Ich habe das Gefühl, wir reden immer noch aneinander vorbei. Wenn ich davon spreche, dass man die Expertise, die in der Automobilindustrie über Jahre aufgebaut wurde, bestmöglich anderweitig in unserem Wirtschaftssystem nutzen sollte, dann geht es mir dabei nicht um Sozialverträglichkeit. Die Experten werden nicht unter der Brücke schlafen. Sondern sie werden eben einen Job machen, in dem sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen können. Und das sollten wir nicht primär aus Nächstenliebe sondern allein aus wirtschaftlichen Interessen verhindern.
Und den Punkt verstehe ich wie gesagt nicht.
Wenn diese Menschen ihr bisher aufgebautes Potenzial („konkretes Potenzial“) nicht mehr voll nutzen können, weil dieses Potenzial in einer Technologie liegt, die wir gesellschaftlich für „nicht mehr verfolgenswert“ erachten (Atomkraft, Verbrennungsmotor), dann ist dieser Verlust an Potenzial erst mal da. Diesen Potenzialverlust können wir nicht „verhindern“, außer eben, wir geben besagte Technologien doch nicht auf, aber ich denke nicht, dass du so verstanden werden willst, dass wir am Verbrennungsmotor festhalten sollten, um dieses Potenzial nicht zu entwerten?!?
Also bleibt nur die Frage, wie wir das abstrakte Potenzial dieser Menschen, durch Änderung ihrer Spezialisierung an der Gesellschaft mitzuwirken, fördern können. Und da brauchen promovierte Akademiker wirklich keine Hilfe des Staates für, auch die technisch begabte Fachkraft wird mit sehr wenig Aufwand in anderen, dringend gebrauchten und deshalb gut bezahlten Stellen einsetzbar sein (wobei man sie durchaus unterstützen kann und sollte). Und ja, das kann für die einzelne Fachkraft mit Wohlstandsverlust einhergehen, aber wie gesagt: Wir reden hier nicht von Menschen, für die „Wohlstandsverlust“ bedeutet, dass sie in irgendeiner Form auch nur annähernd „arm“ würden, sondern lediglich, dass es nicht mehr ganz so üppig ist wie vorher.
Ich habe das Gefühl du versuchst hier eine möglichst blumige Beschreibung für einen ganz einfachen Sachverhalt zu finden:
Fast alle Leute, die heute bei VW (aber auch anderswo in der Automobilbranche) arbeiten, werden nie wieder so eine gut bezahlten Job finden.
Das heißt natürlich noch lange nicht, das sie gar keinen Job finden werden, aber sie werden halt Abstriche machen müssen. Und das will natürlich niemand.
Aber deswegen von verschwendeten Potenzialen zu sprechen halte ich für übertrieben.
Da stimme ich dir zu. Aber das ist ein dickes Brett. Wir haben ja schließlich jahrhundertelang das Model „1 Mensch - 1 Job“ gehabt, was ja auch irgendwo aus unserer Natur kommt (Jäger und Sammler).
Aber in unseren schnell lebigen Zeiten funktioniert das halt immer seltener.
Vielleicht wäre es eine Möglichkeit einen 2. Berufsweg für alle so ab 35 bis 40 vorzusehen. Aber sowas ist halt eine gewaltige gesellschaftliche Umstellung.
Das Hauptproblem sehe ich hier darin, dass wir zwar marktwirtschaftliche Mechanismen anwenden, diese aber nur aus Sicht der Unternehmen halbwegs funktionieren, nicht aus Sicht der Gesellschaft.
Das Beispiel dafür ist die hier im Thread schon angesprochene Tatsache, dass Menschen, die ihren Berufsweg wechseln, im neuen Beruf i.d.R. geringere Löhne bekommen. Das steht dem Ziel, eine flexible Arbeiterschaft zu haben, die bereit ist, sich gesellschaftlichen Änderungen anzupassen, diametral entgegen. Das gegenwärtige System belohnt diejenigen, die möglichst lange in einem Job bleiben und bestraft diejenigen, die bereit sind, sich den wechselnden Anforderungen anzupassen und schlicht auf das Umlernen, was nun gebraucht wird.
Aus Sicht des Unternehmens macht das gewissermaßen Sinn - nach dem Motto: „Die Arbeitskraft mit 20 Jahren Berufserfahrung im gleichen Bereich ist effektiver und hat eine höhere Wertschöpfung, deshalb bezahlen wir sie besser“, aus Sicht der Gesellschaft ist das problematisch, weil diejenigen, die bereit die Last auf sich nehmen, noch mal im gehobenen Alter etwas Neues zu Lernen (undf dadurch bereits ein paar Jahre (mindestens teilweisen) Gehaltsausfall haben), dafür auch noch mit geringeren Löhnen bestraft werden. Und das darf meines Erachtens nicht sein.
