LdN301: Mindset

Ich habe einen befreundeten IT´ler befragt, wie groß der Aufwand wäre, eine Excel mit VBA zu programmieren, die für eine Klasse alles übernimmt. Also die jedes Halbjahr einzeln erfasst, alle Noten für die entsprechenden Halbjahre gewichtet, berechnet und ein PDF auswirft, dass als Zeugnis gedruckt werden kann, inkl. eingescannten Unterschriften der Klassenleitung und des Schulleiters. Seine Antwort: Zwei bis drei Tage.
Natürlich könnte man jetzt fantasieren und sich vorstellen, wie sowas auf einem Server als Eingabemaske liegt und jede:r Lehrer:in sich wo einloggt, seine Noten eingibt und die Klassenleitung als Verwaltungsfachangestellte erst garnicht so aktiv werden muss, mit Noteneintreiben usw. Im Grunde liefert das die LUSD ja schon, sie müsste nur entsprechend zugänglich sein.

Technisch ist das lange nicht die Herausforderung wie Onlinebanking in Sachen Sicherheit oder ein Dokutool für die Überwachung von Leitungsnetzen in Sachen technischer Komplex. Es geht hier um eine Exceltabelle mit ein bisschen VBA oder als Website mit Java oder oder… ich bin kein Informatiker, aber meine Tabellen, für mich selbst als Notlösung, sind schon um Welten besser.

Aber zum Mindset, ähnlich wie in 301 beschrieben: Es stört sich keiner daran. Der Gedanke an Innovation, Effizienz oder einfach ein schöner Workflow ist kein Ansporn. Für mich drängt sich da ein Gedanke auf: Jeder Job hat ja ein gewissen Image und als junger Mensch muss man sich ja für einen Job entscheiden. Ich denke, ganz doll simplifiziert, dass sich ein bestimmte Schlag an Menschen genau für diese Stellen in Ämtern interessieren, weil sie instinktiv eine herausfordernde Arbeitsumgebung meiden, weil es Leute sind, die Veränderung als per se schlecht empfinden und das Charisma einer Behörde genau das Gegenteil ausstrahlt, nämlich „hier bleibt alles wie es ist“. Und dass Deutschland ein Volk der ewig gestrigen ist, sehen wir ja auch an anderen Bereichen, wie Tempolimit, Windkraft, das Verhältnis zur Politik, Bildung. Es gibt eigentlich keinen Bereich mehr, der relevant für die Zukunft ist, der funktioniert. Selbst Bereiche die noch „aus der guten alten Zeit sind“, wie die Bahn, scheitern. Nicht nur an der Digitalisierung, sondern schlicht am Unwillen der Verantwortlichen. Das kann ich für die Schule zumindest relativ fest postulieren. Ich hatte auf Fiver ein paar Freelancer angeschrieben, was die für so eine Lösung für die Zeugnisse haben wollen. Das waren Preise um die 1000€. Ich hatte das in der Schulleitungssitzung vorgestellt, sogar mit Vorentwurf durch den Freelancer (den ich mit 100€ privat angezahlt hatte). Die Schule hat das Geld ganz locker, für solche Leistungen gibt es beim Kreis Töpfe ohne Ende. Aber die Schulleitung hat es als Affront wahrgenommen, weil ich ja die Exceltabelle ersetzen will, die der Schulleiter höchst persönlich irgendwann in den Nullerjahren mal angefertigt hat. Hätte ich das gewusst, wäre ich politisch anders vorgegangen. Aber selbst wenn da kurz der Stachel der Kränkung sitzt, dass ein Informatiker tatsächlich besser programmieren und Excel kann als ein Lehrer für Politik und Wirtschaft (Ironie off), sollte sich eine Führungskraft im Zweifel dafür entscheiden, Dinge zu verbessern. Hat er nicht gemacht und wollte der Rest auch nicht: Läuft doch seit Jahrzehnten so! Alter-weißer-Mann-Sprech. Und das ist nur ein Ausschnitt. Ich fange jetzt nicht an mit dem Verfahren zur Beschaffung von Büchern, Technik für den Unterricht, Reparaturen am Bestand usw. Das ist dann eher was für Extra3, nicht für das Forum.

Ich beschreibe jetzt die Notenerfassung für die Zeugnisausgabe. Ich kündige das deshalb so an, weil im Gegensatz zu den Problemen die du beschreibst (Leitungsnetzerfassung etc.) oder wie sie auch in der LdN301 beschrieben wurden, das ein Kindergarten hoch 10 ist.

  1. Die Klassenleitungen müssen die Noten für das Halbjahr eintreiben, ja eintreiben. Jede/r schreibt eine Mail und erinnert die Kolleg:innen, die in den Klassen unterrichten, an die Notenabgabe. Für viele ist das auch nach Jahrzehnten immer noch eine Überraschung. Dass dann Koll. die Noten nicht haben, weil eine Klausur noch geschrieben werden muss, kurz vor der Ferien, ist der allg. Wahnsinn. Wie die Noten dann kommen, deshalb „Eintreiben“, ist lustig. Von handgeschrieben Zetteln mit falschen Namen von Schüler:innen, über Tabellen in Word-Dokumenten via Mail bis hin zu Fotos von Notenbüchern, ist alles dabei. Als Klassenleitung braucht man die Noten auch um diese mit den Schüler:innen zu besprechen, damit evtl. Fehler nicht ins Zeugnis kommen.

  2. Die Klassenleitung nimmt diese Noten-Zettel mit in eine Zeugniskonferenz (laut Dienstordnung verpflichtend). Dort werden diese Noten in Vorlagen händisch eingetragen. Das sind lange Tabellen pro Klasse. Die Eintragung wird von jedem Koll. via Handzeichen signiert, Konferenz fertig.

