LdN302 Digitalisierung: Was wir brauchen - standardisierte Funktionen und Dienste

Man sollte sich das Thema aber auch nicht zu einfach machen. Es geht eben nicht nur um APIs, es geht um Datenformate, es geht um Abwärts-Kompatibilitäten, es geht um Absprachen zwischen städtischen. bundesländischen und gesamtstaatlichen Behörden. Hinzu kommen dann auch noch internationale Verbindungen. Überall muss man Datenmodelle, Encodings und Schnittstellen abstimmen.

Ich sage nicht, dass das nicht geht, aber es ist eben nicht so simpel wie es hier einige darstellen.

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Bevor wir einem „Standard“ festlegen, müssen wir etwas weiter ausholen. Nehmen wir ein Beispiel. Wir wollen ein Gewerbe anmelden und ärgern uns, daß wir viele Informationen wie die Adresse, die eine Gemeinde über den Antragsteller hat, erneut in ein Formular eintippen müssen. Dabei haben wir die Adressinformationen bereits der Applikation gegeben, die das Einwohnermeldeamt benutzt. Nun wäre es gut, wenn beide Applikationen miteinander kommunizieren könnten. Also die Gewerbeapplikation stellt einen Request zum Beispiel über ein Identifikationsmerkmal des Antragstellers (z.B. seine persönliche Steuernummer). Die Einwohnermeldeapplikation müsste diesen Request bearbeiten, die Informationen über die Person suchen und wenn gefunden passend antworten. Dabei kommt es darauf an, dass beide Applikationen über die Datenfelder der Antwort das gleiche Verständnis haben. Wenn das mal zwischen einem Sender und Empfänger funktioniert, kann man überlegen, wer diese Schnittstelle auch noch nutzen kann. Ein zweiter Nutzer könnte eine Fachapplikation sein, in der Laternenumzüge beantragt, verwaltet und genehmigt würden. Sie könnte auch einen Request an die Einwohnermeldeapplikation stellen und über die gleiche Ausgabe Schnittstelle eine Antwort erhalten. Nach diesem Muster könnte eine Gemeinde weitere Fachanwendungen anschließen. Erst wenn es gelungen ist, weitere Applikationen anzuschließen, könnte man sagen, der Gemeinde ist es gelungen für diese Problem eine Standardlösung gefunden zu haben. Dummerweise müssen dazu bestehende Applikationen geändert werden, da sie in der Regel von zwei unterschiedlichen Herstellern erzeugt worden und diese vermutlich nicht miteinander kooperiert haben. Es sei denn, die Behörde hat dies im Pflichtenheft bei Bau mitbeauftragt.

Standards werden akzeptiert wenn der Entwickler einen Nutzen hat. Allerdings ist im Umfeld behördlicher Fachapplikationen die Zahl der Neuentwicklungen überschaubar. Nur dort hat man eine Wahl. In fertige Fachapplikation im Nachhinein einen Standard zu berücksichtigen bedeutet einen hohen Mehraufwand, den jemand bereits sein muss zu finanzieren

An diesem Beispiel (und an der ganzen restlichen Diskussion) sieht man ganz gut, warum wir nicht so schnell mit der Digitalisierung vorankommen werden.

Was wir brauchen sind nicht unbedingt neue oder bessere Standards. Was wir brauchen (Ulf hatte es angesprochen) sind standardisierte Funktionen und Dienste.

Um dieses für Deutschlands Behörden schaffen zu können, bräuchte es massive Neu- und Umverteilung von Kompetenzen.

Im Moment heisst Digitalisierung in deutschen Behörden z.B. die Einführung der E-Akte. Das resultiert dann darin, dass dieselben Akten über dieselben Schreibtische laufen, nur jetzt in digitaler Form anstatt wie vorher in Papier…man spart also genau den behördeninternen Briefträger.

Was wir bräuchten wäre allerdings eine Behörde, die alle E-Akten für alle anderen Behörden pflegt, eine Behörde die alle SAP-Vorgänge für alle anderen Behörden betreut, usw.

Das würde lokal zu massiven Personalabbau in Behörden und Ämtern führen. Nur leider existiert keine Motivation für Behördenleiter aktiv dazu beizutragen solche Prozesse anzustossen da damit die Anzahl der eigenen Mitarbeiter abgebaut und die eigene Stellung geschwächt würde.

Selbst wenn wir also in den unteren Positionen der IT Personen haben, die diese Funktionen und Dienste schaffen könnten, die Behördenleiter bzw. die Personen weiter oben in der Hierarchie haben kein oder nur wenig Interesse an der Schaffung dieser Strukturen.

