LdN 296 - Taktieren der FDP und anderer Parteien

Hallo Philip und Ulf,

bei Eurer Diskussion der Motive für das aktuelle Abstimmverhalten der FPD und auch für die Motive der Reaktion anderer Parteien habt auch Ihr nicht das Wohlergehen Deutschlands genannt - dass es z.B. ggf. für Deutschland im Moment nicht gut wäre, gäbe es die Unsicherheit von Neuwahlen etc.

Ist es mittlerweile so normal, dass die Aufgabe, für die die Parteien letztendlich da sind, nämlich Deutschland so gut wie irgend möglich zu regieren, bei diesen taktischen Erwägungen gar keine Rolle mehr spielt - dass es gar nicht erwartet wird?

Irgendwann ist es halt egal mit den Unsicherheiten. Die Ampel hatte einen Auftrag: CO2 Grenzen einhalten und dabei das Soziale nicht an die Wand fahren lassen. Sie versagen in allen Bereichen und die FDP hat halt hier einen ordentlichen Anteil.

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Leider ist das in allen Demokratien zu beobachten.

Wenn man sich die Politik von SPD und CDU die letzten Jahre anschaut wird eigentlich klar, dass häufig beide Parteien das gleiche tun - und während die CDU die gleiche Sache, wenn sie regiert, verteidigt, wird sie sich tierisch echauffieren, wenn die SPD das gleiche als Regierungspartei tut und die CDU in der Opposition ist.

Das deutlichste Beispiel war die Impfpflicht, die von der CDU in der Regierung gefordert wurde, dann aber von der CDU in der Opposition abgelehnt wurde, weil sie von der SPD vorgeschlagen wurde und man es lieber politisch ausschlachten wollte. Auch alle die Manöver, die Lindner aktuell tut, um die Krisen zu bewältigen und die Schuldenbremse einzuhalten (z.B. die Umwidmung der Corona-Sonderkredite), würde die FDP, wenn sie in der Opposition wäre, als „Verfassungsbruch“ kritisieren und dagegen vor das BVerfG ziehen, wie es jetzt halt die CDU macht. Würde die CDU regieren, würde sie das gleiche tun, was die SPD nun tut, und die SPD würde sich aufregen.

Es ist traurig, aber leider nicht neu. Ich persönlich würde mir auch viel mehr Sachpolitik im Bundestag wünschen, leider überwiegt aber die Parteipolitik. Siehe zum Beispiel das Sondervermögen Bundeswehr, wenn Merz dabei androht, dass die CDU nur so viele Stimmen leihen wolle, wie zwingend nötig sind, um die Regierung zu zwingen, Einig zu sein. Man muss sich das mal vor Augen führen: Die CDU droht, zu riskieren, dass ein Projekt, dass absolut in ihrem Interesse ist, versandet, weil sie es parteipolitisch ausschlachten und die Regierung vorführen will. Was für eine Prioritätensetzung… Solche Dinge gehen meines Erachtens einfach gar nicht, sind aber leider Normal in einer Parteiendemokratie…

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Würden Sie das auch für Konkordanzdemokratien wie beispielsweise die Schweiz sagen?

  1. Ich verstehe nicht was uns in dem Kontext CO2 und Soziales die deutsche Handelsbilanz sagen soll.
  2. Ich denke das haben sich alle aktuellen Regierungsparteien vorher ganz anders vorgestellt, wie die Weltlage aussieht. Gasembargo/-krise, Lieferkettenprobleme, Krieg in Europa, die Liste ist sicherlich viel länger. Alles total kontraproduktiv sowohl für das Klima als auch die sozialen Umstände im Land. Nur sind zumindest die Grünen 16 Jahre nicht mehr an der Regierung gewesen, die FDP 8 Jahre nicht. Sie müssen nun das ernten was vorher gesät wurde (sprich eine total verfehlte Klimapolitik)

Das ist typisch deutsches Denken. Stabilität = Gut. Das hat uns wohl auch zu 16 Jahre Merkel und 16 Jahre Kohl geführt. Der Deutsche liebt Stabilität über alles. Fragt sich, wo hat es uns hin gebracht. Sicherlich zu einem ökonischen Schwergewicht in Europa. Aber auch in ein Niedriglohnland, ein Land mit extremen sozialen Gefällen, ein Land das sich abhängig gemacht hat von vielen zwielichtigen sogenannten „Partnern“ (Russland, China, Saudi Arabien, Katar, etc).