  3. Mit diesen Listen geht es dann in einem Raum in dem PC´s aufgebaut sind, die nicht am Internet hängen, wegen Datenschutz und Angst vor Hacking (???). Es gibt zwei PC´s für die Berufsschulzeugnisse und drei PC´s für die Zeugnisse des Beruflichen Gymnasiums - für etwa 120 Kolleg:innen. Da ist Schlangestehen angesagt, oder morgens schon vor dem Hausmeister antanzen.
    Dort werden dann die Noten vom Papier in eine Datenbank eingegeben, die sog. LUSD (Lehrkräfte-Unterrichts-Schul-Datenbank). Die Daten werden aber garnicht direkt in die LUSD eingegeben. Man bekommt vorher einen USB-Stick von der Verwaltung, den beschreibt man quasi über die Maske der LUSD. Den Stick bekommt dann die Dame in der Verwaltung, die liest diesen dann aus und erst dann sin die Daten in der LUSD, im Server in Wiesbaden.

  4. Jetzt werden die Zeugnisse ausgedruckt. Das geht jetzt easy. Irgendwann liegen die in den Fächern der Lehrer, das geht sehr fix.

  5. Die Zeugnisse werden jetzt von der Klassenleitung unterschrieben. Mit den unterschriebenen Zeugnissen dann wieder in der Verwaltung, um zu Stemplen, mit der Unterschrift des Schulleiters.

  6. Die unterschriebenen Zeugnisse werden jetzt kopiert. Die Originale bekommen die Schüler:innen, die Kopien gehen in die Schülerakte.

  7. Die Noten aus dem Halbjahr werden jetzt, als Finale, händisch in die Schülerakten übertragen. Schülerakte bedeutet, das ist ein DINA4-Blatt, mit einer Tabelle und Felder für die Noten. Das Blatt wird quer in der Mitte gefaltet und alles an kopierten Zeugnissen, Ausbildungsvertrag etc. liegt dann so in einer Kladde, wie beim Arzt.

  8. Eine kranke Ergänzung noch: Abgangszeugnisse. :sweat_smile: Wenn Schüler:innen die Schule verlassen, bekommen sie ein Abgangs- bzw. Abschlusszeugnis. Dafür müssen Gesamtnoten berechnet werden. Dafür gibt es einen Excel als Vorlage, die einfach Krebs ist. Alles muss für jeden Schüler händisch eingetragen werden, es passieren ständig Übertragungsfehler und durch die Umständlichkeit ist es Usus geworden, dass viele Kolleg:innen die Tabelle nicht nutzen, sondern die Noten schlicht raten.
    Die Folge: An jedem Halbjahresende Stress ohne Ende. Hunderte Fehldrucke, Streit zw. Kolleg:innen weil die Noten nicht rankommen und einfach ein immenser Bullshitjob mit vielen Übertragungfehler.

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Alternativer Vorgang:

Es gibt eine Datenbank-Software, in der die Notenmeldungen aus dem Kollegium gebündelt werden. Dazu erhält jede Lehrperson entweder einen eigenen USB-Stick mit einer abgespeckten Version der Software und einzelnen Dateien für die jeweiligen Klassen/Kurse, oder ein Passwort für einen Zugang per Internet. (Beides hat die Eigenschaft, dass hierfür der private Rechner zu Hause verwendet wird, also datenschutztechnisch eigentlich Hölle.) Im Fall der USB-Sticks stöpselt jemand aus dem Kollegium die noch alle nacheinander in den Schulrechner ein und liest die Dateien aus.

Oder es gibt Ordner mit langen Listen, in die jede Lehrkraft ihre Noten eintragen muss, die dann von den Klassen-/Kursleitungen händisch am sicheren[TM] Schulrechner in die Software übertragen werden.

Danach findet mit den so ermittelten und in einer Riesentabelle gebündelten Noten dann die Zeugniskonferenz statt.

Zu IT in der Schule habe ich auch etwas beizutragen, allerdings eher aus dem Holozän :wink:
Wir schreiben das Jahr 1982 oder 1983, meiner einer stand kurz vor dem Abitur und hatte sich einen Apple ][ mit 64Kb RAM gekauft, die wurden kurze Zeit später auch in der Schule angeschafft, interessanterweise hat sich mein Mathelehrer eher nicht dafür interessiert, aber ein anderer Lehrer der sehr in der Verwaltung engagiert war. Für den habe ich dann ein Zeugnisverwaltungsprogramm geschrieben, wo die Noten erfasst wurden und eine Schullaufbahnbescheinigung ausgedruckt werden konnte, Zeugnis durften wir das wg. Urkunde und so nicht nennen.
Für die Beratung in der Oberstufe haben wir dann noch ein Programm geschrieben, so ähnlich wie eine kleine Tabellenkalkulation, mit der man den Schülern den Abiturschnitt ausrechnen konnte, „also wenn du in der Deutsch-Klausur eine 2 holst, dann musst du dich in der mündlichen Erdkunde Prüfung nicht mehr wirklich anstrengen, selbst mit einer 4 bekommst du noch den 2.1 Schnitt den du für dein gewünschtes Studienfach benötigst“
Nach meinen Abitur haben wir dann noch versucht eine Software zur Stundenplanerstellung zu schreiben, das scheiterte dann aber an meiner Zeit und meinen damals nicht ausreichenden Fähigkeiten.
Das Ganze wurde allerdings von den vielen anderen Lehrern sehr misstrauisch beäugt und beruhte auf der Eigeninitiative eines einzelnen Lehrers und eines ehemaligen Schülers, der keinen Wert darauf legte für seine Arbeit adäquat bezahlt zu werden :wink: