LdN 388: Wortwahl

Freunde, „Melden macht frei“? Von euch? Mir fehlen gerade einfach nur die Worte.

Update 20:45 Uhr: Bitte meinen Kommentar unten lesen.

Das ist jetzt weshalb kritisch?

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Wegen der Nähe zu „Arbeit macht frei“, dem zynischen Tor-Begrüssungsspruch von KZ im Dritten Reich. Ich hatten den Spruch auch schon gehört und klar, es ist eine Gratwanderung zum Unappetitlichen, weil bewusst dieser Effekt der zweiten Ebene genutzt wird - wie bei den Nazis. In einem konservativen Podcast find ich ihn schwierig, für einen progressiven, linken Podcast sehr „überraschend“.

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Ich sehe beim besten Willen keinen Zusammenhang zu „Arbeit macht frei.“

„Melden macht frei“ bezieht sich auf die Freiheit von weiterer Verantwortung für einen gemeldeten Missstand. Der vollständige Satz lautet „Melden macht frei und belastet den Vorgesetzten“ und meint im Rahmen einer Hierarchie, dass man die Verantwortung für die Lösung eines Problems mit der Meldung an den anderen übergeben hat. Ich kenne diesen Satz aus meiner kurzen Bundeswehrzeit ebenso aus dem Zivilleben. Im englischen würde man wohl „Cover your ass“ sagen, man macht sich mit der Meldung an den Vorgesetzten selbst nicht mehr angreifbar.

„Arbeit macht frei“ war dagegen das falsche Versprechen an die Neuankömmlinge, dass man in einem Arbeitslager seine Freiheit erarbeiten könnte - was in den Vernichtungslagern dann doppelt gelogen war. Eben deshalb ist dieser Satz ja auch das konzentrierte Sinnbild der Unmenschlichkeit des mit industrieller Präzision geplanten Holocaust.

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Dann siehst du die reine Sachebene. Der Satz hat ja auch einen Klang und hier meine ich wir auch bewusst der Gleichklang in Kauf genommen. Man könnte ja auch sagen, „Melden entlastet“ oder „wer meldet, delegiert“ o.ä. Das sich dieses Spruch in bestimmten Hierarchien gehalten hat, ist sicher eine eigene Geschichte.

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Ich würde sogar so weit gehen, dass „Melden macht frei und belastet den Vorgesetzten“ in der Häufigkeit, wie es genutzt wird, nahe an „Das haben wir noch nie so gemacht!“ oder „Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist.

Man kann sich auch über alles empören, wenn man es nur genug will.

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Diese Wortklauberei weshalb sich viele Menschen immer mehr im Alltag von Political Correctness gegängelt fühlen.

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Wenn man es googelt, sieht man, dass es ursprünglich aus dem militärischen Bereich kommt und dadurch vermutlich auch in der Verwaltung gängig.
Kann ich echt nicht schlimm finden.

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Ehrlicherweise verstehe ich die Empörung absolut nicht. Es ist ein absolut gebräuchlicher Satz ohne Beigeschmack. Den Beigeschmack muss man meiner Einschätzung nach schon aktiv suchen und finden wollen, um darauf zu reagieren.
Zudem ist er inhaltlich treffend und gut zu merken.

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Mir war der Ausspruch tatsächlich nie über den Weg gelaufen und nicht bekannt, dass er in anderen Kontexten so genutzt wird. Dadurch hat sich die andere, vermutlich auch allgemein bekanntere, Assoziation durchgesetzt. Ich wollte mich hier auch nicht künstlich aufregen oder empören, sondern meinem Schrecken Ausdruck verleihen. Ich möchte dennoch zu bedenken geben, dass ich vielleicht nicht der einzige bin, der beim Hören von „macht frei“ zusammenzuckt. Selbstverständlich wollte ich niemals Ulf und Philip unterstellen, dass sie solch eine Konnotation im Sinn hatten.

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Ich habe Episode 388 noch nicht gehört, aber „Melden macht frei“ bzw. CYA / „Cover your ass“ ist auch eine übliche passive Verteidigungstaktik der persönlichen Absicherung vor negativen Konsequenzen innerhalb einer Hierarchie.

