Ich habe mich beim Hören der aktuellen Lage ein bisschen über eure Einschätzung zum Volksentscheid geärgert, wobei mein Ärger sich vor allem gegen die Initiatoren des Volksentscheids richtet. Ich bin ausdrücklich für mehr Klimaschutz und bin der Meinung, dass die Anstrengungen zur Entkarbonisierung unserer Gesellschaft vervielfacht werden müssen. Trotzdem konnte ich beim Volksentscheid nicht für „Ja“ stimmen, da ich es als unmöglich erachte dieses Ziel zu erreichen.
Was heißt Klimaneutralität für Berlin? Berlin hat kein realistisches Potenzial für Kohlenstoffsenken, müsste also für eine echte Klimaneutralität seine Kohlenstoffemissionen auf Null senken. In der Praxis fordert also der Volksentscheid bis 2030 unter anderem:
Verbot des Fahrens von Verbrennern im Land Berlin.
Verbot von Start und Landung von Flugzeugen, die fossile Brennstoffe tanken.
Austausch aller Heizungen in Berlin, die fossile Brennstoffe verbrennen.
Das alles und mehr mit einem Vorlauf von gerade mal 7 Jahren. Das halte ich für höchst unrealistisch. Natürlich kann man so tun, als ob man über Klimazertifikate einen Ausgleich schaffen könnte, aber von echter Klimaneutralität kann da nicht die Rede sein und eine Rechnung, wie viel das jedes Jahr kosten würde (bei zweifelhaftem Nutzen) habe ich auch noch nicht gesehen.
Ich hatte mir zu dem Thema etwas mehr Analyse gewünscht und tue das immer noch. So bleibt leider als vermeintliches Fazit zum Volksentscheid hängen: es gibt keine gesellschaftliche Mehrheit für mehr Klimaschutz. Das finde ich sehr traurig und damit hat der Volksentscheid meiner Meinung nach dem Klimaschutz einen Bärendienst erwiesen.
In der Praxis war das durch das vorgeschlagene Gesetz eben nicht bis 2030 so unbedingt gefordert. Es ging viel mehr darum, dass alle möglichen Maßnahmen auch gezogen werden sollen. Erst wenn etwas nicht möglich gewesen wäre, dann hätte der Ausstoß wirksam kompensiert werden müssen.
Ergo, wenn man die Modernisierung und Heizungstausch nicht geschafft hätte, dann wäre der Betrieb ebenso wie das Fliegen oder Autofahren nicht verboten geworden. Ob der massive Umbau wirklich möglich gewesen wäre wird man nun ohnehin nicht mehr sehen. Technisch und wirtschaftlich sollten gesamtgesellschaftlich gesehen die Mittel aber da sein. Es sind also aus meiner Sicht andere Faktoren, die ein Scheitern bedingt hätten.
Ist Tegel immernoch nicht abgewickelt?
BER liegt doch im Land Brandenburg.
Berlin hat beste Vorraussetzungen Verbrenner ohne Verbot aus der Stadt zu drängen.
Einen sehr guten aber Ausbaufähigen ÖPNV.
Ordentlich in Ladestationen investieren und der Rest kommt von alleine.
Auch hier hervorragende Vorraussetzungen für die Konzentration.
Zentrale GroßWP gebaut und dann alle Häuser an Nahwärme angeschlossen.
Ja in 7 Jahren extrem knapp, aber nach dem Scheitern des Volksentscheids wird der Zeitraum jetzt dazu genutzt werden müssen um solche Projekte überhaupt anzuschieben.
Vergeudete 7 Jahre also.
Sehe ich ähnlich. Zumal die Initiatoren die Finanzierung völlig offen gelassen habe - woher hätten die 31 Milliarden (darauf habe ich schon einmal in einem anderen Thread verwiesen: Volksbegehren "Berlin 2030 Klimaneutral" - #50 von Oneiroid) kommen sollen?
