Mit dem folgenden Artikel im Hinterkopf (ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.) tue ich mich mit den aktuellen Aussagen zur Kompensation von Flügen ein wenig schwer. Es ist sicherlich richtig, dass es hochwertigere und wirksamere Kompensationsmöglichkeiten gibt als die beinahe schon alibimäßig anmutenden 10€ pro Flug der Airlines. Ohne die Bemühungen der entsprechenden Organisationen in Abrede stellen zu wollen, stelle ich mir jedoch die Frage, wie wirksam solche Kompensationszahlungen (egal in welcher Höhe) überhaupt sein können. Denn einmal ausgestoßenes CO2 lässt sich eben nur kaum oder mit enormem Aufwand wieder aus der Atmosphäre holen und bislang scheinen nur wenige Lösungen gefunden worden zu sein, die diesem Problem schnell und kosteneffizient entgegenwirken können. Daher schließt sich hier eine weitere Frage an: Driften tatsächliche Wirksamkeit und die Beruhigung des eigenen Gewissens an dieser Stelle nicht soweit auseinander, dass Kompensationszahlungen eher einen negativen Einfluss auf das Klima haben? Treffend finde ich an dieser Stelle das Zitat aus dem obigen Artikel: „Wenn ich CO2-Kompensationen nutze, um mich nicht zu ändern, kann das den Effekt auch mindern“.
Völlig richtig.
Außerdem: Solange das Kompensieren eine freiwillige Leistung bleibt, ist sie einfach nicht der Rede wert. Wäre die Kompensation hingegen verpflichtend in Höhe der tatsächlichen Kosten, dann wären die Flüge so teuer, dass wir uns so ziemlich vom Großteil aller Urlaubsflüge und sonstiger unnötiger Flüge verabschieden könnten. Ergo: Jeder, der heute noch keine Flugscham hat, verkennt den Ernst der Lage.
Da ich Kroate bin, kenne ich die Preise der Billigflüge zwischen DE und HR. Ein aktuelles Beispiel: Neulich hat jemand aus meinen Bekanntenkreis für die Stecke Zagreb - Baden-Baden hin und zurück €30,- bezahlt. Ohne Gepäck. Für einen Koffer wären weitere €60,- dazu gekommen. Man befördert so gesehen 70kg Mansch für 30€ und 10kg Gepäck für 60€. Ein Aufschlag von 200%. Das ist doch krank. Da es sich dabei um einen innereuropäischen Kurzstreckenflug handelt, ist er bezogen auf den CO2-Ausstoß pro Kilometer nochmal extra ungünstig.
Würde ich dieselbe Strecke von Baden-Baden nach Zagreb hin und zurück mit meinem Diesel-PKW zurück legen, wären das insgesamt ca. 1800km Strecke (einfache Strecke ca. 900km). Das sind eineinhalb bis zwei Tankfüllungen - je nach Fahrweise. Wenn ich vereinfacht von einem Dieselpreis von 2 Euro pro Liter und 100 Liter verbrauchtem Diesel (entspricht etwa eineinhalb Tankfüllungen meines Diesel-PKWs) für diese Strecke ausgehe, dann beliefen sich die Spritkosten für diese Reise per PKW auf 200€.
Ein Flixbus kostet für diese Strecke übrigens 88€.
Es geht noch weiter. Zitat aus einem Artikel (Link)
Beim Reisen mit dem Flugzeug, produzieren wir 380 g CO2 pro km. Damit erzeugt eine Flugzeugreise 153 Prozent mehr CO2-Emissionen als eine PKW-Reise und 950 beziehungsweise 1900 Prozent mehr CO2 als eine Reise mit der Bahn oder dem Bus.
Selbst ein Mittelklasse-Elektro-PKW ist nicht besonders klimafreundlich, denn pro Kilometer erzeugt der Wagen 100 g CO2 und damit nur 50 g weniger als ein moderner Mittelklasse-Wagen, der mit Benzin fährt. Dramatisch wird der Unterschied jedoch, wenn das E-Fahrzeug mit Ökostrom angetrieben wird, denn dann sinkt der CO2-Ausstoss von 100 g auf 7g pro Kilometer.
