LdN 393: Durchschnitte, Altersunterschiede und verzerrte Realitäten

Halli hallo in die Runde!

Ich möchte ein Thema ansprechen was mich in Diskussionen, besonders der Wohnstiuation, oft stört. Und zwar, dass allgemein und mit Durchschnitten argumentiert wird. Aber wer ist denn der Durchschnitt? Deutschland ist das zweitälteste Land der Welt. Man spricht also immer öfter über die Lebenswirklichkeit von Menschen deutlich in der zweiten Hälfte ihres Lebens und verliert jüngere Generationen aus den Augen. Das Thema von Generationengerechtigkeit kommt an sehr vielen Stellen zu kurz. Natürlich macht das sowohl Recherche als auch die Diskussion deutlich schwieriger. Aber ich würde es gerne als Denkanstoß einbringen.

Das möchte ich an zwei Argumenten von Ministerin Geywitz exemplarisch darstellen:

[Woran krankt der Wohnungsmart?]
Auch an einer unvollständigen Analyse, denn wir haben 1,9 Millionen Wohnungen die leer stehen. Und wir haben aktuell eine durchschnittliche Netto-Kaltmiete von 7,28€. Und jetzt kratzen sich alle am Kopf die in letzter Zeit mal in Berlin bei Immoscout suchen waren. […] Wir haben Regionen, das sind dreiviertel des Landes, die haben einen entspannten oder sogar mit hohen Leerständen versehenen Mietmarkt. Und dann haben wir die großen Ballungszentren.

In Berlin haben wir laut t-online eine durchschnittliche Netto-Kaltmiete von 7,21€. Also sogar noch unter dem Durchschnitt. Während aktuelle Mietpreise je nach Quelle irgendwo zwischen etwas unter 12€ bis über 20€ liegen. Die große Differenz erkläre ich mir in diesem Kontext dadurch, dass Immobilienscout auch Tauschwohnungen anbietet und Wohnungsboerse mehr Fokus auf Verkauf hat (aka, höhere Renditen = mehr Interesse). Das eine dürfte also Unterschätzen, das andere Überschätzen. Aber man dürfte auf mehr als den doppelte Preis kommen.

Soll bedeuten, mit dem Durchschnitt zeigt man in diesem Kontext Menschen mit langjährigen Mietverträgen leben. Wenn man das ganze für Menschen unter 40 ausrechnen würde, käme man auf ganz andere Zahlen. Das gilt übrigens auch fürs VPI („Die Inflation“) in der Miete im Durchschnitt etwa 27% ausmacht. Das entfernt sich aktuell jedes Jahr weiter von der Lebensrealität jüngerer Menschen, die eine deutlich stärkere Inflation erleben.

Denn, Punkt Nummer 2. Der Wohnort ist ja nicht frei wählbar. Die Wirtschaft auf dem Land stirbt wortwörtlich aus. Die finanziellen Voraussetzungen zum Gründen sind immer schwieriger und wenn lokal absehbar die viele Firmen altersbedingt zu machen wird sich daran auch wenig ändern. Wenn man sich eine Karriere, eine Existenz aufbauen möchte ist man immer mehr gezwungen sich in Richtung von Ballungsgebieten zu begeben. Das ist doch der Grund weshalb der Markt so angespannt ist.

[Warum bezahlen wir mit Wohngeld die Vermieter und treibt vielleicht die Preise?]
Damit sich die Menschen sich ihre Wohnung und seit der letzten großen Wohngeldreform auch das Heizen ihrer Wohnung leisten können. […] Wir geben dafür 4 Milliarden aus und übrigens nicht nur für Mieterinnen und Mieter sondern auch für Besitzer von Eigenheimen zum Beispiel, die einen Lastenzuschuss bekommen damit niemand im Alter gezwungen ist sich von seinem Haus zu trennen.

Auch hier laufen wir in zwei Probleme. Erstens werden damit nur bestehende Mietverhältnisse subventioniert. Das schließt also jüngere Menschen die für Ausbildung, Studium oder Arbeit umziehen müssen grundsätzlich erst einmal aus. Der Fokus ist primär bei langen Mietverhältnissen von denen wir durch die Altersstruktur und das starke Mietrecht immer mehr haben. Das meine ich in diesem Kontext auch überhaupt nicht wertend sondern als wichtiges Bewusstsein um die aktuelle Situation zu verstehen.

Und bei Immobilienbesitzern könnte man tatsächlich Diskutieren ob es sich überhaupt um eine soziale Maßnahme handelt. Zum Beispiel gibt es auch Konstrukte wie ein Verkauf einer Immobilie im Gegenzug für Wohnrecht und eine monatliche Auszahlung bis zum Lebensende. Hier wird ja nicht in akuter, finanzieller Notlage geholfen. Man könnte sogar argumentieren, dass es hier primär um den Schutz der Erbmasse geht.

Das hat jetzt nicht direkt etwas mit Durchschnittswerten zu tun aber die Motivation dahinter ist ja die selbe. Wir helfen Menschen in bestimmten Situationen. Die Vorteile sind dabei allerdings im Durchschnitt sehr auf bestimmte Altersgruppen zugeschnitten. Kosten davon dürften sich auch entsprechend stark entwickeln, wenn man die durchschnittliche Rente, speziell von Frauen, betrachtet.


Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr für zukünftige Interviews in der Vorbereitung das Thema einmal kurz aus der Perspektive jüngerer Bürger betrachten könntet um es gegebenenfalls während dem Interview ansprechen zu können.

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Ich wohne in der Vulkaneifel, also eine durchaus ländliche Umgebung. Im Städtchen hier wohnen knapp 10.000 Leute und auch hier kämpft die Innenstadt mit wachsendem Leerstand. Das Problem ist dabei, dass die Häuser, die leer stehen, oft massiv renovierungsbedürftig sind – was bei Häusern, die Anfang bzw. im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aus Basalt gebaut wurden, schlicht unwirtschaftlich ist.

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Die pauschale Einschätzung, in der Stadt ist nix zu kriegen und auf dem Land ist üppiger Leerstand, weil da keiner wohnen will, kann man ja auch so nicht stehen lassen.
Oft ist es ja auch eine Frage der Qualität der Wohnung und das der Grund, warum sie leersteht, wie auch @David ja anführt. Oder völlig überzogene Preuse für das gebotene….

Ich habe gerade bei immowelt noch Angaben zum Median gefunden (50% sind teurer, 50% sind billiger): Mietspiegel Deutschland 2024 - aktuelle Statistiken

Unsere Wohnung hat ca. 95qm, laut bundesdeutschem Median sollte das auf ca. 9€/qm hinauslaufen.

Berechnet für den konkreten Standort, Baujahr und Heizungsanlage unserer Wohnung wären bei Neuvermietung 12,80€ zu „erzielen“. Die Lage der Wohnung ist auch zentral.

Diese liegt 50% über dem was wir zahlen (über 10 Jahre alter Mietvertrag). So richtig viel wurde aber am Haus eigentlich nicht gemacht.


Das Interview hier hat wieder Lagequalität, nur Frau Geywitz ist ja schon grenzwertig patzig frech auf Eure Fragen. Was mich am meisten gestört hat, war die wiederholte Feststellung, es wäre ja alles prima gewesen solang die Zinsen niedrig waren. … ??? Das kann doch nicht ernsthaft die Einschätzung sein, dass dieses Überbieten, dieser völlig am Wert vorbei eskalierte Wohnungsmarkt vor einigen Jahren ein „das war alles gut“ als Einschätzung erhält. Der Immobilienmarkt in Ballungszentren ist weiterhin total überhitzt und völlig an der Lebensplanung vorbei. Frau Geywitz sagt: naja das hinge von der Lebensplanung ab, ob man lieber Eigentum erwirbt oder Hobbies nachgeht und reist. Wie bitte? In Ballungszentren kann sich ein Durschnittsverdiener kaum noch Immobilien leisten, die man zu Lebzeiten abbezahlt bekommt (aus eigenem Einkommen!) - von dem von Frau Geywitz angesprochenen EFH mal ganz abgesehen. Ich verdiene wahrlich nicht schlecht, aber ich kann mir von meinem Einkommen selbst in Vororten (und ich lebe nichtmal in einer Millionenstadt!) aus eigenen Mitteln kein EFH - oder auch nur eine DHH leisten. Die liegen alle jenseits der Millionen und müssen idR auch noch saniert werden. Das ist nicht „gut“, das hat auch damals mit niedrigen Zinsen nicht „funktioniert“ - weil auch damals musste man dieses Geld irgendwie ja verdienen. Es ist keine Lebensentscheidung mehr, ob man Eigentum erwirbt oder nicht, es ist schlicht nicht mehr möglich für die meisten Menschen. Das die Bauministerin das nicht weiß oder sieht, …
Zusammenfassend:

  • Eigentum ist keine Lebensentscheidung mehr, es ist außer Reichweite (in Ballungszentren)
  • Immobilien braucht man da, wo man Arbeit hat (und leben will), Leerstand woanders nützt nix
  • Das Sozialbaudilemma, zusätzlich von den von Philipp und Ulf vorgebrachten Argumenten, krankt ja auch daran, dass es nur BEGRENZTES Bauland in Städten gibt. Wenn das Gebaute dann keine Sozialwohnung mehr ist, kann man nicht endlos nebenan eine neue Sozialbaute fördern. Irgendwann ist selbst bei der schönsten Verdichtung alles voll! Und neu bauen - welcher Immobilienkonzern baut denn neu? Man kann doch in Ballungszentren (zB Köln) jedes Schimmelloch vermieten bei der Wohnungsnot.
    und und und. Also echt, Frau Geywitz. Haben Sie vielleicht mal mit Ihrem Kollegen Herrn Walter-Borjans gesprochen? Der hat sich in Köln ja die ein oder andere Wohnung mal angeschaut. Man muss wirklich festhalten, dass Frau Geywitz offenbar keine Ahnung von der aktuellen Lage am Immobilien und Mietmarkt hat und nach diesem Interview wäre aus meiner Sicht ein Rücktritt angebracht. Wie soll denn jemand das Ressort anführen ohne Kenntnis der Realität, mit der die Menschen kämpfen. Ich finde dieses wiederholte Statement, Eigentum wäre eine Lebensentscheidung, das empfinde ich als beleidigend, als Schlag ins Gesicht von arbeitenden, nicht aus reichend Elternhäusern kommenden Menschen, für die dies eben in sehr weite Ferne gerückt ist.
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