Es gibt in der Betriebswirtschaft eine relativ einfache Möglichkeit abzuschätzen, ob ein Risiko vertretbar ist oder nicht. Die Risikomatrix findet beispielsweise Anwendung im Projektmanagement, aber auch sonst an verschiedenen Orten und sie hilft, Risiken und deren Massnahmen zu tracken.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass in diesem Fall auf jeden Fall eine demokratische Debatte geführt werden muss, denn es gibt ja gute Gründe für die Kernenergie. Leider ist es aber so, dass der Preis für einen Unfall ein sehr endgültiger Preis ist - und dabei nicht nur für uns, sondern im Zweifel auch ganz Europa.
Letztlich ist es egal, ob das Flugzeug sicher ist oder nicht, wenn ich drin sitze, wenn es abstürzt, bringt mir die Statistik eben auch nichts. Und für entsprechend zu hoch halte ich die Auswirkungen eines GAU, selbst bei geringer Wahrscheinlichkeit.
Ich persönlich halte einen Ausbau der Erneuerbaren (bspw. Solarpflicht und „Haushalts-Akkus“ wie die Testla-Powerwall) für mittlerweile ausreichend ausgereift, um mit der Energiewende jetzt richtig loszulegen. Persönlich bin ich ausserdem der Meinung, dass eine Dezentrale Stromerzeugung zudem der Bevölkerung massiv nützt (weniger Stromleitungen, Autarkie und im Zweifel durch Eigenverbrauch günstigere Energiekosten oder gar geringe Nebeneinkünfte aus Stromverkauf). Ich halte das für die deutlich attraktivere Variante, als jetzt wieder zurück zur Kernkraft zu gehen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Schadensfolgen in Relation zur produzierten Energiemenge zu setzen. Selbst wenn wir die schlimmsten Unfälle in der Geschichte der Kernenergie betrachten (Tschernobyl & Fukushima), sind die kumulativen Gesundheitsschäden in Relation zur produzierten Energiemenge äußerst niedrig:
Es ist für mich eine ähnliche Argumentation wie die Sicherheit von Flugreisen und Autofahren. Gefühlt ist Fliegen eben viel unsicherer und jeder Absturz ein riesiges Medienspektakel. Es geht in dem konkreten Beispiel aber auch um Kontrollverlust und die Komplexität dieser Maschine, die vielen Menschen Suspekt ist.
Für die Personen, die diese Technologie regulieren sollen, hilft dann die Statistik zwischen dem gefühlten und realen Risiko zu unterscheiden. Man kann sich danach immer noch dafür entscheiden nicht zu fliegen, wir können die Technologie dazu sogar in Deutschland vollständig verbieten, aber es wäre schön dann wenigstens zuzugeben, dass es rational keinen Sinn macht.
Denn wenn man alle Unfälle der Atomenergie einpreist, ist sie trotzdem eine der sichersten und umweltschonensten Technologien. Ich weiß, das macht intuitiv überhaupt keinen Sinn, der Grund ist ganz simpel die unfassbare Energiedichte von spaltbarem Material und dass andere Technologien eben auch nicht dolle sind.
Mal zum Vergleich: 40000 Menschen wurden im Rheinland für die Braunkohle umgesiedelt und die Sterbezahlen für die Luftverschmutzung liegen bei ca. 154/100000 in Deutschland (Schmutzige Luft fordert mehr Todesopfer als Rauchen | MDR.DE). Das sind höhere jährliche Zahlen als Menschen bei der Katastrophe in Fukushima starben. Es sind bei anderen Energieformen nur keine Events bei denen es knallt und plötzlich ist da ein großer tagebauförmiger Krater. Es ist eher eine schleichende Katastrophe. Und eine langsame sich anbahnende Katastrophe ist den Menschen immer lieber als die Gefahr einer konkreten.
Und da uns genau das gerade mächtig auf die Füße fällt finde ich sollten wir diese Einschätzung überdenken. Wenn selbst die Grünen keinen Plan haben wie wir unsere Klimaziele erreichen können, sollten wir auch etwas unpopuläre Methoden zumindest fair diskutieren.
