für politischen Wandel, Demokratie und Menschenrechte zu betonen - auch wenn die meisten der genannten Personen (mit Ausnahme von Prigoschin) durchaus gelobt werden können. Es geht eher darum, aufzuzeigen, dass jeder, der nicht auf Kreml-Linie ist, in Gefahr gerät, von Putins Schergen hingerichtet zu werden.

Du kannst natürlich argumentieren, dass es das bessere Argument gewesen wäre, eine belobigende Aufzählung mit dem Fokus darauf zu machen, dass Russland gezielt gegen Oppositionelle und Demokratieaktivisten vorgeht. Aber der Fokus darauf, dass im Prinzip jeder auf der Abschussliste steht, der sich gegen Putin auflehnt, macht eben auch Sinn, um zu zeigen, dass niemand vor diesem System sicher ist, dass Putin auch seine mächtigsten Gefolgsleute hinrichten wird, wenn sie aus seiner Gnade fallen…

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Ich verstehe nicht, warum Nawalny in Erzählungen meist ausschließlich positiv dargestellt wird.
Er hat sich offensichtlich sehr mutig verhalten. Zur Wahrheit gehört, dass er Rechtsextremist, Faschist und Nationalist gewesen ist.
In der Darstellung in dieser Folge wird stattdessen von seinem Aussehen und seinen Humor geschwärmt. Wesentliche politische Ansichten des politischen Oppositionellen sollten nicht unerwähnt bleiben.
Mögliche Todesursachen könnten neben der, absolut plausibel erscheinenden, Version eines aktiven Anschlags auch schlicht passivere Gründe wie miserable Haftbedingungen (Kälte, Prügel, Nahrungsmangel etc.) stecken. Das könnte man auch dazu sagen.

War mir eigentlich sicher, dass ich entsprechendes gehört hätte.
Da ich aber in den letzten Tagen sehr viele Podcasts zu dem Thema gehört habe, bin ich noch mal auf Nummer sicher gegangen und hab noch mal reingehört.

Nawalny war die Oppositionsfigur in Russland, ja er war, natürlich, war auch keine einfache Figur, hat früher auch schwierige Äußerungen getätigt, hatte so eine Neigung zum Nationalismus, sagte überraschend wenig, fand ich, zur Annexion der Krim, aber alles in allem, trotz dieser, aus westlicher Perspektive durchaus kritikwürdigen Aspekte war er einfach die Hoffnung für viele auf ein anderes demokratisches Russland.

War also nicht unerwähnt. Auch, dass der Tod nicht zwangsläufig Putin in die Schuhe geschoben werden kann, haben sie erwähnt. Auch wenn, auch das haben sie erwähnt, viel darauf hindeutet.

Allein dass der Kreml danach erklärte, dass es nicht Putin gewesen sein könne, da Putin in der derzeitigen Situation nicht davon profitieren würde, reichte für mich schon als Begründung aus.
Das ist genau die Arroganz mit der Putin seine Taten rechtfertigt.

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Dann habe ich das offenbar überhört. Danke für deine Antwort.

Es gab tatsächlich sehr unterschiedliche Darstellungen dieses Aspekts Nawalnys in unterschiedlichen Podcasts. Einige haben es völlig unter den Teppich gekehrt und mit keinem Wort erwähnt, ein anderer (Spiegel Acht Milliarden) hat es eher so dargestellt, als habe er nur im nationalistischen Becken gefischt, um mehr Leute gegen Putin mobilisieren zu können, wieder ein anderer (ich weiß nicht mehr welcher) hat Formulierungen in die Richtung von „Nawalny war zu dieser Zeit selbst seiner nationalistischen Partei in Russland zu rechts, hat sich dann aber gewandelt und auch linke Gruppierungen in seinen Reden positiv erwähnt“ gebracht. Die Lage ist irgendwo in der Mitte, die Vergangenheit Nawalnys wurde erwähnt, aber letztlich der Bedeutung als Gallionsfigur der Opposition untergeordnet.

Im Wochendämmerungs-Podcast kam Nawalny eher gut weg, wobei Holgi auch etwas süffisant fragte, ob man wirklich wisse, ob Nawalny nicht auch ein autokratischer Herrscher geworden wäre, wenn er es geschafft hätte, sich gegen Putin durchzusetzen. Das ist durchaus eine angemessene Frage - die vergangenen Positionen Nawalnys sind letztlich vor allem deshalb dem Anti-Korruptions-Kampf gewichen, weil Nawalny erkannt hat, dass sich mit einer Anti-Korruptions-Agenda die breiteste Opposition aufbauen lässt, letztlich von links bis rechts, vom Arbeiter bis zum Akademiker…

Insofern ist es durchaus fair, die Figur Nawalny auch kritisch zu bewerten, aber da der Mann gerade einen Märtyrer-Tod gestorben ist, ist es vielleicht auch fair, nicht zu viel Schlaglicht auf die negativen Seiten zu werfen - denn das werden die russischen Propagandisten schon zur Genüge tun… daher fand ich die eher gemäßigte Einschätzung der Lage treffend - das Problem wurde benannt, aber ihm nicht zu viel Raum gegeben.

Es gibt neue Entwicklungen im Fall Nawalny.

Tatsächlich habe ich schon letzte Woche in einem Interview mit Florence Gaub davon gehört, dass Nawalny eigentlich kurz davor stand gegen den Tiergartenmörder ausgetauscht zu werden. Und daher stellte sie in Frage, ob es sich wirklich um einen politischen Mord an Nawalny handelte oder ob Nawalny nicht doch eher ungeplant gestorben sei. Nun stünde Putin einmal mehr als skrupelloser Mörder da, der damit nichts erreicht, aber wochenlange Verhandlungen zerstört hätte.

Heute hat die FAZ die Pläne über einen Gefangenenaustausch bestätigt. Ein Nawalny-naher Unterstützungsfond beschuldigt erwartungsgemäß weiter Putin, aber Fakt ist die Situation ist nicht so klar wie es in den letzten Tagen gezeichnet wurde.

Vieles deutet auf einen politischen Mord hin, aber es gibt auch einige Unklarheiten.

Interessanter Aspekt, wobei es für die Bewertung der Schuld des Kreml mMn wenig relevant ist.

Ob Nawalny jetzt direkt getötet wurde oder an den Nachwirkungen des Nowitschok-Giftanschlags in Verbindung mit der Lagerhaft am Polarkreis gestorben ist, die Verantwortung dafür tragen Putin und seine Schergen - und in beiden Fällen ist es Mord, im Letztgenannten Fall lediglich ein sehr, sehr langsamer.

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Das Interesse Deutschlands daran war gering.
Ist auch nachvollziehbar: in einem Land, wo jeder ohne fairen Prozess hinter Gittern landen kann, ist jeder Gefangenenaustausch nur eine Motivation für noch mehr Verurteilungen.