LdN293_Interview mit Prof. Dr. Matin Qaim und die "grüne" Gentechnik

Hallo liebe LdN, ich höre Euren Podcast schon mehrere Jahre. Mich spricht v.a. auch die Ausgewogenheit Eurer Wochenschau an. Auf Twitter habe ich gesehen, dass sich jemand gefreut hat, dass Ihr Prof. Qaim als Gast eingeladen habt (Prof. Dr. Matin Qaim — Landwirtschaftliche Fakultät). Daher habe ich mir den Betrag anhört. Denn ich sehe ihn als einen Vertreter neoliberaler Agrarmarktpolitik und, dass macht er im Beitrag ja auch klar, als Befürworter von grüner Gentechnik bzw. neuer Gentechnik, das sind Verfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas. Ich würde mir wünschen, wenn Ihr dazu noch einen Beitrag macht, denn diese Verfahren werden von Wissenschaftlerinnen, Praktikerinnen aus der (lokalen und globalen) Landwirtschaft und NGOs kritisch gesehen, insbesondere auch die Bio-Branche (per Vorgabe ist hier der Einsatz von genetisch veränderten Sorten verboten). Es lohnt sich also diese Perspektive noch mal zu beleuchten, um Antworten auf Klimakrise+Ernährungskrise zu hören. Denn die Agro-Gentechnik ist auf eine industrialisierte Landwirtschaft zugeschnitten, weniger auf den Aufbau agrarökologischer, resilienter Ökosysteme - v.a. sind die Konzerne der Agrarindustrie ebenfallsbei der Debatte zu berücksichtigen. Folgende Ideen möchte ich teilen. Diese haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, ermöglichen aber ein erstes Eintauchen in die Thematik.

Beispielsweise die Agrarökologin Angelika Hilbeck (Genome Editing: »Diese Branche lebt davon, viel Schaum zu schlagen« - Spektrum der Wissenschaft) oder Professor*innen mit Schwerpunkt „Ökologischer Ackerbau / Pflanzenbau“ (z.B. Triesdorf, Kassel, Eberswalde, Gießen), BUND Gentechnik Referentin (Neue Gentechnik: Leere Versprechungen für Klima und Landwirtschaft – BUND e.V.), Bündnis Meine Landwirtschaft (Gentechnik - Meine Landwirtschaft).

Um Euren Hörer*innen eine kritische Betrachtung zu ermöglichen, lohnt sich aus meiner Sicht diese Perspektiven in einem Beitrag aufzugreifen. Vielleicht findet es ja Anklang bei Euch.
Schöne Grüße

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s. auch

Dass neoliberale Agrarpolitik mit grüner Gentechnik-Befürwortung gleichgesetzt wird, halte ich für eins der großen Probleme in der Debatte, denn die Technik kann z.B. – je nachdem wie man sie einsetzt – sowohl der konventionellen als auch der ökologischen Landwirtschaft dienen. Man kann sie sinnvoll oder weniger sinnvoll einsetzen.

Ich würde daher die Themen trennen. Wenn ich der Meinung bin, dass konventionelle moderne Züchtungsmethoden ein gangbarer Weg sind, dann gibt es m.E. keinen sinnvollen Grund, grüne Gentechnik abzulehnen. Ausführlich begründet habe ich das in dem von der Moderation verlinkten Thread. Habe ich Angst vor den Risiken neuer Pflanzensorten, sollte ich Zulassungsverfahren verschärfen. Ist mir die Marktmacht großer Konzerne ein Dorn im Auge, sollte ich hier regulatorisch eingreifen.

Es ist natürlich auch ein kosequenter Weg, sowohl neue Züchtungen als auch Gentechnik abzulehnen. Eine wissenschaftlich gestützte Erfolgsperspektive sehe ich hier allerdings bisher nicht.

Das kann man tun, halte ich persönlich aber für wenig zielführend. Es gibt viele Talkshows in denen ein Corona- oder Klimawandel-Leugner mit der jeweiligen Gegenseite diskutiert und der Eindruck erweckt wird, dass die wissenschaftliche Welt tief gespalten ist. Das ist weder bei diesen Themen noch beim Thema grüne Gentechnik vs. Züchtung der Fall.

Die Seriösität von Frau Hilbeck kann ich nicht beurteilen. Ihr Wikipedia Artikel wirft ein paar Fragen auf, die man vor einem Interview sicher recherchieren müsste. Aber ich würde der Lage hier im Zweifelsfall zutrauen, false balance zu vermeiden. Sinnvoller fände ich allerdings bei so einem Thema, sich bei unabhängigen wissenschaftlichen Organisationen zu informieren.

