LdN 281/ 100 Mrd mehr für den Wehretat - mit welchen Zielen?

Hallo liebes Lage-Team und an alle im Forum,

vielen Dank für diese interessante Folge. Zu den Kommentaren bzgl „defensiven“ Potentialen und einer „defensiven“ Ausrichtung bei den anstehenden Investitionen habe ich aber das Gefühl ein wenig Kontext geben zu müssen. Ich befürchte falsche Vorstellungen dabei, worum es meiner Meinung nach geht.

Hier ist auch immer wieder auf die Aussagen von Herrn Wiegold verwiesen. Er hat alle wichtigen Punkte angesprochen, aber ich glaube es fehlt ein wenig Kontext.
Es geht nicht darum aufzurüsten, sondern auszurüsten. Das Heer hat aktuell acht Brigaden, daraus sollen keine 15 werden.
Diese Verbände sollen idealerweise immer 100% ihres Materials einsatzbereit verfügbar haben.

Diese Verbände sollen in der Lage sein, das Gefecht der verbundenen Waffen führen zu können. Das sieht man an der Art und Weise, wie diese Verbände aufgestellt sind. Es gibt die Kampfeinheiten (im Schwerpunkt Panzer und Panzergrenadiere) und dann die sogenannten Enabler also Artillerie, Pioniere, Sanität, Fernmelder, Aufklärer etc., die dafür da sind die Kampftruppe in der Ausführung ihres Auftrags zu unterstützen. Dazu gehört im weiteren Sinne auch die Luftwaffe. Diese unterstützt entweder die Landoperationen direkt (Luft-Boden) oder indirekt, indem sie die Luftwaffe des Gegners daran hindert die eigenen Landstreitkräfte direkt zu unterstützen (Luft-Luft).

Wenn man Deutschland aber böse Absichten unterstellen möchte kann man auch behaupten, wir nutzen vermeintlich defensive Luftstreitkräfte und Flugabwehr-Truppen, damit wir selbst eigene vorrückende Verbände besser decken können. Man sieht ja aktuell das der Phantasie bei Propaganda keine Grenzen gesetzt sind.

Es ist vielleicht aufgefallen, dass ich jetzt mehrfach davon gesprochen habe, dass die Luftwaffe und Flugabwehr-Maßnahmen lediglich unterstützende Kräfte sind.

Um es lapidar zu sagen: Krieg wird am Boden geführt und gewonnen. Um es nochmal für die Doktrin der NATO zu präzisieren: Der Verteidigungskrieg.
Das heißt natürlich, eine effektive Flugabwehr ist wichtig, aber nur ein Teil des ganzen.

Das schließt jetzt den Bogen zu meiner einleitenden Erklärung: 100%ige Ausrüstung bei allem Material, was alle Verbände inklusive Reserven brauchen.
Das geht von persönlichem Material wie Kleidung, Schutzwesten/Plattenträgern, Helme, Handwaffen, Nachtsichtgeräte etc bis zum „großen“ Material wie LKW, Panzer, Ersatzteilen usw.

Die Verbände, Strukturen, Vorschriften und Taktiken und mindestens Teile des Geräts existieren alle schon. Ein Panzerbataillon hat schon Leopard-Panzer, ein Artilleriebataillon hat schon Pz2000 oder MARS-II.

Bei den Systemen die sich in der Entwicklung befinden wie z.B die Eurodrohne, FCAS oder MGCS besteht natürlich noch ein gewisser Spielraum im Aufgabenspektrum. Aber wer sich vormacht, man könnte einen Panzer oder ein Kampfflugzeug „missbrauchssicher“ oder „pazifistisch“ konstruieren, der belügt sich selbst. Es kommt auf die politischen Vorgaben und die Grundgesetztreue oder Bedienerinnen und Bediener an.

Hier geht es im Großen und Ganzen aber nicht darum auf einer breiten Ebene Bereiche aufzumachen, für die man sich ganz neu konzeptionieren muss.

Für den Auftrag „NATO-Territorium verteidigen“ brauchen wir von allem wovon wir „wenig“ haben „mehr“, damit wir so viel haben, wie wir auf dem Papier haben sollten. Das betrifft sowohl großes Gerät als auch kleines.

Die Investitionen sind darauf ausgelegt, die Fähigkeit der Bundeswehr zu erhöhen, komplexe verbundene Landoperationen durchführen zu können oder durch die hohe Fähigkeit der Bundeswehr und im übertragenen Sinne der ganzen NATO einen möglichen Gegner vom Beginn eines Krieges abschrecken zu können.

