LdN 358: Französische Atomwaffen

Die GBU-43/B Massive Ordnance Air Blast hat eine Sprengkraft von 11 Tonnen und damit etwas weniger als die kleinsten taktische Atomsprengköpfe. Russland hat eine vergleichbare Waffe mit 44 Tonnen Sprengkraft, was locker als „taktische“ Atomwaffe durchgehen könnte.

Allerdings sind diese Waffen nicht äquivalent mit Atomwaffen. Sie sind extrem schwer und groß, um diese gewaltige Sprengkraft mit konventionellen Technologien zu erzeugen. Damit können sie ausschließlich mehr oder weniger direkt über dem Ziel „abgeworfen“ werden, eine Kombination mit einer (Luft-Boden oder Boden-Boden) Rakete kleineren Kalibers ist nicht möglich. Ihr Einsatz setzt also vollständige Kontrolle des Luftraums voraus, der in dem angesprochenen Szenario (Russland-Nato-Konflikt) extrem unwahrscheinlich wäre und wenn vorhanden den Einsatz von solchen Waffen völlig unnötig machen würde.

Natürlich könnte man solch große Sprengköpfe auch auf Interkontinentalraketen installieren, dann haben Sie aber das Risiko einer nuklearen Eskalation (der Feind kann eine konventionelle nicht von einer atomaren Interkontinentalrakete unterscheiden und müsste reagieren, bevor sich der Irrtum aufklären lässt), ohne irgendwelchen Vorteil daraus zu erlangen.

In der Praxis ist darum konventionelle Artillerie die (meiner Ansicht nach) praktikablere Alternative zum taktischen Einsatz von Nuklearwaffen. Der Konflikt in der Ukraine zeigt, dass massierte Artillerie enorme Zerstörungswirkung entfalten kann – ohne ein atomares Eskalationsrisiko mitzubringen. Da moderne Artillerie eine sehr hohe Reichweite hat (30+ Kilometer mit Standard-Geschossen), ist sie zudem gut für „Verteidigung in der Tiefe“ geeignet und der Einsatz einer einzelnen oder einer kleinen Zahl taktischer Atomwaffen gegen eine gut mit Artillerie ausgestatteten Frontlinie hätte wohl kaum durchschlagenden Erfolg. Polen beschafft zur Zeit zum Beispiel eine dreistellige Anzahl selbstfahrender Artillerie, keine Atomwaffen.

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Taktische Atomwaffen gegen eine Atommacht einzusetzen ist höchst gefährlicher Unsinn. Daran sollte man nicht mal denken und erst recht nicht damit drohen. Auch ich hab sehr geschluckt, als ich diese Aussage in der Lage gehört habe.

Keine Frage. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat das vorherrschende bequeme pazifische Denken in Deutschland gehörig auf den Kopf gestellt. Umso wichtiger ist es nicht jedes Maß zu verlieren. Ich habe auch keine Idee, aber das Gewalt Gegengewalt erzeugt und mehr Waffen (oder Größere, Stärkere, Dollere) nicht automatisch mehr Frieden bringen ist leider trotzdem immer noch wahr.

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kurzer Hinweis. Ich glaube du hast dich bei der Aussage“ Russland hat eine vergleichbare Waffe mit 44 Tonnen Sprengkraft, so viel wie größere taktische Atomsprengköpfe.“ um den Faktor 1000 vertan. größere taktische Kernwaffen haben eher 44 kilotonnen TNT-äquivalent. Die kleinste jemals gezündete Kernwaffe hatte ein Sprengkraft von circa 20 Tonnen. die meistens kleinere Kernwaffen haben weitaus größere Energien als die größten konventionellen Bomben haben können.

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Ja, stimmt. Korrigiere ich.

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Ja, und über genau solche Fälle reden wir doch hier.
Wir reden hier nicht über „Frankreich sollte taktische Nuklearwaffen einsetzen, um einen Vorteil im Krieg zu erhalten“, sondern über das alte NATO-Szenario „eine riesige russische Panzerarmee, die mit keinem anderen Mittel aufgehalten werden kann, rollt in NATO-Gebiet ein“. In diesem Fall wäre die Existenz der baltischen Staaten sofort und unmittelbar massiv und unbestreitbar bedroht.

Wie gesagt, es ist Teil der NATO-Atomdoktrin und auch Teil der russischen Atomdoktrin, im Falle eines konservativen Angriffs, welcher die Existenz des Staates gefährdet (egal ob eines baltischen Staates oder Russlands), Atomwaffen einzusetzen. Das ist Teil der nuklearen Abschreckung gegen konventionelle Kriege, eben weil Atomwaffen nicht nur Atomwaffenangriffe abschrecken sollen (ich zitiere mal die NATO-Atomdoktrin:

Du solltest nochmal überlegen, was genau in der Lage kritisiert wurde. Ich mache es mal ganz simpel:
Das Problem ist, dass Frankreich nur „dicke Dinger“ hat, die geeignet wären, einen massiven Atomkrieg herbeizuführen. Russland könnte davon ausgehen, dass Frankreich diese „dicken Dinger“ nicht im Falle eines konventionellen Angriffs einsetzen würde, weil das quasi das Ende der Welt bedeuten würde. Folglich haben diese „dicken Dinger“ keine Abschreckungswirkung gegen konventionelle Angriffe.

Die USA haben auch „kleine Dinger“. Russland muss davon ausgehen, dass die USA diese „kleinen Dinger“ gegen einen konventionellen Angriff einsetzen würde. Deshalb haben diese „kleinen Dinger“ eine Abschreckungswirkung gegen konventionelle Angriffe, die die „dicken Dinger“ nicht haben. Diese Abschreckungswirkung wäre verloren, wenn die USA ihren nuklearen Schutzschirm über Europa abziehen würden. Das ist die Argumentation.