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Richtiger und ehrlicher wäre es wenn du sagst

werden von EINIGEN Wissenschaftlerinnen, Praktikerinnen aus der (lokalen und globalen) Landwirtschaft und NGOs kritisch gesehen,

Es ist keinesfalls so, dass die Ablehnung grüner Gentechnik Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft wäre. Der übergroße Teil ist - laut meinen früheren Kollegen in themenverwandten Bereichen der Biochemie und auch meiner Rezeption der Fachliteratur und einiger Konferenzen - dem Thema eher neutral bis aufgeschlossen gegenüber.

Als Ex-Forscher finde ich es ehrlich nicht gut wenn (oft eher grüne) NGOs und Wissenschaftler zitiert/besprochen werden und das sprachlich dann als einhellige Meinung des Wissenschaft dargestellt wird. Das ist einfach nicht so. Wissenschaft ist bunt, vor allem in noch lange nicht ausgeforschten Fachgebieten.

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Ich muss Myste hier zustimmen.

Ich war auch lange Zeit gegen Gentechnik, weil das in meinem links-grünen Umfeld halt die einzige vertretene und vertretbare Meinung war. Desto mehr Diskussionen ich aber mit eher ingenieurs- und naturwissenschaftlich geprägten Menschen geführt habe, desto mehr ist mir klar geworden, dass in meiner Blase halt eine gesellschaftlich sehr stark vertretene, aber wissenschaftlich klare Minderheitsmeinung vertreten wird, die oft wirklich blanke Panikmache ist.

Die massive Angst vor genveränderten Pflanzen ist einfach rational-wissenschaftlich kaum begründbar. Soziale Probleme (z.B. Patente, die Bauern in Abhängigkeiten zwingen), rechtliche Probleme (z.B. die Frage, was bei einer ungewollten Kontamination des Nachbarfeldes zu tun ist) und ökologische Probleme (z.B. wie sich die gentechnisch veränderten Pflanzen auf die Umwelt, vor allem die Tierwelt, auswirken) sind natürlich zu diskutieren - und natürlich müssen hier alle sinnvollen Schutzvorkehrungen getroffen werden. Aber die Untergangs-Szenarien die hier teilweise vertreten sind, sind halt fernab jeder realistischen Einschätzung.

Innerhalb des linken und grünen Spektrums in Deutschland herrscht bei diesem Thema leider der Erzfeind: Konservativismus. Überall will man progressiv sein, aber die Landwirtschaft soll bitte noch so betrieben werden, wie früher… und das nervt mich schon ein bisschen (vermutlich auch, weil ich einfach ein eklatanter Gegner des „sinnlosen Konservativismus“ bin, der sich einfach gegen Veränderung ausspricht, weil er nur die Risiken, nicht aber die Chancen von Veränderung sieht…)

Es ist schon absurd, dass die hochgezüchteten Pflanzen, die heute als „Bio“ verkauft werden, zu großen Teilen durch sogenannte Mutationszüchtung erzeugt wurden, denn diese ist per Definition „Bio“. Daher: Wenn wir durch Röntgenstrahlung oder andere radioaktive Strahlung per Zufallsprinzip tausende Pflanzen bestrahlen und dann die, die das am besten überleben, weiterzüchten, ist das okay - es ist ja letztlich nur beschleunigte Evolution, da die Radioaktivität nur den Zweck hat, mehr Mutationen zu erzeugen. Aber wenn wir die gleiche Änderung gezielt mit einem gentechnischen Verfahren erzeugen, ist das böse Gentechnik.

Das ist einfach nicht nachvollziehbar. Das ist im Prinzip die gleiche Diskussion, die wir beim „lieber Anstecken statt Impfen“ bei Corona haben, wo Leute tatsächlich meinen, sich anzustecken sei „gesünder“ als die „chemische“ Impfung, obwohl das „Anstecken“ letztlich nur ein „Impfen Plus“ ist, daher: Alles, was in der Impfung ist, ist auch in der Ansteckung - nur halt noch viel mehr riskantes Zeug. So verhält es sich auch bei Mutationszucht vs. CRISPR.

