LdN 379 - Ukraine: Europas Hilfe lahmt

Sehr geehrter Herr Banse,
sehr geehrter Herr Buermeyer,

vielen Dank für das Thema. Allerdings empfinde ich den Vergleich der Militärausgaben der EU mit den Ausgaben Russlands etwas irreführend. (185 Mrd. zu 130 Mrd.) Zum einen ist der Sold in Russland nicht mit dem Sold der EU-Länder vergleichbar. Zum anderen können und werden Soldaten aus der EU nicht in der Ukraine eingesetzt. Daher wäre in meinen Augen nur ein Vergleich der Ausgaben für technisches Equipment zielgerichtet, die „Personalkosten“ sind raus zu rechnen.

5 „Gefällt mir“

Hallo,
ich habe auch ein paar (kritische) Anmerkungen oder zumindest Fragezeichen zum Interview mit Claudia Major.
Erstmal - ich habe volle Zustimmung zu folgenden Punkten: Europa muss die Ukraine deutlich mehr, auch mit militärischem Gerät, unterstützen als bisher. Also alles was irgendwie möglich ist muss dorthin, die Patriots wurden im Podcast ja angesprochen. Und es braucht in Europa den angesprochenen Mentalitätswandel, der die Bedrohungslage anerkennt und auf den Ausbau der gemeinsamen europäischen Sicherheit drängt.

Kritisch fand ich aber, dass Frau Major argumentierte es sei nun (also durch Russlands Angriff auf die Ukraine) eine neue Konfliktordnung entstanden, in der Staaten wieder Krieg als Mittel internationaler Politik einsetzen, während die europäischen Staaten ja für eine regelbasierte internationale Ordnung eintreten. Vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Drohnenkriegs, Irakkriegs und des völlig missglückten Einsatzes, auch von Deutschland, in Afghanistan sollte man an diese Deutung mindestens ein deutliches Fragezeichen machen. Eine solche regelbasierte Ordnung war schlicht nie wirkliche Realität und auch die USA bzw. europäische Staaten haben diesbezüglich nicht nur eine Leiche im Keller.
Das heißt nicht, dass man nun nicht mehr auf die Einhaltung internationaler Regeln pochen bzw. Solidarität mit der Ukraine üben sollte, im Gegenteil. Aber man sollte sich ehrlich machen, auch deutliche Selbstkritik üben und eurozentrische Sichtweisen überwinden. Der teils fehlende Rückhalt für den europäischen Ukraine-Kurs im Globalen Süden ist nicht vom Himmel gefallen oder allein auf Russlands Mist gewachsen.

Auch finde ich, dass Frau Major in ihren Ausführungen zu mehr Sicherheit einen sehr engen technisch-militärischen Sicherheitsbegriff verwendete. Beispiel: Resilienz kritischer Systeme.
Vor dem Hintergrund der vielschichtigen Bedrohungen auch durch Propaganda und Destabilisierungsversuche sollte der Resilienzbegriff unbedingt ausgeweitet werden zu „gesamtgesellschaftlicher Resilienz“ oder so. Darunter fällt dann auch ein Ausbau politischer Bildung und Medienkompetenz im Umgang mit Rechtspopulismus und ein Abbau von Armut und der massiven sozialen Ungleichheit, da diese einen idealen Nährboden für gezielte Destabilisierungsversuche und Propaganda bietet, siehe Einfluss Chinas/Russlands im Zusammenhang mit der AfD.

Vor dem Hintergrund der aktuellen finanziellen Spielräume bestehen hier also Zielkonflikte und ich sehe nicht wie es möglich sein sollte „viel, viel, viel mehr als 2-3%“ in die Verteidiung zu stecken, ohne auf gesellschaftlicher Ebene massive andere Sicherheitsrisiken in Kauf zu nehmen. Vom Kampf gegen den Klimawandel ganz zu Schweigen

1 „Gefällt mir“

Frau Major hat mit
„viel, viel, viel mehr als 2-3%“
aber einen sehr wichtigen Aspekt angesprochen.
Unsere Gesellschaft und viele Teile der Politik haben nicht begriffen, was wirklich auf uns zukommt, sollte Europa weitestgehend auf sich selbst gestellt sein ggü. einem expansionistischen und aggressiven Russland, welches sich in der Ukraine durchgesetzt hat. Europa wird dann auf die großen Nationen hier gucken und erwarten, dass Führung und Fähigkeiten entlang der wirtschaftlichen Fähigkeit für die Verteidigung zur Verfügung gestellt werden. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft und wird dementsprechend am meisten leisten müssen. Daher sollten wir uns hier auch nicht an 2%, sondern eher an 3-4% Verteidigungsausgaben am BIP orientieren. Das wäre dann in etwa auch dass, was die Bundesrepublik unter Brandt während seiner Ostpolitik ausgab.

