auch wenn es nicht direkt mit dem Thema „Beschleunigung von Planungsverfahren“ zu tun hat, finde ich es bei dieser Diskussion relevant, den Unterschied zwischen Umwelt- und Naturschutz zu herauszuarbeiten.
Umweltschutz hat das Ziel, den Nutzen, den die Natur für den Menschen bringt, zu erhalten (stabiles Ökosysteme, keine Extremwetterereignisse, sauberes Trinkwasser, …).
Naturschutz sieht Tiere/Pflanzen/ökologische Systeme als etwas inhärent Schützenswertes an, unabhängig davon, ob es dem Menschen Nutzen bringt.
Meist liegt die Motivation von Menschen irgendwo zwischen diesen zwei Polen und mitunter gibt es auch Mischmotivationen, wie „der Nutzen von Naturräumen besteht darin, dass sie, nur dann, wenn sie unbelassen sind, dem Menschen zur Erholung dienen“. Aber die Unterscheidung macht für mich klarer, warum „die Ökos“ da mitunter die gleichen Fakten unterschiedlich beurteilen können. Da sind einfach unterschiedliche Wertesysteme am Werk.
Für radikale UmweltschützerInnen können auch gröbere Eingriffe in die Natur (Ausrotten von Neozoen, Bau eines Staudamms, Geoengineering, 30.000 Winräder, Lithiumabbau, …) gerechtfertigt sein, während NaturschützerInnen allen menschengemachten Eingriffen skeptisch gegenüberstehen und mitunter schon an der Biotoppflege durch Menschen („Weil es heute weniger Schafe gibt als früher, mähen wir nun Magerrasen, damit die seltenen Distelarten dort weiter heimisch bleiben.“) Anstoß nehmen können. Global betrachtet ist es für die Umwelt meist relativ egal, ob eine seltene Orchideenart ausstirbt, aber aus Naturschutzperspektive ist das strikt abzulehnen.
das ist wichtig und richtig. Entschuldige, wenn ich das in meinem ursprünglichen Beitrag nicht ganz klar gemacht habe. Dieser „Kampf“ zwischen Umwelt- und Klimaschutz, wie ich ihn nenne, tobt ja schon seit Längerem. Um bei deinem Beispiel zu bleiben ist es das Abwägen zwischen Klima- und Artenschutz. Der Artenschutz ist dafür bekannt, gerade bei Windenergieanlagen oder auch bei Autobahnen genauer hinzuschauen und zu untersuchen, ob eventuell gefährdete Arten in dem Gebiet leben. Der Klimaschutz setzt sich hingegen dafür ein, dass die Windenergieanlagen endlich gebaut werden. Das ist jetzt sehr vereinfacht dargestellt, weil vielen Menschen, mir natürlich auch, beides wirklich wichtig ist. Beides hat seine Daseinsberechtigung. Hier muss dringend vermittelt werden.
Ob das eine wirkliche Lösung ist, mögen die Experten unterschiedlich sehen. Mein ursprüngliches Anliegen ist aber, dass dieser Konflikt überhöht dargestellt wird und damit das Mitspracherecht generell immer wieder in Gefahr gerät. Indem man behauptet, dass das Problem an der Planungsbeschleunigung die klagenden Umweltverbände sind, die sich für den Artenschutz einsetzen, lenkt man vom wahren Problem ab und setzt gleichzeitig das wichtige Instrument der Mitsprache einer Zivilgesellschaft einer Gefahr aus.
Anders gesagt: Es stehen morgen nicht überall Windernergieanlagen, wenn man den Verbänden das Klagerecht entzieht.