Politiker lassen, da sie sich im allgemeinen nur wenig damit auskennen, erfahrungsgemäß lieber die Finger von den Verwaltungsstrukturen der ihnen unterstellten Behörden. Wenn die nötige Umstrukturierung nicht aktiv von den politischen Beamten und Behördenleitern gefordert wird, können die Politiker dies nicht gegen deren Willen umsetzen, falls sie sich deren Notwendigkeit überhaupt bewusst sind.

Ich habe das schon öfter angesprochen: Der Wasserkopf der uns hier bremst sind die höhergestellten Beamten bzw. Amts- und Behördenleiter.

Ja und nein. Wir benötigen wirklich nicht unbedingt neue Standards. Hier spreche ich von technischen Standards, die Interoperabilität sicherstellen. Diese Art technischer Standards haben wir, sie zweigen das sie wirken, sonst könnten wir uns hier z.B. nicht derart unterhalten.

Es gibt im übrigen auch eine Reihe von Standards, die beschreiben wie Nutzer-orientierte System und Lösungen gebaut werden, oder aber noch weiter gefasst, wie System und Lösungen gebaut werden können, die hoch komplex sind und nicht mit einem Blick erfasst werden können, sondern die unterschiedlichen Aspekte wie Geschäftsmodell, Ablauf- und Verarbeitungsprozesse oder Vereinheitlichung in der technischen Umsetzung strukturieren helfen. Diese Art Standards und Normen strukturieren Entwicklungsprozesse.

Wenn hier von standardisierte Funktionen und Dienste die Rede ist, dann geht es m.E. um Plattformfunktionalität, wiederkehrende Teilaufgaben verlässlich vereinheitlichen und Fachverfahren bereichern. Die Beispiele waren angesprochen: Authentifizierung, Signieren, Zahlen, etc. Dies sind Plattform-Dienste, die den Bürgern überall und immer wieder unterkommen, weil Fachverfahren durchzuführen heißt: für wen erbringe ich einen Verwaltungsakt? wie wird das rechtlich bindend festgelegt und elektronisch bindend dokumentiert? wie bezahlt? Es gibt noch eine Reihe weitere Dienste und Funktionen, die ich von einer Plattform erwarten würde und sich von Bundesland zu Bundesland nicht erheblich unterscheiden, sondern soviel Ähnlichkeiten aufweisen werden, dass nach dem Schema Einer-für-Alle vorgehen kann.

Wichtig hierbei sind wohl-definierte Schnittstellen, semantische Einheitlichkeit und technische Heterogenität. Hinter den Schnittstellen muss nicht, aber kann verscheiden implementiert werden, solange Interoperabilität gewährleistet ist. Wollen Daten ausgetauscht werden helfen vereinbarte Datenmodelle. Die Datenbankschemata der Meldestellen in verschiedenen Bundesländern sind und dürfen unterschiedlich sein, und Daten zwischen den Meldestellen können ausgetauscht werden, wenn die zugrunde liegenden Datenmodelle dies unterstützen und sich nicht widersprechen. Besser wäre es ein gemeinsames Datenmodell zu nutzen.

Eine E-Akte ist nicht gleich eine E-Akte, weil Fachverfahren sich inhaltlich unterscheiden. Lösungen müssen auch nicht überall einheitlich geschaffen werden, sondern können (oder müssen vllt erst in Zukunft) zusammenwachsen. Migrations-fähige Lösungen sind gefragt, doch wird dies häufig vergessen. Hier inhaltliche Vereinheitlichung und Zukunfts-Offenheit zu schaffen ist weder eine politische, noch eine behördliche Kompetenz, sondern eine technische Kompetenz der Plattform-Schaffenden, in die mehr Vertrauen zu haben wünschenswert/erforderlich/notwendig ist. (Auszuwählen je nachdem wie hoch der Druck empfunden wird.)

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Erst einmal: gute, hochqualitative Antwort. Stimme mit dem meisten, was sie schreiben vollkommen überein.

Konkretes Beispiel wäre hier eine eGov Software der Firma F, die meines Wissens bei Bundesbehörden Vorschrift ist und in vielen Landesverwaltungen ebenso benutzt wird. (Ab jetzt begeben wir uns ins Land der Spekulationen; ich bin kein Profi in der Materie, kann aber einen „educated guess“ abgeben):

Jede Bundesanstalt bzw. jedes Landesamt ist einzeln Kunde bei dieser Firma und wird einen Wartungsvertrag mit der Firma F abgeschlossen haben. Firma F konfiguriert bzw passt ihre Software an die Kundenwünsche an und diese läuft dann auf den Servern der Behörde und wird von Sachbearbeitern benutzt und von Admins gewartet usw.