Wir haben 34 Jahre Friedensdividende eingestrichen. Diese wird nun wohl mit Zins und Zinseszins nachträglich zurückgefordert werden müssen, wenn wir unsere Sicherheit ernst nehmen wollen.
Wo soll das Geld herkommen? Egal ob selektive Schuldenbremse, neues Sondervermögen oder Einsparungen in anderen Ressorts. Wir werden alle es zu spüren bekommen und Einschnitte hinnehmen müssen. Und das wird auch alternativlos sein, weil mit zumindest einem Satz hat Scholz recht: „Ohne Sicherheit ist alles nichts.“ Wir brauchen uns keine Gedanken über Bildung und Klima machen, wenn die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft bedroht sind. Ein autokratisches Russland interessiert das Klima nicht…

4 „Gefällt mir“

Das bittere für mich ist, dass wir leider nichts aus der Geschichte lernen. Beim Kampf gegen den Klimawandel müssten wir nicht derartige Klimmzüge unternehmen, wenn wir schon 1990 auf die Spur eingeschwungen wären. Zeit verschwendet.
Nach der Besetzung der Krim 2014 und der ersten Trump-Präsidentschaft ab 2016 hätte Deutschland und die EU gewarnt sein können - passiert ist eigentlich nix. Selbst jetzt nach zwei Jahren Krieg schafft es die der 3. größte Wirtschaftsraum der Welt nicht adäquat Munition zu produzieren.
Egal ob Trump oder Biden - Europa wird mehr tun müssen. Mit Biden behalten wir wahrscheinlich die nukleare Teilhabe, bei Trump ist das mehr als fraglich.
Das Thema kommt für die Europäer und insb. für uns in Deutschland zur Unzeit. Die Transformation zur CO2 neutralen Wirtschaft, ein finanziell kollabierendes Pflege und Rentensystem und nicht zuletzt die Modernisierung unserer Infrastruktur wären Jahrhundertaufgaben. Ich fürchte das Thema Klimaschutz wird unter den Bus geworfen werden, denn die Rentner sind die substanziell grösste Wählerschaft, ohne Sicherheit ist alles nix und eine funktionierende Infrastruktur wird eher vom Wähler goutiert, wie die Erreichung von CO2 Zielen. Düstere Aussichten.

4 „Gefällt mir“

Der Maßstab, was nötig ist, um Russland abzuschrecken, wenn die USA sich nicht mehr glaubwürdig als Schutzmacht Europas positionieren, orientiert sich leider nicht daran, wieviel Geld wir grade übrig haben wollen (ist bei anderen unserer Probleme, Klimaschutz, Migration, Bildung etc. nicht anders). Die Mittel, das alles zu tun, ließen sich mMn durchaus finden, wenn man mal denen in die Tasche fasst, die tatsächlich Geld haben und langfristige Investitionen langfristig finanziert. Es fehlt aber an vielen Stellen, die hinreichende Entschlossenheit und der Konsens, zu tun was nötig ist. Neben den Mitteln fehlt es nach meiner Wahrnehmung aber auch an glaubwürdiger politischer Führung. Also an Politikern, die politisch so agieren und charakterlich so geprägt sind, dass ein Straßengangster und KGB-Veteran denen glaubt, wenn die sagen, dass sie einen russischen Angriff etwa im Baltikum abwehren und vergelten. Die aktuelle NATO-Planung geht grob davon aus, dass die stationierten Truppen und die europäischen Reserven einen russischen Angriff aufhalten, bis 180.000 US-Truppen über den Atlantik kommen und den Gegenangriff übernehmen. Glaubt man in Moskau aktuell daran, dass die USA dazu bereit wären, bei den Verlusten, die das zwangsläufig bedeuten würde? Gibt es in Europa Politiker, die nach Moskau reisen und dort glaubwürdig erklären, dass man die eigene Gesellschaft in so einen verlustreichen Krieg führen will und kann? Dass man bereit wäre, eine Besetzung des Baltikums, die mit nuklearen Drohungen gesichert würde, mindestens konventionell bekämpfen würde? Auch dann, wenn die USA sich nicht oder nur eingeschränkt engagieren? Da habe ich erhebliche Zweifel, ob die westliche Abschreckung glaubwürdig genug ist. Denn dafür ist ein Aufbau geeigneter Mittel nur eine notwendige Bedingung, keine hinreichende.

