LdN 327 Wahlrecht / 5%-Hürde ganz streichen?

Gregor Gysi fordert die Hürde auf 3,0%–3,5% abzusenken:
https://twitter.com/GregorGysi/status/1639261312311087106

Was passiert eigentlich, wenn keine Partei die 5%-Hürde schafft? Neuwahlen?

Was passiert eigentlich, wenn genau eine Partei mit 5,0% die 5%-Hürde schafft? Erhält diese Patei dann 100% der Bundestagsmandate und darf dann nach Belieben die Verfassung ändern?

Das sieht mir nach einem fundamentalen Konstruktionsfehler des neuen Wahlrechts aus. (Mit dem bisherigen Wahlrecht hätte sich „immerhin“ die 299 Wahlkreissieger (+Ausgleichsmandate?) zu einem neuen Bundestag konstituieren können.)

Ja, denn Mandate werden unter den Parteien verteilt, die die Sperrklausel überwunden haben. Nein, denn für eine Verfassungsänderung braucht man zusätzlich noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat.

Das Beispiel ist aber arg akademisch, denn spätestens in dem Fall wäre der gesellschaftliche Unmut so groß, dass diese Partei nicht wirklich regieren könnte.

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Ja ist es, aber diesen Bug sollte man zeitnah mit einem Hotfix beheben, indem ein Fallback eingebaut wird. :wink:

Es ist ja nicht so, dass es keine strikt besseren Optionen gäbe. Beispielsweise: Es ziehen immer mindestens die drei stärksten Parteien in den Bundestag ein, egal wie viel Prozent sie geholt haben.

Anmerkung: Ich würde für mindestens die stärksten fünf Parteien plädieren um etwas mehr Pluralismus zu erzwingen, aber das geht dann über den eigentlich Hotfix hinaus.

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Wenn dann auch CDU/CSU + FDP + Grüne + Eine Hand voll Kleinpateien oder andere Kombinationen eine Kanzlermerheit bilden können. Ich fürchte, dann währen wir heute noch nicht mit der Koalitionsbildung fertig.
Hinzu kommt, das diese Kleinparteien einen Auftrieb bekommen würden.Ihre reellen Chancen an der Regierung beteiligt zu werden würde sie relevant machen.
Die Handlungsfähigkeit währe tatsächlicht schwer eingeschränkt.

vielleicht würde dadurch aber auch die Hemmung fallen Minderheitsregierungen zu etablieren; für jeden Gesetzentwurf müssen neue Mehrheiten gefunden werden; das könnte man auch als demokratiefördernd verstehen.

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Wieso? Die drei Ampelparteien hatten ein Interesse daran, dass Merkel nicht weiter Bundeskanzlerin bliebe und wir haben in der BRD die sinnvolle Regelung, dass nur konstruktive Misstrauensvoten möglich sind. Ein bunteres Parlament hätte eher eher einen stabilisierenden Effekt auf Regierungen.

Ich denke, dieses „die Kleinparteien würden Auftrieb bekommen“ ist ein Grund für die Abschaffung der 5%-Hürde. Derzeit zwingen wir WählerInnen von Parteien nahe der 5%-Hürde (FDP, Linke, CSU, auf Landesebene auch Grüne und vielleicht bald SPD) zum Zocken: Wenn mich von Personal und Programm einer Partei überzeugt, aber ich nicht sicher bin, ob sie ins Parlament kommt, dann muss ich entweder riskieren, dass meine Stimme nichts mehr wert ist, oder ich muss jemand anderes wählen. Solche spieltheoretischen Aspekte sollten aber nichts mit der Wahlentscheidung zu tun haben und mathematisch ist das auch völlig unnötig. Man sieht an der Europawahl auch ganz gut, wie Wahlentscheidungen ausfallen, wenn Menschen einmal die Parteien wählen dürfen, die sie überzeugen: Im wesentlichen das gleiche Ergebnis, aber alle sind zufriedener, weil keine kommischen Sondereffekte passieren.

Wieso in Gottes Namen sollen die Stimmen von 2.322.101 Menschen so behandelt werden, als wären diese Menschen gar nicht zur Wahl gegangen, während eine Partei mit 2.322.102 Stimmen in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen darf!