Das ist meiner Ansicht nach der Punkt an dem Digitalisierung nicht funktioniert: Wieso ist nicht das Land Deutschland bzw die dann zuständige Behörde (nennen wir sie D für digitalisierung) exakt 1x Kunde bei Firma F? Bei Behörde D könnten dann Fachmänner für E-Akten zusammen mit Firma F die Software an die Verfahren/Bedürfnisse des jeweiligen Amtes anpassen. Ferner würde die Software auf den Servern der Behörde D liegen, da könnten sie gepflegt und gewartet werden unabhängig von den Fachverfahren. Diese werden weiterhin von den Sachbearbeitern in den Behörden bearbeitet.
Damit würden Kompetenzen gebündelt, bei Änderungen der Software bzw Anforderungen würden dies bei Fachleuten für diese techn. Vorgänge landen und nicht in div. Ämtern bei Leuten, die sowas alle Jubeljahre mal machen.

Ganz genau: Hinter den Schnittstellen kann unterschiedlich implementiert werden. Aber wieso wird dies an hunderten verschiedenen Stellen getan, die im allgemeinen nicht miteinander reden?
Wie sollen migrationsfähige Lösungen denn zusammengeführt werden, wenn niemand mitbekommt das Lösungen migrationsfähig sind?

Ein Standard ist schnell verändert, diese Veränderung ist ebenso schnell implementiert, wenn dies zentral und von Fachleuten getan werden kann. Wenn dies dezentral geschieht, dann gibt es immer 1000 Ausnahmen. Behörden, die aus irgendwelchen Gründen den alten Standard beibehalten und sei es, dass es einfach niemanden mit der Expertise in ihrem Haus gibt die die Verfahren auf den neuen Standard umzukonfigurieren können. Da helfen selbst Pflichten oder Zwang wenig weiter. Das Ergebnis ist, wenn Software/Standards/etc nicht Fachmännisch gepflegt/gewartet werden: Sie zerfallen in einen Flickenteppich aus tausenden Einzelteilen, der je mehr Zeit verstreich, desto schwieriger wieder zu einem Teil zusammenzufügen ist, bis dies schließlich unmöglich wird.

Ja, wir brauchen Standards, nicht nur bei Datenübertragung etc, sondern natürlich auch bei Diensten. Damit ist es aber noch nicht getan. Man benötigt dann ebenso eine Instanz, die diesen Standard mit leben füllt (bzw den Dienst dann zur Verfügung stellt) und auch die Kompetenz hat diesen weiterzuentwickeln und diese Änderung zentral zu implementieren. Wenn Standard A dann beispielsweise geändert wird und dieser Standard mit den weiteren Standards B,C,D Daten austauscht, müssten dann nur an 3 zentralen Stellen die Änderung des Standards A eingepflegt (und kontrolliert) werden, anstatt an tausenden (vielleicht sogar hunderttausenden)

Die E-Akte ist hier nur ein Beispiel. Wenn man dieses für alle Vorgänge die in derselben oder ähnlicher Funktion in deutschen Verwaltungen vorkommen (Authentifizierung, Signieren, Zahlen,…) durchdenkt, kommt man auf eine komplett andere Verwaltungsstruktur, die mittel- bzw langfristig nur einen Bruchteil des jetzigen Personal benötigt, anstatt wie jetzt gerade immer weiter anzuwachsen.

Ja, Daten sind oft in Anwendungen der öffentlichen Hand vorhanden, können aber nur zweckgebunden verwendet werden. Oh wie praktisch wäre es, wenn man sie einfach immer abrufen könnte. Aber stopp einmal. Warum so umständlich? Warum lösen wir das Problem nicht an der Wurzel. In der „guten, alten“ analogen Papierwelt habe ICH alle meine Daten. Nur halt auf Papier. Würde mir der Staat meine Daten immer digital zur Verfügung stellen, natürlich signiert und damit amtlich beglaubigt, dann könnte ich sie selber in die Formulare einfließen lassen. Meine Adresse muss in fünf Formulare? Egal, geht ja automatisch aus MEINEM Datenbestand heraus. Zweckbindung ist kein Problem, ich habe die Kontrolle und alles ist gut. Da bleibt die Frage, warum will das BMI mit dem Konzept der Registermodernisierung alle Daten abfragbar machen, statt uns (den Bürgern) unsere Daten digital zur Verfügung zu stellen? Mit BMI meine ich das Bundesministerium des Inneren, das auch für die Sicherheitskräfte und die Innere Sicherheit zuständig ist, wiederholt wegen der Gesetzte zur Vorratsdatenspeicherung gescheitert ist usw.

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