Die Meinung, CRISPR sei negativ, ist einfach irrational-wissenschaftsfeindlich und steht eigentlich auf einer Stufe mit der Meinung, Impfen sei negativ. In beiden Fällen beherrschen abstrakte Ängste vor dem „Künstlichen“ das Denken - und in beiden Fällen sind diese Ängste rational nicht gerechtfertigt. Dann wird auf bestimmte Gefahren / Nebenwirkungen von CRISPR oder Impfstoffen verwiesen, aber gleichzeitig ignoriert, dass die „natürliche Alternative“ mindestens genau so große, wenn nicht größere Gefahren hat. Aber diese Gefahren sind halt „natürlich“ und deshalb okay - und werden ja auch nicht so genau, oder besser: gar nicht, erforscht („Was ich nicht sehe, schadet mir sicherlich auch nicht…“).

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Ich muss zugeben, dass ich auch einige Zeit eine teils auf Vorurteilen teils auf >10 Jahre altem Stand der Forschung basierende Einschätzung zum Thema vertreten habe. Das liegt sicher zum Teil an mir, zum Teil aber auch an einer lange Zeit unzureichenden Wissenschaftskommunikation. Schwierig ist diese Kommunikation vor allem, weil trotz des Forschungsstands ca. 65% der Deutschen grüne Gentechnik ablehnen (vor der EU Studie waren es sogar ~80%). Der Shitstorm ist also garantiert, wenn man dieses Thema anfasst, was viele davon abschreckt, genau dies zu tun und die Schere zwischen öffentlicher Meinung und Stand der Forschung weiter auseinander klaffen lässt. Umso wichtiger wäre es, wenn ein Format wie die Lage als „Eisbrecher“ sich dem Thema annähme und auf Basis eigener Recherche dazu informiert.

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Zu „grüner“ Gentechnik oder Gentechnik generell will ich hier aufgrund mangelnder Fachkenntnisse kein Urteil abgeben.

Einen Punkt, der damit oft verbunden wird , sehe ich aber kritisch. Noch immer beruht ein Großteil der Nahrungsproduktion auf riesigen Monokulturen, wobei jede unerwünschte Art entfernt wird. Masse ist weitaus wichtiger als ein funktionierendes Ökosystem, ein hoher Nährstoffanteil etc. Gerade durch den Klimawandel erfordert es immer mehr Ressourcen diese Systeme am Leben zu erhalten. Diese Probleme lassen sich nur bedingt durch Gentechnik lösen.

Ich fürchte Gentechnik könnte von der (konventionellen) Landwirtschaft als Signal gesehen werden einfach so weiter zu machen nur eben mit genveränderten Pflanzen. So würde dann der Fokus von wirklich nachhaltiger Landwirtschaft z. B. durch Aggroforstsysteme oder Permakultur genommen werden.

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Das ist sicherlich ein legitimes Risiko, allerdings würde ich dem die vielen Chancen entgegenhalten:

Durch Gentechnik lassen sich auch Pflanzen derart anpassen, dass
a) weniger Pflanzenschutzmittel verwendet werden müssen, weil die Pflanzen von sich aus widerstandsfähiger sind (das schont die Fauna)
b) die Pflanzen effektiver arbeiten, daher keine Nährstoffe aus den Böden für Dinge verwenden, die später nicht genutzt werden (das schont die Böden)
c) die Gewinnmargen der Bauern durch höhere Erträge steigern, sie daher nicht mehr den massiven Druck haben, ökologisch kurzfristig zu arbeiten.
d) der Flächenverbrauch durch höhere Erträge sinkt, sodass man z.B. wieder Hecken zur Eingrenzung pflanzen kann (gut für die Artenvielfalt allgemein)

Das Risiko ist natürlich, dass die Bauern die höheren Erträge einstreichen, aber eben nicht bereit sind, den Böden dafür mehr Erholung zu gönnen oder gar Teile ihrer Ackerflächen zu renaturieren. Daher: Dass die Bauern tatsächlich so weitermachen, wie zuvor. Die Frage ist, wie man das ändern kann - entweder auf Gesetzesebene (also indem man Bauern, die Gentechnik verwenden, Verpflichtungen auferlegt) oder auf Konsumentenebene (z.B. durch „Grüne Gentechnik“-Siegel, die daran geknüpft sind, dass die Felder ökologisch-nachhaltig bewirtschaftet werden).