Die Argumentation ist nicht, dass es irgendwer gut oder verhältnismäßig fände, Atomwaffen gegen eine anrollende russische Panzerarmee einzusetzen. Die Argumentation ist, dass gerade die Abschreckungswirkung dazu führen soll, dass diese Waffen nie eingesetzt werden müssen.

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Deine Unterscheidung (und by extension auch die in der Lage) zwischen „dicken Dingern“ und „kleinen Dinger“ und ihrem unterschiedlichen Effekt ist aber eben komplett spekulativ. Warum sollte Russland im einen Fall davon ausgehen, dass die nicht verwendet werden, und im anderen schon?

Ich denke Russland kann sicher davon ausgehen, dass die USA, zumindest unter dem aktuellen Präsidenten, die „kleinen Dinger“ nicht gegen einen konventionellen Angriff einsetzen würden. Und das ist auch gut so. Das Eskalationsrisiko ist viel zu hoch.
Vielleicht funktioniert diese Form der Abschreckung gegenüber Staaten ohne Atomwaffen, aber nicht gegenüber Russland.
Die USA haben allerdings genug „konventionelle“ Waffen, die Russland davon überzeugen sollten keinen Krieg gegen sie anzufangen.

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Das stimmt aber nicht. Die von der französischen Luftwaffe eingesetzten Nuklearsprenglöpfe haben eine variable Sprengkraft von 100 bis 300 Kilotonnen. 100 kt ist im Übergangsbereich zwischen taktischen und strategischen Nuklearwaffen und hätten einen Feuerballradius vom gut einem halben Quadratkilometer. Also nicht gerade das ganz „dicke Ding“. Ich würde stark bezweifeln, dass eine 100kt Explosion alleine ausreicht, um eine gut befestigte und „in der Tiefe“ angelegte Frontlinie zu durchbrechen (die russischen Verteidigungslinien in der Ukraine sind beispielsweise mehrere dutzend Kilometer tief). Auch eine Offensive mit tausenden Panzern, zu der die sowjetische Armee in der Lage gewesen wäre (die russische aber nicht), wäre auf einer erheblich breiteren Front als 0,5 km2 abgelaufen.

Das ist unter Konfliktforschern eine extrem umstrittene Annahme. Die meisten Stimmen, die ich dazu kenne, gehen nicht davon aus das ein „kleiner“ Atomwaffeneinsatz vor einer totalen nuklearen Eskalation schützt.

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Die französichen nuklearen Marschflugkörper sind nicht für einen taktischen Einsatz konzipiert, sondern sollen vielmehr als eine Art Warnschuss dienen. Zumindest wenn man diesem Verteidigungsanalysten, der auch youtube-videos macht, glaubt.
French Defence Strategy & Rearmament von Perun

Das Prinzip läuft folgendermaßen: Eine gegnerische Macht glaubt den nuklearen Drohungen Frankreichs nicht und setzt ihr aggressives Verhalten, das Frankreich als existenzbedrohend ansieht, fort. Um deutlicht zu machen, dass die nukleare Drohung sehr ernst ist, beschießt frankreich mit einem Marschflugkörper ein militärisches Ziel. Damit will es zeigen: Wir haben Atomwaffen und wir werden sie einsetzten, auch wenn ein Überschreiten der nuklearen Schwelle politische Nachteile zur Folge hat.

BTW ich glaube dieser Thread gehört zur Folge 368 nicht 358

Weil man die „Dicken Dicker“ aka Strategische Atomwaffen nur für zwei Dinge verwenden kann: Einen atomaren Erstschlag oder einen atomaren Vergeltungsschlag.

Wie kommt man darauf? Die Antwort lautet Spieltheorie: Würde Frankreich strategische Waffen zur Verteidigung gegen einen konventionellen Angriff durch Russland nutzen, was selbstverständlich physikalisch Möglich ist, würde Russland vor dem Dilemma stehen, dass es diese Nutzung (Verteidigung gegen konventionellen Angriff) nicht von einem atomaren Erstschlag unterscheiden kann.

Raketenstart ist nunmal Raketenstart. Und selbst wenn Frankreich vorher einen Brief schreibt und sagt wir verteidigen uns hier nur, das könnte ja gelogen sein.

Da nur eine begrenze Zeit für einen atomaren Vergeltungsschlag verfügbar ist, müsste sich nun Russland innerhalb von ~10 Minuten entscheiden wie man reagieren soll, und diese Entscheidung kann eben gut ein atomarer Vergeltungsschlag sein.

Würde also Frankreich es überhaupt wagen die Rakete abzuschießen? Vermutlich nicht.

Taktische Atomwaffen dagegen kann man schlecht mit strategische verwechseln, schon alleine deswegen weil man sie vermutlich erst am charakteristischen aufsteigendem Pilz erkennt wenn sie ihr Ziel erreicht haben. D.h. es besteht hier nicht die quasi-automatische Atomkriegsgefahr.

Wie schon mehrfach geschrieben besitzt Frankreich auch Luft-Boden Raketen, die im Flugverhalten nicht von konventionellen Marschflugkörpern zu unterscheiden sind, aber mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können.

Da sind wir uns vollkommen einig, siehe den letzten Absatz in meinem Beitrag. Ich wollte vor allem den Unterschied zwischen strategischen ballistischen Raketen und taktischen Waffen herausarbeiten.