Natürlich ist das eine stark gemittelte Aussage in diesem Artikel. Ich habe mir mal jetzt auch nicht die Mühe gemacht, diese Aussage zu plausibilisieren. Es ging mir um die Größenordnungen und ich bin gewillt anzunehmen, dass die in dem Artikel aufgeführten Größenordnungen so in etwa stimmen werden.
Bei Flugzeugen kommt obendrein noch dazu, dass nebst dem reinen Ausstoß von CO2 die CO2-Wirkung der Flugzeuge nochmal um ein Vielfaches höher ist, da das CO2 in den oberen Schichten der Atmosphäre ausgestoßen wird und damit eine potenzierte Wirkung entfaltet.
Ich bleibe also dabei: Jeder, der heute noch keine Flugscham hat, verkennt den Ernst der Lage.
Es gibt sicherlich notwendige Flüge. Aber man muss schon sehr genau überlegen, ob es das wert ist, in den heutigen Zeiten noch zu fliegen.
Meine Meinung.
Du verkennst hier aber auch ein wenig die sozialen Probleme.
Wäre die Kompensation in Höhe der tatsächlichen CO2-Preise verpflichtend, würde Fliegen zum Luxusgut werden. Kinder aus armen Familien würden somit vollständig der Chance beraubt, die Welt außerhalb der europäischen Union kennenzulernen. Es würde die gesellschaftliche Spaltung noch weiter vorantreiben - zwischen denjenigen, die weiterhin zwei Mal im Jahr in die DomRep fliegen können, weil ein paar hundert Euro Kompensation bei ihrem Jahresgehalt irrelevant sind, und denjenigen, für die Fliegen ein Traum bleibt.
Ein Aspekt, der dabei immer wieder vernachlässigt wird und der mir sehr wichtig ist, ist der Aspekt der Völkerverständigung. Der Flugverkehr hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ein relevanter Teil der Bevölkerung die Erfahrung machen konnte, dass das reale Leben auf anderen Teilen der Welt ein gänzlich anderes ist. Menschen, die viel reisen (und damit meine ich jetzt nicht 5-Sterne-Ressort-Urlauber…) sind in aller Regel deutlich weltoffener und fungieren als Multiplikatoren in der Gesellschaft. Vieles von unserem gesellschaftlichen Progress haben wir auch dem Flugverkehr zu verdanken.
Das Ziel sollte daher nicht sein, Fliegen zum Luxusgut zu machen. Das Ziel sollte es sein, Flüge dort durch andere Fernverkehrsmittel zu ersetzen, wo es möglich ist (innerhalb Europas z.B. durch Schnellzugverbindungen!) und die Menschen anzuhalten, nicht übermäßig viel und sinnlos zu fliegen (Wochenend-Trips mit dem Flugzeug z.B. sind ein Unding…).
Nichts anderes ist fliegen gerade für 90% der Weltbevölkerung (diese Zahl jetzt nicht für bare Münze nehmen), der einzige Grund warum wir aktuell fliegen können, ist weil der großteil es nicht kann. Außerdem ist nicht leisten können auch relativ, da man ja auch sparen kann und dann halt nur mal alle 10 Jahre in den Urlaub fliegt, statt jedes Jahr.
Halte ich dagegen und behaupte dieser Effekt ist marginal (merkt man daran, dass weltoffene Menschen schon aus Prinzip nicht viel fliegen würden, um diesen schönen Planeten nicht zu zerstören). Außerdem sind doch der großteil aller Reisen die mit dem Flugzeug absolviert werden vermutlich Geschäftsreisen oder all-inclusive Hotel Urlaub, wo man sich dann vielleicht mal einen Tag eine andere Stadt anguckt. Was ich damit ausdrücken will, wenn man argumentiert, dass wir unbedingt unmengen an CO2 in die Umwelt blasen müssen, um einen Effekt von Weltoffenheit zu bekommen, dann sollte dieser Effekt nicht nur gefühlt sein, sondern signifikant messbar dargelegt werden und die Vorteile eindeutig gezeigt werden. Ansonsten kann man zig politische Forderungen unter den Denkmantel der Weltoffenheit packen.
