LdN 372 - Schwächen von Joe Biden im US-Wahlkampf

In eurem Segment zum us-amerikanischen Präsidentschadtswahlkampf habt ihr beschrieben, dass die Wahl in den sog. Swing States entschieden würde, in denen Trump bisher relativ gut abgeschnitten habe.

Ihr zählt dann eine Reihe von Gründen auf, die Biden schwächeln würden. So richtig nachvollziehen konnte ich diese aber nicht:

  1. Das Alter - Joe Biden ist (zu) alt und hat immer mal wieder Aussetzer. Was ihr nicht erwähnt habt: Trump ist nicht viel jünger und hat ebenfalls eine lange Reihe von öffentlichen Aussetzern und Patzern hinter sich. Wieso nehmen es die politisch unentschlossenen Wähler scheinbar stärker als Schwäche Bidens war, als als Schwäche Trumps?
  2. Biden ist zu wenig links - Die linke Kritik an Bidens Politik ist mMn nachvollziehbar, ich sehe aber nicht, wie sie sich auf die swing-states anwenden lässt. Die WählerInnen, die sich noch nicht eindeutig zwischen Dems und Reps entschieden haben, sind ja gerade nicht die Linken, denen Biden noch zu wenig links ist. Gleiches gilt für Klimaschutz.
  3. Schlingerkurs bzgl Gaza & Israel - den Punkt verstehe ich, wobei auch hier wieder die Frage ist, wie groß die Schnittmenge zwischen WechselwählerInnen und den Linken/Muslimischen Palästina-Befürworterinnen bzw Israel-UnterstützerInnen ist.

Bzgl der „uncommited“-Wahl: Ich halte es nicht für Verwunderlich, dass diese eher symbolische parteiinterne(!) Wahl ohne Gegenkandidaten für so eine Kampagne genutzt wird. Die Zielgruppe dieser Kampagne sind linke & migrantisch-geprägte Demokraten (Parteimitglieder). Es stellt sich also die Frage, ob diese im Ernstfall nicht trotzdem die eigene Partei unterstützen und Biden wählen würden. Ihnen ist ja auch klar, dass auch das nicht-wählen am Ende Trump hilft.

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Ein beliebter Fehler ist es Nichtwähler zu unterschätzen. Wenn es eine Wahlpflicht oder 100% Wahlbeteiligung gäbe, hättest du recht. Wenn Biden seine Basis zu sehr enttäuscht, kann es sein, dass diese am Ende gar nicht wählen gehen, wie 2016 bei Clinton. Auf der anderen Seite, wenn Biden eine Ideologie hätte, könnte er Leute mitreißen, die gerade Nichtwähler sind, weil sie die Hoffnung in die Politik verloren haben.

Ergänzung: Trump bespielt ja auch komplett seine Basis und versucht gar nicht erst in der Mitte zu sein, trotzdem gilt er als Favorit.

Weil’s bei Trump niemand anders erwartet. Die Erwartungen an Trumps intellektuelle Leistungen sind so niedrig, dass seine Patzer schlicht kaum auffallen. Es erwartet eh niemand, dass dieser Mann fehlerfrei bis 5 zählen kann. Seine Anhänger nicht (von denen viele schließlich auch nicht weiter als 6 oder 7 kommen), und seine Gegner erst recht nicht. Und die potenziellen Wechselwähler werden Trump ganz sicher auch nicht wegen seines herausragenden Intellekts als Wahlkandidaten in Betracht ziehen.

So lange Trump physisch robust erscheint, kann er seine zahlreichen geistigen Patzer mit seinem üblichen verbalen Gepolter übertünchen. Trumps Achillesferse wäre physische Schwäche - die könnte selbst er nicht mehr maskieren, dafür appelliert er zu sehr an niedere Instinkte, die eben auch eine klare Linie von physischer Gebrechlichkeit zu Schwäche ziehen, während geistige Mängel aus der Sicht eines primitiven, instinktgetriebenen Höhlenmenschen eher verzeihlich sind.