Taktieren gehört natürlich zur Politik. Etwas anderes zu erwarten ist doch arg naiv.

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Da stimme ich vollkommen zu. Das ist auch der Grund, warum ich so überzeugt von Demonstrationen und direkter Demokratie bin. Damit in Deutschland so etwas wie der Atomausstieg oder das Verhindern von TTIP gelingt, muss man die Menschen zu Hunderttausenden auf die Plätze der Republik bringen, so dass das das erste Thema abends in der Tagesschau ist. Und das am besten mehrmals.

So etwas wirkt, da gibt es dann auch keine parteipolitischen Überlegungen oder Lobby-Interessen, die das noch aufhalten können. Nur wenn die Parteien wissen, diese und jene Position kostet uns richtig Wählerstimmen, dann ändert sich auch was.

ChristianE:
Das ist typisch deutsches Denken. Stabilität = Gut. Das hat uns wohl auch zu 16 Jahre Merkel und 16 Jahre Kohl geführt. Der Deutsche liebt Stabilität über alles. Fragt sich, wo hat es uns hin gebracht. Sicherlich zu einem ökonischen Schwergewicht in Europa. Aber auch in ein Niedriglohnland, ein Land mit extremen sozialen Gefällen, ein Land das sich abhängig gemacht hat von vielen zwielichtigen sogenannten „Partnern“ (Russland, China, Saudi Arabien, Katar, etc).

Ich wollte für meinen Fall erst vehement widersprechen - aber vielleicht hast Du recht. Ich wünsche mir im Moment bei den ganzen Krisen keine weitere innerdeutsche Disruption und ich weiß auch nicht, ob wir sie uns leisten könnten. Nichtsdestotrotz könnten Neuwahlen auf längere Sicht besser sein.

Allerdings war das nur ein Beispiel, um zu verdeutlichen, dass die Parteien sich auch mal um gemeinsame Ziele kümmern sollten, statt nur um ihre eigenen Befindlichkeiten.

Taktieren gehört natürlich zur Politik. Etwas anderes zu erwarten ist doch arg naiv.

Taktieren vielleicht schon, wenn aber die ganze Welt nur noch aus Katastrophen besteht (so sehe ich das), sollte parteipolitisches Taktieren, bewusstes Verbreiten von Halbwahrheiten etc. vielleicht mal hintenan stehen. Und das gilt für Regierung und Opposition.

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Keine Frage, die große Frage ist hingegen die der Prioritätensetzung. Und die ist oft arg problematisch.

In erster Linie sollte jeder Politiker sich dem Volk verpflichtet fühlen - danach folgt dann meinetwegen das Parteiinteresse. Aber wenn in einer globalen Pandemie, einem Angriffskrieg in Europa oder einer massiven Wirtschaftskrise die Parteiinteressen dem Gemeinwohl übergeordnet werden, haben wir ein Problem mit der Prioritätensetzung.

Nebenbei schadet das Verhalten der Parteien schlicht ihrer Glaubwürdigkeit. Daher: Wenn eine Partei das gleiche Verhalten, das sie selbst in der Regierung an den Tag legt, aus der Opposition heraus scharf kritisiert, verspielt sie damit ihre Glaubwürdigkeit und die Glaubwürdigkeit der Demokratie als Ganzes. Damit tun sich die Parteien langfristig auch keinen Gefallen, sondern es ist das typische Problem, dass kurzfristig vorteilhaft erscheinende Maßnahmen („Jetzt der Regierung einen Reinwürgen!“) langfristig durch den Glaubwürdigkeitsverlust und den Vertrauensverlust in die Demokratie nachteilig werden. Diese Weitsicht fehlt aber eben, wenn man das Primärziel einer Partei ist, bei der nächsten Wahl um jeden Preis zu gewinnen.