Fliegen wird auf die nächsten Jahrzehnte gesehen erst mal nicht CO2 neutral funktionieren, von daher sollten die Menschen eher so alle 5 - 10 Jahre mal wohin fliegen und nicht wie aktuell 1+ mal im Jahr. Kann man natürlich auch lösen in dem man Tickets verlost, sodass reiche Menschen sich nicht einfach erkaufen können, trotzdem so viel zu fliegen, wie sie wollen.
Das geht aber eben tatsächlich einfach nicht mehr. Es sind ja nicht irgendwelche ausgedachten Kosten sondern wirkliche Folgekosten des Drecks den wir produzieren! Entweder zahlen wir sie jetzt oder später. Das schwierige an der ganzen Klimadebatte ist, dass wir wissen was möglich ist, es uns aber eigentlich nicht leisten können (nur dass eine hypothetische Gesellschaft in der Zukunft den Großteil der Rechnung zahlt wenn wir es doch tun).
Ich verstehe den validen Gedanken dahinter zu ermöglichen, über den eigenen Tellerrand schauen, würde aber dagegen halten, dass die üblichen zwei Wochen in einem Ressort oder auf Safari nicht wirklich dazu beitragen die gesellschaftliche Spaltung zu bekämpfen. Ich denke, dass Menschen in den Urlaub fliegen um mal andere Lebensrealitäten ungefiltert zu erleben eher die Ausnahme sind, insbesondere wenn man sich nicht ständige Reisen leisten kann.
Ich kann da natürlich nur aus meiner eigenen Erfahrung und meinem persönlichen Umfeld berichten, dort ist es definitiv nicht so. Mich haben die drei Flugreisen in die Ukraine zwischen 2016 und 2018 jedenfalls bereichert, gleiches gilt für die Urlaube in Ägypten (jeweils mit einzeln gebuchtem Flug, vor Ort gebuchter Fünf-Euro-die-Nacht-Absteige und daher „nah an der Bevölkerung“). Oder die unzähligen Urlaube in Ex-Ostblock-Staaten, meist in günstigen Hostels, wo man Leute aus aller Welt kennenlernt. Es hat mich dahingehend auch nicht überrascht, dass die Amerikaner, die ich z.B. in der Ukraine kennengelernt habe, nicht dem Klischee des Amerikaners entsprechen, sondern relativ weltoffen und liberal waren. Was jetzt dabei Ursache und Wirkung ist, sei dahingestellt.
Das wäre jedenfalls eine bessere Lösung, als dem Mantra, „den Markt das Regeln zu lassen“, zu folgen. Aber es gibt einen Grund, warum es nie zu solchen Lösungen kommen wird: Weil diejenigen, die davon profitieren, es „den Markt regeln zu lassen“, einfach viel gesellschaftlichen und politischen Einfluss haben.
Klar, die Frage ist halt nur, ob diese Kosten von der Allgemeinheit getragen werden sollte oder nicht. Und die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob man es für subventionswürdig hält, ärmeren Menschen den 30-Euro-Ryanair-Flug in ein für sie bezahlbares Urlaubsland (z.B. Ex-Ostblock) zu ermöglichen.
Natürlich kann man hier sagen, dass das eine Subvention ist, die falsche Zeichen setzt, daher den Flugverkehr fördert. Aber ich finde das grundsätzlich auch in Ordnung, weil ich das Erleben von Fernreisen schlicht für eine wichtige gesellschaftliche Errungenschaft halte.
Dann sollte man hier vielleicht ansetzen. Die Frage ist nur: Wie?
Vorneweg: ich bin schon eine Weile nicht mehr geflogen und habe es auch nicht mehr vor. Ich brauche es also nicht.
Trotzdem hier ein paar Hinweise:
Das CO2 pro Passagier und Flugkilometer kann man berechnen, das muss in der Tat sich niemand ausdenken. Genauso kann man das CO2 je Kompensationsmassnahme berechnen. Die gibt es zertifiziert und z.B. mit Goldstandard. Zu sagen das taugt nix halte ich nicht für angemessen.