Wenn ich z.B. als kleines Rädchen in einer Verwaltung vermute, dass ein Plan voll nach hinten losgehen kann, schreibe ich im Laufe der Planung eine Mail oder Aktennotiz für meinen Vorgesetzten, in der ich meine Bedenken festhalte. Der Vorgesetzte wird mit Mails und Unterlagen zugeworfen und wird gar nicht in der Lage sein, alles zu lesen. Aber meine Aktennotiz ist ab jetzt Teil der Akten für das Projekt.

Wenn man dann später gemeinsam vor dem Scherbenhaufen steht, jemand die Verantwortung übernehmen muss und z.B. meine Abteilung aufgelöst werden soll, kann ich meine damalige Aktennotiz herausziehen und sagen - ich hab’s ja vorher schon gesagt und man wollte nicht auf mich hören.

Im Sinne von CYA gehe ich davon aus, dass in einigen Verwaltungen Aktennotizen für jeden möglichen negativen Ausgang angelegt werden, einfach, um sich abzusichern.

Einige politische Skandale basieren auf solchen Aktennotizen, wo man dem Vorgesetzten nachträglich unterstellt, dass er diese eine warnende Aktennotiz gelesen haben muss und sich wissentlich darüber hinweggesetzt hat. (Hust Cicero AKW-Files Hust.)

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Genau so war es gemeint.

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Wer mit dem Satz ein Problem hat, war offensichtlich nie beim Bund. „Melden macht frei“ wird einem da quasi eingeimpft.

Ja, es gibt oftmals vorschnelle oder auch in der Form zu drastische Empörung über eine bestimmte Wortwahl. Das kann und sollte man auch kritisieren. Aber es gibt auch viel freundliche und wohlwollende Kritik mit dem Ziel, eine bestimmte Wortwahl vielleicht noch einmal zu überdenken.
Ein aktuelles Beispiel sind m. E. zwei ehemalige Fußballprofis, die in einer Sendung das Wort „Spielermaterial“ benutzten. Der Moderator intervenierte danach freundlich, erklärte die Problematik des Begriffs, wies auf entsprechende Rückmeldungen von Zuschauern hin und schlug vor, künftig auf das Wort zu verzichten. Auf Social Media, aber auch in diversen Zeitungen wurde daraus schnell ein „Verbot eines Wortes“, auch Begriffe wie „Maulkorb“ und „Sprachpolizei“ machten die Runde (hier ein Beispiel). Da finde ich dann die Kritik an der Kritik sehr viel überzogener als die Kritik selbst.
Zum Beispiel aus der aktuellen Folge: Mir persönlich geht es auch so, dass ich die Formulierung „Melden macht frei“ überhaupt nicht kannte und generell sehr hellhörig bin, was Übernahmen von NS-Vokabular etc. in den heutigen Sprachgebraucht angeht (von denen ich mal unterstelle, dass sie meist völlig unbewusst sind). Allerdings habe ich diesen Thread gesehen bevor ich die entsprechende Folge gehört habe und kann gar nicht sagen, ob mir der Halbsatz ohne die Empörung hier überhaupt so aufgefallen wäre.
Andererseits ist der historische Hintergrund der Fomulierung „XY macht frei“ denke ich unstrittig, was die Formulierung in meinen Augen durchaus problematisch macht (das zeigen m. E. auch Slogans wie „Impfen macht frei“ bei Coronademos, die m. E. sehr eindeutig auf den Nationalsozialismus anspielen und ja deswegen auch schon als Volksverhetzung bestraft wurden (Quelle).
Letzter Punkt, weil so viel darauf verwiesen wurde, wie gängig die Formulierung ist: Das steht aus meiner Sicht überhaupt nicht im Widerspruch zu der inhaltlichen Kritik, im Gegenteil: Wenn man die Formulierung für problematisch hält, ist es ja um so schlimmer, wenn viele Menschen sie so unkritisch verwenden.
TL/DR: Nicht jede Kritik ist gleich „Gängelung“. In diesem Sinne: Gerne mal den Gebrauch dieser Formulierung reflektieren, aber nicht gleich in Schnappatmung verfallen, wenn sie jemand verwendet.

