LdN 370: Hörerfrage zum Thema Migration

Ihr sprecht hier einen der Kernpunkte an, den man eigentlich immer gebetsmühlenartig wiederholen muss: Wir brauchen mehr Arbeitskräfte Migration in allen Bereichen, aber vor allem in den Bereichen die für uns in Deutschland geborene extrem unattraktiv sind. Sagen wir es doch einfach laut: Wir brauchen Migration, weil die absoluten sch*** Jobs in Deutschland keiner mehr machen will. Wir brauchen auch nicht den gut ausgebildeten indischen Informatiker, weil wir den hier ja „gut“ bezahlen müssen. Also lassen wir den weiter in Indien zu wesentlich schlechteren Bedingungen für uns arbeiten. Ich spreche da aus Erfahrung. Habe in meiner Tätigkeit viel mit Menschen aus Rumänien oder Bulgarien zu tun. Die sind oft bei Tochter Unternehmen von großen Banken etc. in ihren Ländern angestellt. Für den Verdienst dort würde in Deutschland niemand das Bett verlassen. Wer jetzt glaubt die Lebenserhaltungskosten dort wären halt niedriger. Der irrt sich, zumindest was die großen Städte betrifft, gleicht sich das gerade stark an. Die Leute dort müssen oft die hälfte ihres Einkommens für die Miete hinlegen. Ich spreche da von Bus/LKW Fahrern, Altenpflegern, Müllabfuhr, Putzkräften, Handwerker etc… „die klassischen Ausbildungsberufe“. Bei den akademischen Berufen haben wir keinen großen Mangel zu befürchten (außer vielleicht im medizinischen Bereich).
(Streitgespräch Fachkräftemangel: "Wir steuern auf einen Akademiker-Überschuss zu", Fachkräftemangel: Mehr Akademiker in die Pflege! | ZEIT Arbeit, Arbeitskräftemangel in Deutschland: Aka­de­mi­ke­rkinder in die Produktion! - taz.de). Gerade bei ersterem (Busfahrern, LKW Fahrer) bemerkt man schon den Mangel am extremsten. Wird jemand krank, fährt halt kein Bus, weil kein Ersatz. Macht den ÖPNV noch unattraktiver. Wieso haben wir zu wenig Busfahrer? Naja der Job wird extrem schlecht bezahlt und ist oft mit Schichtarbeit verbunden. Kommt nicht in den nächsten 10 Jahren das autonome Fahren, haben wir ein riesiges Problem. Wir brauchen also mehr Menschen die nach Deutschland migrieren! Das stimmt. Eben habe ich auch ausgeführt wieso der Job so extrem unattraktiv ist. Wieso soll also ein Job der für Frederik Anton Müller, Abiturient aus Hamburg Blankenese zu unattraktiv ist, weil er sich davon keine Wohnung in Berlin oder irgendeine andere X-Beliebige Großstadt, leisten kann, von jemanden aus dem Ausland übernommen werden, wenn dieser über kurz oder lang vor dem gleichen Problem steht? Dieses Paradox kann mir niemand erklären. Ich bin auch für mehr Migration und ich sehe auch die Notwendigkeit, aber solange wir diese Jobs, in denen wir sie am dringendsten brauchen, nicht selbst (aus nachvollziehbaren Gründen) machen wollen, solange schießen wir uns ein Eigentor.

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Vielleicht zahlt der Migrant einfach weniger Miete, weil es ihm z.B. nichts ausmacht, in eine WG zu ziehen oder er auch mit einer kleinen Wohnung, wir würden wohl eher „Loch“ sagen, auch zufrieden ist oder halt akzeptiert, dass es nicht anders geht.
Habe in Nürnberg viele Leute kennengelernt im mittleren Alter die in WGs gewohnt haben, teilweise sogar mit Partner.
Ich könnte mir das nicht vorstellen, verstehe aber die Notwendigkeit.
Wohnst Du in einer Großstadt? Frag doch mal den Kassierer oder die Kassiererin in Deinem Supermarkt oder die Steuerfachkraft, die Deine Steuer bearbeitet, oder Deine Bankfachkraft, wie sie sich die Miete leisten können.

edit: Merke gerade, wie das Framing mich gleich weibliche Berufsbezeichnungen schreiben lässt - habs geändert.

Weil für einen Zuwanderer aus dem ländlichen Niger oder Afghanistan ein solider und nach Tarif bezahlter Job als Busfahrer im Schichtdienst heute genauso attraktiv ist, wie es der Job als Fließbandarbeiter für einen Zuwanderer aus Anatolien in den 60er Jahren war. Diese Menschen wollen arbeiten, eine menschenwürdige Existenz führen und ihrer Familie eine optimistische Zukunftsperspektive geben. Und das können wir ihnen hier durchaus bieten (und dafür brauchen wir sie auch).

Wir haben eine Haushälterin, die einen eritreischen Hintergrund hat. Die Bauarbeiter die bei uns gerade Glasfaser verlegt haben waren allesamt Zuwanderer, vom Balkan würde ich sagen. Wir sind gut mit einer georgischen Familie befreundet, von der sind inzwischen alle drei Brüder in Deutschland und haben die deutsche Staatsbürgerschaft, alle drei haben „zupackende“ Arbeit.

Wenn ich müsste, würde ich diese Jobs natürlich auch machen, aber sie sind allesamt nicht sonderlich attraktiv. Aber sie haben alle gemeinsam, dass sie diesen Zuwanderern eine solide wirtschaftliche Existenz in einer modernen Gesellschaft ermöglichen. Und das ist deutlich besser als alles, worauf sie in ihren Heimatländern hoffen könnten.

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Dazu heute ein Beitrag auf Tagesschau.de
Hohe Mieten in Großstädten verschärfen den Fachkräftemangel | tagesschau.de
Also mal bei PWC geschaut:
2022: https://www.pwc.de/de/pressemitteilungen/2022/steigende-mieten-und-preise-fuer-wohneigentum-verschaerfen-fachkraeftemangel-im-rhein-neckar-raum.html
2020: https://www.pwc.de/de/standorte/berlin/berlin-und-umland-der-angespannte-wohnungsmarkt-verschaerft-den-fachkraeftemangel.html
Scheint so eine alle-2-Jahre-grüßt-das-Murmeltier-Sache zu sein.
Bin mir sicher, dass die Meldung heute die Politik und Unternehmen völlig unvorbereitet getroffen hat.