2 „Gefällt mir“

Militär und Kriegsführung ist ohnehin ein Desaster für den Klimawandel.
Der Artikel ist schon etwas älter, aber vermutlich nicht unrichtiger:

Dass eine schließt das andere ja nicht aus. Wir scheitern einfach in beiden Feldern daran, vom nötigen auszugehen und orientieren uns stattdessen an der eigenen Bequemlichkeit und Befindlichkeit und suchen dann Ausreden, wenn es nicht läuft.

1 „Gefällt mir“

Schließt es nicht aus, aber wenn wir weltweit wieder auf Aufrüstung setzen und Kriegsführung als praktikable Praxis etabliert, dann muss woanders noch mehr CO2 eingespart werden. Der nächste Verteilungskampf zusätzlich zu dem des Geldes. Denn seien wir mal ehrlich, wenn man so viel Geld für militärische Befindlichkeiten ausgibt, dann kann es unter einer Schuldenbremse nur ein Verteilungskampf sein. Irgendein anderes Ressort muss das Geld eben einsparen. Und wenn ich mich gerade so umhöre scheinen das wieder die Teile der Gesellschaft zu sein, die ohnehin am schwächsten sind.

1 „Gefällt mir“

Das ist sicherlich alles richtig.
Ich denke auch, dass es Wege gibt die nötigen Mittel zu finden, in vielen Fällen sind diese Herausforderungen ja auch mit einander verknüpft.
Aber wenn wir jetzt mal allein auf der Seite der nötigen Mittel bleiben: Mir fehlt leider aktuell die Fantasie mir vorzustellen, wie unser politisches Führungspersonal die tatsächlich angezeigten Maßnahmen ergreift.
Wie ein anderer User schon schrieb: lieber schmeißt man den Klimaschutz unter den Bus oder baut sukzessive soziale Sicherungssysteme ab. Dann schaufelt man vielleicht die 4% für die Verteidigung frei, aber ob eine von grassierender sozialer Unsicherheit gebeutelte und von Klimafolgen getroffene Gesellschafft sich besser auf einen langwierigen/verlustreichen Krieg einschwören lässt kann bezweifelt werden. Darüber hinaus entsteht womöglich ein ziemlich vehementes Klassen-Ungerechtigkeitsproblem, weil üblicherweise diejenigen an der Front verheizt werden, die aufgrund fehlender Absicherung/Perspektiven auf die vglw. gesicherte Besoldung in der Armee angewiesen sind.

1 „Gefällt mir“

Die liefern, was gewählt wird und auch wenn es mir persönlich sehr schwer fällt: Mindestens eine große Minderheit wählt halt immer sowas. Ich verstehe also deine Sorgen, aber was wäre die Alternative angesichts Russlands und Chinas und anderer Akteure, die zunehmend aggressiver werden? Wenn man vor denen kuschen oder sich denen sogar unterwerfen muss, haben wir alle deine Befürchtungen um einen Faktor x schlimmer, oder?

Ich denke, wir haben nach 35 Jahren „Frieden“ einfach als Gesellschaft „keine Lust mehr“ auf Krieg und Verteidigung. Der Klimawandel ist ja offenbar schon nervig genug.

Ich schätze, die meisten in Deutschland und Europa möchten ihren persönlichen Wohlstand, ihr trautes Heim, schickes Auto, schöne Urlaube, sonst einfach ihre Ruhe.

Der Ukraine hilft man eher aus „moralischen“ Gründen. Das Bewusstsein, das es möglicherweise um unsere konkrete Sicherheit gehen könnte, blendet man gerne aus.
Es mag sicher auch Stimmen in Deutschland (und Europa) geben, die sagen, jetzt haben wir denen mit sovielen von unserem tollen (meist alten) Waffen geholfen, nun ist auch gut, wenn die Ukraine es damit nicht alleine schafft, können wir auch nix dafür.
Solche naiven Denkweisen und eine egozentrische Sicht ist natürlich Futter für extremistische oder unrealistisch pazifistische Gruppen.

Ich befürchte uns (bzw vielen anderen) ist nicht wirklich klar, das nicht alle Menschen immer lieb und nett sind, so gar Politiker oder Staatschefs können böse und gemein sein.
Unfassbar, oder? :wink:

Es fehlt wohl die Erkenntnis, das man sich Freiheit und Sicherheit stets neu erarbeiten bzw aufwändig bewahren muss.

3 „Gefällt mir“

Ich glaube viele Menschen befassen sich einfach nicht so oft mit Geopolitik und fragen sich „Was geht es mich an, wenn zwei ehemalige Sowjetstaaten gegeneinander Krieg führen? Gegen die NATO ist Russland eh chancenlos und wird daher die Finger still halten.“ Insbesondere in den neuen Bundesländern gibt es auch viel Sympathie für Russland aufgrund der jahrelangen russlandfreundlichen Propaganda in der DDR.