Zukünftige Investitionen in die Bundeswehr also auf „defensive Potentiale“ zu konzentrieren und zu sagen, dass man gucken muss „welche Waffensysteme man jetzt kauft“ impliziert ein falsches Bild. 1000 Stinger oder Patriot-Systeme und 0 (Schützen-/ Transport-)Panzer sind zwar defensiv fokussiert, werden aber trotzdem zu einem verlorenen Krieg führen.

Wir müssen unsere gesamte Palette an Fähigkeiten stärken.

Ich kann absolut nachvollziehen, dass diese ganze Situation unglaublich kontraintuitiv ist. Man hört es ja in der Lage selbst, wie schwer es fällt, diese Notwendigkeiten anzuerkennen und die Entscheidungen zu treffen. Mir geht es da ähnlich. 100Mrd€ und 2% BIP sind eine ganze Menge Geld.

Da ist meiner Meinung nach der Wunsch natürlich, dass die „neuen“ Systeme wenigstens nicht „offensiv“ einsetzbar sein sollen. Das ist aber so nicht realistisch und ich glaube, das wird der breiten Öffentlichkeit nicht in letzter Konsequenz klar gemacht.

Wenn die Bevölkerung eine Armee möchte, die nur verteidigen kann und der jede offensive Fähigkeit genommen ist, dann ist das als Souverän in letzter Konsequenz ein legitimer Wunsch, der als politische Forderung formuliert werden kann. Aber auch diese DIskussion muss man dann sach- und realitätsbezogen führen.

Wie seht ihr das?

Eine Frage die bei mir bleibt ist allerdings: Wieso gibt Deutschland für die Bundeswehr ähnlich viel Geld aus wie Frankreich und England, und doch scheint es in Deutschland so viel schlechter um die Armee bestellt als in den anderen Ländern?

Eine andere Frage ist, wieso man keine 1 Milliarde für die Pflegekräfte hatte in der Pandemie, nun aber anscheinend ohne Diskussionen 100 Millarden für die BUndeswehr hat (plus Erhöhung des jährlichen Etats)?

Nächste Frage, wieso hat man dasselbe Geld nicht zur Bekämpfung der Klimakatastophe?

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fürs Klima ist jetzt auch plötzlich Geld da:

Vielen Dank für die ausführlichen Infos.

Bei diesem Thema kommt mir ein wenig die Ursachenforschung etwas zu kurz. Ja, im Hinblick auf den Überfall von Russland wird dies jetzt klar und man versucht dies mit Geld zu lösen (was mir auch richtig erscheint). Die Frage ist, ob wir hier dann anhalten können oder ob wir nicht weiter denken müssen.

Als Außenstehender ist die Situation doch symptomatisch für den Zustand von Deutschland. Auf dem Papier sieht alles schön und gut aus. In der Realität ist es jedoch ganz anders. Andere Beispiele sind in der Lage ja häufig präsent:

  • Infrastruktur (ob Bahn, Internet, Energiewende oder Autobahnbrücken)
  • Verwaltung (von Genehmigungswesen wie bei den Windrädern bis zum Erhalt eines Termins oder des Pandemiemanagements)
  • Bildung (Schulwesen, Ausstattung der Hochschulen in der Breite)

Ich bin jetzt 33 Jahre alt und bei sämtlichen Berührungspunkten mit dem Staatswesen, die ich bisher sammeln konnte, sieht es hinter den Kulissen katastrophal aus. Wir leben seit Jahren von der Substanz. Bei Änderung der Umstände wird der Breite der Gesellschaft dies dann bewusst.
Meiner Meinung nach sollte daher die Steuererhebung und die schwarze Null evtl. nochmal mehr in den Fokus gerückt werden. Mit der FDP im Finanzministerium scheint dies ja zu mindestens beim Thema bessere Ausrüstung der Bundeswehr zu gehen.

So lange wir mit Ländern die Währung teilen, in denen immer weiter mehr Staatsschulden gemacht werden, macht die Schwarze Null keinen Sinn.

Offensichtlich haben wir kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem.
Wenn wir uns die Mittelverwendung im groben anschauen, wird extrem viel für Konsum ausgegeben:
(Arbeit und Soziales, Gesundheit, Verwaltung, Klimawende…)

Wo soll dann noch Geld für Investitionen her kommen?

Sind Änderungen absehbar? Wohl kaum.

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