Da fehlt mir ehrlich gesagt der kausale Zusammenhang. Man kann grüne Gentechnik nutzen, um die aktuellen Trends der Landwirtschaft fort zu führen, man kann sie aber auch in der ökologischen Landwirtschaft nutzen. Das letzteres nicht passiert liegt vor allem an den Vorbehalten innerhalb dieser Branche (abgesehen von dem Anbauverbot in Deutschland). Aber gerade wenn wir Aspekte der ökologischen Landwirtschaft etablieren wollen (weniger Düngung, weniger Pestizideinsatz) müssen wir den damit verbundenen Ertragseinbußen etwas entgegen setzen, und das könnte in der Tat grüne Gentechnik sein:

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Aber gerade wenn wir Aspekte der ökologischen >Landwirtschaft etablieren wollen (weniger Düngung, >weniger Pestizideinsatz) müssen wir den damit >verbundenen Ertragseinbußen etwas entgegen setzen, >und das könnte in der Tat grüne Gentechnik sein:

Hier liegt mMn das Problem. Es wird versucht das bestehende kaputte System durch Workarounds wie Gentechnik zu fixen, statt das wirkliche Problem zu lösen. Eigentlich müsste man neue Systeme bauen, die sich selbst tragen und schon durch ihren Aufbau widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse sind und keine Substitutionen von Düngemitteln, Pestiziden, Öl als Antrieb von riesigen Maschinen oder eben Gentechnik brauchen.

Beispiele für solche Systeme sind z. B. Wälder und Wiesen mit entsprechender Artenvielfalt. Die kann man schon zu einem gewissen Grad zur Nahrungsmittelerzeugung tunen. An den Wirkungsgrad von Esskastanien wird man mit Getreide zum Beispiel nie herankommen. Das ist so ähnlich wie ein Verbrennungsmotor, der in den meisten Dimensionen nie besser als ein Elektromotor sein wird.

Nochmal zu den Punkten:

a) weniger Pflanzenschutzmittel verwendet werden >müssen, weil die Pflanzen von sich aus >widerstandsfähiger sind (das schont die Fauna)

Solange wir Monokulturen haben, in denen sich einzelne Pflanzen gegenüber allem anderen durchsetzen, ob durch Gentechnik oder Pestizide, gibt es quasi keine Fauna. Das sind tote Landschaften. Widerstandfähigkeit lässt sich auch durch wiederholte Aussaat des selben Saatguts unter verschiedenen widrigen Dingen erreichen. Hier ist allerdings die Struktur des Saatgutmarktes eine Katastrophe. Es wird so gezüchtet, dass es nach Verkauf nur einmal ausgesäht werden kann. Das ist aber wieder ein anderes Problem.

b) die Pflanzen effektiver arbeiten, daher keine >Nährstoffe aus den Böden für Dinge verwenden, die >später nicht genutzt werden (das schont die Böden)

Ich würde davon ausgehen, dass die besagten Teile auch wieder auf den Böden landen und ihnen über kurz oder lang auch so wieder zu kommen. Zumindest in einem vernünftigen Kreislaufsystem.

c) die Gewinnmargen der Bauern durch höhere Erträge >steigern, sie daher nicht mehr den massiven Druck >haben, ökologisch kurzfristig zu arbeiten.

Hier wird es schon interessant wie man höhere Erträge definiert. Bisher hat die Züchtung sich hauptsächlich auf den Geschmack und auf einen höheren Wassergehalt ausgewirkt. Das ist ein komplexes System und schwer so zu optimieren, dass der Nährstoffgehalt etc noch passt.

d) der Flächenverbrauch durch höhere Erträge sinkt…

Auch beim Flächenverbrauch kommt es eher auf das genutzte System an. Ein Wald ist z.B. 3dimensionaler als ein Getreidefeld. Wenn man, die Fläche richtig nutzt, braucht man gar nicht so viel davon.

Insgesamt kann Gentechnik vielleicht auf den letzten Metern noch ein bisschen was rausholen. Das Problem einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaft wird sie aber nicht lösen.

Um es kurz zu machen: Natürlich löst Gentechnik nicht das Problem, das wir nachhaltige Aspekte in unsere Landwirtschaft integrieren müssen. Sie verhindert das aber auch nicht (zumindest sehe ich dafür in deinen Ausführungen keine Gründe). Sie könnte aber sehr effizient dabei helfen, dass wir dies tun können und gleichzeitig 10 Mrd Menschen damit vor dem Hintergrund von drastischen Klimaveränderungen und anderen Herausforderungen ernähren können.
Hier sehe ich in deinen Thesen die größten Fragezeichen. Ich habe in dem anderen Thread einige Quellen verlinkt, die der grünen Gentechnik eine Schlüsselrolle in der Bewältigung der o.g. Probleme einräumen. Es wäre hilfreich, wenn du hier Quellen angeben könntest, die quantitativ plausibel machen, wie ein Weg ohne Hochleistungszüchtungen aussehen könnte. Eine Quelle würde mich auch für die These interessieren, dass man mit Anbau von Esskastanien/ Nahrungsmitteln in Wäldern mehr Ertrag pro Fläche generieren kann als auf dem Feld.