zur Ergänzung könnte man den Naturschutz auch noch in Artenschutz, Prozessschutz und Tierschutz unterscheiden. Ich finde es oftmals recht vermessen, wie man argumentieren kann, dass das Aussterben einzelner Arten „der Umwelt egal ist“. Erstens ist die sogenannte „Umwelt“ eine hochkomplexe Vernetzung verschiedener Entitäten, deren Zusammenhänge noch weit nicht alle erforscht wurden bzw. erforscht werden können. Zweitens finde ich die Argumentation auch aus ethischer Sicht hoch problematisch. Wir sind Leben, das Leben will, inmitten von Leben, das Leben will. Die Unterscheidung, welche Arten wichtiger sind und welche „wegfallen“ können oder auch der Versuch einzelnen Wesen einen ökonomischen Wert zu geben, sind Symptome einer extremen Entfremdung zu unserer Natur. Genau dieses Paradigma der technischen, anthropozentrischen Perspektive hat uns die ganze Misere eingebrockt und mit diesem Paradigma werden wir die jetzt anstehenden Probleme nicht in den Griff bekommen. Es fehlt ein ganzheitlicher Ansatz. Wenn Klimaschutz jetzt extrem gefördert wird und andere Schutzgüter dafür weniger betrachtet werden, dann werden wir aus der Spirale der Ökokrise nicht heraus kommen.
Was soll aus dieser Feststellung folgen? Unter welchem „Paradigma“ ist es denn nicht notwendig zur Versorgung von ein paar Mrd Menschen, den Planeten bis in den letzten Winkel zu nutzen (und damit zu entscheiden, was weg kann und was bleiben soll)?
Danke für deinen Thread @jodanik,
ich hatte bis dato auch den Eindruck, dass viele Projekte langwierig werden oder ganz scheitern, durch möglichen Klagen aus verschiedener Richtung. Dank hier für deinen Input, dass ganz aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Ein weiteres Problem für die Umsetzung sehe ich vor allem dann auch beim Mangel an Fachkräften.
Das was beschlossen und geplant wurde, muss ja schließlich auch noch gebaut werden.
Ist das aber auch nicht ein Teufelskreis?
Wenn wir den Klimaschutz für andere Schutzgüter zurückstellen bzw. ausbremsen, wird dann nicht der Schaden durch fehlenden Klimaschutz, mittel- bis langfristig deutlich größer, auch für Arten die ich lokal kurzfristig schützen konnte?
Ich wünsche mir beides, Klima- & Artenschutz, halte aber den Klimaschutz, sprich die Reduktion des CO2 für das aktuell wichtigste Ziel.
vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag. Deiner Ergänzung, dass eine weitere Differenzierung des Begriffs Naturschutz in Artenschutz, Prozessschutz und Tierschutz lehrreich ist, stimme ich zu. Mir erscheinen Arten-, Prozess- und Tierschutz aber insbesondere eine Kategorisierung auf der operativen Ebene zu sein („Wie setze ich mein im Wesentlichen ähnliche Wertesysteme konkret um?“), während der Unterschied zwischen Umwelt- und Naturschutz aus ganz unterschiedlichen Wertesystemen (antrhopozentrisch oder nicht) resultiert. Man kann das gerade im Forum wunderbar beobachten: Während Du ökologischen Systemen einen intrinsischen Wert beimisst, argumentiert @Guenter eher anthropozentrisch, dass es wohl notwendig sei,
Ich tendiere auch eher dazu, der „Umwelt“ einen intrinsischen Wert zuzuschreiben, aber man kann Euch beiden zustimmen.
Eine kleiner Kommentar noch @Oestie9 : In dem Satz
klingt für mich ein wenig das Zauberlehrling-Argument („Fass nichts an, was du nicht verstehen kannst! Sonst passieren Dir vielleicht schlimme Dinge.“) an. Während ich inhaltlich zustimme, fühle ich mich selbst dabei immer ein wenig unwohl, weil das in Diskussionen immer ein wenig einen Drall in Richtung Anthropzentrismus verursacht.
Ist Natur- und Umweltschutz bei der Windenergie denn wirklich ein relevanter Widerspruch?
Ich meine: der massive Ausbau der Windenergie ist für die Energiewende existenziell (nur PV funktioniert nicht). Nur mit massiver Planungsbeschleunigung (habe da Faktor 4 im Kopf) haben wir überhaupt eine Chance, die Klimaziele zu erreichen. Gelingt die Energiewende nicht (auf globaler Ebene), dann hätte das wiederum katastrophale Folgen für z.B. die Biodiversität.
