LdN 380 Nachforderungen der Rentenversicherung

Liebes Lage-Team,

ich freue mich, dieses Thema bei euch zu hören. Der Aspekt mit der Rentenversicherungspflicht von Inhaber-Geschäftsführungen war mir neu - betrifft mich und mein Umfeld allerdings nur am Rande. Komplett neu war mir, dass die KV-Beiträge anfallen, obwohl bei einer Privatkasse ein Vertrag bestand. Angenommen der Verdienst der Geschäftsführung über der Jahresarbeitsentgeltgrenze (2023: 66 k€ Jahresbrutto) liegt, sollte doch Wahlfreiheit herschen…?

Zu kurz gekommen ist mir das Thema des Statusfeststellungsverfahrens. Da hätte ich mir einen Verweis gewünscht, wann ihr das schon mal auseinander genommen habt. (oder habe ich den überhört?) Das Hauptproblem besteht in meinen Augen darin, dass Tätigkeit 1 als selbständige Tätigkeit und Tätigkeit 2 als abhängige Beschäftigung gewertet werden kann. Diese Feststellung gilt auch nur verbindlich für die Vergangenheit bis zum Moment der Antragstellung. Eine Aussagekraft für die Zukunft wird explizit verneint. Das ist in meinen Augen schizophren! Die Leid tragenden sind die Selbständigen und deren Auftraggeber (in eurem Beispiel ist das eine Firma, aber es kann eben auch beliebig viele Firmen treffen und in den Ruin treiben). Viele Firmen haben gelernt mit dem Risiko zu leben und hoffen sich gegen den Vorwurf des Vorsatzes abgesichert zu haben. Aber sicher sein kann man bei diesem Thema nicht. Hier gefährdet der Staat verschiedene Existenzen und verhindert unternehmerisches Engagement!

Garnicht erwähnt hattet ihr die Soloselbständigen (können auch Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft mit mehreren Gesellschaftern und ohne abhängig beschäftigte sein). Hier wird der eigenen Ansicht der betreffenden Person kein Recht eingeräumt sich aktiv für die Selbständigkeit auch im Sinne der Sozialversicherung zu entscheiden. Die Andeutung (von Ulf?), dass diese Menschengruppe sich möglicherweise auf Kosten der Gesellschaft die Rentenbeiträge spart, finde ich sehr unpassend. Solch eine undifferenzierte und unhaltbare Anschuldigung ist eurem Format nicht würdig. Weder im Moment ihrer Tätigkeit, noch mit Blick auf den Ruhestand wird sich auf das soziale Netz der Gesellschaft verlassen. Wenn sich eine Person geschäftlich verzockt und deshalb später auf staatliche Grundsicherung angewiesen ist, so ist dies genau die Aufgabe des Sozialstaates. Ein Leben in Saus und Braus ist damit sicherlich nicht verbunden.

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Ich persönlich muss sagen, dass meine Erfahrungen zum Thema etwas anders sind. Ich bin selbst Gründer und stand dementsprechend vor der gleichen Situation. Nach meiner Erfahrung gibt einem jeder seriöse Steuerberater sowie Gründungsberatung den Hinweis zu Beginn ein Statusfeststellungsverfahren zu machen. Das habe ich ebenfalls gemacht, obwohl ich 100% Gesellschafter bin. Bei meiner Gründung vor 5 Jahren war der Prozess durchaus etwas bürokratisch mit etwa 20 Seiten Formularen, aber eine Unternehmensgründung ist nunmal auch ein bisschen Papierkram und diese 2h Zeit sollte man sich schon nehmen. Ich habe dann nach wenigen Wochen bescheinigt bekommen, dass ich von der Sozialversicherung befreit bin. Auf Basis dieser Bescheinigung habe ich dann meine erste Lohnabrechnung erstellt.

Es gibt ein etabliertes Verfahren um genau das geschilderte Problem zu verhindern, jede seriöse Gründungsberatung erklärt es dir und es ist kostenlos. Es gibt meiner Erfahrung ganz andere Gefahren und Probleme im Zuge einer Gründung, die deutlich mehr ins Licht gerückt gehören. Wie kann es z.B. sein dass die ganzen Briefe die man kurz nach Eintragung im Handelsregister bekommt, die den Anschein machen sie wären ein offizieller Gebührenbescheid, völlig legal sind?

