LdN 297- Abtreibungsverbot Paragraph 218

Ich höre die Lage wirklich gerne, möchte mich aber zu eurer Auseinandersetzung mit dem Thema Abtreibungsverbot in Deutschland kritisch zu Wort melden. Schon zur Debatte um 219a in der letzten Legislaturperiode habe ich bei euch leichtes „Unverständnis um die Aufregung“ wahrgenommen, und in der letzten Podcastfolge schließt ihr auch wieder mit „warum tobt diese feministische Debatte denn überhaupt noch“ denn „im Ergebnis kann ja jede schwangere Person in Deutschland abtreiben“. Darüberhinaus sprecht ihr von der „Emotionalität“ der ihr nachsteigen möchtet.

Ich finde dass die von euch genannten Argumente auch ohne jegliche Emotionalität sehr gut aufzeigen sollten warum 218 problematisch ist. De facto ist Abtreibung in den meisten Fällen immer noch nur „straffrei“ nicht „legal“. Allein diese Tatsache trägt zu einem wahnsinnigen gesellschaftlichen Stigma bei. Diese sehr gute Recherche von correctiv.org unterstreicht darüber hinaus den schwierigen Zugang zu Abtreibungen in Deutschland einmal mehr.
Abtreibungen in Deutschland – Erfahrungsberichte und Datenbank

Außerdem erwähnt ihr die Kosten (keine Kostenübernahme durch die Krankenkasse) nur am Rande: Correctiv.org nennt hier einen Rahmen von 200-600€ die man sich erst einmal leisten können muss, und die den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland schlicht und ergreifend auch zu einer Klassenfrage machen. Kennt man Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, hat man die Möglichkeiten sich vernünftig zu informieren (ja, dies sollte nun hoffentlich besser werden durch die Streichung von 219a) und zu guter letzt - kann man es sich schlicht und ergreifend leisten. (Na klar, man kann dann argumentieren ein Kind auszutragen wird mittelfristig noch viel teurer, aber das kann hier nicht der Punkt sein).

Zum Ersatz von 218:
Für mich klingt die Antwort auf die Frage was Paragraph 218 ersetzen sollte relativ offensichtlich.Wie ihr schon sagt gibt es glaube ich keine große Debatte um den Zeitpunkt der Abtreibung (diese Debatte kann man dann ja führen). Was mit einem neuen Gesetz jedoch sichergestellt werden muss ist a) die explizite Ausbildung von ÄrztInnen (bspw explizite aufnähme ins Medizinstudium) und damit einhergehend auch die Versorgungsdichte in Deutschland zu erhöhen; b) Abtreibungen als Kassenleistung; c) Beratung FREWILLIG zu gestalten… also genau die Argumente die ja schon die ganze Zeit diskutiert werden? ich finde es nicht fair hier zu sagen „es ist immer leichter gegen etwas zu sein als für etwas“, diese Maßnahmen ergeben sich doch sehr glasklar aus der Kritik.

Zu guter letzt finde ich die von euch formulierte Angst, mit der Diskussion um Abtreibung einen konservativen Backlash auszulösen äußerst alarmierend. Für mich klingt das nach „klein bei geben damit wir rechte Kräfte nicht erzürnen“ - eine ähnliche Argumentation würde niemandem beim Kampf gegen Rassismus oder anderen Debatten zur Unterdrückung einzelner gesellschaftlicher Gruppen in den Sinn kommen.

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Menschen mit keinem oder geringen Einkommen können einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Ob es praktische Probleme bei der Erstattung gibt, kann ich nicht sagen, ein grundsätzliches Hindernis sind Kosten wohl nicht.

Ich hatte es nicht so verstanden, dass Philipp und Ulf die radikalen Abtreibungsgegner als besonders relevante Gruppe sehen.
Sollte allerdings der Versuch unternommen werden, Abtreibungen unabhängig vom Alter des ungeborenen Kindes zu legalisieren, würden sich dagegen gesellschaftlicher Widerstand regen, der weit über diese Gruppe hinausgeht.

Also wenn du schon so argumentierst, müssen wir das auch juristisch richtig durchziehen.