Biden hingegen muss erstens höheren Ansprüchen genügen, schon weil er an sich selbst höhere Ansprüche stellt, und zweitens gehört aggressives, wasserfallartig ausgespienes Rumgepolter auch nicht zu seinem Standardrepertoire, so dass ihm die Möglichkeit, mittels derer Trump seine Patzer überspielt, nicht gegeben ist. Folge: Jeder einzelne Lapsus von Biden wird bemerkt und kommentiert. Würde man dasselbe bei Trump machen, könnte man den ganzen Tag füllen mit Berichten über Trumps Denk- und Logikfehler. Es ist im Grunde dieselbe Taktik wie bei den Lügen: er lügt einfach so viel und in allen möglichen, auch unwichtigen Zusammenhängen, dass es zeitlich unmöglich wird, jede Lüge als solche zu entlarven, und so gehen die bedeutsamen Lügen einfach im Meer der Triviallügen unter. Bei den verbalen Patzern gehen die seine geistige Verfassung offenbarenden, eindeutigen Verwechslungen analog dazu einfach im Rauschen seines sonstigen Dünnpfiffs unter.

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Das Nichtwählerproblem lässt sich gerade sehr schon an den jüngsten Nachwahlen für das britische Unterhaus demonstrieren: Vor etwa 3 Wochen wurde in Wellingborough/UK gewählt. Dabei hat die Conservative Party den Sitz an Labour verloren - aber nicht etwa, weil so viele entäuschte Wähler das Lager gewechselt hätten. Sondern weil sehr viele Wähler einfach zu Hause geblieben sind.

Partei          2019     2024
Conservative  32.277    7.408
Labour        13.737   13.844 
Andere          ...      ...
Turnout       79.376   51.913 

Genau sowas könnte Biden die Wahl kosten.

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Das Argument mit den Nichtwählern wurde oben ja bereits ausführlich erläutert.

Der Witz ist nur: Das haben wir natürlich auch im Podcast breit diskutiert, inklusive des Phänomens asymmetrische Demobilisierung. Bitte hört euch doch wenigstens den Podcast genau an, bevor ihr hier Zweifel sät.

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Wie gesagt, es fällt mir schwer einzuschätzen wie groß die Schnittmenge zwischen denjenigen ist, denen Biden nicht links genug ist und denen, die mit einer Protest-Nichtwahl einen Präsidenten Trump in Kauf nehmen würden.
Intuitiv wäre meine Vermutung, dass gerade die linken, denen Biden nicht links genug ist, auf jeden Fall Trump verhindern wollen. Ich kann mich da aber selbstverständlich auch irren.

Wenn Leute immer rational handeln würden, hättest du natürlich Recht. Und insbesondere die wirklich politisch Engagierten werden das vermutlich auch mehrheitlich tun. Aber die sind eben üblicherweise die Minderheit. Wer sich nur am Rande für Politik interessiert, vielleicht bei der letzten Wahl Biden gewählt hat, weil dieser versprochen hat das Leben der Leute zu verbessern, der ist eben durch solche wie die 3 genannten Punkte u.U. enttäuscht und daher empfänglich für eine „die da oben sind eh alle gleich, und am Ende ist es völlig egal, wer von denen Präsident wird“-Argumentation.

Davon abgesehen ist es in den USA weitaus aufwändiger wählen zu gehen als hier. Da geht man nicht am Sonntag nach dem Frühstück kurz 200 Meter die Straße runter zum Wahllokal, und ist nach einer Viertelstunde wieder zurück. Im Grunde ist das Wahlsystem dort darauf ausgelegt, dass es insbesondere für Marginalisierte schon einer gewissen Anstrengung bedarf an Wahlen teilzunehmen. Fängt bei der notwendigen Registrierung an, geht weiter über den Wahltermin an einem regulären Werktag, und am Ende stehen republikanische Wahlbeamte, die sich wo immer sie an den geeigneten Positionen sitzen alle Mühe geben, dass die Wahlen komischerweise dort wo viele Angehörigen von Minderheiten wohnen regelmäßig in etwa so ablaufen wie die letzte Berlin-Wahl, bloß ohne Wiederholung. Da ist es dann nicht unplausibel, dass eine größere Anzahl Wähler zwar auf der Straße befragt jederzeit angeben würden, Biden Trump vorzuziehen, aber um sich einen halben Tag unbezahlten Urlaub zu nehmen und mehrere Stunden in der Schlange vor dem einzigen Wahllokal weit und breit zu stehen, reicht die Motivation dann eben vielleicht doch nicht.

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Hallo zusammen,

ich bin US-Amerikanerin und habe jahrelang in der politischen Kommunikation gearbeitet. Ich fand vieles an diesem Segment in Ordnung, insbesondere das zum Thema „Demobilisierung“ der Wähler*innen, was ich als größte Gefahr gegen Biden sehe. Ich muss auch sagen, dass ich in meinem Umfeld niemanden kenne, der begeistert für Biden stimmen wird.

