LdN337-340 Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften

Liebes Lage Team,

das Thema Einwanderung von Fachkräften kommt ja in letzter Zeit häufiger vor. Mir fehlt dabei immer etwas der Aspekt „wie es in der Praxis aussieht“. Es ist immer davon die Rede, wie wir mehr gut ausgebildete Fachkräfte anlocken. Aber schauen wir doch mal auf die, die es versuchen. Eine Freundin (ist mit einem deutschen Mann verheiratet und daher nach Deutschland gekommen) hat in einem nicht EU Land Medizin + Facharztausbildung studiert und in den Niederlanden promoviert. Sie hat sehr gute Publikationen (Nature, Lancet etc.), spricht Deutsch auf C1 Level und hat ein Jobangebot als Assistenzärztin in einem Krankenhaus. Also eigentlich gut ausgebildet / gut integriert / Visum und Lebensunterhalt schon geklärt. Man sollte also meinen, alles kein großes Problem.
Sie hat einen Antrag auf Anerkennung ihrer Approbation gestellt bzw. eine Berufserlaubnis beantragt. Das ist nun 6 Monate her. Sie hat noch nicht mal eine Eingangsbestätigung bekommen und auf telefonische Nachfrage wurde sie sehr unfreundlich abgebügelt „wir geben prinzipiell keine Statusauskünfte und wenn sie hier nochmal anrufen, komme ich nicht zum Arbeiten und es dauert noch länger.“ Das ist nur für eine Eingangsbestätigung. Danach muss sie damit dann einen Termin für die Fachsprachprüfung (ca. 3 Monate Wartezeit) beantragen und nach Bestehen einen Termin für die Kenntnisstandprüfung (aktuell in RLP 1.5 JAHRE Wartezeit. Wer tut sich sowas an, wenn er nicht muss? Welche Person mit Kariereambitionen nimmt zwei Jahre WARTEZEIT in kauf? Und dann haben wir noch nicht mal über die Zustände bei den Einwanderungsbehörden gesprochen oder den Umgang von einigen Sachbearbeitern a la „was wollen sie denn hier? Sie sollten froh darüber sein, dass sie nach Deutschland kommen können“. Und das in einem Beruf, der in Deutschland seit Jahren gesucht wird und die Zuwanderung gesetzlich ermöglicht ist.
Wenn ich Politiker in Interviews reden höre, wir brauchen mehr Zuwanderung (ja brauchen wir auch), kocht mir immer das Blut. Es wird so getan als ob wir nur ein Gesetz verabschieden müssen und dann läuft alles. Meiner Meinung nach sind es nicht Gesetze, die Fachkräfte hindern, sondern das kaputte System.

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Du sprichst hier ein ganz zentrales Problem der Fachkräftedebatte an:

Wir wollen gleichzeitig die Zuwanderung aus anderen (Schul- und Ausbildungs-)Systemen ermöglichen, gleichzeitig aber idealerweise keinerlei Abstriche in der Qualität der Ausbildungen akzeptieren. Und das klappt halt nicht.

So kommt es immer wieder zu der Situation, dass bestimmte Anschlüsse aus anderen Ländern im Rahmen von Bi- oder Multilateralen Verträgen ganz einfach anerkannt werden können (z.B. innerhalb der EU, dafür gab es ja den Bologna-Prozess), obwohl sie möglicherweise nicht exakt gleichwertig sind (die Abstriche in der Qualität werden in diesen Fällen akzeptiert, weil sie nicht zu groß sein sollten), während der gleiche Abschluss aus einem Land, mit dem es keine Verträge gibt, nur über ewig-dauernde Einzelfallprüfungen mit Nachprüfungen und allem drum und dran anerkannt wird. Das macht Zuwanderung aus diesen Ländern natürlich sehr, sehr unattraktiv für beide Seiten.

Diesen Konflikt zwischen Qualitätssicherung und „einfacher Fachkräftezuwanderung“ ist nur sehr schwierig aufzulösen. Die von dir geschilderten Wartezeiten müssten in jedem Fall drastisch reduziert werden, aber es wird wohl für Menschen aus Ländern, mit denen es keine Abkommen gibt, immer ein bürokratischer Spießrutenlauf bleiben, einen Abschluss anerkannt zu bekommen. Bei meiner damaligen Partnerin (MTA in Südkorea an einer Universität studiert; hier in Deutschland ist das dummerweise ein Ausbildungsberuf) hatte das auch ewig gedauert und am Ende wurde das Studium, weil es kein deutsches Äquivalent gab, nicht anerkannt. Sie hat dann die Heilpraktiker-Prüfung ablegen müssen, um überhaupt irgendwas im medizinischen Bereich arbeiten zu dürfen (das war vor 2010, heute sähe das vielleicht anders aus…). Etwas mehr Flexibilität wäre in solchen Fällen schon wünschenswert, andererseits kann ich verstehen, dass solche (Aus-)Bildungssysteme nicht immer zu 100% kompatibel sind.