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Moin,

als Lohn-Sachbearbeiter in einer Steuerberatungskanzlei sind (Gesellschafter)-Geschäftsführer und die damit einhergehende Prüfung der Sozialversicherungspflicht sehr regelmäßig Thema. :slight_smile:

Wir müssen bei solchen Fällen echt aufpassen damit daraus kein hoher Haftungsschaden für die Kanzlei wird, Beratung erteilen dürfen wir in dem Sozialversicherungsrecht jedoch auch nicht wirklich, was das ganze nicht einfacher macht.

Grundsätzlich wird es erst „interessant“ wenn Gesellschafter sich selbst als Geschäftsführer anstellen und mit einem regelmäßigen Gehalt entlohnt werden, das über die Gewinn- und Verlustrechnung verbucht wird und nicht als „Entnahme vom Gesellschafter-Konto“.

Oft tritt hier auch wegen den zitierten Passagen zu Beschlussregelungen im Gesellschaftsvertrag auch eine volle Sozialversicherungspflicht ein, mit Ausnahme der Umlage U1 für die Lohnfortzahlung. Aber das jetzt bis ins Detail auszuführen führt wohl zu weit und ich könnte stundenlang weiter tippen. :wink:

Die Auswirkung einer privaten Krankenversicherung kann ich aber von hier aus auf keinen Fall beurteilen!

Sobald jemand dann weniger als 50% Anteile an einer Firma besitzt, ist ein Statusfeststellungsverfahren sehr dringend zu empfehlen.

Die Clearingstelle muss die eingereichten Fälle neutral prüfen, also unabhängig vom Betriebsprüfdienst und einer ggf. laufenden Prüfung.

Die Entscheidung der Rentenversicherung ist dann verbindlich solange sich keine wichtigen Änderungen wie Anteilsverkäufe ergeben. In diesem Fall müsste das ganze wiederholt werden.

Wer sich dafür interessiert kann gerne die Formulare V0027 und C0032 studieren (Asterix und der Passierschein A38 lassen grüßen :grin: ).

Darüber hinaus kann ich nur anmerken, dass eine Betriebsprüfung in der Regel keine 4 Jahre dauern sollte, immerhin wären wir im genannten Fall bereits bei der nächsten fälligen Prüfung.

Ein bisschen off-topic:
Neben Gesellschafter-Geschäftsführern schauen sich die Prüferinnen und Prüfer der Rentenversicherung sehr gerne das Thema Freelancer und Scheinselbstständigkeit an, was nach meinem Gefühl ebenfalls ein sehr großes Risiko darstellt: Sobald vermeintliche freie Mitarbeiter / Mitarbeiterinnen ausschließlich Rechnungen an meine Firma stellt und auch täglich bei mir im Büro sitzen, dann werden vermutlich auch diese Vergütungen nachträglich als sozialversicherungspflichtig eingestuft. Das gilt jedoch nicht für Angehörige von freien Berufen oder wenn der externe Dienstleister selbst als GmbH auftritt.

In der Hoffnung niemandem mit meinem „Finanzbuchhalter-Nerdgeschwafel“ in den Tiefschlaf geschrieben zu haben,

noch ein schönes Wochenende!

P.S. Wenn ich irgendwo Unsinn aufgestellt habe, bitte anmerken.

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Aus meiner Sicht macht man den Vertrag ja genau so, wie er gemacht ist, damit man zur Not auch mal einen Gesellschafter „loswerden“ kann. Gerade eine Firma mit vier Gesellschaftern braucht da schon bestimmte Regeln. Ansonsten könnte es sehr oft zu Patt Situtuationen kommen.

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Was ich spannend finde und in dem Kontext auch erwähnt werden könnte, weil es dann manchmal ein böses Erwachen gibt:

Wenn sich sowieso schon darum gekümmert wird, zu prüfen, ob/wer der geschäftsführenden Gesellschafter:innen sozialversicherungspflichtig anzumelden ist, dann auch direkt mit prüfen, auf welches Gehalt und in welcher Höhe der Geschäftsführer:innen Abgaben an die KSK geleistet werden müssen. :smiley:

Also wenn man sowieso schon mal dabei ist… Kann schon im Agentur Bereich schon auch mal passieren, dass man plötzlich überrascht wird, dass die KSK auf das Gehalt des Geschäftsführers, der sich um die Entwicklung der Kreativkonzepte intern kümmert, Abgaben fordert…

Also keine Gewähr, nur n kleiner Hinweis in dem Zusammenhang.