Diese „fatalen Folgen“ werden allerdings in Intensität und Auftretenswahrscheinlichkeit stark überschätzt. Die zivile Atomkraft insgesamt ist pro kWh für ähnlich viele Todesfälle wie z.B. die Windenergie verantwortlich. Und was die Folgen angeht denken viele direkt an Fukushima, aber die hohen Opferzahlen dort gehen beinahe ausschließlich auf das Erdbeben und den Tsunami zurück. Und was die verlorenen Flächen angeht: für die Braunkohle wurde deutlich mehr Fläche aufgegeben als in Fukushima und Tchernobyl verstrahlt wurden.
Wenn man „die Wissenschaft“ ernst nimmt, ist die Atomkraft eine der sichersten Formen der Stromerzeugung und dazu noch nahezu klimaneutral. Das sind keine politischen Fragen, sondern naturwissenschaftliche Fakten.
Die Logik erschliesst sich mir nicht. Pro Milliarden Kilowattstunde ist Atomkraft auch unter Berücksichtigung von den GAUs und dem Rückbau eine der sichersten Energien.
Laut New Scientist (hier im Tagesspiegelreport) muss man bei Atomkraft von 0,2-1,2 Toten je 10 Milliarden kWh ausgehen.
Atom 0,2-1,2 Tote/10Mrd. kWh
Gas 0,3-1,8 Tote/10Mrd. kWh
Kohle 2,8-32,7 Tote/10Mrd. kWh
Wasserkraft 54,7 Tote/10Mrd. kWh
Es geht doch nicht um die Menge an Toten, sondern um die Tote je produzierter Einheit.
Es würde ja auch niemand behaupten dass Flugzeuge unsicher sind, obwohl bei einem Unfall schnell 200+ Tote anfallen. Auf den Reisekilometer gerechnet ist das Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel - insbesondere im Vergleich zum Auto.
Es gibt hier ja schon eine sehr ausführliche Diskussion zum Thema Rückkehr zur Atomenergie - mit unzähligen Quellen und Argumenten.
Ich habe mich über die Formulierung „Kokolores“ gefreut: Die bestehenden Kraftwerke sind veraltet. Bis wir neue gebaut haben, die sicher sind und uns etwas bringen, ist die Erde 4 Grad wärmer.
Seit Jahrzehnten wird daran mit Milliarden Subventionen geforscht und noch immer gibt es keine Sicherheit, geschweige ein Endlager. Atomkraft verkommt zur Ideologie.
Ich bin selbst Naturwissenschaftler, aber ich halte die „follow-the-science“-Argumentation für wesentlich nuancierter, als das oft dargestellt wird.
Es gibt genug Beispiele, in denen die Wissenschaft gravierende Fehler gemacht hat, z.B. die ganze Rassentheorie. Hier könnte man einwerfen, dass das ja keine richtige Wissenschaft war. Dem möchte ich aber entgegnen, dass das sehr wohl Konsens (zumindest in bestimmten Kreisen) war. Woran würde man „falsche“ Wissenschaft erkennen? Gerade weil Wissenschaft fast nur noch von denen verstanden werden kann, die sie betreiben. Außerdem kommen soziale und kognitive Fehlschlüsse im wissenschaftlichen System genauso vor wie in allen anderen Gruppen, da es immer noch soziale Systeme sind. Ziel der Wissenschaft sollte es sein, eben diese Biases zu eliminieren, aber das ist erstens schwer und zweitens muss man sich der Biases bewusst sein, was nicht oft der Fall ist, siehe z.B. die Reproduktionskrise, Einsteins kosmologische Konstante usw.
Ich bin ein absoluter Verfechter der These, dass Wissenschaft einen Platz in der Gesellschaft haben soll. Nur ist dieses Podest der Unanfechtbarkeit mMn ein Fehler. Ich finde, wir müssen als Gesellschaft u.a. Fragen wie diese in jedem einzelnen Fall beantworten. Welcher „Science“ sollen wir denn folgen?(Der von Drosten oder der von Streeck?) Wer ermittelt den Konsens? Wieviel Zeit geben wir der Konsensermittlung? Wieviel Zeit geben wir zur Überprüfung und Replikation von Erkenntnissen? Was passiert, wenn wir auf’s falsche Pferd gesetzt haben oder sich der Konsens als falsch herausstellt?
Gilt das nicht für diese Spalt-Technologie genauso? Wie groß lässt sich das schnell skalieren? Oder haben wir es hier mit einer Idee wie der Fusionsenergie zu tun, die zwar Fortschritte macht, aber seit 70 Jahren sagt, dass es in 50 Jahren Fusionsreaktoren geben wird, aber frühestens 2050 der erste Prototyp für echte Energiereaktoren fertig sein soll (falls ITER tatsächlich mal fertig werden sollte und die ihre Probleme in den Griff bekommen und sich DEMO nicht verzögert)?
