Genau so ist es: Weniger Perfektionismus in der Politik bzw. beim Stricken von Gesetzen bedeutet weniger Bürokratie.
Dazu Stichproben und es läuft.
Genau so ist es: Weniger Perfektionismus in der Politik bzw. beim Stricken von Gesetzen bedeutet weniger Bürokratie.
Dazu Stichproben und es läuft.
Euer Beitrag zu weniger Details in Gesetzen in Bezug auf den Arbeitsmarkt hat mir aus der Seele gesprochen. Meiner Ansicht nach geht das aber viel weiter, weil wir in Gesetzen/Verordnungen ein systemisches Problem haben. Wesentliche Ursache der überbordenden Bürokratie ist der Hang zur Regelung von Details. Zwei Beispiele: Regelung, dass bis 10 Kinder in Kindergärten 1 Toilette, ab 11 bis 20 Kinder 2 Toiletten etc. vorgeschrieben sind. Oder: Ein Warndreieck muss genau einer DIN-Norm entsprechen. Diese Detailwut zieht sich durch unsere gesamte Gesetzeslandschaft. Erster Nachteil ist die massive Notwendigkeit von Kontrolle dieser Regelungen. Weiterer Nachteil ist die Möglichkeit, Lücken zu finden und die findet man immer. Dritter Nachteil ist die „Erziehung“ von Verwaltungsmitarbeitern dazu, statt eigenverantwortlich zu entscheiden, nur auf eine hoffentlich detaillierte Regelung zu hoffen, die einem die eigene Entscheidung abnimmt.
In Deutschland haben wir eigentlich ein kodifiziertes Recht (niedergeschriebene Regeln). Im anglikanischen Recht gibt es dagegen das kasuistische Recht (Einzelfälle heranziehen). Die Detailwut holt eigentlich das Einzelfallrecht in unser Recht. Mehr Mut zu Generalklauseln würde helfen. Das Grundgesetz ist in vielerlei Hinsicht ein gutes Beispiel dafür, dass allgemein gehaltene Leitsätze sinnvoll sind. Bei solchen Regelungen spart man teure Kontrolle, zieht eigenverantwortliche Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes heran und stärkt die Justiz, die Handlungen nicht „klein-klein“ prüfen muss, sondern sich auf die Vereinbarkeit mit dem Regelungskern eines Gesetzes konzentrieren kann.
Es ging da weniger um den Arbeitsmarkt als viel mehr um Bürgergeld-Drangsalierungen.
Gerade beim Arbeitsmarkt brauchen wir ja strenge Regeln, weil der Arbeitgeber nur all zu gerne ein Abhängigkeitsverhältnis ausnutzt Regeln zu dehnen oder zu ignorieren. Nehmen wir nur die Lenkzeiten für LKW. Wieviele übermüdete LKW-Fahrer wären wohl unterwegs wenn wir die Fahrerkarte einfach abschaffen würden (die ja wirklich ein bürokratisches Monster ist)?
Oder Grenzwerte einfach den Unternehmen überlassen würden (schließlich sollten sie auch ein Interesse an gesunden Mitarbeitern haben)?
Es betrifft übrigens nicht nur den Arbeitsmarkt und die entsprechende Bürokratie, dieser (deutsche) Perfektionismus ist auch ein massiver Bremser für die Digitalisierung: Wenn ich Prozesse erst dann digitalisiere, wenn es für wirklich alle, in allen Lebenslagen, mit allen möglichen Nachweisen, funktioniert, dann werde ich nie fertig bzw. fange im Zweifel auch nie an („technisch nicht möglich“)
Zugegeben Beispiel aus der Privatwirtschaft, aber auch da führen der Perfektionismus plus die Regulierung dazu, dass es wahnsinnig teuer wird und man es dann im Zweifel lieber lässt:
Online Konto bei einer Bank zu eröffnen ist eigentlich relativ einfach: Persönliche Daten eingeben, Ausweisprüfung, dann passiert intern noch etwas und gut ist.
Online Konto für einen Minderjährigen wird schon schwieriger weil die BaFin auf das Original (kein Scan, keine Kopie) besteht: BaFin - Girokonto - Was ist bei Girokonten für Minderjährige zu beachten?
Online Konto für einen Minderjährigen, dessen alleine sorgenberechtigten Mutter aus einem nicht EU-Land stammt wird dann noch komplexer (Nachweis Sorgerecht, Aufenthaltstitel etc.) und so kann man das immer weiter spinnen. Anstatt aber das man dann irgendwann entscheidet, dass dieser Prozess vielleicht eine Ausnahme ist, die man über irgendeinen manuellen Prozess (bspw. Berater in der Filiale) wird immer weiter konzipiert und entwickelt damit man ja niemanden vergisst
Was ich hier als Problem sehe ist, dass wenn man sowas nicht vorschreibt, dass dann es dazu kommen kann, dass man um Geld zu sparen bei 20 Kindern nur 1 Toilette hat. Und bei Kindergärten funktioniert der freie Markt auch relativ schlecht. Ich meine Leute wollen ihr Kind vermutlich nicht jeden Morgen in den 30 km weit entfernten Kindergarten bringen, nur weil es dort 2 Toiletten gibt.