Dem gegenüber muss man jetzt potentielle Schäden durch Windenergieanlagen stellen, wenn man beim Naturschutz pragmatische aber deutliche Kompromisse eingeht. Wie groß wären die realistisch gesehen? Das Zauberlehrling-Argument sehe ich schon ein. Wir können kaum abschätzen, was z.B. das globale Aussterben gewisser Insektenarten verursacht. Jetzt spreche ich mal bewusst unzulässig vereinfachend plakativ: was ich mir schwer vorstellen kann ist, dass der Eingriff in Ökosysteme durch den Windenergieausbau Folgen für die Biodiversität hat, die so gravierend sind, dass sie mit den o.g. Folgen eines stärkeren Klimawandels mithalten können. Und zwar nicht nur im Sinne des Menschen gedacht, sondern explizit auch im Sinne der Natur. Zumindest widerspricht das dem, was mir über Auswirkungen der Windenergie auf die Natur bekannt ist.
Was ich mir höchstens vorstellen könnte ist, dass lokal ein Ökosystem stark beeinträchtig wird. Damit wäre das aber eher eine „Not in my backyard“ Diskussion: globaler vs. lokaler Naturschutz. Falls ich mir das zu einfach vorstelle – gerne Widerspruch.
Nö. In den meisten Fällen wohl eher nicht und in Umweltverbänden ist auch die Konsensmeinung, dass man Windenergie mit Nachdruck ausbauen muss und Naturschutzbelange standortbezogen zu prüfen sind. So weit ich das überblicke, kommt der meiste Widerstand gegen konkrete Windenergieprojekte entweder von RechtspopulistInnen oder AnwohnerInnen, die oft von Sorge um Immobilienpreise getrieben sind. Seriöse Naturschutzverbände argumentieren bei solchen Dingen erfahrungsgemäß eher sachlich und konstruktiv.
Und ich stimme dir auch voll zu, dass eine Eskalation der Klimakrise viel dramatischere Auswirkungen hätte, als wir durch Windkraftausbau jemals verursachen könnten. Das Argument, dass wir so unseren Einfluss auf den Planeten mindern und somit Naturschutz betreiben, finde ich auch persönlich überzeugener
Würde man an dieser Stelle wieder technisch-anthopozentrisch argumentieren („Wir müssen nun eben ein Biotop für „unseren“ Umweltschutz opfern, damit wir endlich vorankommen.“), dann sehe ich die Gefahr, dass man damit langfristig der Entfremdung von Mensch und Natur, die @Oestie9 oben bereits moniert hat, das Wort redet.
Zu dem Thema Artenschutz bei der Energiewende gab es letztes Jahr einen interessanten Artikel in der Geo, in dem neben Photovoltaik und extensiver Landwirtschaft auch auf die Windkraft geschaut wurde. Um gezielt auch einzelne Tiere vor Kollisionen zu schützen, wurde ein System entwickelt, dass die Rotorblätter stoppt, wenn ein Vogel durch ein Kamerasystem names SafeWind erfasst wird.
Um Artenschutz und Windkraftausbau zu befrieden, könnte so ein System in Gebieten mit potentiellen schützenswerten Arten zu einem „verpflichtenden Standard“ werden, heißt es in dem Artikel.
Die Stillstandszeiten wären gering und zum Teil deutlich niedriger als zur Zeit, da es behördlich angeordnete Stillstandszeiten gibt in Gebieten, wo beispielsweise gemäht wird oder nachts Fledermäuse fliegen.
In Diskussionen Energiewende VS Umwelt-, Naturschutz findet ein Wert keine Erwähnung.
Unsere Art zu leben und Güter zu verbrauchen wird immer als gegeben gesehen.
Eine gesellschaftliche Wende hin zu mehr Klima- und Umwelt-/Naturschutz wird nicht stattfinden, wenn sie (gedanklich) mit Verzicht und Wachstumsverlust verbunden wird. Da muss man kommunikativ sehr vorsichtig sein. Viele Menschen sind grundsätzlich bereit für Veränderung und wohl auch für eine gewisse Form des Verzichts (zB weniger/hochwertigeres Fleisch), glaube ich. Insgesamt kommt Verzicht aber verständlicherweise nicht so gut an.
Die Kunst muss es also sein, eine positive, optimistische Erzählung zu finden, keine negative.
