[LdN366] Kommunikation ist nicht das einzige Problem

Hallo Liebes Lage-Team!

Sehr gespannt auf die Einleitung zum Themenblock „Kommunikation (der Ampel)“ gehört und war dann etwas enttäuscht. Grundsätzlich ist Kommunikation natürlich ein wichtiges Thema und es war eine interessante Analyse/Debatte von euch zu dieser gefühlten Dynamik vs. der gefühlt planlosen Politik. Ich stimme da auch mit euren Einschätzungen sehr überein, auch das solche Kommunikationslöcher von Rechts geentert werden.

Als ihr in der Einleitung jedoch auf das hingedeutet habt, was „insgesamt“ nicht stimmt zu Zeit und um in das Thema Kommunikation einzuläuten, subsumiert ihr, dass auf Sachebene die Ampel-Politik schon ein Fortschritt von lange liegen geblieben Themen aus den Merkel-Jahren und es „der Wirtschaft“ schon insgesamt gut geht. (Zwar habt ihr da auch schon Sternchen gesetzt) Aber hier würde ich gerne einhaken:

Eine weitere Sache, die „falsch läuft“ und die auch Nährboden für rechtsnationale Narrative bildet, ist tatsächlich die sozioökonomische Lage. Da geht es nicht um die Wirtschaft im Sinne von Gewinnen und DAX-Werten, sondern um die Unsicherheit von Einzelpersonen und die zunehmende Abstiegsangst und gefühlte Ungerechtigkeit. Und diese nur gefühlte Ungerechtigkeit gibt es es ja auch faktisch in Form von tatsächlicher Ungleichheit. Und die ist während Corona und dem Ukraine-Krieg gewachsen. Das liegt natürlich einfach an neoliberaler Politik, aber es wird viel auf COVID, Ukraine usw. Das alles ist nicht nur Kommunikation & Narrativ sondern lässt sich auch realwirtschaftlich nachvollziehen.

Ich fände es sehr spannend, wenn ihr euch damit mal auseinandersetzt. Gerade in den (liberalen) USA wird das schon sehr prominent unter dem Stichwort „Präkarisierung“ diskutiert. Dort gibt es natürlich weniger Arbeitnehmer:innenschutz und insgesamt einen anderen Spirit, aber die grundlegenden Tendenzen gibt es auch in Deutschland. Wenn z.B. immer mehr Menschen das gefühl haben in unsicheren Lebenslagen zu sein, von Vollzeit-Jobs nicht mehr leben geschweige denn Kinder kriegen und Lebensplanung angehen zu können, steigende Mieten zu zahlen, jetzt auch steigende Lebensmittelpreise. Aktuell sieht man das auch (auch abseits der GDL) bei jetzt wieder rollenden Streikwellen in allen möglichen Branchen und dem immer gleichen Bild von ‚Arbeitskräftemangel‘ einerseits und ‚prekären‘/‚schlechten‘ Arbeitsbedingungen anderseits. Das ganze ist natürlich ein bisschen mehr materialistisch, aber ich würde mich freuen, wenn ihr das auch mal aufgreift.

(Da schließt sich der Kreis zum Thema Kommunikation, weil dieses Thema oder diese Blickrichtung auch chronisch unterkommuniziert ist)

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Auch wenn ich die Idee von Ulf offen und transparent darauf zu verweisen, dass irreguläre Migration nur von der EU kontrolliert / beeinflusst werden kann erst mal charmant finde, kann das meiner Meinung nach ziemlich nach hinten losgehen. Denn dann wird der Wunsch relevanter Teile der Bevölkerung die Zustände zu ändern sich an die EU wenden. Und liefert die nicht, dann wendet sich die Meinung einiger Leute gegen die EU und AFD und anderen Dexit-Verfechtern zu. Am Ende komme ich zu dem Schluss, dass sich neben der Kommunikation bei dem Thema irregulärer Migration substanziell etwas ändern muss um nicht relevante Teile der Bevölkerung merkwürdigen politischen Kräften zuzuschustern.

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Ich denke auch nicht, dass es sinnvoll wäre, offensiv zu kommunizieren, dass man nationale Maßnahmen für sinnlos halte und daher keine weiteren ergreifen würde. Wenn nicht schon die Union wird sich ja spätestens die AfD hinstellen und sagen, dass sie nationale Maßnahmen überhaupt nicht für aussichtslos hält und deswegen „als einzige“ welche ergreifen wird. Ich denke, das würde viele Leute erst recht zur AfD treiben.

Wie wäre es mal mit weniger Dramatisieren und stattdessen einfach die Probleme anpacken? Und dieses Problem sind nicht die Migranten. Probleme sind z.B. zu wenig Wohnungen, insbesondere Sozialwohnungen, zu späte Arbeitserlaubnis, Lehrermangel.

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Volle Zustimmung! Mein Eindruck ist nur, dass man auch für diese (viel viel dringenderen) Probleme keine Mehrheiten generiert, indem man in der Migrationsfrage offensiv auf open borders setzt. So bitter das klingt und wahrscheinlich auch ist, ich glaube das ist in diesem Land keine mehrheitsfähige Position und erst recht keine, mit der man auf breiter Front Wahlen gewinnt.
Alltägliche Probleme (Wohnungen, Infrastruktur, Bildung, Du sagst es) so Lösen, dass die Menschen es in ihrem Alltag spüren, das nimmt auch Druck von der Migrationsdebatte. Ich denke, die wird vor allem deswegen so hart geführt, weil viele Leute so eine allgemeine Unzufriedenheit verspüren, für die sie sich ein Ventil/einen Schuldigen suchen.

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Das tut doch niemand.
Es gibt bereits hinreichend Gesetze.

Bisher ist die Gesellschaft nicht gespalten (siehe Buch Triggerpunkte von Soziologe Steffen Mau), aber wenn Politik und Medien dieses Thema immer und immer wieder aufbauschen, weil es so schön Aufmerksamkeit generiert und es so einfach ist, in den „Ausländer-Raus“-Chor einzustimmen, wird die bisher nicht vorhandene Spaltung irgendwann real. Das ist absolut verantwortungslos und es ist nicht das, was viele Wähler:innen wollen. Die Demonstrationen richten sich gegen Abschottungs- und Auswanderungspolitik. Die Menschen wollen Vielfalt und Demokratie und nicht 600 Abschiebungen mehr. Hört endlich auf, darüber zu reden.
Ganz schlimm sind auch die Politiker:innen, die auf den Demos auftauchen. Die haben da nichts zu suchen. Die AfD nutzt deren Auftritte/Anwesenheit bereits in ihren TicToc-Videos und verbreitet Verschwörungstheorien.
Liebe Politiker, bleibt weg von den Demos, hört auf, über Abschiebungen zu reden und macht endlich euren Job!

Zitat Politologe Werner Krause im sehr guten Taz-Interview
Was hieße das übersetzt in konkrete politische Handlungen?
Das hieße für die Parteien der politischen Mitte einerseits, jede Kooperation mit der AfD klar auszuschließen. Und andererseits, weniger häufig ihre Themen zu bedienen, sondern politische Debatten zu führen, die tatsächlich zu besseren Lebensbedingungen für die Menschen führen würden. Also etwa über eine bessere Mietenpolitik oder das Bildungssystem, statt sich in der Migrationsfrage von rechts treiben zu lassen.
https://taz.de/Politologe-ueber-Migrationspolitik/!5989700/