Lieber Philipp, lieber Ulf,
Ich habe euren Beitrag in der letzten Lage gehört und möchte mich zu dem für mich zentralen Punkt in der Debatte äußern, der mir nicht deutlich genug geworden ist. Der Einfachheit halber werd ich von Frauen sprechen meine aber logischerweise alle Menschen die gebären können.
Mir ist allein „die Selbstbestimmung, über den eigenen Körper zu entscheiden“ noch nicht deutlich genug zugespitzt. Denn wenn man den abstrakten Wert über den Körper zu bestimmen gegen das von Gegner*innen postulierte Leben des Embryos/Fötus hält, erscheint doch fast nichts so wichtig wie Leben zu erhalten. Daher ist mir folgendes wichtig:
Selbst wenn wir annehmen, dass ungeborenem Leben der gleiche Wert und die gleichen Rechte zukommen wie geborenem Leben (1) dann gibt es trotzdem keine andere Konstellation in der ein Mensch verpflichtet werden kann, seinen Körper oder seine Organe (2) zur Verfügung zu stellen, um das Leben eines Anderen zu retten oder zu ermöglichen.
Keine Person kann je gezwungen werden, gegen ihren Willen Blut oder Organe zu spenden, nur in der Schwangerschaft. Die Divergenz unseres Rechtsverständnisses wenn es um das zur Verfügung stellen der eigenen Organe in dieser vs in anderen Situationen geht, ist sogar noch bizarrer da ja nicht mal Toten ohne Einwilligung Organe entnommen werden dürfen, egal wie lebensnotwendig diese für egal wie viele weitere Menschen sind. Und auch Jugendlichen (für die die Abtreibungsbestimmungen ja auch gelten) ist es selbst mit elterlicher Einwilligung verboten, Blut zu spenden.
In meinen Augen wird da die Diskriminierung, wie sie in LdN#297 angesprochen wurde, aber von Ulf auf Nachfrage nicht wirklich ausgeführt werden konnte, sehr deutlich. Wir verpflichten niemanden, den Körper zur Verfügung zu stellen sondern hängen sogar hohe Hürden daran. Die selbe Sache wird aber umgekehrt, wenn es um Schwangere geht: hier ist es erst einmal per default die Pflicht, den Körper zur Verfügung zu stellen und an das „Entziehen“ bleibt in sehr vielen Konstellationen illegal. Der Körper einer Schwangeren ist also ab dem Zeitpunkt der Befruchtung nicht mehr von den gleichen Rechten geschützt wie jeder andere Körper. Denn allein das angenommene gleichwertige Leben einer anderen Person (hier Embryo/Fötus) rechtfertigt sonst nie eine Verpflichtung zur „Überlebenshilfe“.
Für mich macht dies deutlich, dass rechtlich Frauen damit nicht gleichwertige Menschen sind. Und das, ohne dass gebärfähige Menschen sich ausgesucht haben, die einzigen zu sein, die quasi ‚nun mal leider Kinder bekommen können und deswegen da durch müssen‘. Und keine Person der Welt kann ‚aus sich selbst heraus‘ schwanger werden, dafür braucht es immer noch jemand anderen, den aber diese Regelungen wiederum nie betreffen.
Ich bin keine Juristin und es würde mich freuen, wenn ihr gern aus rechtlicher (oder inhaltlicher) Sicht widersprecht, oder euch dazu äußert. Ich widerspreche euch auch nicht, sondern fand es wichtig, den Diskriminierungsaspekt und das allgemeine Problem mit der gesetzlichen Regelung, das nicht nur „symbolisch“ ist, sichtbar zu machen. Hoffentlich könnt ihr damit etwas anfangen.
Widersprechen würde ich eurer Aufforderung, das Thema nicht zu groß zu machen. Philipp:
„Ja, es ist keine optimale Situation jetzt, (…) nur politikstrategisch sollte man im Blick haben dabei, dass, wenn man dieses Fass aufmacht, es passieren kann, dass dieses Thema, so wie in den USA, zu einem Thema wird, was einem völlig um die Ohren fliegt (…) und man am Ende schlechter dasteht als es heute der Fall ist“
Ich halte dies sowohl für keine komplett zutreffende Analyse der Entwicklung in den USA, als auch für keine schlaue Strategie. Meine Gründe sind folgende: wie ihr selbst sagtet, ist das Thema in den USA eben nicht ‚durch die Decke gegangen‘ weil Befürworterinnen sozusagen ‚nicht genug bekommen konnten‘. Im Gegenteil wurde das Thema von Gegnerinnen geschürt und von der republikanischen Partei als ein „winner“ erkannt und gezielt aus dem Nichts aufgebauscht. Ihr selbst habt diesen Vorgang ja schon nachgezeichnet. Dies ist demnach nicht mit der Situation hier zu vergleichen, wo ihr Gegner*innen des §218 ratet, bloß nicht ‚zu laut zu werden‘.
Weiterhin war das Problem in den USA, dass das Recht auf Abtreibung eben nicht durch gesetzliche Grundlage fest verankert (in eigenem Amendment z.B.) und damit gesichert war, sondern dass es eher aus bestehenden Regelungen rausgelesen wurde und damit angreifbar war.
Vor diesem Hintergrund finde ich die Aufforderung, Menschen davon abzuhalten sich für ein Recht auf Abtreibung (versus dem jetzigen nach-bestimmten-Regeln-nicht-strafbar-sein eines eigentlichen Verbots außer in Ausnahmen) einzusetzen genau falsch herum angegangen. Zumal mich der Ansatz „kämpfe nicht für mehr Rechte, wer weiß was dir sonst noch genommen wird“ auch eher überrascht. Aber möglicherweise habe ich da etwas auch irgendwie falsch verstanden.
Danke für’s Lesen und liebe Grüße,
Heide