Aber bei Punkt 3 (Gaza-Konflikt) bin ich wirklich ins Stocken geraten. … Zum einen sind nur 1% der US-Bevölkerung Muslime, also keine große Minderheit. Auf der anderen Seite mobilisieren viele jüdische Gruppen gegen die Militäraktion in Gaza. Es gibt natürlich viele jüdische Unterstützer:innen des Gaza-Krieges, aber auch viele aus anderen Gruppen, wie z.B. christlichen Gruppen. Es ist gefährlich, US-amerikanische politische Positionen zum Gazakrieg nur auf ethnische/religöse Gruppenzugehörigkeiten zu reduzieren und die „Gaza-Gegner:innen“ nur als muslimisch oder extrem Links zu beschreiben. Vielmehr handelt es sich um Linke unterschiedlicher Herkunft und vor allem um junge Menschen: https://www.pewresearch.org/short-reads/2024/02/16/how-americans-view-the-conflicts-between-russia-and-ukraine-israel-and-hamas-and-china-and-taiwan/

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Und noch etwas: Der IGH hat das Vorgehen in Gaza als „plausiblen Genozid“ bezeichnet und Israel aufgefordert, alles zu tun, um einen Genozid zu verhindern. Es ist also nicht an den Haaren herbeigezogen, wenn linke Antikriegsgruppen den Gaza-Krieg als „Genozid“ bezeichnen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass die deutschen Medien wenigstens einen direkten Blick auf das vor allem vermeidbare aber vielleicht auch gewollte Leid in Gaza werfen würden: ICJ says it's 'plausible' Israel committed genocide in Gaza : NPR

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Die Hauptfrage ist doch: welchen Einfluss hat ein deutschsprachiger Podcast überhaupt auf das Wahlverhalten amerikanischer Wähler.

Was die Lage hier versucht ist zu erklären was da gerade los ist und was Beobachter als Gründe anführen wieso Biden so schwach da steht und Trump so gut.

Über die ganzen innenpolitischen Diskussionen kann man als Europäer meistens nur mit dem Kopf schütteln. Das war aber auch schon bei Georg Bush so. Die tangieren uns nicht.

In der Lage noch hinterher zu schieben “Trump hat ja auch Aussetzer und der ist genauso alt”, was bringt das?

Wichtig wäre zu erklären wieso Trump damit mehr durch kommt als Biden. Die reine Feststellung bringt uns als Lage Hörer aber rein gar nichts. Wir können weder Biden noch Trump wählen.

Die „Wichtigkeit“ der pro-palästinensischen Biden-Wähler ist offenbar mindestens so groß, dass Biden am Wochenende überraschend deutlich zu Netanjahu geworden ist.

Währenddessen muss man in Deutschland froh sein, wenn man auf Demos ungestraft „Stoppt den Genozid“ sagen darf.

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Hallo Ulf, hallo Philipp, hallo Jana und das restliche Lage Team,
danke für eure Folge und die Besprechung dieses durchaus wichtigen Themas.
Mir macht die anstehende Wahl in den USA mehr als Angst. Die weltweiten Geschehnisse der letzten Jahre sind schon schlimm genug und sollte Trump jetzt die Macht wieder übernehmen, sieht es düster aus für Demokratien weltweit.
Mich würde daher interessieren wie wahrscheinlich Trumps Übernahme und vor allem die exakte Umsetzung seiner Pläne wirklich ist. Eine genaue Einordnung auch verschiedener Positionen von großen Firmen oder Behörden wie dem FBI zu Trump, wäre hier eine Hilfe die Umstände genauer zu begreifen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass internationale Riesen wie Amazon, Meta und Google den Ausstieg aus den Internationalen Gremien und den Weltmarkt regelnden Finanzbehörden wirklich positiv sehen. Werden hier nicht jegliche Ressourcen verwendet um das zu verhindern? Und wenn nein, warum? Was für Vorteile könnten sie von einer Machtübernahme Trumps haben?
Sollte es dazu mehr Infos geben, was ich vermute, würde ich mich sehr freuen, wenn ihr das Thema nochmals in einer der kommenden Folgen aufgreift.
Danke für eure Arbeit und die große Bereicherung an gutem Journalismus in Deutschland und der Welt.

Trump kommt beim Thema Israel wohl auch ins Schlingern:

»Jede jüdische Person, die für die Demokraten stimmt, hasst ihre Religion. Sie hassen alles an Israel und sollten sich schämen, weil Israel zerstört werden wird.«