Doch. Grade in Deutschland ist es genau das: Keine rechtsextreme Partei zu wählen ist so ungefähr die unterste Untergrenze für Anstand und Charakter. Da lasse ich keine Ausreden gelten. Alles, was man dazu wissen muss, um zu erfassen dass man sowas einfach nicht tut, egal, was man für Gefühle hat, kann man als Deutscher nicht mehr nicht wissen. Wer das in Deutschland trotzdem tut, ist dafür einzig und allein und vollumfänglich selbst verantwortlich. Eben das schreibst du doch am Ende selbst: Man kann all diese Gefühle haben (die Jugendlichen, mit denen ich täglich arbeite, haben diese Gefühle auch völlig zurecht), aber niemand zwingt einen dazu, deswegen Rechtsextremisten an die Macht zu helfen.
Ich habe ja auch nicht gesagt, dass irgendjemand gezwungen wird, Rechtsextreme zu wählen oder dass es irgendwelche guten Gründe dafür gäbe. Insofern ist das eine Phantomdiskussion. Ich finde halt nur nicht, dass Kategorien wie „Anstand“ oder „Charakter“ in einer Diskussion über politische Strategien besonders sinnvoll sind. Wenn es ausschließlich darum ginge, dass wir uns einig sind, dass Leute, die AfD wählen, doof sind - geschenkt. Wenn es aber darüber hinaus darum gehen soll, wie wir etwas daran ändern können, dass sich so viele Leute für diese Partei entscheiden, fürchte ich ist damit nichts gewonnen. Aber vielleicht ist es auch nicht zulässig, dass ich mein Interesse an dieser Stelle verallgemeinere.
Das war über lange Jahre der Fall. Es gab in den etablierten Parteien reihenweise Ex-Nazis und harte Rechtsextremisten und auch unter deren Wählern. Deren Ideologie konnte aber nicht politsch durchschlagen, weil die eben in den jeweiligen Parteien meist nur Randgruppen blieben, denen man gelegentlich mal einen rassistischen Knochen hingeworfen hat, mit der einen oder anderen Bierzeltrede, oder symbolischen Schwachsinnsprojekten, wie der „Ausländer-Maut“ oder ähnlichem. Das Problem wird erst gefährlich, seit sich die Anhänger dieser Ideologie in einer Partei zusammen tun. Das war bis zur AfD immer nur vorrübergehend und regional begrenzt passiert. Unter den Besuchern in Stadtroda ist das einer der Schlüsselbefunde, dass insbesondere die Union rechtsextreme Politiker und Wähler „neutralisieren“ konnte (entsprechend hat sich kürzlich auch Krah bei Jung&Naiv nochmal geäußert).
Inwiefern schließt sich (geistig-moralischer) „Bodensatz“ und die Zugehörigkeit zur „Mitte“ der Gesellschaft aus?
Ich denke eben, dass man diese Leute nicht erreicht, wenn die nicht erreicht werden wollen. Der erste Schritt zurück ins Licht muss von denen kommen, die sich für den Schritt aus dem demokratischen Spektrum heraus entschieden haben. Die Demokraten können die Tür zeigen, aber durchgehen müssen die AfDlinge schon selbst und dazu gehört eben auch, dass man mit politischen wie rechtlichen Mitteln deutlich macht, dass AfD-Wähler aus eigener, freier Entscheidung auf der falschen Seite stehen.
Ich halte die These, dass extrem rechte Positionen in der Bundesrepublik vor der Gründung der AfD quasi keine Rolle gespielt haben, für ziemlich gewagt. Natürlich konnten sie sich nicht 1:1 durchsetzen, aber sie konnten eben die Politik mitprägen - einerseits durch zum Teil sehr hochranginge Posten etwa in der Union (erinnert sei etwa an Franz-Josef Strauß oder Alfred Dregger) und andererseits durch das Bedienen bestimmter Wählermilieus, die zum Teil auch organisiert waren (examplarisch das jahrzehntelange Hofieren der Vertriebenenverbände - und zwar durch Union und SPD). Ich finde es naiv zu glauben, dass es dabei nur um rhetorische „Brocken“ ging und es ansonsten keine Auswirkungen auf die Politik hatte - gerade ich Bereichen wie Migrationspolitik, Staatsangehörigkeitsrecht etc. oder etwa die Frage, dass Deutschland bis 1990(!) die Staatsgrenze zu Polen nicht offiziell anerkannt hat.
Das entscheidende Wort ist hier konstant: Der Widerspruch besteht m. E. darin, dass du einerseits sagst, es gibt einen immer gleich großen Teil der Gesellschaft, die rechtsextrem sind (weil es ja eine Charaktereigenschaft ist), dann aber auf Studien verweist, die klar zeigen, dass rechtsextreme und menschenverachtende Einstellungen klar über einen solchen Anteil hinaus an Zustimmung gewinnen. Auch die Aussage, dass diese 20 % mal politisch bedeutungslos sind und mal quasi alles prägen passt m. E. nicht wirklich zu der Konstanz-These.