Ich denke, es ist zunächst wichtig, das Problem zu quantifizieren.
Gut, wenn ein Vogel in ein Windrad fliegt, ist er hin … aber gibt es denn Untersuchungen, wie oft das tatsächlich passiert?
Im Spiegel ( 4 / 2022 : „Wie die Grünen das Windkraftdilemma lösen können“ ) wird behauptet :
„Tausende Greifvögel und Hunderttausende Fledermäuse fallen Schätzungen zufolge jährlich in Deutschland den Windkraftrotoren zum Opfer“
Was für Schätzungen sind das? Und - ist das bei 30.000 Windrädern in Deutschland wirklich so krass?
Ich würde mich freuen, wenn der zweiten Teil der Lage zur Windkraft das etwas näher beleuchtet.
Ich möchte einen kurzen Erfahrungsbericht zum Umgang mit dem Schwarzstorch in Hessen anmerken.
Bei uns wurden 2017 5 Windkraftanlagen errichtet. Im Umkreis von 2 Km lebt ein Schwarzstorchpaar, dessen Horst jedoch nicht gefunden wurde. Sowohl die Altvögel, als die Jungvögel werden regelmäßig gesehen.
Beim Anhören der „Lage“ hatte ich den Eindruck, das allein ein Durchflug des Schwarzstorches ausreicht um WKA zu verhindern, dazu kann ich nur sagen, so ist es nicht. Trotz eines nachgewiesen Schwarzstorchbestands durften die Anlagen errichtet und betrieben werden.
Das glückliche daran ist, dass er offensichtlich bis jetzt keinen Schaden genommen hat und immer noch hier lebt.
Auch hier kann ich jedoch, wenngleich anderer Meinung, den Ärger der Menschen verstehen und es fehlt einfach an einer guten Kommunikation und an Ausgleich um dort mehr Verständnis zu schaffen.
Da ist meiner Ansicht nach noch viel Luft nach oben.
Fun Facts zu Schwarzstörchen:
Weltweit gibt’s etwa 40.000, in Deutschland 500.
Daher weltweit als nicht bedroht eingestuft, in Europa schon. Bis 2015 gab es 5 bestätigte Kollisionen von Schwarzstörchen mit Windrädern- deshalb gilt seitdem ein Mindestabstandsgebot von 3km (geprüft wird bis 10km).
Ein Mann wurde wegen Absägen eines in Nähe einer geplante Windkraftanlagen befindlichen Nestes zu 500€ Ordnungswidrigkeit verdonnert.
Perfekt allokiert würden etwas über 1000 Schwarzstorchneste ausreichen um unter den gegeben Vorgaben ganz Deutschland für Windkraftanlagen unmöglich zu gestalten.
Wie ein Ornithologe hier (Twitter) ganz gut anmerkt, hinkt dieser Vergleich aber natürlich auch immer ein bisschen, da durch Katzen andere Vogelarten betroffen sind, als durch Windräder.
Eine fachliche Einordnung des Schadens wäre also wirklich sinnvoll.
Hab ich das richtig verstanden, es gibt in Deutschland ein Tötungsverbot von Wirbeltieren? Falls ja, wieso sind wir in Deutschland nicht schon längst alle Vegetarier? Und wieso wird dieses Prinzip mal schärfer (Artenschutz) und mal laxer (Fleischproduktion) gehandhabt? Mir scheint, dass in dieser Frage in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen wird, vielleicht sogar, dass das Recht hier den wirtschalftlichen Interessen folgt.
Ich fände es super, wenn Ihr in einer der nächsten Folgen hierüber ein paar Sätze anbringen könntet. Merci schon mal.
Was ich nicht verstanden habe:
Beim Schutz der Tiere reicht manchmal, einen Rotmilan gesichtet zu haben, um ein Projekt faktisch zu stoppen. Bedeutet das, ein Schwarzstorch und Hambi ist gerettet?
Vermutlich nicht, sonst wäre da schon jemand drauf gekommen. Aber wo ist der Unterschied? Warum gibt es in Lützerath keine Rotmilane? Ich verstehe das nicht.
Was ist der Unterschied in den Verwaltungsvorschriften?