Wenn man Angst vor Kleinparteien hat, dann wäre die vernünftige Lösung den Bundestag auf ein international übliches Maß von z.B. 299 Sitzen zu schrumpfen. Dann steigt auch die Hürde für den Einzug ins Parlament.

Der Vollständigkeit halber ist hier noch einmal eine Simulation der 2021er-Zweitstimmenergebnisse bei reiner Verhältniswahl im Saint-Laguë-Rundungsverfahren in einem Bundestag mit 299 MdB. Es wären ca. 153.000 Stimmen für einen Bundestagssitz nötig und wir hätten:

  • SPD 77 MdB
  • CDU 56 MdB
  • Grüne 44 MdB
  • FDP 34 MdB
  • AfD 31 MdB
  • CSU 15 MdB
  • Die Linke 15 MdB
  • Freie Wähler 7 MdB
  • Tierschutzpartei 4 MdB
  • dieBasis 4 MdB
  • Die PARTEI 3 MdB
  • Team Todenhöfer, Piraten, Volt, ÖDP: je 1 MdB

Weiterhin hätte die Ampel eine Mehrheit.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erscheint mir, dass sich die im Bundestag vertretenen Parteien mit dem Festhalten an der 5%-Hürde einen nicht gerechtfertigten dicken Schluck aus der Pulle gönnen: Man plustert den Bundestag auf und baut dennoch immer größere Hürden für andere Parteien.

Demokratie fördert man so nicht gerade …

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Ich sehe das ähnlich. Mich verwundert die These, die Grundmandatsklausel sei ein Bruch mit dem Verhältniswahlrecht. Eine Partei, die dank dreier Direktmandate mit 39 Sitzen einziehen darf, wird nicht übervorteilt, es werden ihr lediglich die ihr nach Zweitstimmenergebnis zustehenden Sitze nicht weggenommen. Die GMK verringert ein Stückweit den Effekt des eigentlichen Systembruchs, der 5%-Hürde. Über die 5%-Hürde wird scheinbar gar nicht diskutiert.

Ich bin mir sicher, jede Partei, die mit 4,5% an der 5%-Hürde scheitert, scheitert weil mehr als 0.5% der Wähler*innen aus Angst vor einer verlorenen Stimme eine andere Partei gewählt haben.

Ich verstehe auch, dass es in einem intrinsisch zu Polarisierung neigenden Politiksystem(*) notwendig ist, einer zu starken Zersplitterung des Parlaments entgegenzuwirken. Aber es gibt doch auch Mittelwege zwischen Abschaffen der 5%-Hürde und ersatzlosem Verfall der Stimmen, z.B. die Ersatzstimme.

Wenn die Ersatzstimme zu kompliziert ist, wie wäre es wenn einfach die Parteien, die an der 5%-Hürde scheitern, (vor der Wahl verkündet) entscheiden dürfen, welcher (stimmenmäßig) größeren Partei(en) ihre Stimmen zugerechnet werden sollen? Dann würden die Stimmen der NPD der AfD, die Stimmen der Klimaliste und der Tierschutzpartei den Grünen, die Stimmen der freien Wähler der CDU, etc zugerechnet. Oder halt auch auf mehrere nahe Parteien aufgeteilt. Dann würde die Linke, falls sie dann immernoch unter 5% liegt, ihre Stimmen irgendwie auf SPD und Grüne aufteilen. Die Probleme der CSU mit der GMK wären weiterhin da, hier hätte das die spannende Konsequenz, dass die Landesliste der CDU in Bayern plötzlich mutmaßlich alle CSU-Stimmen bekäme, sodass die CSU-Direktkandidaten immernoch nicht im Bundestag vertreten wären, aber zumindest wären die Stimmen nicht plötzlich irrelevant.

Damit hätte ich als Wähler*in erstmals tatsächlich die Freiheit, die Partei zu wählen, die ich tatsächlich am besten finde, wissend dass wenn es mit den 5% nicht klappt, meine Stimme an die (eine der) nächstbeste(n) Partei(en) geht, statt kleine Parteien von vornherein in meiner Entscheidungsfindung ausschließen zu müssen (was, da alle Wähler*innen von kleinen Parteien vor der gleichen Misere stehen, effektiv bedeutet, dass die kleinen Parteien nicht de jure, aber doch de facto ihrer Chance beraubt werden, Einfluss zu nehmen).