Erstens habe ich ja in einem früheren Post betont, dass es eben nicht nur um jene geht, die rechtsextrem wählen, sondern auch um jene, die es nicht zun, aber für das gegenwärtige politische System (fast) genau so verloren sind. Zweitens bleibt meine Kritik, dass es recht bequem ist zu sagen „die müssen sich halt bewegen“, dass es aber im Interesse der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nicht gerade hilfreich ist, lediglich darauf zu warten. Dass ein AfD-Verbot (bzw. die Debatte darüber) allein „die Demokratie belebt“, wie es Ulf bei Hart aber Fair sinngemäß gesagt hat, glaube ich nicht.
Das ist überhaupt nicht bequem, weil es bedeutet, die Grenzen der eigenen Möglichkeiten zu akzeptieren. Ich bin überzeugt, dass man bei fast allen Menschen sehr viel verändern kann, wenn man zu ihnen passende Bedingungen herstellt. Ich hab auch lange fest daran geglaubt, dass viele AfDlinge schon noch zur Realität zurückfinden würden, wenn man ihnen das nur mal genau richtig für sie erklären würde. Aber wenn man daran glaubt und gleichzeitig zur Kenntnis nimm, wie absolut gefährlich diese Partei und ihre Anhänger sind, muss man sich auch überlegen, an welchem Punkt man den Versuch zu integrieren hinter den Versuch, alle anderen zu schützen, zurück stellen muss. Der war für mich erreicht, als man Höcke nicht rausgeworfen hat und das hat sich seitdem auch komplett bestätigt. Die Partei und ihre Anhänger radikalisieren sich immer weiter, weil man ihnen dauernd suggeriert, sie hätten ja irgendwie verständliche Gründe, weil man sich dauernd sorgt, man könnte Rechtsextremisten und ihre Kollaborateure ein einziges Mal ein bissch zu früh, ein bisschen zu hart anfassen. Mit echter Ausgrenzung, mit harter Repression hat man es meiner Meinung nach nie versucht und wenn wir da nicht bald zur Kenntnis nehmen, das die Barbaren nicht vor den Toren stehen, sondern längst in der Stadt sind, kann es ganz schnell zu spät sein.
Das würde ja bedeuten, dass wir als Gesellschaft gar nicht mehr tun können, damit wieder mehr Menschen sich von dem demokratischen System repräsentiert fühlen und daran wieder mehr partizipieren, anstatt es entweder passiv abzulehnen oder aktiv zu bekämpfen. Das wäre aus meiner Sicht extrem bitter, aber ich glaube nicht, dass wir so handlungsunfähig sind.
Ich verstehe Deinen Frust mit Versuchen, AfD-Anhänger zu erreichen und kenne das selber auch, aber das ist nicht das, worauf ich mich bezog.
Man kann es doch so denken: Wir haben eine funktionierende demokratische Verfassung, hinter der entsprechnd die Mehrheit steht. Diese Verfassung sorgt für ihren Fortbestand, indem Verfassungsfeinde in Form von Parteien verboten werden können und eigentlich sollen. Sollte einmal die Bevölkerungsmehrheit die Verfassung tatsächlich ablehenen, wäre dieses System allerdings am Ende. Bis dahin kann sich die demokratische Ordnung gegen Angriffe wehren. Ein Parteienverbot könnte man von ganz weit aussen gesehen als unfair, gegen die Meinungsfreiheit und gegen die freie politische Organisierung betrachten. Aber auch eine gerechte Verfassung mit dem obersten Wert der Menschenwürde muss den Grundsatz haben, sozusagen autoritär sich durchsetzen zu können.
Sobald Verfassungsfeindlichkeit einer Partei erwiesen ist, muss ein Verbot kommen. Ob 10% oder 30% der Wählerschaft dann gerade keine wählbare Partei mehr haben, dürfte keine Rolle spielen. Dann muss man halt sehen, was folgt. Es kann nicht sein, dass aus Angst vor den Folgen man wahrscheinlich noch viel Schlimmeres in Kauf nimmt.
Es wird die „heimatlose“ Wählerschaft (sehr divers, überzeugt oder zukunftsängstlich oder krawallig oder ahnungslos) nicht in ganzer Stärke in Strassenkämpfe ziehen. Ich denke, dass der grösste Teil mit einem Verbot ein wenig anfangen würde nachzudenken. Immerhin hätten diese Leute eine verfassungsfeindliche Partei wählen wollen. Auch das ist aber verboten, wie eine rassistische Handlung z.B. auch verboten ist für die einzelne Person.