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Das ist ein interessanter Thread, weil man hier zwei Gruppen sehen kann, die sich - zum Glück - nicht feindlich gegenüberstehen, da der Unterschied nicht in Ideologie, sondern in Hintergrundwissen liegt.

Gruppe 1 - zu der auch ich gehöre - kennt den Satz aus einem militärischen oder behördlichen Kontext und empfindet ihn als völlig normal. Also ich hätte nie gedacht, dass sich über diesen Satz jemand aufregen würde - und den Hosts geht es vermutlich ähnlich. Eben weil dieser Satz für uns „normal“ ist und wir ihn nie im Kontext von „Arbeit macht Frei“ betrachtet haben. Vielleicht haben wir vor 20+ Jahren, als wir den Satz das erste Mal gehört haben, auch kurz gezuckt, aber wir haben es wohl nie aktiv hinterfragt und heute ist er einfach „normal“.

Die Anderen kannten den Satz gar nicht und haben daher direkt eine Verbindung gesehen, die Gruppe 1 nie wahrgenommen hat, die aber auch nicht ganz abwegig ist. Diese Gruppe ist teilweise schockiert, weil für sie die Nähe zu „Arbeit macht frei“ so deutlich ist.

Tatsächlich zeigt das einmal mehr, wie vorsichtig man im Umgang mit Sprache sein muss. Das führt tatsächlich dazu, dass ich überlege, ob ich diesen Satz weiter nutzen möchte, weil ich - gerade im Umgang mit jüngeren Menschen - nie wissen kann, ob der Rezipient den Kontext kennt. Wenn der Empfänger den Kontext nicht kennt, wäre es nötig, ihn zu erläutern, um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen (denn ich will natürlich nicht den falschen(!) Eindruck erzeugen, abgewandelte Nazi-Sprüche zu verwenden), aber das ist natürlich nicht praktikabel. Das spricht wohl eher dafür, diesen Satz nur noch in Kontexten zu verwenden, in denen allen Beteiligten die Bedeutung klar ist (z.B. bei der Bundeswehr oder auf der Amtsstube). Wenn ich aber so weit gehe, wäre es wohl sinnvoll, den Satz gleich ganz zu streichen.

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Impfen macht frei in Anlehnung an Nazivokabular?? Das habe ich noch nie gehört. In meiner Erinnerung war das zeitweise die euphemistische Idee, dass Geimpfte nicht mehr anstecken können und nicht ansteckend wären - was sich nach kurzer Zeit als"zu früh gefreut" herausgestellt hat. Wurde der Satz nicht auch leichtsinnig Weise vorschnell von Karl Lauterbach verwendet?

Ich gehöre offenbar zu einer dritten Gruppe, die den Satz aus dem Behördenalltag kennen, aber trotzdem jedes mal erschrecken, wenn dieser benutzt wird und kurz ein Bild vom Vernichtungslager im Kopfkino sehen.
Wenn man die zweite Hälfte mit dem Vorgesetzten dazu sagt, empfinde ich es etwas weniger stark

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Kann ich mir nicht vorstellen. Immer wird alles mit Corona mit Lauterbach in Verbindung gebracht, dabei war er die meiste Zeit einfacher Abgeordneter. Ein Spahn taugt halt nicht zum Feindbild.
Die meisten wissen wahrscheinlich schon gar nicht mehr, dass der Energieexperte der Union mal für Gesundheit zuständig war.

Davon habe ich wiederum noch nie gehört. Hast du vielleicht entsprechende Zitate? Ich kenne den Slogan wirklich ausschließlich von Demos gegen die Coronamaßnahmen (wie in dem von mir verlinkten Beitrag beschrieben. Beispiele finden sich u. a. auch in dieser Broschüre zu Antisemitismus im Kontext von Coronaprotesten:

Ist jetzt langsam wirklich Off Topic, aber Lauterbach war ja durch deine Talkshowauftritte und Tweets während der Pandemie schon lange vor dem Winter 2021 dauerhaft medial präsent und nicht wenige haben sich explizit gewünscht, dass er auch politisch eine stärkere Rolle spielt. Nicht umsonst kündigte Kevin Kühnert seine Kürung zum Minister mit den Worten „Ihr wolltet ihn - ihr kriegt ihn“ an.