In Glasgow wurden die Regeln für länderübergreifende Kompensation vereinbart. Das ist also Standard der Weltgemeinschaft.
Der CO2 Preis hat damit gar nix zu tun. Das ist eine rein deutsche Erfindung um fossile Energie für Verkehr und Gebäude quasi in den Emissionshandel einzubeziehen. Quasi weil ja nix gehandelt wird.
Ulf hat das in der vorletzten Folge glaub ich nicht vollständig erklärt, als er meinte da käme ein zusätzlicher Emissionshandel für Gebäude und Verkehr. Denn wenn der kommt, dann entfällt die CO2 Steuer
Nebenbei: Der beste Weg, Flugverkehr zu reduzieren, wäre die Etablierung eines mindestens Europaweiten, gerne aber auch Eurasischen Fernverkehrsnetzes mindestens auf ICE-Standard.
Es wäre doch super, wenn man z.B. in Köln in den ICE steigen und - vielleicht mit zwei Umstiegen - in Istanbul aussteigen könnte. Ohne dafür drei Tage und zwei Übernachtungen einplanen zu müssen. Mit einer guten Schnellzugverbindung, die tatsächlich auch 300 km/h über die meiste Zeit fahren kann, wäre die Strecke problemlos an einem Tag machbar. Und was man da alleine im Hinblick auf die Deutschtürken an Flügen einsparen könnte ist vermutlich mehr, als bei jeder anderen Reduzierung des Flugverkehrs. Übrigens: Gerade die Menschen aus anderen Ländern, die regelmäßig ihre Familien im Ausland besuchen wollen, sind auch ein Faktor, an den man denken sollte, wenn es um einen zu starken Preisanstieg von Flügen geht.
Auch die ganzen Flüge in den Ostblock wären vermeidbar, wenn man hier ein richtig gutes Fernzug-Netz mindestens auf ICE-Standard aufbauen würde. Hier müsste einfach mal massiv investiert werden.
Nein, ich verkenne mitnichten die sozialen Probleme. Ich bin mir dieser sehr bewusst. Und dennoch: Die sozialen Probleme werden sicherlich nicht besser, wenn wir noch mehr CO2 in die Atmosphäre blasen. Die sozialen Probleme werden dadurch nur noch mehr verschärft.
Flüge sollten sehr wohl zum Luxusgut werden. Allerdings ein nicht durch Geld erschwingliches Luxusgut, sondern ein durch Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit erteiltes Luxusgut. Wenn ein Klimaforscher in die Akrtis fliegt, dann hat das Sinn und ist notwendig. Wenn so’n „Volldödel“ nach Malle fliegt um sich dort nach allen Regeln der Kunst über Tage hinweg vollaufen zu lassen, dann hat das weder Sinn, noch Verstand und entbehrt sondergleichen jedweder Notwendigkeit.
Na ja, schön wär’s. Leider macht da unser kapitalistisches System nicht mit. Wo wir übrigens an der eigentlichen Ursache für die meisten unserer soziale Probleme angekommen sind. Mit dem Fliegen hat das rein gar nichts zu tun. Aber das ist ein anderes Thema.
Über die Masse der Bevölkerung betrachtet bemesse ich dem transkontinentalen Reisen nicht viel Effekt bei. Natürlich nehme ich Wissenschaftler, Abenteurer und anders gelagerte Pioniergeister, hochrangige Politiker und Diplomaten und ähnlich gelagerte Berufsbilder da heraus. Diese erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Aber der Masse der Menschen das uferlose Reisen über den ganzen Planeten bei den aktuellen Problemen von planetarer Größenordnung unter dem Schirm der sozialen Gerechtigkeit zuzusprechen, nur damit sie sich vor den Pyramiden knipsen oder an einem Sandstrand volllaufen lassen können, ist schlichtweg nicht zeitgemäß.
Der sozialen Probleme bin ich mir sehr wohl bewusst. Aber kann es sein, dass du bei der Prioritätensetzung noch nicht ganz zu Ende gedacht hast?