Dazu ein wie immer hinkender Vergleich: wäre es leicht möglich, sich mit Ladendiebstahl durchzubringen und 30% der Bevölkerung würden das tun, und mit einem Mal hätte man die Möglichkeit, diese Diebstähle effektiv zu unterbinden, dann würde man doch auch nicht fragen, wie man diese Leute stattdessen bei Laune halten soll.
Natürlich wäre bevorzugt, mit bestmöglicher politischer und sozialer Bildung die „Verirrten“ zurückzugewinnen. Und natürlich sollte man sich parallel zu einem Verbot in dieser Richtung weiterhin anstrengen. Aber das Verbot bei erwiesener Verfassungsfeindlichkeit ist für sich eine Notwendigkeit und ein Teil des Umgangs mit rechtsextremer Gesinnung mE.
Dazu möchte ich mich selbst ergänzen und damit auch gleich antworten. Ich würde überhaupt nicht sagen, dass das vorhandene Angebot ausreichend ist. Insbesondere wirklich progressive Parteien mit einem klaren Programm, dass eine offene, klimaneutrale Gesellschaft ermöglicht, die auch global anschlussfähig wäre, fehlen mir.
Aber wenn mir das fehlt, wähle ich ja nicht die AfD. Die wähle ich, weil mir selbst eine schwarz-gelbe Politik nicht nationalistisch und rassistisch genug ist. Ich sehe einfach nicht die Lücke in den Parteiprogrammen zwischen rechts und rechtsextrem in die man AfD-Wähler noch lotsen könnte.
Und ich stimme Dir völlig zu. Natürlich ist es für uns ein Problem, auch nach einem AfD-Verbot, dass es soviele Menschen mit so einer Grundhaltung gibt.
Aber wenn mir das fehlt, wähle ich ja nicht die AfD. Die wähle ich, weil mir selbst eine schwarz-gelbe Politik nicht nationalistisch und rassistisch genug ist. Ich sehe einfach nicht die Lücke in den Parteiprogrammen zwischen rechts und rechtsextrem in die man AfD-Wähler noch lotsen könnte.
Ich verstehe Deinen Punkt, glaube aber dennoch, dass für viele der Grund, AfD zu wählen, nicht der Abgleich der Parteiprogramme ist, sondern vor allem das beschriebene Gefühl, dass die etablierten Parteien die eigenen Interessen grundsätzlich nicht vertreten. Das schafft sozusagen erst eine Lücke, in die eine Partei wie die AfD treten kann und behaupten kann, sie würde das tun. Und leider macht sie das so „geschickt“, dass die AfD damit bei Vielen inzwischen mehr Glaubwürdigkeit genießt als ihre Kritiker. Natürlich sind AfD-Wähler stärker nationalistisch und rassistisch eingestellt sind als die Wähler anderer Parteien und natürlich forciert die AfD genau das auch - aber das allein erklärt m. E. den Erfolg der AfD eben nicht - gerade nicht bei denjenigen, die vorher jahrzehntelang CDU, SPD oder im Osten auch LINKE gewählt haben.
Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AFD hat dazu geführt, dass sie immer mehr in der Wählergunst zugenommen hat; trotz aller Skandale, trotz hanebüchener politischer Ideen (auch fernab der Themen Migration und Klimawandel).
Allein der Umgang mit den beiden aktuellen Urteilen spricht schon Bände (OVG Münster, Höcke) in Hinsicht auf die Anerkennung der Autorität unserer Demokratie. Selbst die Gerichte werden als Instrumente der etablierten Parteien diskreditiert.
Ich empfehle sich mal Reden im Bundestag anzuschauen, die Aggressivität und Abfälligkeit, die dort zur Schau gestellt wird. Ich finde es beschämend, dass wir diesen Verfassungsfeinden die Bühne unserer Parlamente bieten und mit unserem Steuergeld ihre rechtsradikalen Mitarbeiter finanzieren.
Es ist sehr hypothetisch über die Folgen eines Verbotsantrags zu spekulieren, aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass alle Parteien, die damit zu tun hatten, in der Versenkung verschwunden sind, auch wenn sie nicht verboten worden sind (Bspw. die NPD, inzwischen Die Heimat). Eine andere mögliche Folge wäre auch, dass durch ein Urteil der AFD der Rahmen aufgezeigt wird, indem sich demokratische Parteien zu bewegen haben und sich die Partei verändert…
Es ist die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts zu beurteilen, ob die Verfassungsfeindlichkeit für ein Verbot ausreicht. Meine Aufgabe ist es eine Meinung zu entwickeln und diese in den politischen Prozeß einzubringen. Meiner Meinung nach gibt es eine Masse an Hinweisen auf Verfassungsfeindlichkeit. Deshalb unterstütze ich die Politiker*innen, die sich für einen Verbotsantrag einsetzen.
Es geht darum Haltung zu zeigen…und natürlich ist Demokratie nur Demokratie, wenn sie sich an Grundrechte hält. Das hat nichts mit Mehrheiten zu tun.