LdN 274 - Raus aus der Flaute 1 / 2 Planung beschleunigen

Liebes Lage-Team, liebe Mithöhrer*innen,

für das kommende Special zum Thema Windkraft wäre es wichtig, wenn über das Thema „Planungsbeschleunigung“ geredet wird. Das Wort taucht nicht nur im Koalitionsvertrag auf, sondern andauern in jeglicher öffentlichen Debatte, wenn es Um den Ausbau der Erneuerbaren Energien geht. Leider wird das Thema benutzt, um gegen Umweltverbände mobil zu machen und diese gegeneinander auszuspielen.

Grundsätzliche Fakten zu diesem Thema:

  1. Umwelt- und Naturschutzverbände klagen, auch in Deutschland gegen Infrastrukturprojekte und auch gegen Windkraftanlagen
  2. Die Bundesregierung wurde wiederholt vom Europäischen Gerichtshof ermahnt, die Verbandsklage in Deutschland zu erweitern, weil wir gegen die Aarhus-Verordnung verstoßen = Übersetzt bedeutet das: Das Klagerecht von Verbänden ist in Deutschland nicht großzügig genug gewesen, weswegen wir den Verbänden mehr und mehr Klagerechte einräumen mussten
  3. Es gibt auch unter Umweltverbänden verschiedene Ansichten zum Thema Windkraft = Artenschutz vs. Umweltschutz

In eurer Recherche zum Thema Windkraft werdet ihr unweigerlich auf die Stichwörter „Verbandsklage“ & „Planungsbeschleunigung“ gestoßen sein.

Grober Konsens in der Bevölkerung ist: Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist viel zu langsam und muss dringend beschleunigt werden. Es kann ja nicht sein, dass von der Planung bis zum Bau einer Windkraftanlage bis zu 7 Jahre vergehen. An diesem Punkt möchte ich gerne einhacken, denn hier wird es meistens emotional. Es läuft nämlich viel zu oft auf die Argumentation hinaus, dass entweder am Rechtsschutz oder am Verbandsklagerecht geschliffen werden muss, wenn wir in Zukunft schneller Windkraft bauen wollen. In dieser Argumentation wird ein Bild gezeichnet, welches suggeriert, dass es vor Allem die Klagemöglichkeiten sind, die Planungsverfahren unnötig in die Länge ziehen.

Wir alle kennen dieses Bild: Ein kleiner Naturschutzverein aus Bayern beklagt das Tesla-Werk in Berlin. Ein kleiner Artenschutzverein findet irgendeinen seltenen Molch und klagt, dass in dem Gebiet kein Windkraftwerk entstehen darf. Das Problem an diesem Bild: Auch wenn es zutrifft, repräsentiert es eine Minderheit. Beispielsweise sind Klagen von Privatpersonen gegen Windkraftanlagen um ein vielfaches höher! Dadurch wird von den wahren Problemen, der Planung abgelenkt: Nämlich Personal- und Ressourcenmangel in Planungsbehörden.

Klar ist: Der Kampf von Naturschutz gegen Klimaschutz tobt schon lange in der Umweltbewegung. Klar ist auch, dass Umweltverbände gegen Infrastrukturprojekte klagen und vor Allem gegen Windkraftanlagen. Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass nur 23% der Klagen gegen Windkraftanlagen von Verbänden kommen, bei Autobahnen sind es sogar nur 8%.

Es gibt dazu eine Studie (Zur Transparenz, ich arbeite für das Institut) die das Umweltbundesamt beim Unabhängigen Institut für Umweltfragen in Auftrag gegeben hat. Hintergrund ist, dass das Verbandsklagerecht wieder einmal in Deutschland erneuert werden musste und wieder einmal in der Politik von großen Klagewellen gesprochen wurde, die auf uns alle einprasseln würden. Wer Interesse an der Studie hat (215 Seiten): https://www.ufu.de/wp-content/uploads/2021/11/texte_149-2021_wissenschaftliche_unterstuetzung_des_rechtsschutzes_in_umweltangelegenheiten_in_der_19._legislaturperiode.pdf

Die Studie deckte unter anderem auf, dass in 51% der Fälle den Klagen von Umweltverbänden stattgegeben wird. Das bedeutet, dass es in diesen Fällen eindeutige Vollzugsdefizite gegeben hat. Das kann kein Argument sein, Klagerechte einzuschränken sondern nur ein Argument dafür, die Planungsqualität zu steigern.

Umweltverbände (besonders die Kleinen) klagen mit Bedacht und haben nicht die finanziellen Ressourcen, deutschlandweite Windenergiebetreiber mit Klagen zu überziehen.

Unser Institut beschäftigt sich schon seit Langem mit der Thematik und kommt immer wieder zu dem Ergebnis, dass die lange Planung vor Allem an den Behörden liegt. Planungsbehörden sind finanziell und personell so schlecht ausgestattet, dass die Planung erheblich verzögert wird.

Wenn wir in Zukunft mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland vorankommen wollen, dann lohnt es sich nicht, den klagenden Verbänden den schwarzen Peter zuzuschieben. Sicher, hier muss gearbeitet werden. Die neue Koalition hat ja beispielsweise den Artenschutz in Verbindung mit der Population in den Koalitionsvertrag aufgenommen, was die Zulassung einer Anlage mit Sicherheit erleichtern wird. Unser Hauptproblem liegt allerdings, wie so oft, an einem Mangel an Fachkräften in den Behörden. Wir brauchen dringend Planungsspezialisten und Fristen für Behörden, wenn wir die Planung in Deutschland beschleunigen wollen.