Das Problem bei der Kompensation ist, dass sie derzeit davon profittiert, dass weltweit so wenig gegen den Klimawandel getan wird. Nur deswegen ist es vergleichsweise günstig, Zertifikate zur Kompensation zu kaufen.
Das Problem daran ist, dass Unternehmensberatungen sich auf dem Papier CO2-neutral nennen können, obwohl sie ihre Mitarbeiter jede Woche mit dem Flieger um den Globus schicken, ohne überhaupt nur darüber nachzudenken diese Praktiken zu ändern (mehr Remote-Arbeit oder längerer Aufenthalt vor Ort), weil die Kompensation sie im Vergleich Peanuts kostet.
Ein kompensierter Flug ist besser als ein nicht kompensierter Flug, aber um Welten schlechter als eine Bahnfahrt oder kein Flug. Diese Form des Umdenkens wird durch die Kompensation halt bisher nicht gefördert.
Wäre ein Traum, allerdings einer in ferner Zukunft (Streckenausbau Berlin-München dauerte 25 Jahre). Was man sofort tun könnte: den Kauf inner-europäischer Zugtickets deutlich vereinfachen. Habe in den letzten Jahren öfter mal Tickets nach Frankreich, Italien, etc. gekauft. War nicht nur teuer, sondern auch sehr nervenaufreibend (mehrere Anbieter, keine Anschlussgarantie, …). Außerdem: schnelles Internet im Zug (gerne gegen Aufpreis) – macht ihn noch interessanter für Geschäftsreisende.
Das ist eine super Idee. Hier sind wir voll auf derselben Wellenlänge.
Volle Zustimmung.
Da gibt es bestimmt auch Greenwashing. Deswegen sollte man aber das an sich sinnvolle Instrument nicht diskreditieren.
@tellin, wichtiges Thema!
„Dafür werden zum Beispiel klimafreundliche Öfen in Ruanda installiert“, diese Zitat aus dem Zeit-Artikel sagt schon sehr viel über den Denkfehler in den Kompensationskonzepten, und krass ist ja die darin enthaltene paternalistische, kolonialistische Denkart dahinter. Die Reichen teilen mit den Armen zu gleichen Teilen die von ihnen hinterlassene Schädigung der Umwelt, und dafür bekommen die Armen ein paar Krümel vom Festmahl der Reichen. Würden die Armen gleichberechtigt mit am Tisch sitzen, gäbe es kein Festmahl, as gäbe nur ein wenig besseres Essen als die Armen bisher gegessen haben, für Alle!. Damit der Zustand fortbesteht und die Reichen weiter prassen können, müssen die Armen halt unterm Tisch gehalten werden.
Wer von DE aus erstmals ein paar Tage in Frankreich oder Italien ist, wird kapieren, dass es anderswo anders ist. Wenn diese Person nicht dumm ist, wird sie sich vorstellen können, dass dieses Anderssein sich auch auf nicht unmittelbar erlebte Vorgänge erstrecken wird. Andernfalls wird sich diese Person das Anderssein der fremden Umgebung als den eigenen Gebräuchen unterlegen einbilden und mit dieser Erkenntnis vermutlich das restliche Leben bestreiten.
Wenn also die kluge Person sich z.B. Argentinien vorstellt, wird sie dazu Infos aus Büchern oder Filmen oder Podcasts hinzugezogen haben und sich entsprechend die Andersartigkeit ausmalen und mit weiteren Infos die Vorstellung erweitern. Die Anwesenheit in Argentinien wäre zwar schön, aber nicht notwendig, um ggf. Vorurteile oder Idealisierungen zu korrigieren. Ich meine damit, eine oder zwei innereuropäische Reisen sind genug, um durch Reisen „gebildet“ zu werden.
Nach deiner Logik müssten so ziemlich alle Länder bereist sein, sonst bliebe ja Vorurteilen gegenüber nicht bereisten Ländern Tür und Tor offen.
Doch das stimmt schon: 90% der Menschen waren noch nie in einem Flugzeug und werden es auch nie sein.