Dass wir die Bürokratie maßgeblich verschlanken und beschleunigen müssen, wenn wir mehr Fachkräfte-Zuwanderung wollen, liegt denke ich auf der Hand.

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Mir ging es weniger um die Existenz (oder eben nicht Existenz) eines Anerkennungsverfahrens, sondern darum, dass in der Diskussion hier oft Schluss ist. Es stimmt absolut, dass die Qualität gerade im medizinischen Bereich, gesichert sein muss. Deshalb finden ich den Anerkennungsprozess in der Medizin (effektiv 2 mündlichen 90-minütige Prüfungen) fair und gerechtfertigt. Es kann aber nicht sein, dass man dafür 2 Jahre WARTEZEIT braucht. Die Politik kann sich nicht auf die Schulter klopfen und auf das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verweisen. Sie muss auch sicherstellen, dass der entsprechende Verwaltungsapparat entsprechend ausgestattet ist. Und dieser Teil fehlt mir oft in der Diskussion bzw. wird immer mit einem Halbsatz abgetan obwohl er mMn DAS zentrale Problem im Moment ist.

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In der Kita unserer jüngsten Tochter wird dringend Personal gesucht, nachdem sich von Jahr zu Jahr die Zahl der vakanten Stellen häuft. Ein Frau aus der Ukraine, die dort ein Studium der Kinderpädagogik absolviert hat, würde gerne anfangen. Doch das Verfahren zur Anerkennung dauert ungefähr ein Jahr. Sie ist nun, mangels formaler Qualifikation, als Hilfskraft beschäftigt. Es wäre für sie finanziell deutlich attraktiver, in die Gastronomie zu gehen und Pakete auszufahren. Aberwitzig.

Ich suche noch nach einer plausiblen Erklärung, warum die Arbeitsmigration innerhalb der EU offenbar nicht funktioniert. Wie reagieren Länder wie Spanien auf eine Zuwanderung von Fachkräften auf EU-Ebene, wenn dort selbst über 20% der Jugendlichen arbeitslos sind.
Eine andere Frage. Was wird passieren, wenn wir 400 000 jährlich über Arbeitsmigration integrieren und dann noch 400 000 jährlich zusätzlich als Flüchtlinge. Ersteres sind ja jährliche Quoten, also vorausschauend gesteuert. Letzteres entzieht sich der Steuerung und hängt von schlecht kontrollierbaren Faktoren ab.

Auch Spanien hat trotz hoher Arbeitslosenquote mit Fachkräftemangel zu kämpfen - und Experten gehen relativ einhellig davon aus, dass das Problem in Zukunft stärker wird.

Dann haben wir 800.000 neue Menschen im Jahr. So what?

Was erwartest du für eine Antwort auf diese Frage? Für den Konservativen klingen 800.000 Migranten jedes Jahr vermutlich nach Apokalypse, aber das sind sie nicht.

800.000 sind weniger als 1% der Bevölkerung. 1% der Bevölkerung jedes Jahr zu integrieren sollte ohne Weiteres möglich sein, wenn man die Weichen in der Integrationspolitik richtig stellt. Und natürlich auch die anderen Probleme (Wohnraummangel z.B.) endlich mal richtig anpackt.

Und was noch dramatischer ist: Was machen wir wenn jährlich 800.000 Kinder geboren werden?
Die kommen ohne jegliche Bildung, verbrauchen 1-2 Dekaden wertvolle Ressourcen und zahlen weder Steuern noch Sozialbeiträge aber binden Fachkräfte ohne Ende.

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Mein thailändischer Verlobter (als wir noch nicht verheiratet waren) hat kein Arbeitsvisum für Deutschland erhalten, und zwar trotz

  • eines von einem deutschen Pflegedienst unterschriebenen Arbeitsvertrag
  • Stelle, die keiner Ausbildung bedarf (Pflegehelfer)
  • deutschem Schulabschluss
  • deutscher Berufsausbildung (als Koch)
  • Mutter lebhaft in Deutschland

Die Begründung der Botschaft, welche die Botschaft auch gegen eine Remonstration durch einen Fachanwalt aufrechterhalten hat, war: die Ausbildung passe nicht zur angestrebten Stelle.

Wir haben dann geheiratet. Wollten zwar eigentlich den Aspekt der Umsiedlung aus der Ehe heraushalten, aber wir sind glücklich. Danke Deutschland.