Mehrheitsgesellschafter mögen bei der Rentenversicherung auf der sicheren Seite sein (weil sie beispielsweise mit mehr als 50 % GmbH-Anteilen sicher sein können, nicht etwa Arbeitnehmern gleichgestellt zu werden). Aber Achtung: In der Kreativwirtschaft kommt das Thema Künstlersozialversicherung (KSW) auf sie zu. Dort verhält es sich genau umgekehrt: gefährdet sind dort Mehrheitsgesellschafter, z. B. an einer als GmbH organisierten Agentur, wenn diese als Geschäftsführer bei ihrer eigenen GmbH angestellt sind und (aus Sicht der KSV) ,publizistisch-kreativ’ mitarbeiten. Dann muss nämlich ihre eigene GmbH 5 % (bis 2022 4,2 %, wenn ich nicht irre) ihrer Geschäftsführer-Vergütung an die KSV abführen. Selbstredend auch rückwirkend. Wie bei der Rentenversicherung auch, ohne Rücksicht darauf, ob die Geschäftsführer ggf. privat versichert sind usw. Die Bundesbehörde Künstlersozialversicherung agiert dabei m. E. abenteuerlich: extrem(!) lange Wartezeiten, Mitgliedsanträge der Versicherten werden digital nicht mehr angenommen, komplizierte und nicht 100 % klar definierte Regeln für Prüfungen, ein Bild der Kreativwirtschaft von anno dazumal usw. Es haben sich schon mehrere Hilfe-Vereine gegründet (staatlich anerkannt!). Von dort hört man, dass das Agieren der KSV für viele Klein-Unternehmer existenzgefährdend ist.

Ja und ich kann aus eigener Erfahrung sagen: lieber sich Hilfe bei denen holen anstatt es alleine zu machen, wenn man sich nicht richtig auskennt.

Ich wüsste gern, ob man in der Frage der Pflichtversicherung nicht klagen könnte. Vielleicht hat das ja schon jemand getan. Ich weiss, dass Leute, die pflichtversichert sind, aber nicht zahlen ( meist aus Geldmangel) nachzahlen müssen, wenn sie irgendwann mal wieder Zahlungsfähigkeit sind - aber wenn die derweil privat versichert wären??

Das Problem ist, dass die Statusfeststellung für alle anderen Fälle, als angestellte Gesellschafter eben KEINE Aussagekraft für die Zukunft hat.

Im Übrigen ist das mit den Pseudorechnungen und anderen Dingen, die man eben bekommt, wenn man im Handelsregister steht, eigentlich auch etwas, dass im Rahmen einer seriösen Gründungsberatung enthalten ist :wink:

Klagen ist möglich, aber die Verfahren ziehen sich und belasten enorm. Der Kampf ist total ungleich, da der Staat dafür unendlich Ressourcen aufwendet und die Einzelperson, oder kleine Firma an diesen Belastungen eher kaputt gehen. Ein bekannter Kollege (soloselbständig, Dienstleistung) hat mit solch einem Verfahren seit bald 10 Jahren zu tun. Sein Auftraggeber hat nach meinem letzten Stand das Verfahren nach ca. 5 Jahren gewonnen, arbeitet aber nun nicht mehr mit Freelancern zusammen - was auch Auswirkungen auf mein Geschäft hat…

PS: Ich habe einen Bekannten, der vor diversen Sozialgerichten seit >10 Jahren zu tun hat, da ihm in der Gründungsphase Betriebsausgaben beim ALG2 nicht anerkannt wurden - der ist inzwischen ein psychischer Pflegefall, der aktuelle Streitwert >100 k€

Der Beitrag war insofern interessant, als dass die DRV ein Riesenthema für Selbständige ist. Ich fand es ein wenig amüsant, dass ihr euch gewundert habt, warum die DRV da nicht kooperativer vorgeht. Dabei ist es genau in ihrem Interesse, Menschen als rentenpflichtig zu markieren und (nach)zahlen zu lassen. Eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung gibt es nicht - Selbständigkeit ist in Deutschland eher unerwünscht.