Nicht einmal da kann ich mitgehen. 300 km/h ist eine höllische Energievergeudung. Stell dir den ständigen Luftpolster vor der Lokomotive und die Luftreibung an den Wägen dahinter vor. Es ist zwar besser als fliegen, aber nicht mehr so viel besser. Ausserdem müssen die Trassen immens aufwändig gebaut sein und der Lärm ist unnötig laut. Du könntest in die Ukraine mit 120 km/h fahren und während der relativ langsamen Reise würdest du nicht weniger Neues erleben pro Stunde als beim Aufenthalt am Ziel selbst.
Ja, das ist extrem wichtig und man sieht so gerne darüber hinweg. Man geht davon aus, dass die Klimawirkung das 2- bis 4-fache des CO2-Ausstosses hat. Bei dieser ungenaueen Angabe schwant mir, dass noch viel mehr herauskommen wird, wenn man mehr darüber weiss; aber gut, dass ist nur meine böse Ahnung.
Was aber gar nie diskutiert wird, das sind die Masse der Flugzeuge selbst, die betonierten Landebahnen, die ganze Infrastruktur, die gewartet und erneuert werden muss. Wenn, wie ich schätze, 90% der Flugreisen nicht notwendig sind (Urlaubsreisen per Flug, die meisten Geschäftsreisen), dann sind 90% dieser Aufwendungen für die Infrastruktur langfristig ebenfalls eine Verschwendung von Ressourcen jeglicher Art.
Und noch was: die Lage an den Flughäfen zur Zeit offenbaren doch die Zustände für die Niedriglöhner dort, die nur mit Nachtzuschlägen und Sonntagsarbeit halbwegs Geld verdienen. Das ist doch ein Skandal, wie die Zustände in den Schlachthöfen!
Wenn unnötige Flugreisen nicht einfach unmöglich gemacht werden können, dann wäre mir das zweitliebste, dass halt die wenigen sehr reichen Menschen weiterhin herumfliegen und dafür sehr teuer bezahlen. Diese Leute schippern ja auch mit Luxusjachten herum, ohne dass da der Jacht-Neid ein allgemeines Thema und soziales Problem wäre.
Also nur, weil ich eine andere Prioritätensetzung vertrete, heißt das nicht, dass ich „nicht zu Ende gedacht“ hätte. Derartige Selbsterhöhungen („Meine Meinung ist die durchdachte, deine ist nicht zu Ende gedacht“) passen von ihrer Polemik her eher in die Wahlkampf-Kultur als in eine offene Diskussionskultur in einem Online-Forum.
Der Punkt mit der Prioritätensetzung ist, dass ich durchaus zustimme, dass der Flugverkehr auch ein Problem ist - aber ich setze dieses Problem nicht absolut. Ich ordne diesem Problem nicht alles unter.
Der Flugverkehr verursacht weltweit „nur“ 2,8% des CO2-Ausstoßes. Es wird gerne so getan, als sei das der Kern aller Probleme. Natürlich müssen wir auch beim Flugverkehr versuchen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, aber wie bei allen Sektoren müssen auch hier Kosten und Nutzen direkt gegenübergestellt werden.
Und natürlich sind unser aller Meinungen auch biased. Daher: Je nach Lebenswandel und bisherigen Lebenserfahrungen und Interessenlagen bewerten wir die „Notwendigkeit“ günstiger Flugreisen unterschiedlich. Ich bin die ersten 35 Jahre meines Lebens gar nicht geflogen, weil ich aus einer bettelarmen Familie komme, für die Urlaub generell keine Option war - schon gar kein Flugurlaub. Mit 35 habe ich dann das erste Mal eine Flugreise unternommen und mit dem Tauchen angefangen. Heute ist es für mich schwer vorstellbar, dauerhaft nicht mehr in tropischen Gewässern tauchen zu gehen - es ist eben eines meiner zentralen Hobbies. Ja, ich tauche auch in Deutschland, aber die brackigen deutschen Seen oder auch die Nordsee sind halt kein Vergleich. Kurzum: Ich bin dahingehend biased, dass mir das Fliegen in der Tat „wichtig“ ist. Andere hingegen sind dahingehend biased, dass Fliegen für sie keine größere Relevanz hat und sie gerne darauf verzichten können.