Berlin hat in den letzten 10 Jahren etwa 38 Milliarden € aus dem Länderfinanzausgleich erhalten. Hätte man sich die „Vorreiterrolle“ im Klimaschutz also von Bayern, BaWü und Hessen finanzieren lassen? Hätten sich diese immensen Investitionen (bedingt durch die Berliner Schuldenbremse) durch einen Kahlschlag im Bereich der sozialen Leistungen refinanzieren müssen?
Das nicht. Die Menschen erkennen aber, wenn Forderungen derart übertrieben/ambitioniert sind, dass sie wissenschaftlich betrachtet eigentlich gar nicht umsetzbar sind. So gefährdet man die Glaubwürdigkeit.
Die Reduktion auf die Geldfrage ist aber keine wissenschaftliche Machbarkeitsstudie.
Deine gesamte Kontraargumentation basiert aber auf Geld.
Oh mir würde da durchaus was einfallen.
Anfangen das Tempelhofer Feld in einen Wald verwandeln.
Ähnliches mit dem Tegeler Flugfeld.
Wenn die Verkehrswende vorrangetrieben ist, wird die Stadtautobahn überflüssig und kann zur normalen Straße als Schnellverbindung zurück gebaut werden, frei werdende Spuren mit Bäumen bepflanzen.
Da kommen dann schon ein paar Kubikmeter Kohlenstoff zusammen, die ein paar tausend Tonnen pro Jahr bringen dürften ^^
(3) Soweit Maßnahmen oder Anordnungen nach diesem Gesetz zu einer Erhöhung der Nettowarmmiete für Wohnraum führen, ist der Erhöhungsbetrag dem Zahlungspflichtigen als monatlicher Zuschuss aus dem Landeshaushalt zu erstatten. Diese Verpflichtung endet im Jahr 2050.
Tegel + Tempelhofer Feld sind insgesamt ~800 Hektar. Selbst wenn man mit weiteren Flächen von 1000 Hektar ausgeht sind das nur ~10000 Tonnen co2-Bindung pro Jahr. Berlin hat einen co2 ausstoß von ~17.000.000 Tonnen. Also könnte man ungefähr 0,06% des co2 binden, wenn man das Tempelhofer Feld und das gesamte Gelände von Tegel zu einem wald verwandelt. Fehlen nur noch 99,94% für die man eine andere Lösung braucht.
Das ist halt genau mein Argument, Berlin muss seine Emissionen auf Null (oder halt 0,06% wenn man beide Flugfelder + die Fläche eines halben zusätzlichen Flugfelds an Wald neu anpflanzt statt zum Beispiel Wohnungen zu bauen) senken um Klimaneutralität zu erreichen.
Und es bleibt aus meiner Sicht völlig unrealistisch zum Beispiel alle Heizungen innerhalb von 7 Jahren zu ersetzen.
Verbot von Neueinbau von fossilen Heizungen sehr gerne! Gerne auch die Abschaltung des Gasnetzes zum Beispiel 2040. Verbot von Verbrennern auf Berliner Straßen ab zum Beispiel 2035, sehr gerne. Verbot von Flugzeugen mit fossilem Treibstoff ab einem Tag X sehr gerne. Aber dann bitte transparent und konkret. Mich ärgert es einfach nur ein Ziel in den Raum zu stellen und keinen realistischen Pfad aufzeigen zu können, wie das Ziel erreicht werden könnte.
