Ich finde sehr gut, dass ihr nachträglich Chiara habt zu Wort kommen lassen.
Mein Kommentar bezieht sich auch gar nicht auf die Causa Gelbhaar sondern den Umgang mit betroffenen Frauen sexualisierter Gewalt von Männern im öffentlichen Auftreten.
Was mich (immer noch) massiv stört ist eure kommunizierte Einstellung der Betroffenen gegenüber. Natürlich ist es schrecklich, wenn ein Mann im Bekanntenkreis zu sexuellen Handlungen gezwungen wurde. Wie viele Frauen (die eigenen, das Team, Frauen auf der Straße, sprecht sie doch ruhig mal an) haben sexuelle Gewalt erlebt? Verschleierte Vergewaltigungen, wie bei einvernehmlichen GV das Kondom abzuziehen, so lange bedrängt zu werden, bis man es doch über sich ergehen lässt etc. ganz zu schweigen von den „sichtbaren“ Vergewaltigungen. Beides passiert jeden Tag in jedem Umfeld. Dann kommt hinzu wenn man nicht dem Klischee, mit zerissener Kleidung, voll von Blut und Sperma, bei der Polizei auftaucht, dass einem dort schon nicht geglaubt wird und man kaum Chancen hat, etwas zu beweisen, außer vielleicht dem Outfit, das man getragen hat. Ich selber habe einen Vorfall nicht angezeigt, weil mehrere Personen hätten bezeugen können, dass ich alkoholisiert war und keine Chance gesehen habe, bloß weitere Enttäuschung und Machtverlust über die eigene Situation. Ich habe eine Freundin begleitet, die über Jahre im familiären Umfeld vergewaltigt wurde und es kam rein gar nichts heraus außer, dass die Familie sich abgewendet hat und sie stundenlange erniedrigende Befragungen über sich ergehen lassen musste. Beinahe jede Frau hat das Nicht-Glauben aus erster oder zweiter Hand erlebt und idR ist das nichts, was man aus diesem Wissen heraus missbraucht.
Es ist furchtbar ein Opfer zu sein und zu wissen, dass einem nicht geglaubt wird. Wenn jemand auf mich zukommt und von einem solchen Übergriff berichtet, habe ich, trotzt Unschuldsvermutung, keinen Grund dieser Person nicht zu glauben. Das werden genug andere übernehmen.
Vielleicht ist es als Mann nicht möglich diese Perspektive anzunehmen, aber es wäre besser, wenn auch Männer Frauen initial glaubten (dazu öffentlich stünden) und vor allem untereinander mehr über einvernehmliche Sexualität sprechen würden.
Durch das erstmalige Glauben schafft man Sicherheit, die man in so einem Moment am dringendsten braucht. Im weiteren Schritt kann man, wie von euch vorgeschlagen, darüber nachdenken mit eidesstaatlichen Versicherungen, Anzeigen etc, Ermittlungen aufzunehmen, aber das Erstbenötigte nach einem Übergriff ist immer zu wissen, dass man gerade (wieder) sicher ist.
Ich habe Ulf und Philip so verstanden, dass den Frauen natürlich erstmal geglaubt werden sollte, dass aber ein Minimum an Beweisen notwendig ist, wenn es zu Konsequenzen kommt.
Die Frage ist, was ist mit „Konsequenz“ gemeint? Juristische Strafe: auf jeden Fall. Öffentliche Berichterstattung: Da dürfte die Schwelle niedriger sein. Nichtaufstellen auf Wahllisten unter Zeitdruck: Hmmmmm. Weiß ich nicht.
Das ist schon ein vertracktes Thema… Ich will nur einen epistemologischen Unterschied beisteuern, der eine Rolle spielt:
Ggü. der Wahrheit/Falschheit einer Aussage kann man sich verschieden verhalten. Unter anderem kann man eine Aussage für wahr halten - dann „glaubt“ man sie. Man kann die Aussage für falsch halten - dann „glaubt“ man ihre Negation. Es gibt aber weitere Möglichkeiten: man kann einer Aussage z.B. neutral gegenübertreten - sie weder glauben noch nicht glauben - sich also des Urteils enthalten. Auch das ist eine Form des „nicht Glaubens“.
Wenn in der Lage - jedenfalls wenn Konsequenzen im Raum stehen - gefordert wird, man solle Opfern nicht einfach so glauben, meinen sie natürlich nicht die zweite Option - das Für-falsch-Halten - sondern die Dritte - das Sich-des-Urteils-Enthalten. „Nicht glauben“ heißt also nicht automatisch, dass man glaubt, das Gegenüber sagt die Unwahrheit oder lügt.
Wie sich die doxastischen Haltungen der zuhörenden Personen auf die Berichtenden selbst auswirkt, ist nochmal eine völlig andere Frage. Da kommt es mMn eher auf die Umstände und das Verhalten der zuhörenden Personen an, das ja jedenfalls theoretisch unabhängig von der Haltung dieser zuhörenden Person zur Wahrheit oder Falschheit der berichteten Aussagen sein kann. Ich gehe mal angesichts der Berichte davon aus, dass hier z.B. bei der Polizei großer Nachholbedarf besteht.
