LdN278: Einrichtungsbezogene Impfpflicht - kann eine "Einzelfallprüfung" sinnvoll sein?

Moin Philip, moin Ulf,
beim Thema „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ erlebe ich Euch sehr drastisch. Nicht-geimpfte MitarbeiterInnen von Krankenhäusern „gefährden die Allgemeinheit“, die Nicht-Impfung sollte in Euren Augen direkt „ein Straftatbestand“ sein oder „ein sehr teueres Bußgeld“ nach sich ziehen, statt dass Gesundheitsämter Einzelfallprüfungen vornehmen. Ich sehe das nicht so schwarz-weiß.

Meine Partnerin ist OP-Leiterin in einem Hamburger Krankenhaus. Dort ist die Personalsituation so prekär, dass viele „nicht unmittelbar notwendige“ Operationen nicht stattfinden können. Dazu trägt neben dem schon vor der Pandemie existierenden Fachkräftemangel die aktuelle Corona-Infektionslage bei, aber auch die Tatsache, dass viele MitarbeiterInnen in der Pandemie aufgrund der hohen Belastung am Arbeitsplatz den Job verlassen haben. Die Konsequenzen: Menschen müssen über Monate auf Operationen warten, die in Deutschland nur von wenigen Spezialisten vorgenommen werden können, und selbst wenn nicht unmittelbare Lebensgefahr besteht, so verschlechtert die Wartezeit doch häufig die Prognose auf Heilung oder verwehrt Menschen die Möglichkeit auf Linderung ihrer Beschwerden.

In diesem Krankenhaus hielt man es gemäß offizieller Anweisung für absolut zumutbar, dass symptomfreie MitarbeiterInnen im OP auch Corona-positiv arbeiten: Die PatientInnen sind während der Operation intubiert oder haben tragen eine Larynxmaske, die MitarbeiterInnen tragen eine FFP2-Maske und haben im Falle einer positiven Infektion separierte Pausenräume. Die MitarbeiterInnen durften mit dem Auto zu Arbeit kommen, arbeiten, mit dem Auto wieder wegfahren und sonst nichts tun wie einkaufen, Kinder von der Kita abholen etc. Hier wurde augenscheinlich davon ausgegangen, dass selbst bei einer Corona-Infektion keine PatientInnen-Gefährdung vorliegt. Umgekehrt scheint es auch eine zumutbare Gefährdung der MitarbeiterInnen zu sein, corona-positive PatientInnen unter Tragen einer FFP2-Maske zu versorgen.

Unter diesen Voraussetzungen halte ich es geradezu für absurd, wenn ein Gesetz diese MitarbeiterInnen automatisch zu „Gefährdern“ macht, wenn sie am 15. März keinen Impfnachweis vorlegen können. Dass einige MitarbeiterInnen die Regelungen daher als weiteren „Schlag ins Gesicht“ des Pflegepersonals begreifen, kann ich nachvollziehen. Es ist absolut angemessen zu diskutieren, ob unter den konkreten sehr strengen Arbeitsbedingungen (in diesem Fall im OP) und unter den Rahmenbedingungen einer Operation mit Narkose, Intubation etc. wirklich eine Gefährdung von Patientinnen durch ungeimpftes Personal vorliegt. Zudem ist auf die konkrete Situation im Krankenhaus zu schauen. Aufgrund der aktuellen Personalsituation würde der Ausschluss der ungeimpften Mitarbeiterinnen aus dem OP-Team eine weitere Einschränkung der PatientInnenversorgung nach sich ziehen, auch wenn es nur wenige Einzelfälle ungeimpfter MitarbeiterInnen sind. Dies ist bei der Betrachtung der Versorgungslage aus meiner Sicht mit zu beachten.

Gleichwohl stimme ich zu, dass die aktuelle Regelung sehr unglücklich ist, weil sie die Krankenhäuser und auch die MitarbeiterInnen in eine große Planungsunsicherheit stürzt. Es weiß eben niemand genau, ob und wann das Gesundheitsamt tätig wird, wie die genauen Maßnahmen aussehen etc. Personal- und Urlaubsplanungen über den 15. März hinaus sind daher gerade sehr schwer und eine zusätzliche Belastung für die MitarbeiterInnen. Von daher plädiere ich für eine schnelle allgemeine Impfpflicht, um solche Diskussionen und Einzelfallprüfungen zu vermeiden und das Thema unabhängig vom konkreten Arbeitsumfeld zu lösen.

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Vielen Dank für den ausführlichen Beitrag - aber ich muss gestehen, dass ich über Menschen, die in einem Pflegeberuf arbeiten und trotzdem impfskeptisch sind, nur den Kopf schütteln kann. Wer eine solche Geisteshaltung an den Tag legt, also wissenschaftsskeptisch bis esoterisch tickt und Verschwörungserzählungen anhängt, der oder die sollte ganz unabhängig von der aktuellen Pandemie besser nicht in einem medizinischen Beruf oder einem Pflegeberuf arbeiten. Insofern führt das Berufsverbot für Schwurbelnde in diesem Bereich zu einer ganz heilsamen Bereinigung von Leuten, die dort einfach falsch sind.

Ja, mir ist klar, dass es kurzfristig zu Engpässen kommen mag. Aber die lassen sich überwinden - mit einer Ausbildungsinitiative und deutlich besseren Gehältern, was dann auch die Belastung mindern wird. Aber bei der Qualität der Medizin und der Pflege sollten wir keine Abstriche machen, und wer ideologisch in anderen Sphären schwebt, den möchte ich nicht auf Menschen loslassen, die sich darauf verlassen können sollten, dass nach medizinischen Standards behandelt wird

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