Nur, dass die meisten wissenschaftlichen Institutionen mit Expertise in dem Feld den Volksentscheid PR mäßig positiv gesehen und z.T. aktiv für Ja-Stimmen geworben haben. Als Beispiele dazu das IKEM, was aufruft zur Wahl zu gehen (und wohl nicht um mit Nein zu stimmen: https://twitter.com/IKEM_Berlin/status/1639205874874081280?cxt=HHwWgIDT2d3D0L8tAAAA). Und das eben, weil es aus wissenschaftlicher Sicht in sehr vielen Punkten machbar wäre. Zu sagen, dass es die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit untergräbt ist genauso falsch, wie sich hinzustellen und zu sagen, dass die Wissenschaft sagt, dass es easy machbar wäre. Der wohl kritischste Punkt sind zum einen die sozialen Aspekte, langfristige Umsetzungsprozesse und zum anderen eben, die notwendigen Menschen, um das alles zu realisieren. Und hier wird es dann eben interessant, weil viele der Gegenseite dann einfach sagen, das ist unrealistisch und die Wissenschaft sagt, das geht nicht. Nur ohne konkret zu sagen, wieso es nicht gehen soll.
Hier im Forum wir dann oft das Argument Geld genannt. Ja die Finanzierung ist anspruchsvoll, aber eben keine Unmöglichkeit.
Ist es nicht Sache eines Landes, dass es eigenständig über die Ausgaben die aus dem Länderfinanzausgleich und Nachfolgemechanismen finanziert werden zu entscheiden? Klar kann man darüber streiten, ob das sinnvoll ist, und ob das Geld dann nicht in bundesweite Maßnahmen besser angelegt ist, die für ganze Deutschland einen Fortschritt in der Energiewende bringen, aber es ist eben kein Argument zu sagen, dass die Finanzierung nicht möglich ist.
Klar kann man Menschen verlieren, wenn man zu ambitioniert ist. Nur was wir aktuell machen ist genau das Gegenteil. Die Politik versucht es alles und jedem Recht zu machen und es passiert viel zu wenig. Hier fehlt auf der Gegenseite mindestens das an der Portion Optimismus, die die Pro-Seite zu viel hatte, um wenigstens einen wirklich großen Wird zu wagen. Wenn man sich anschaut, was in Corona oder letztes Jahr in Folge des Krieges alles kurzfristig möglich gemacht wurde, dass ist da definitiv wesentlich mehr machbar.
@davidpaulweber Hättest du das mit „ja“ gestimmt wenn das Volksbegehren nicht mit „Klimaneutralität bis 2030“ sondern mit „Klimaneutralität so schnell wie irgendwie möglich“ betitelt worden wäre?
Wenn ja klingt das irgendwie wie ein marketing Problem. Bin mir auch nicht so sicher, ob es taktisch so schlau war, Klimaziele immer in der Form „n% weniger Emissionen bis zum Jahr m“ zu formulieren (bzw. inzwischen „Klimaneutralität bis zum Jahr m“). Das ermutigt so dazu, sich auf allen Ebenen alles schön zu rechnen, anstatt tatsächlich zu schauen, wie wir möglichst schnell möglichst viele Emissionen eliminieren können. Ein weiterer Nachteil ist, dass es bei dieser Zielsetzung praktisch nicht vorgesehen ist, Klimaziele möglichst noch zu übertreffen (wohl aber sie zu verfehlen).
Trotzdem werde ich immer bei jeder Gelegenheit für mehr Klimaschutz stimmen egal wie realistisch oder unrealistisch das gesamt Ziel. Besser ein „unrealistisches Ziel“ energisch verfolgen (und dann evtl. nur teilweise erreichen), als ein „realistisches Ziel“ anvisieren, halbherzig verfolgen (weil wir haben ja noch Zeit), und dann nicht mal das schaffen. Nach letzterem sehen nämlich unsere derzeitigen Klimaziele alle irgendwie aus.
Eine Bodenwertsteuer in Berlin würde grob 6 Milliarden pro Jahr aufbringen. Das wäre generell eine gute Idee auch um die Stadt ökologisch nachzuverdichten.
Dazu kommt dass makroökonomisch es jetzt Spielraum gibt weil wegen die wirtschaftliche Entwicklungen die Ratio Schuld/GDP (Staatsschuldenquote) am fallen ist.