Ich glaube jeder kennt unsinnige Regelungen.
Aber: ich habe das Gefühl, dass viele Menschen - und gerade auch besser betuchte - versuchen jedes noch so kleine Schlupfloch, jeden Graubereich zu finden. Und dass es dafür einen Markt gibt - Beratungsfirmen, Steuerberater usw… siehe bspw. Cum-Ex, Cum-Cum… hättet irgendjemand gedacht, dass man regeln muss, dass nicht gezahlte Steuern nicht zurückgefordert werden können? Und es gibt da viele weitere Bespiele. Es ist schade, gehört aber leider irgendwie dazu. Egoistische Gesellschaft halt…
Ist da aber nicht die rechtliche Lage eh so, dass diese Praktiken auch ohne explizites Verbot nicht eralubt sind, weil alleine aus dem Verständnis der Erstattung klar sein muss, dass diese nur für tatsächlich geleistete Zahlungen rechtens ist?
Dann braucht es ja nicht zwangsläufig nochmal ein separates Verbot.
Die Problematik war ja, dass es trotz Kenntnis dieser Praktik kein Eingreifen gab und das wäre auch mit explizitem Verbot ein Problem gewesen.
Die Kanzlei der CSUler Gauweiler und Sauter vertritt die Ansicht, dass das nur der Fall ist, wenn der im Moment der Steuerschuld die Aktie haltende, der Leerverkäufer und der Käufer wissen, dass die Steuer mehrfach geltend gemacht worden ist. Das sei aber nur daran erkennbar, dass der Kaufpreis um die Steuer reduziert ist - und da könne man vom Käufer nicht verlangen, dass er Schnäppchen und steuerreduzierte Aktie unterscheiden könne. Solange ein hohes Gericht oder Gesetz etwas nicht als illegal erklärt, besteht immer noch die Chance, es argumentativ legal zu bekommen.
Die Frage ist ja auch was man regelt: Man kann ja einerseits X verbieten, andererseits aber nicht fordern das jedes Unternehmen bitte sehr auch dokumentiert, dass es X einhält und das regelmäßig irgendwo einreicht, wo es dann wieder geprüft werden müsste und plötzlich beschäftigen sich dutzende Leute mit der Einhaltung der Vorschrift weil 0,1% der Unternehmen es ausnutzen, es nicht dokumentieren zu müssen.
Auch schönes Beispiel aus meinem Umfeld: Eine Unternehmensberatung (zugegebenermaßen in AT nicht DE) wurde verpflichtet Arbeitszeiten minutengenau zu erfassen. Es gibt jetzt eine Software und jeder darf dort seine Zeiten erfassen und wenn er über eine bestimmte Uhrzeit oder Überstunden kommt, was bei Unternehmensberatungen durchaus üblich ist, wird das nochmal geprüft und begründet und und und… keiner der Leute dort arbeitet weniger als er vor der Zeiterfassung gearbeitet hat, keiner bekommt mehr (oder weniger) Geld aber es gibt jetzt einen Prozess der viele Leute beschäftigt…
Zwei sehr schöne Beispiele.
Zum ersten Beispiel: Es geht nicht darum, dass Unternehmen etwas dokumentieren um des Dokumentierens Willen. Es geht darum eine einfachre Möglichkeit zu haben, um eine Kontrolle der Umsetzung von X zu gewährleisten. Denn wenn X sich nur genug lohnt, es eben auch genügend Firmen gibt die das ausnutzen.
Und zum zweiten Beispiel:
Das mag bei Unternehmensberatungen schon so sein, insbesondere weil eben hohe Gehälter gezahlt werden, die oft unausgesprochen Mehrarbeit beinhalten. Aber die Zeitkontrolle ist bei niedrig bezahlten Jobs schon wichtig, um Ausbeutung zu vermeiden. Das die stattfindet sehen wir an den jährlich geleisteten unbezahlten Überstunden der Menschen in Deutschland.
Wollen wir jetzt nur Kanzleien, Beratungsfirmen etc von der Regelung ausnehmen? Würden unsere Gerichte diese Ungleichbehandlung akzeptieren?
Da bin ich mir oft nicht so sicher. Oft versteht man nur nicht den Sinn hinter der Regelung.