Im Strafrecht haben wir die Begriffe „Strafbar“/„Straffrei“, „Rechtfertigungstatbestände“ und „Entschuldigungstatbestände“. Straffrei ist grundsätzlich alles, was nicht explizit strafbar ist (siehe §1 StGB: „Keine Strafe ohne Gesetz“).

§ 218 StGB konstituiert eine generelle Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs.

§ 218a Abs. 1 StGB („Fristenlösung“) schließt diese Strafbarkeit hingegen aus. Daher: Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen der Fristenlösung erfüllen bereits den Tatbestand des § 218 StGB nicht („Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn…“). Da hier schon der Tatbestand nicht erfüllt ist, ist die Tat auch nicht „strafbar“, daher braucht es auch keine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, um zur Straffreiheit zu kommen.

§ 218a Abs. 2 StGB („Indiktionslösung“) hingegen hebt den Tatbestand nicht auf. Hier ist der Schwangerschaftsabbruch weiterhin strafbar, aber gerechtfertigt („Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn…“). Damit gilt für ihn das gleiche, wie z.B. für eine in Notwehr begangene Körperverletzung: An sich ist die Tat („Körperverletzung“) strafbar, aber in der konkreten Situation soll sie erlaubt sein.

Kurzum:
„Nicht straffrei, nur legal“ ist kein gutes Argument, weil es ein Argument auf juristischem Boden ist, welches sich nicht an juristische Spielregeln hält.

Inhaltlich stimme ich dir jedoch zu, dass die Konstituierung einer Strafbarkeit mit darauffolgender Aufhebung der Strafbarkeit das Problem erzeugt, dass es eine gesellschaftliche Stigmatisierung nach sich ziehen kann - und einfach auch verhältnismäßig juristisch unsauber ist. Ich würde daher vorschlagen, entweder den § 218 grundsätzlich so anzupassen, dass er nur Schwangerschaftsabbrüche nach der 12ten (oder gar 24sten) Woche sowie Schwangerschaftsabbrüche gegen den Willen der Frau überhaupt pönalisiert, letzteres ließe sich alternativ auch zu § 226 StGB („Schwere Körperverletzung“) als weitere Fallvariante hinzufügen. Oder fändest du es wirklich gut, wenn ein Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Frau (z.B. in besonders archaischen Familien) nicht strafbar wäre?

Naja, die Frage muss schon geklärt werden. Also ob wir bei einer 12-Wochen-Lösung bleiben und später nur in Sonderfällen über Rechtfertigungsgründe agieren oder ob wir generell eine 24-Wochen-Regelung einführen (und natürlich weiterhin Sonderregeln für Abbrüche nach der 24sten Woche beibehalten).

Ganz ohne Fristenlösung geht es halt nicht, sonst wäre die Konsequenz, dass die Frau noch im Kreißsaal sagen könnte: „Holt es raus, aber tötet es vorher!“ und das wäre legal, während das Töten nach der Geburt ein Verbrechen wäre. Also die Strafbarkeit an eine abstrakte Regelung (z.B. 24ste Woche) anzuknüpfen ist deutlich sinnvoller als die Strafbarkeit nur an die Tatsache „im Mutterleib“ oder „außerhalb des Mutterleibs“ anzuknüpfen.

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Ich halte es für falsch, das Thema „Schwangerschaftsabbruch“ mit dem Thema „Rassismus“ gleichzusetzen. Beim Thema Rassismus sollte alleine schon im Hinblick auf die Menschenwürde klar sein, dass es ein eindeutiges „richtig“ und „falsch“ im Sinne unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gibt. Rassismus ist daher ganz klar unerwünscht und ein Problem, das bekämpft werden kann, darf, soll und muss.

Beim Thema Schwangerschaftsabbruch befinden wir uns jedoch in einer Abwägungssituation zwischen den Rechten der betroffenen Frauen auf der einen Seite und den Rechten des „werdenden Lebens“ auf der anderen Seite. Auch wenn ich klar für eine generelle straffreie Abtreibung bis zur 24sten Woche bin (daher für eine liberalere Lösung, als wir sie aktuell haben) kann ich nachvollziehen, dass andere Menschen das „im Entstehen begriffene“ Leben als schutzwürdiger betrachten und den gesetzlichen Schutz lieber schon früher hätten. Beide Seiten lassen sich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung argumentieren („Frauenrechte“ als Ausfluss des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes vs. „Recht auf Leben“ als Ausfluss der Menschenwürde) und beide Seiten sind erstmal legitim.