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Interessante Sichtweise: Wenn sie am Ruder sind, machen alle Parteien eh das gleiche und die Opposition opponiert halt? Wenn (!) das so ist, dann ist es aber doch eher ein Zeichen dafür, dass die Lösungen für die aktuellen Probleme einigermaßen alternativlos sind. Ist das so, weil das, was die Regierung tut, wirklich das Beste für‘s Land ist? Oder wird die Regierungspartei aus Parteiinteresse dazu gezwungen?

Oder es bedeutet, dass nur noch in den eingefahrenen Bahnen gedacht wird, am Ende setzt sich immer der Mainstream durch. Die Mehrheit eben, die das ja auch so gewählt hat (im besten Fall).

Allerdings: Wieso geht man überhaupt wählen, wenn ohnehin alle dasselbe tun wenn sie die Regierung bilden? Und das erleben wir ja, mit sinkenden Wahlbeteiligungen und Menschen die sich eben von dem System Demokratie verabschiedet haben.

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Naja, häufig geht es halt um das klassische Problem des Idealismus vs. Realpolitik.

Aus der Opposition heraus ist es leicht, eine Lösung für ein Problem abzulehnen und alles, was die Regierung tut, zu verwerfen - und als Alternative halbgare Konzepte in den Raum zu werfen, die man, wäre man selbst in der Regierungsverantwortung, aber auch nicht praktizieren würde, die sich aber aus der Opposition heraus toll anhören.

Gerade beim Geld wird das halt sehr deutlich. Die Regierung braucht Geld, um irgendwas zu tun - das ist ein kaum bestreitbarer Fakt. Würde die CDU nun regieren, wüsste sie das auch - und würde die Sache mit der „schwarzen Null“, wie schon zu Corona, auch nicht so ernst nehmen. In der Opposition hingegen kann man sich halt über „die hohe Neuverschuldung“ prima aufregen und so tun, als würde man es selbst in der Regierung ganz anders machen, während es geradezu offenkundig ist, dass das reiner Populismus ist.

In der Opposition gibt es keine Sachzwänge - und es ist leicht, so zu tun, als seien all die unbeliebten Maßnahmen, welche die Regierung in Folge von Sachzwängen durchsetzen muss, von der Regierung verschuldet, obwohl man genau weiß, dass man selbst, wenn man in der Regierung mit diesen Sachzwängen konfrontiert wäre, kaum anders handeln könnte.

Zum Beispiel rechne ich es Habeck und den Grünen durchaus positiv an, dass sie jetzt, in der Regierungsverantwortung, in der Gaskrise doch akzeptieren, dass die Kohlekraft etwas stärker genutzt werden muss als zuvor gedacht, was gegen alles steht, für das die Grünen stehen (und damit ein Akt schmerzhafter Realpolitik ist). Aber glaubt jemand ernsthaft, dass die Grünen an dieser Maßnahme, wenn sie von einer Schwarz-Gelben Regierung umgesetzt würde, auch nur ein einziges gutes Haar lassen würden, wenn sie in der Opposition wären?!?

Mich wundert, dass sich nicht einige Journalisten auf solch undemokratisches, ehrloses Verhalten „spezialisieren“ und diese Missbräuche in der Öffentlichkeit sezieren und ihre Verursacher damit konfrontieren. Ich meine, nicht mal schnell fragen und die ausweichende Antwort hinunterschlucken, sondern dranbleiben bis das Blut kommt. Das brächte bestimmt eine deutliche Verbesserung der politischen Kultur und würde der Politikverdrossenheit entgegenwirken.

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