Und hier muss ich halt auch sagen:
Ich habe insgesamt einen winzigen CO2-Abdruck. Ich habe fast mein gesamtes Leben auf ein Auto verzichtet (so auch aktuell), ich bin seit 25 Jahren Vegetarier, ich heize im Winter fast gar nicht, lebe seit über 13 Jahren in einer Wohngemeinschaft, was erheblich CO2 spart im Vergleich zur eigenen Wohnung oder gar zum eigenen Haus. Kurzum: Ich fände es schlicht unfair, wenn man mir die eine Sache, in der ich einen überdurchschnittlichen CO2-Fußabdruck verursache, stark verteuern würde, während in anderen Bereichen des täglichen Lebens, z.B. Fleischkonsum, die CO2-Kosten weiter vergemeinschaftet werden.
Jeder Mensch sollte darauf achten, keinen unangemessenen großen CO2-Fußabdruck zu hinterlassen - aber strikte Vorgaben, die bestimmte Personengruppen benachteiligen, halte ich eben für falsch.
Von daher: Wenn mir jemand mit „Flugscham“ kommt, weil ich zwei Mal im Jahr fliege, während die gleiche Person unverhohlen fünf Kilo Fleisch in der Woche isst und nicht einmal über den CO2-Verbrauch dessen nachdenkt, geschweige denn sich dafür schämt, halte ich das für vermessen.
Ich frage mich, ob du das auch so schreiben würdest, wenn du statt aus Kroatien z.B. aus Indien, Südafrika oder den USA stammen würdest. Da kannst du dann nämlich nicht mehr mit dem flixbus hinfahren.
Ich schicke mal voran, dass ich noch nie auf Mallorca war. Aber ich möchte es auch niemandem verbieten, dorthin zu fliegen.
Ich finde man sollte hier nicht so absolutistisch sein, denn dann ist es keine vernünftige Diskussion mehr.
Ich denke jeder sollte 1 mal im Jahr oder alle 2 Jahre zu einem bezahlbaren Preis verreisen dürfen. Wenn jemand meint öfter rum fliegen zu müssen, wird mit jedem Flug das Ticket extrem teurer. Außerdem gehören Inlandsflüge komplett verboten. Zusätzlich könnte ban darüber reden, dass zwischen Hin- und Rückflug zwingend 7 Tage liegen müssen.
Ich bin übrigens in meinem Leben (fast 37 Jahre alt) nur 6 mal geflogen.
Zunächst: Eigentlich hätte der Smiley dahinter meine Formulierung entschärfen sollen. So scharf, wie du das verstanden hast, wollte ich garnicht verstanden werden wissen. Es war nicht meine Absicht, dir zu nahe zu treten.
Und „Überhöhung“ oder dergleichen trifft erst garnicht zu. Auch ich bin CO2-technisch sicherlich kein Unschuldslamm. Die wenigsten von uns werden es wohl sein. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir alle umdenken müssen.
Auch hier finde ich, dass du das viel zu persönlich nimmst. Aber egal.
Dass es auch andere Sektoren gibt, bei denen sogar viel mehr gemacht werden kann, steht außer Frage. Doch sind wir hier nun mal beim Thema Fliegen. Es gibt da in der Schweiz einen Spruch: Jedem Tierchen sein Plaisirchen." Sprich, des einen Flugvergnügen ist des anderen Skivergnügen und des Dritten wiederum Grillvergnügen. So in etwa. Das bringt uns aber nicht weiter.
Ja genau. Was meinst du, wie die Afrikaner und Inder auf uns Europäer schauen? Wir predigen weltweit was vom Klimaschutz aber tun so ziemlich nichts dagegen. Weder auf politischer noch auf persönlicher Ebene. Wir machen der ganzen Welt vor, wie geil doch das Jet-Set-Leben ist, aber wollen das Klima retten. Und reden dann den aufsteigenden Ländern ein schlechtes Gewissen ein, dass sie auf ihren CO2-Ausstoß achten sollen. Das ist Vermessenheit. Und nicht, wenn ich versuche, hier im Forum ein wenig ein schlechtes Gewissen für unser aller Klimasünden zu erzeugen und damit auf die Probleme aufmerksam zu machen. Ich möchte den Afrikanern und Indern sicherlich nicht verbieten, dass sie ein besseres Leben führen. Aber wenn die andere Hälfte der Menschheit den selben Lebensstil übernimmt, wie wir Europäer das in den letzten 200 Jahren gemacht haben, dann können wir unseren Ökosystemen schon jetzt Goodbye winken.