Bezüglich der Befürchtung, dass durch zu liberale Abtreibungsregelungen die konservativen Kräfte erstarken könnten, kann man halt sagen, dass das letztlich eine realpolitische Ansicht ist. In einem demokratischen Staat geht es halt immer darum, eine Rechtsordnung zu etablieren, mit der Großteil der Bevölkerung sich arrangieren kann. Niemand mag jedes Gesetz, aber der Großteil der Bevölkerung sollte zu der Einsicht kommen, dass das Gesamtpaket an Gesetzen verteidigungswürdig ist.

Wenn die Politik nun zu sehr nach Rechts oder Links (oder Unten oder Oben im Hinblick auf die Güterverteilung) ausschlägt, ist damit zu rechnen, dass sich eine massive Gegenbewegung etablieren wird. Die sehr konservativen Notstandsgesetze im Rahmen der 68er waren ein Beispiel, das sehr liberale Abtreibungsrecht Roe vs. Wade in den USA ein anderes. Es ist gerade im Hinblick auf das Thema Schwangerschaftsabbruch leider ein Fakt, dass dieses Thema maßgeblich zur Spaltung der amerikanischen Gesellschaft beigetragen hat, daher: Die Evangelikalen haben das Thema über Jahrzehnte gezielt aufgegriffen, um damit Unterstützer zu gewinnen. Ein Teil der Stärke der Evangelikalen liegt vermutlich in Roe vs. Wade begründet, eben weil eine solche, extrem liberale Regelung eben optimal ist, um Leute für eine Gegenbewegung zu rekrutieren.

Hinter der Angst vor einem konservativen Backlash steckt nichts anderes als die Befürchtung, dass das in Deutschland ähnlich laufen könnte. Und das wollen wir denke ich alle nicht.

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Mal von den juristischen Begriffen abgesehen kann ich zumindest für meinen Bekanntenkreis festhalten: die Leute wissen nicht, dass Abtreibung eine Straftat und nur in Sonderfällen straffrei ist. Alle mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe, dachten Abtreibung sei in Deutschland legal. Eine wahnsinnige gesellschaftliche Stigmatisierung sehe ich deshalb nicht. Das Problem ist eher die Implikation des Gesetzes und dass einige Abtreibungsgegner es instrumentalisieren.

Unterhalte dich mal mit einer, die abgetrieben hat abtreiben hat lassen.
Der wird im Beratungsgespräch sehr deutlich gemacht, dass es erst mal eine Straftat ist.
Und auch das Formular, das beim Arzt ausgefüllt werden muss, besagt das wohl recht deutlich, dass es eine Straftat ist, die mit Haft bestraft werden kann. Im nächsten Absatz dann der Hinweis, dass es nach einem Beratungsgespräch legal sein kann (ich habe noch keines gesehen und muss mich deshalb auch auf Aussagen stützen).

edit: gerade merke ich, wie wir sogar sprachlich die Frau zur Täterin machen

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Hier sind wir beim ‚Intersektionalismus‘ angekommen. Ohne jetzt pöbeln zu wollen: Bist du vielleicht von keinem von beiden betroffen? Mir geht es so, und ich sehe das ca. ähnlich wie du.

Einer Person die von zumindest einer der Diskriminierungen betroffen ist, die kann vielleicht viel eher erkennen warum es da Ähnlichkeiten gibt, weil sich diverse Details eher im Konkreten als im Abstrakten ergeben und es für uns weisse Männer (unterstelle ich mal) meist kein Problem ist. Bist du von beidem betroffen, dann ergeben sich vielleicht mehr Ähnlichkeiten als wir ‚Almans‘ so denken.

Oder anders gesagt: Es handelt sich um die Wiederherstellung der Menstruation.

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