Bin gespannt, was die Community dazu denkt!

2 „Gefällt mir“

Ich habe dazu eine Frage: Was würde dagegen sprechen, dass eine Agentur des Bundes die Planung sowie das Durchpeitschen der Genehmigung übernimmt und dann fertige, sofort bebaubare Flächen an Interessenten versteigert? Der Staat kann hier, im Gegensatz zu privaten Investoren unbegrenzt Geld und Ressourcen, reinbuttern. Und potentielle Investoren, von der Bürgerenergie-Genossenschaft bis zum Großkonzern, wären sich sicher, dass sie auch bauen können und müssten hier keine zusätzlichen Risiken einpreisen.

2 „Gefällt mir“

Hallo Jodanik, danke für deinen Beitrag.

Ich stimme dir voll und ganz zu, ich war selber an einer Naturschutzbehörde angestellt und die langen Verzögerungen sind zum größten Teil auf Personalmangel in allen zuständigen Behörden zurückzuführen. Auch wird die Vernetzung der Naturkundigen vor Ort oft nicht ausgenutzt um frühzeitig artenschutzrechtliche Probleme auszumachen. Der Naturschutz genießt zwischen allen öffentlichen Interessen oft keine hohe Priorität. Dadurch werden bei der Variantenprüfung oftmals konfliktreichere Varianten gewählt, weil an anderen Stellen anderen Interessen ein größeres Gewicht eingeräumt wird.

Meiner Kenntnis nach könnten planerische Konflikte vor allem dadurch reduziert werden, wenn frühzeitig schon bei der Raumplanung Flächen mit geringem Konfliktpotential festgelegt werden und die nachfolgende Genehmigung dann beschleunigter erfolgen könnte. Das Problem hierbei ist aber auch, dass die Natur dynamisch ist und eine Prüfung nur einen Momentzustand darstellen kann. Hier könnte man ebenfalls verstärkt das Wissen von Naturkundigen vor Ort mit einbeziehen. So könnte neben Vorrangflächen für Windkraft auch Schongebiete für Greifvögel und Fledermäuse definiert werden.

@Guenter: Die Planung und Genehmigung von Anlagen kann meiner Kenntnis nach nicht von einer Agentur durchgenommen werden. Und wer zahlt dann am Ende das unbegrenzt reingebutterte Geld?

2 „Gefällt mir“

Danke @Oestie9 für deine Zustimmung. Diese Probleme in der Planung die du beschreibst, erfährt man immer wieder. Leider ist das in der Öffentlichkeit nicht so bekannt. Wenn man sich den letzten Wahlkampf angeschaut hat, wurde in fast jeder Fernsehdebatte von Planungsbeschleunigung geredet. Leider fällt es immer wieder darauf zurück, das Mitsprache- und Klagerechte beschnitten werden sollen. Das gehört sich aber nicht für eine Demokratie. Ich möchte als Teil der Öffentlichkeit über Infrastrukturvorhaben frühzeitig informiert werden und ein Mitspracherecht haben. Zur Not auch ein Klagerecht.

Ein gute Beispiel für den erneuten Versuch, die Rechte von Umweltverbänden zu beschneiden findet sich im aktuellen Koalitionsvertrag: Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die materielle Präklusion wieder eingeführt werden soll. Das ist nach geltendem EU-Recht überhaupt nicht möglich! Die materielle Präklusion wurde 2017 abgeschafft, weil sie eben gegen EU-Recht verstieß. Unsere Studie, die wir im Auftrag vom Umweltbundeamt (originärer Auftraggeber war das Parlament) durchgeführt haben, hat sogar nachgewiesen, dass sich die Verfahren seitdem verkürzt haben. Wenn man in Verbänden, Sach- und Naturkundigen nur Gegner sieht, kommt man nicht weiter.

Wir müssen die wahren Probleme der Planung in Deutschland anpacken. Wir sind uns alle einig, dass diese viel zu lange dauert. Einer Energiewende schaffen wir so nicht. Aber die langsame Planung ein paar rebellierenden Umweltverbänden in die Schuhe zu schieben, ist einfach absurd und wissenschaftlich nicht haltbar.

@Guenter Interessante Idee. Auch hier würde ich mich fragen: Inwiefern wird die Bevölkerung über die Vorhaben informiert? Inwiefern werden Verbände, Sach- und Fachkundige miteinbezogen? _Und zu guter Letzt: Die Planungsbehörden haben jetzt schon ein riesiges Personalproblem, vor Allem an gut ausgebildeten Fachkräften fehlt es. Ich wüsste nicht, wo das Personal für diese Bundesagentur herkommen soll.

1 „Gefällt mir“

Die wirbt man von den existierenden Projektentwicklern im Bereich Windkraft (und gegebenenfalls auch Photovoltaik) ab.

Nach meinem Verständnis läuft das bei der Offshore-Windkraft schon ähnlich. Da bittet man die Unternehmen ja auch nicht darum, sich irgendwo in Nord- oder Ostsee ein nettes Plätzchen für ihren Windpark zu suchen, sondern es werden Standorte festgelegt und dann das Recht, diese zu bebauen, an denjenigen vergeben, der die geringste Förderung haben will (oder demnächst: den höchsten Preis bezahlt).