Die DRV ist auch dafür zuständig, Selbständige auf Scheinselbständigkeit (bzw. rentenpflichtig) zu prüfen und agiert da nach eigenen Regeln, da der Staat gesetzlich nur wenig festgelegt hat. Selbständige werden im Grunde per Default als rentenpflichtig angesehen und müssen sich ihre Selbständigkeit vor Gericht erkämpfen.

Schaut gerne beim Verband der Gründer und Selbständigen vorbei, dort ist die unsichere Rechtslage durch drohende Scheinselbständigkeit eines der wichtigsten Themen:

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Kommen wir zur möglichen Lösung des Problems. Ihr hattet es angedeutet, aber die Konsequenzen meiner Meinung nach nicht deutlich gemacht:
JEDER (auch Selbständige im Nebenerwerb !) sollte verpflichtet sein Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen Krankenversicherung entsprechend seines Einkommens (inkl. Kapitaleinkünfte !) zu leisten. Durch klare Regeln wird Rechtssicherheit hergestellt, Akzeptanz geschaffen, Justiz und Verwaltung in Größenordnungen entlastet / Bürokratie reduziert. Für die Abrechnung gegenüber der Rentenversicherung kann das System der Abrechnung von den gesetzlichen Krankenversicherungen (das kenne ich persönlich als funktional und leistungsfähig) direkt übernommen werden. Für alle, die es nicht kennen: die Basis bildet der eigene Steuerbescheid, anhand dessen die KV den endgültigen Beitragssatz für das betreffende Kalenderjahr errechnet und die Vorauszahlungen verrechnet.

Worüber politisch zu debattieren wäre: (und in meinen Augen optional ist)

  • Absenkung der Mindestbeiträge für die KV, PV, RV auf die Grundlage des Jahreseinkommens entsprechend der Minijobgrenze (aktuell 538 € * 12 = 6456 €)
  • massive Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze (ggf. auch komplettes Streichen nach mehreren großen Anhebungsschritten), da die Beitragsbemessungsgrenze dem Solidarprinzip in der KV+PV entgegen steht. Bei der RV resultiert dies in mehr Rentenanwartschaft, die im Bezugsfall aber auch der Steuer unterliegt.
  • mögliche Reduzierung des Beitragssatzes bei KV, PV und RV für alle durch die Mehreinnahmen und reduzierten Systemkosten bei der Rentenversicherung (Bonbon für den Genossen Lindner und seine Freunde)
  • Reduzierung der Bürokratiekosten für Unternehmen durch Überführung der Unternehmensprüfungen bei den Sozialversicherungen hin zu den Finanzämtern, die bei Betriebsprüfungen auch das Einkommen von Beschäftigten sowieso mindestens Stichprobenhaft prüfen sollten. => nur noch eine Prüfung, ein Ansprechpartner, ein klarer Prozess
  • Neuausrichtung zur Sicherung eines Geschäftsmodells für die privaten Krankenversicherungen durch Zusatzversicherungen mit transparentem Mehrwert für den Versicherten und / oder einer Weiterberechnung der Krankenleistungen privat versicherter zwischen privater und gesetzlicher Kasse (gesetzliche trägt die Basisversorgung, private den Mehrbedarf durch maximal performante Versorgung)

Liebes Lage-Team,
es würde mich freuen, würdet ihr dieses Thema weiter verfolgen und bei den zuständigen Ministerien Heil und Lauterbach nach dem Stand von Reformen fragen, sowie das Thema gern weiter mit Experten auseinander nehmen. Meines Wissens nach wollte die grüne Fraktion diese Themen angehen. Es gibt wohl auch im Koalitionsvertrag Punkte, die hier Reformen verlangen. MdB Sekmen wollte diese Themen in ihrem Wirkungskreis forcieren. Vielleicht kann auch sie zum aktuellen Stand etwas sagen?

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Ich finde die „Lösung“ des Problems mit dem Wörtchen „über“ doch etwas arg einfach gedacht. Selbstverständlich haben sich die Gründer:innen was bei dieser Stimm-Regelung gedacht.