1 „Gefällt mir“

Ääh: Nein. Die DDR-Propaganda hat keinen Unterschied zwischen Russen, Ukrainern oder Georgiern gemacht. Das waren alles sowjetische Freunde. Es ist eher so, dass man im Osten den Unterschied nicht versteht: Wer Russisch kann versteht ca. 70% dessen, was ein Ukrainer sagt - die Sprachen unterscheiden sich in etwa so wie Hochdeutsch und Bayrisch. Und wer russische und ukrainische Offiziere der Sowjetarmee erlebt hat weiß, dass beide ihre Untergebenen gleichermaßen wie den letzten Dreck behandelt haben, und Soldaten asiatischer Herkunft nochmal ein Stück schlechter. Mal abgesehen davon, wie sie in der DDR-Öffentlichkeit aufgetreten sind (die Offiziere haben das Bild geprägt, denn für einfache sowjetische Soldaten gab es keinen Ausgang außerhalb der Kaserne). Ukrainer sind im Osten - jenseits der Tatsache, dass ihr Land Opfer eines Angriffskrieges wurde - einfach keine Sympatieträger. Die waren verdammt noch mal Teil der Besatzungsmacht in der DDR. Mindestens zwei Ukrainer waren Regierungschef der UdSSR und damit wesentlich verantwortlich für die Politik, die die Sowjetunion der DDR aufoktroyiert hat. Wo soll da Sympathie herkommen?

Häh, ich schreibe doch nirgends, dass man vor China oder Russland kuschen sollte?
Wenn feststeht, dass wir uns auf diese Bedrohungen einstellen müssen geht es halt um das Wie. Oder besser gesagt um das: wer zahlt, wer verzichtet?

Hat nicht Kiesewetter neulich eingebracht „Kanonen statt Butter“? Wie wäre es mit „Kanonen statt Kaviar“? Gerade wenn von der CDU oder der FDP solche Vorstöße kommen, gepaart mit Forderungen nach dem Abbau von Sozialleistungen während andererseits große Vermögen und Erbschaften o.ä unangetastet bleiben, ist Skepsis angebracht. Ist ja nicht nur in diesem Fall so, z.B. im Klimaschutz: Zwischen 1990 und 2015 hatten die reichsten 1% der Haushalte EU-weit eine Steigerung der CO2-Emissionen um 5% während die Emissionen der unteren Hälfte um 34 % gesunken sind. Dabei liegt das reichste 1% bei den Emissionen um das siebenfache höher als der Durchschnitt.

Um es auf den realpolitischen Punkt zu bringen: klar ist die entstehende Politik irgendwo das Resultat dessen was gewählt wird. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sich damit zufrieden geben und es kritiklos schlucken muss, gerade wenn die Schieflagen so offensichtlich sind. Aktuell mag das naiv sein, aber eigentlich sollte man ja von einer gewählten Regierung erwarten, dass sie die richtigen Entscheidungen im Sinne der gesamten Gesellschaft trifft, auch gegen den Widerstand mächtiger Lobbies.
Wenn es irgendwie tatsächlich zu einem großen Krieg mit Russland kommen sollte und wir ganz viel Geld aus dem Sozialstaat in die Verteidigung gebuttert haben um uns zu verteidigen und am Ende erfolgreich sind, während deutlich überproportional untere Gesellschaftsschichten zu leiden hatten. Dann bleibt vielleicht zum Glück unser demokratischer Staat grundsätzlich bestehen, aber wir müssen uns als Gesellschaft dann schon die Frage stellen: wer hat dort eigentlich zu welchem Preis wessen Freiheit/Wohlstand verteidigt? Mir gehts nicht darum die Bedrohung durch Russland/China zu ignorieren, sondern dass u.a. in diesem Zusammenhang dringend diverse Gerechtigkeitsfragen offensiv adressiert werden müssen.

1 „Gefällt mir“

Ich glaube eine solche gesellschaft lässt sich sogar besser auf einen Krieg einschwören. Es gibt schlicht weniger was man verlieren kann, mehr Gründe wut und Hass zu verspüren. Ich denke Deutschland ist dazu grade das gegen beispiel: In Deutschland gehts es allen (im globalen vergleich) ziemlich gut und das interesse an Krieg oder die Bereitschaft Deutschland zu verteidigen ist ziemlich gering. Krieg als tatsächliche Alterntive zu sehen ist m.M.n. ziemlich schwer wenn man in seiner warmen Wohnung sitzt, mit 5 verschiedenen vollen supermärkten vor Tür. Aber wenn es der Bevölkerung wirklich schlecht geht und dann jemand „den anderen“ die Schuld gibt, halte ich es für wahrscheinlicher das sich eien Bevölkehrung für Krieg mobilisieren lässt.