Ist „2 Toiletten ab 11 Kinder“ jetzt sinnvoll oder nicht? Klingt nach überdetaillierter Regelungswut. Aber üblicherweise können Kitas (zumindest gefühlt) aus triftigen Gründen schließen ohne finanzielle Einbußen zu haben. Mit einer Toilette muss nur eine Toilette kaputt gehen und die Kita ist zu. Toll für den Betreiber, blöd für 40 Eltern und die zahlende Gemeinde. (Hypothetisches Beispiel ohne Kenntnisse der tatsächlichen Regeln.)
„Kaputte Toilette, KiTa muss schließen“ gab jetzt keinen Treffer. Könnte wohl daran liegen, dass eine vorübergehende Disfunktion ok ist, solange sie zeitnah behoben wird. Wie allerdings eine Kita bestehen soll, wenn die einzige Toilette defekt ist, würde ich auch gerne mal wissen.
Ich erinnere mich an eine Debatte hier im Forum, wo die Pauschale Versteuerung des Dienstwagens als riesige Ungerechtigkeit eingestuft wurde und stattdessen jede Fahrt dokumentiert und ausgiebig begründet werden sollte. Die pauschale Versteuerung folgt nun genau dem Gedanken - „keep it simple“.
Beim sehr treffend. Bei uns war nur die Spülmaschine kaputt und Zack Notgruppe und Kindern schon um 12 oder 11.30 holen statt 14,30. Regulierung ist nötig und wichtig, denn sie schützt die Schwächeren vor den Starken, zum Beispiel Arbeitnehmer vor Arbeitgebern. Leider haben die meisten Regularien erst Regelbrecher nötig gemacht.
Lustigerweise führen die meisten Selbständigen trotzdem Fahrtenbücher und lassen dann den Steuerberater eine Günstigerprüfung machen. Das nenn ich dann wirklich simple.
Niemand hat etwas gegen die pauschale Versteuerung von Dienstwagen. Ein Problem wird es aber, wenn die pauschale Versteuerung es dem Steuerpflichtigen ermöglicht, deutlich günstiger zu fahren. Gerade in Verbindung mit einem Wahlrecht (siehe die von @der_Matti angeführte Günstigerprüfung) sorgt das dafür, dass durch die Einführung einer zweiten Option plötzlich Optimierungspotenzial entsteht.
Ginge es darum, Bürokratie abzubauen, würde man sich schlicht für die bürokratieärmere Methode entscheiden und diese allen vorschreiben, dabei die Höhe der Pauschale aber entsprechend hoch ansetzen, sodass das Steueraufkommen gleich bliebe.
Das Problem bei der „Option zur Pauschalierung“ ist eben, dass diese Option Cherrypicking erlaubt, für den Staat also - bei hinreichend steuerrechtlich beratenen Bürgern - stets die schlechtere der beiden Optionen genutzt wird. So wird die Besteuerung des Dienstwagens insgesamt zu niedrig, sodass der Dienstwagen zu stark „privilegiert“ ist. Gegen dieses Dienstwagenprivileg richtet sich die Kritik.
Gäbe es nur die Fahrenbuchmethode, aber die festgelegten Kilometersätze wären für den Dienstwagennutzer so günstig, dass Dienstwagen weiterhin massiv privilegiert würden, wäre die Kritik hier ähnlich stark wie die Kritik an den derzeitigen Möglichkeiten. Oder anders gesagt: Wir richten uns primär gegen eine zu starke Privilegierung des Dienstwagens, egal ob diese unbürokratisch über eine Pauschale oder bürokratischer über ein Fahrtenbuch geschieht.
Ok, und was ist der Unterschied von „zu starker Privilegierung“ zum Verzicht auf die Prüfung, ob das Projekt auch ohne Förderung umgesetzt worden wäre - was ja als positives Beispiel genannt wurde?
Eine Umsetzung gemäß des Vorschlags der Lage der Nation wäre, dass jeder seinen Privatverbrauch schätzt und bei der Einkommensteuer entsprechend versteuert. Das Finanzamt macht Stichproben und wer zu stark abweicht, geht zehn Jahre in den Bau.
Selbst mein Kleinwagen (drei Jahre alter Citroen C3) bietet die Möglichkeit, ein automatisches digitales Fahrtenbuch zu aktivieren, das jedes Fahrt aufzeichnet und jederzeit ausgelesen werden könnte (wenn aktiviert). Dann wird das für Dienstwagen halt verpflichtend.
Ist das dann der transparente Bürger nach chinesischem Vorbild?
Ich habe auch den Eindruck dieser Thread geht etwas an dem Vorschlag aus der Lage vorbei. Es wurde ja eher nicht davon geredet Regeln abzuschaffen, sondern eher die Einhaltung der Regeln weniger stark zu kontrollieren und dafür härtere Strafen bei Regelverstößen zu verhängen.