Ich habe mich gefreut über die Perspektive eurer Mitarbeiterin und dass ihr das Thema nochmal aufgegriffen habt, denn zum ersten Mal nach langer Hörerschaft hatte ich das Bedürfnis einen Beitrag zu kommentieren: Mein Eindruck war, dass in beiden Beiträgen verschiedene Aspekte miteinander vermischt werden, die man aber einzeln betrachten sollte und auch insbesondere in der Schlussfolgerung differenziert berücksichtigen sollte. Da ich euch ansonsten aufgrund der differenzierten Berichterstattung und Analyse schätze, umso mehr ein Grund. Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich in der Überzeugung übereinstimme, dass jeder Fall grundsätzlich neutral betrachtet und geprüft werden sollte, insbesondere bevor mögliche Konsequenzen und Maßnahmen, die potenziell eine beteiligte Partei schädigen können (wie Ausschluss, Publikation, etc.). Und ein standardisiertes Verfahren, das Qualitätskriterien abdeckt, wünschenswert ist. Aber ich bin auch darüber gestolpert, dass die Formulierungen der Ombudsstelle „der Schutz der Opfer ist für uns handlungsleitend“ bei euch mittelalterlich genannt wird und mit einem Verwurf der Unschuldsvermutung gleichgesetzt. Meiner Meinung nach ist der Opferschutz essenziell und man darf dabei keine der beiden Seiten gegeneinander ausspielen. Ich hätte mir gewünscht, dass ihr hier auch die (mögliche) Opferperspektive zu Wort kommen lassen hättet, denn so ungern ich dies als Männer vs. Frauen Thema aufzumachen möchte, so sehr drängt sich mir zumindest der Eindruck auf, dass ihr dieser Perspektive wenig Beachtung schenkt oder euer Blick darauf einseitig stattfindet und dementsprechend vielleicht schwer nachzuvollziehen könnt (und ja das könnte sein, weil ihr euch möglicherweise als Männer selbst noch nicht in dieser Position befunden habt, aber umgekehrt im Umfeld Falschbezichtigungen erlebt habt). Wenn ihr entsprechend den Fokus auf „Missverständnis“ und „Klärung“ setzt, klingt das für mich auch nach Fällen am unteren Ende des Spektrums und auch euer „Überschwappen in die andere Richtung“ klingt stark als läge euch der Realitätsgehalt der Opferposition (hier bewusst nicht als „Frau“ gekennzeichnet) recht fern. Wer sich schonmal in einer solchen Situation befunden hat, weiß, wie vielen Hürden man begegnet, wie unzureichend oft Informationen geschützt werden (beider Seiten!), wie viel Scham damit einhergeht bei der Begutachtung und auch oft schon in den zuständigen Stellen z.B. in Organisationen stark abgewiegelt wird bis „naja, das ist natürlich intolerabel, aber da können wir nicht so viel machen, weil Person X mit der verantwortlichen Person gut kann-gehen Sie damit besser direkt zur Polizei“. Und da finde ich ehrlich gesagt, eure Hauptschlussfolgerung des eidesstattlichen Beweises als Erstaufschlag zu einer solchen Meldung „wenn man es ernst meinst“ alles andere als niedrigschwellig und geeignet am Anfang eines standardisierten Prozesses zu stehen. Vorschlag: Niedrigschwellige gewissenhafte, neutrale (von mir aus auch empathische) Aufnahme und Prüfung im Vertrauen, allseitiger Datenschutz, ggf. Geeignete Maßnahmen und Unterstützung.
Spannend hätte ich auch gefunden, Chiara direkt mit euch im Gespräch zu haben und weniger, dass ihr den Strich nachher drunter zieht (was in dem Fall hauptsächlich verwerfen bedeutete) und die Deutungshoheit bei euch liegt. Nur so als Anregung. Haltet das Niveau
Auch ich höre die Lage seit Jahren, war bei Lesungen und Lage-Live-Shows. Empfehle die Lage seit Jahren weiter. Und dennoch bin ich aktuell super enttäuscht und stimme aller Kritik an der undifferenzierten Meinung von Ulf und Philip hier zu. Falls ihr das lest: Bitte bitte bitte reflektiert eure Männlichkeit. Mit eurer unreflektierten Meinung zum Umgang mit sexueller Gewalt tragt ihr Unmengen zum Problem bei: Ihr nehmt dadurch Täter in Schutz (wenn ihr so für die Unschuldsvermutung kämpft), sorgt dafür, dass sich noch weniger Menschen gegen sexuelle Gewalt wehren und zeigt: Ihr habt Privilegien, denen ihr euch schlichtweg nicht bewusst seid.
Ich habe mit vielen Freundinnen über die Lage gesprochen, denn das Thema und der gezeigte unreflektierte Umgang damit, nimmt mich seit Tagen persönlich enorm mit. Dabei möchte ich nicht all das wiederholen, was schon hier im Forum und auf Social Media genannt wurde, es vielmehr bestärken und einfach nochmal klarstellen: Dieses Verhalten zeigt, dass Ulf und Philip keine Vorstellung davon haben, wie weiblich sozialisierte Personen aufwachsen. Und wenn sie diese Vorstellung nicht haben, dann wäre es doch sinnvoll, andere Menschen darüber urteilen zu lassen und einfach mal die eigene unreflektierte Männlichkeit zuhause zu lassen.
Mit den Worten aus der Lage gesagt: Hier werden jahrhundertelange Erfahrungen von unterdrückten und missbrauchten Frauen und FINTA-Personen außer Acht gelassen.
Ich habe den Podcast so sehr gemocht und gern gehört: es fühlt sich regelrecht wie eine Trennung an …