Auf Tarifvertragsebene lässt sich das über eine Anrechnung der Berufserfahrung aus verwandten Bereichen berücksichtigen (wobei auch das noch viel zu wenig getan wird, der Reflex der Arbeitgeber ist da eher: „Nö, das zählt nicht, das ist zu weit weg!“), aber spätestens bei individuellen Gehaltsverhandlungen sehe ich nicht, wie wir das Problem beheben können.
Man könnte natürlich aus wirtschaftsliberaler Sicht antworten, dass es nicht die Aufgabe der Unternehmen ist, mittels Bezahlung dafür zu sorgen, dass Leute entsprechend der gesellschaftlichen Bedürfnisse umschulen. Genau so kann man aber natürlich auch sagen, dass das sehr wohl die Aufgabe der Unternehmen ist, denn die jammern ja über zu wenig Fachkräfte. Wenn sich dann aber einer mit 40 zur benötigten Fachkraft umschulen lässt, will man den nicht anständig bezahlen, sondern idealerweise so, wie den 22-jährigen, der gerade Ausbildung/Studium beendet hat… das passt eben nicht zusammen.
Genau - so möchte ich nicht verstanden werden und doch - meiner Meinung nach kann man einen großen Teil dieses Potenzialverlustes allein durch Planbarkeit und durch Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft verhindern.
Schlicht dadurch, dass man im Zuge dieser Sondersituation auf dem Arbeitsmarkt versucht Angebot und Nachfrage bestmöglich zusammen zu bringen. Z.B. indem man das bei der Vergabe von Subventionen mit berücksichtigt. Will z.B. eine Firma in Wasserstoff-Brennkammern investieren und braucht dazu Verbrennungs-Spezialisten, dann kann es sinnvoll sein, das als Staat zu unterstützen, wenn dadurch ehemalige Automobiler schneller wieder in sinnvolle Arbeit kommen. Zumindest wenn die Kosten-Nutzen-Rechnung das hergibt.
Ohne Maßnahmen wäre zumindest meine Einschätzung, dass die Nischen im Bereich der Verbrennung so überschaubar sind, dass sie kurzfristig kaum die frei gewordenen Spezialisten aus der Automobilindustrie brauchen könnten.
Damit kann man natürlich nicht wieder das volle Potenzial dieser Personen ausschöpfen. Aber man kann das beste draus machen.
Da sind wir durchaus einer Meinung.
Dieses Ziel erreichen wir - und da bin ich wieder bei meinem vorherigen Punkt - aber am ehesten, wenn wir endlich aufhören, uns am Status Quo festzukrallen, sondern realistisch in die Zukunft schauen. Dass der Verbrenner keine Zukunft hat war eigentlich schon vor Jahren klar - und es hätten vor Jahren schon entsprechende Hebel in Bewegung gesetzt werden müssen. Hat man aber nicht getan. Das gleiche wie damals beim Bergbau.
Das ist ein Problem der Demokratie - die Parteien sind auf Zustimmung durch das Volk angewiesen und die Partei, die sagt: „Wir kämpfen dafür, dass ihr euch nicht anpassen müsst“ (egal, wie unrealistisch das ist!) gewinnt immer mehr Sympathien als die Partei, die ehrlich sagt: „Sorry Jungs, aber ihr werdet euch in Zukunft massiv anpassen müssen!“. Und dadurch werden die Hebel, die in Bewegung gesetzt werden müssten, viel zu spät umgelegt.
Passend zum Thema:
„Was den Verlust von Arbeitsplätzen in der Autoindustrie angeht, rät Schularick zu mehr Gelassenheit. Aufgrund des Fachkräftemangels, so prognostiziert der IfW-Chef, werde es Beschäftigten der Branche nicht schwer fallen, neue Stellen zu finden. Ohnehin kämen nicht nur auf die Autobauer selbst, sondern vor allem auch auf die Zulieferindustrie dramatische Umwälzungen zu. „Wir werden keine Zulieferer mehr brauchen, die ganz viel Getriebetechnik optimieren oder Einspritzanlagen oder was nicht alles. Da laufen wir auf einen Strukturwandel zu, und den sollen und dürfen wir auch nicht aufhalten“, so Schularick.“
Quelle: SPD-Politiker schlagen laut Medienbericht Abwrackprämie vor | tagesschau.de
Bestätigt meinen Ursprungspost: der Verlust von Arbeitsplätzen bei VW steht nicht im Zusammenhang damit, dass man zu spät auf Elektroautos gesetzt hat. Er wäre sowieso über Kurz oder lang gekommen.
Sehe ich nicht ganz so. Natürlich hat VW wie alle westlichen Autobauer mit der günstigen Konkurrenz aus Fernost zu kämpfen. Aber hätte man sich rechtzeitig auf den E-Autoboom in China konzentriert, was sich ja seit den späten 2000er abzeichnete, dann wäre man dort weit besser aufgestellt und könnte das know how auch im Westen einsetzen.