Grob gesprochen sind wir Europäer es - plus die Amis als „ehemalige Europäer“ - die den Planeten über die vergangenen 200 Jahre politisch wie auch ökologisch über die Maßen ausgebeutet haben. Wir sind schuld an der aktuellen Situation. Und ja: wir haben kollektiv allesamt guten Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Und wenn wir wenigstens was effektiv dagegen tun würden. Aber nein: außer Predigen passiert da nicht viel.
Und die Reaktionen, wie schnell man sich angegriffen fühlt, sobald jemand das Wort Flugscham in dem Mund nimmt, sind hier bezeichnend. Wie gesagt, ich nehme mich da nicht heraus. Zwar fliege ich nicht, aber ein bis zwei mal im Jahr fahre ich mit meiner Familie in meine zweite Heimat nach Kroatien. Das ist mein Plaisierchen. Und ich habe durchaus „Diesel-PKW-Scham“. Jedes Mal, wenn ich nach Kroatien fahre, ist mir nicht wohl dabei. Ein Elektroauto würde es auch nicht besser machen. So gut ist deren Bilanz auch nicht.
Aber ich gebe euch Recht: Dass wir nun alle anfangen, ein asketisches Leben zu führen, ist auch nicht die Lösung. Was also tun? Ich weiß es doch auch nicht. Ich verzichte, so gut es eben geht. Nach eigenem Gutdünken. So wie viele von uns, würde ich mal vermuten. Aber wir alle sind hier einfach nicht die Experten. Und „nichtkonzertierte“ Verzichtsaktionen vereinzelter Menschen oder vereinzelter Familien werden uns auch nicht weiter helfen. Neben der Frage, was tun, stelle ich mir übrigens noch eine weitere Frage: Wieso bekommen alle „nichtgrünen“ Parteien bei Wahlen nach wie vor 80% und mehr Stimmen? Wodurch haben sich denn die „nichtgrünen“ Parteien denn so ausgezeichnet, als dass sie nach wie vor dieses hohe Vertrauen in der Wählerbevölkerung verdienen?
Also muss es der Preis regeln. Wo wir wieder beim eigentlichen Thema wären. Und der Preis regelt es nun mal eben nicht. Wenn also der Preis es nicht regelt und die meisten nicht verzichten wollen, was also tun?
Das stimmt. Er ist aber im individuellen Fußabdruck - insbesondere von Besserverdienern - der I.d.R. am einfachsten reduzierbare Teil. Man muss nur wollen.
OK, mit der Argumentation wird das nichts mit der CO2-Reduzierung.
Ist ja eine Parallele zum Autofahren. Oder zu Kreuzfahrten.
Wenn es nicht alle sein lassen, wird da nichts.
Den Aspekt bezweifle ich und ist eher eine Ausrede.
Autofahren, Fliegen, Kreuzfahrten werden zum Luxusgut werden müssen.
Wie oben schon erwähnt trifft das nur diejenigen die sehr wenig haben. Am besten wäre es wenn es gelingt, dass es Mainstream ist das zu lassen. Schwierig.
Wissenschaftler und NGOs beschreiben mit den Science Based Targets einen Weg in dem sich die Anbieter zur Einhaltung der Parisziele verpflichteten. Der beginnt damit den Carbon Footprint überhaupt erst mal zu berechnen und sich dann zur Reduzierung zu verpflichten. Ein Kreuzfahrtschiff könnte sicher locker gesegelt werden, nur als Beispiel. Bei Flugzeugen ist es eher schwierig. Kompensieren ist bei SBTi übrigens nicht erlaubt