Hallo liebes Lage-Team und an alle im Forum,
vielen Dank für diese interessante Folge. Zu den Kommentaren bzgl „defensiven“ Potentialen und einer „defensiven“ Ausrichtung bei den anstehenden Investitionen habe ich aber das Gefühl ein wenig Kontext geben zu müssen. Ich befürchte falsche Vorstellungen dabei, worum es meiner Meinung nach geht.
Hier ist auch immer wieder auf die Aussagen von Herrn Wiegold verwiesen. Er hat alle wichtigen Punkte angesprochen, aber ich glaube es fehlt ein wenig Kontext.
Es geht nicht darum aufzurüsten, sondern auszurüsten. Das Heer hat aktuell acht Brigaden, daraus sollen keine 15 werden.
Diese Verbände sollen idealerweise immer 100% ihres Materials einsatzbereit verfügbar haben.
Diese Verbände sollen in der Lage sein, das Gefecht der verbundenen Waffen führen zu können. Das sieht man an der Art und Weise, wie diese Verbände aufgestellt sind. Es gibt die Kampfeinheiten (im Schwerpunkt Panzer und Panzergrenadiere) und dann die sogenannten Enabler also Artillerie, Pioniere, Sanität, Fernmelder, Aufklärer etc., die dafür da sind die Kampftruppe in der Ausführung ihres Auftrags zu unterstützen. Dazu gehört im weiteren Sinne auch die Luftwaffe. Diese unterstützt entweder die Landoperationen direkt (Luft-Boden) oder indirekt, indem sie die Luftwaffe des Gegners daran hindert die eigenen Landstreitkräfte direkt zu unterstützen (Luft-Luft).
Wenn man Deutschland aber böse Absichten unterstellen möchte kann man auch behaupten, wir nutzen vermeintlich defensive Luftstreitkräfte und Flugabwehr-Truppen, damit wir selbst eigene vorrückende Verbände besser decken können. Man sieht ja aktuell das der Phantasie bei Propaganda keine Grenzen gesetzt sind.
Es ist vielleicht aufgefallen, dass ich jetzt mehrfach davon gesprochen habe, dass die Luftwaffe und Flugabwehr-Maßnahmen lediglich unterstützende Kräfte sind.
Um es lapidar zu sagen: Krieg wird am Boden geführt und gewonnen. Um es nochmal für die Doktrin der NATO zu präzisieren: Der Verteidigungskrieg.
Das heißt natürlich, eine effektive Flugabwehr ist wichtig, aber nur ein Teil des ganzen.
Das schließt jetzt den Bogen zu meiner einleitenden Erklärung: 100%ige Ausrüstung bei allem Material, was alle Verbände inklusive Reserven brauchen.
Das geht von persönlichem Material wie Kleidung, Schutzwesten/Plattenträgern, Helme, Handwaffen, Nachtsichtgeräte etc bis zum „großen“ Material wie LKW, Panzer, Ersatzteilen usw.
Die Verbände, Strukturen, Vorschriften und Taktiken und mindestens Teile des Geräts existieren alle schon. Ein Panzerbataillon hat schon Leopard-Panzer, ein Artilleriebataillon hat schon Pz2000 oder MARS-II.
Bei den Systemen die sich in der Entwicklung befinden wie z.B die Eurodrohne, FCAS oder MGCS besteht natürlich noch ein gewisser Spielraum im Aufgabenspektrum. Aber wer sich vormacht, man könnte einen Panzer oder ein Kampfflugzeug „missbrauchssicher“ oder „pazifistisch“ konstruieren, der belügt sich selbst. Es kommt auf die politischen Vorgaben und die Grundgesetztreue oder Bedienerinnen und Bediener an.
Hier geht es im Großen und Ganzen aber nicht darum auf einer breiten Ebene Bereiche aufzumachen, für die man sich ganz neu konzeptionieren muss.
Für den Auftrag „NATO-Territorium verteidigen“ brauchen wir von allem wovon wir „wenig“ haben „mehr“, damit wir so viel haben, wie wir auf dem Papier haben sollten. Das betrifft sowohl großes Gerät als auch kleines.
Die Investitionen sind darauf ausgelegt, die Fähigkeit der Bundeswehr zu erhöhen, komplexe verbundene Landoperationen durchführen zu können oder durch die hohe Fähigkeit der Bundeswehr und im übertragenen Sinne der ganzen NATO einen möglichen Gegner vom Beginn eines Krieges abschrecken zu können.
Zukünftige Investitionen in die Bundeswehr also auf „defensive Potentiale“ zu konzentrieren und zu sagen, dass man gucken muss „welche Waffensysteme man jetzt kauft“ impliziert ein falsches Bild. 1000 Stinger oder Patriot-Systeme und 0 (Schützen-/ Transport-)Panzer sind zwar defensiv fokussiert, werden aber trotzdem zu einem verlorenen Krieg führen.
Wir müssen unsere gesamte Palette an Fähigkeiten stärken.
Ich kann absolut nachvollziehen, dass diese ganze Situation unglaublich kontraintuitiv ist. Man hört es ja in der Lage selbst, wie schwer es fällt, diese Notwendigkeiten anzuerkennen und die Entscheidungen zu treffen. Mir geht es da ähnlich. 100Mrd€ und 2% BIP sind eine ganze Menge Geld.
Da ist meiner Meinung nach der Wunsch natürlich, dass die „neuen“ Systeme wenigstens nicht „offensiv“ einsetzbar sein sollen. Das ist aber so nicht realistisch und ich glaube, das wird der breiten Öffentlichkeit nicht in letzter Konsequenz klar gemacht.
Wenn die Bevölkerung eine Armee möchte, die nur verteidigen kann und der jede offensive Fähigkeit genommen ist, dann ist das als Souverän in letzter Konsequenz ein legitimer Wunsch, der als politische Forderung formuliert werden kann. Aber auch diese DIskussion muss man dann sach- und realitätsbezogen führen.
Wie seht ihr das?