Stattdessen hat man lieber Gewinnmitnahme im besten kapitalistischen Sinne betrieben und kurzsichtig und profitorientiert auf große Verbrenner gesetzt. Aber Aktionären ist das ja eh alles egal,die verkaufen halt ihre VW-Aktien und kaufen welche von chinesischen Autobauern, auch die Manager wechseln sowie fröhlich die Branchen wie andere ihre Unterhemden und die einzigen, die als Verlierer bleiben, sind die deutschen Angestellter der Konzerne.
Ich hoffe jedenfalls, sorry, das VW da möglichst wenig Staatshilfe bekommt. Auch keine Abwrackprämie.
Das sehe ich genauso. Vor allem solange ein so extrem schlecht geführte Branche wie die Automobilbranche noch so hohe Gewinne verzeichnet. Da heißt es einfach mal Gewinne investieren und Gehälter von oben nach unten auf Normalniveau senken. Aber wahrscheinlich wird Habeck eine E-Autoförderung für Gutverdienende raushauen, die SPD eine maximal bürokratische Abwrackpämie und die FDP wird die zu großen Dienstwagen noch besser günstig an Ihre Klientel verteilen. Natürlich alles ohne staatliche Auflagen, damit die Aktionäre Ihre Dividende aus den Steuern bezahlt kriegen. Geld für sozialen Ausgleich ist da natürlich dann leider nicht mehr da, man muss ja erstmal die versorgen mit denen man auch abends gerne zusammensitzt. Schon alleine diese Forderungen der Politik stoßen mich ab.
Die VW Krise zieht Kreise …
Northvolt der Batteriezulieferer hat gerade den Abbau von 1600 Stellen in Schweden angekündigt.
Nicht nur aber auch zum Teil wegen VW
Gleichzeitig gibt VW Northvolt die Schuld, den vereinbarten Zeitplan nicht eingehalten zu haben, weswegen sie umplanen mussten.
Die Firma musste mehrmals den Start für ihre Produktion verschieben. Eigentlich sollten schon 2023 Batterien mit einer Kapazität von 16 Gigawattstunden produziert und Kathoden selbst hergestellt werden. Jetzt hofft man, Ende dieses Jahres auf eine Gigawattstunde zu kommen. VW hatte sich zwischenzeitlich entschieden, nicht allein auf Northvolt zu setzen, und wollte lieber eine eigene Batteriezellproduktion in Salzgitter aufbauen.
Northvolt in der Krise - und mit ihm die europäischen Batteriehoffnungen - Wirtschaft - SZ.de
Auch BMW war mit Northvolt unzufrieden.
"Zu viel Ausschuss": BMW zieht Milliardenauftrag bei Northvolt zurück | heise autos
Die Ideen der Autoindustrie sind noch haarsträubender:
Weil die Autokonzerne in China die Elektromobilität verpennt haben, sollen in Europa jetzt die CO2-Grenzen aufgeweicht werden. Damit die noch länger am Verbrenner festhalten können, oder wie?
Naja, kam das jetzt überraschend?
Auch wenn manche Zeitpläne sicher sehr optimistisch waren, auch von Frau Merkel, mag es vielleicht auch Versäumnisse der Autoindustrie gegeben zu haben?
Da es ja da keine Management-Fehler gibt, ist es quasi fast logisch, das Bewährte (Verbrenner) weiter auszupressen.
Begründung: der Kunde will das ja so.
Aber: welche Wahl hat der Kunde wirklich?
Jetzt geht VW wohl in die Offensive - gegenüber den Beschäftigten:
Quelle:
Klingt ganz nach Lohnverzicht.
Dann bleibt zu hoffen, dass die Führung mit leuchtendem Beispiel mit Lohnverzicht voran geht /s
Für die Zulieferer klingt das auch nicht unbedingt hoffnungsvoll.
Natürlich nicht für das Management wahrscheinlich. Da werden auch ungerechtfertigt Boni weiter fließen. Oder glaubt hier ernsthaft einer, dass sich da mal was ändern wird an den völlig überbezahlten Managern.
Ich halte es auch für eine Illusion, dass da plötzlich Tausende Autobauer vom Arbeitsmarkt aufgenommen werden. Der aktuelle Bericht der Arbeitsagentur sagt sinngemäß:
- es gibt keinen allgemeinen Fachkräftemangel
- in Handwerks-, Erzieher-, Pflege- und IT Berufen, sowie Berufskraftfahrer wird dringend gesucht.
Das klingt nicht nach einer einfachen Umschulung mit 45, geschweige denn Lohnniveau.
Mehr als die Hälfte der Angestellten außerhalb der Produktion ist sogar in den obersten Tarifstufen eingruppiert, verdient also jenseits von 7000 Euro. Darüber gibt es für IT-Spezialistinnen oder Abteilungsleiter den »Tarif Plus«, wo es mit gut 8500 Euro losgeht – dafür arbeitet man dann 40 statt 35 Stunden in der Woche.
Um mal eine Vorstellung über die Bezahlung der Arbeitsplätze zu bekommen.