(*) es gibt auch demokratische Entscheidungsverfahren, die weniger polarisierend wirken (um dem Shitstorm vorzubeugen: Es geht niemandem darum, Wahlen durch Lose zu ersetzen, wenn überhaupt, zu ergänzen!)

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Warum wird nicht folgender Vorchlag gemacht: Parteien, die in, beispielsweise, 10 Bundesländer antreten haben nur die 5%-Hürde und keine Grundmandartsklausel. Parteien die unter dieser Zahl sind haben diese Grundmandartsklausel. Ich verstehe nicht, warum das Wahlrecht unter parteipolitischen Realitäten diskutiert wird. Viel mehr sollte man diese Probleme erst im zweiten Schritt untersuchen, denn ein Wahlrecht sollte möglichst allgemein gelten und sich nicht auf irgendwelche Wahlverhalten konzentrieren. Ich fände diesen Vorschlag aber fairer. Denn eine Partei, die Bundesweit antritt, aber sich verzweifelt an die 5% Hürde klammert, wie die Linke, sollte sich dann schon fragen, wie man nicht eher 5% erreicht. Die CSU tritt nunmal eben nur in Bayern an und sollte deswegen gesondert „gesichert“ werden. Oder sie macht einfach gleich mit der CDU gemeinsame Sache. Mein Vorschlag bezieht sich aber auf alle kleinen Parteien, damit die regionale Repräsentation erreicht werden kann.

Könnte es sein, dass die Abschaffung der Grundmandatsklausel ein Manöver der FDP war? Ich kann mir vorstellen, denen war die ganz schön ein Dorn im Auge, dass anderen Partei nahe der 5% diese helfen kann, ihnen aber nicht.

Mit der Abschaffung haben sie jetzt genau die Diskussion um die 5% Hürde. Auch Die LINKE fordert nun eine Herabsetzung. Hätten sie das aber gleich gemacht, hätten alle Lex FDP geschrien. So wird die Herabsetzung der 5% Hürde nun zu einem Zugeständnis an CSU und Die LINKE.

Kleine Korrektur noch zu dem Gesagten im Podcast: Die Grundmandatsklausel war bislang für die CSU irrelevant. Ihr habt gesagt, sie sei für die CSU eine Art Überlebensgarantie gewesen. Das war sie aber gar nicht, weil nach dem alten Wahlrecht, ja alle Wahlkreise zugeteilt wurden. Sie wäre es erst geworden, wenn wie jetzt nicht mehr alle Wahlkreise unter allen Umständen zugeteilt werden.

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Sehr gut beobachtet. Das könnte auch erklären, warum aus der FDP so wenig Sinnvolles zum Hintergrund der Abschaffung der GMK zu hören war :wink:

Zunächst mal: Der Kandidat 2021 der CDU war Armin Laschet. Merkel ist nicht mehr angetreten. Aber geschenkt, es ging um eine Alternative zur GroKo.

Warum glaubst du, die Ampel hätte sich so wie heute zusammengefunden?
CDU/CSU+FDP+Grüne+Freie Wähler wäre auch eine Alternative.
Koalitionen währen möglich, aber sehr viel wackliger als jetzt. Und ohne Koalitionen wird es schwer zu regieren, denn um einen Kanzlerin zu wählen brauchst du 51 % der Mandate im Bundestag. Wenn man die nicht zusammenbekommt, gibt es keine neue Regierung. Die alte Regierung bleibt kommissarisch zwar im Amt, aber der Wählerwille ist das ja auch nicht. Dazu gibt es immer Parteien, meistens am rechten Rand, die sich ausrechnen, bei einer Neuwahl besser abzuschneiden. Vor allem dann, wenn sie sehr effektiv, neue Gesetze blockieren können. Spätestens, wenn der nächste Haushalt verabschiedet werden muss, hast du ein Problem. Der Ruf nach dem starken Staat wird dann üblicherweise immer lauter.

Dem ist ja nicht so. Die kleinen Parteien bekommen pro Stimme Wahlkampfhilfe vom Staat. Bei der nächsten Wahl haben sie bessere Chancen, weil ihre Stimme lauter wird. Außerdem werden ihre Themen, wenn sie genügend Anklang finden, von den anderen Parteien aufgegriffen.

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