Ich fand dieses Interview auf den Elementarfragen mit Sebastian Pflugbeil wahnsinnig interessant.
Ich war der Atomkraft offen gegenüber. Seit ich dieses Interview gehört habe, bin ich um einiges skeptischer.
Nein, genau das ist der falsche Ansatz. Wie ich eben schon ausgeführt habe gibt es bestimmte Risiken, die man nicht inkaufnehmen kann, da die Folgen komplett unvertretbar wären. Ein tschernobylartiger GAU in Bayern zum Beispiel würde dazu führen das weite Teile des Bundesgebietes, aber auch von Österreich und Tschechien unbewohnbar werden. Da wäre die Zahl der Toten noch das geringste Problem.
„konventionelles laienwissen“ würde ich dort ergänzen. Dr. Steven Novella ist seit über 10 Jahren SEHR aktiv im scientific communication. Es liegt in diesem Fall an ihnen, mein Quelle als glaubwürdig oder unglaubwürdig einzuschätzen - genug Material ist dort. Dass sie die wissenschaftliche Publikation nicht verstehen ist nachvollziehbar und es tut mir leid. Ich muss leider aber auch sagen, dass der wissenschaftliche Diskurs im 21. Jahrhundert (Gott sei dank) ein internationaler ist und publikationen nunmal auf English sind (ja, selbst in China wird nahezu alles übersetzt). Dazu kommt nunmal das nicht nur ein individueller Fachbereich jahrelanges Studium benötigt um die Materie richtig verstehen zu können, aber alleine das Prinzip der wissenschaftlichen methodik, peer-review processes, Statistik, study design etc. Jahrelange Erfahrung brauch um Trugschlüsse und Fehler zu identifizieren und sich damit auseinander zu setzten. Ich sehe den Ball also leider nicht bei mir, und finde sie müssen sich, wie ich (ich bin kein Physiker) intensiv mit dem Thema auseinandersetzen um an dem wissenschaftlichen Diskurs teilzunehmen, oder Menschen finden die die geeigneten Qualifikationen haben und auf sie vertrauen.
Ein Windrad braucht 7 Jahre,
Ein AKW ca. 12-15 Jahre (Schweiz 11,5 Jahre, Finnland 14 Jahre)
Sehe da jetzt keinen soo großen Unterschied. Man müsste nur einfach mal anfangen zu bauen. Und ein AKW nimmt bestimmt keinem Windrad seinen Platz weg.
Stimmt. Aber man sollte auch seine Quellen checken: In der Grafik, die du verlinkst wird zur Quelle angegeben, dass für die Toten bei Nuklear Energie nur der Zeitraum 1990 bis 2013 gewertet wird. Damit ist die Quelle meiner Meinung nach sehr fragwürdig, da Tschernobyl z.B. 1986 lag.
Außerdem ist es bei der Betrachtung der Sicherheit von Nuklearanlagen schwierig, die indirekten Opfer zu erfassen. Es gibt Schätzungen, die bei Tschernobyl von bis zu 150.000 Toten durch Langzeitschäden ausgehen. Aber das ist eben schwer zu sagen. Jemand der als Folge eines Dammbruches stirbt, ist natürlich viel eindeutiger zuzuordnen.
Ich finde diese Entscheidung sollte man demokratisch treffen lassen. Wenn zB. die Bayern für geringeren Strompreis und weniger Sicherheit stimmen muss man das akzeptieren. Aber dass der Staat diese Entscheidung trifft halte ich für übergriffig. Sicherheit ist ein hohes Gut - aber für mich nicht ein so hohes dass man ihm alles unterordnen sollte.
Wenn man dann noch berücksichtig, dass bis heute noch in Teilen Deutschlands Pilze und Wild belastet sind, und dennoch gab es über die ganze Zeitspanne eigentlich nur eine zaghafte Empfehlung, auf den Verzehr zu verzichten.
Das gilt natürlich auch für die anderen Staaten, über die damals die radioaktive Wolke hinweg zog.
Ich halte ich es für schwierig bis unmöglich, dass z.B. bei allen Krebstoten die Ursache richtig diagnostiziert wurde. Je weiter der Gau in Tschernobyl zurück lag, desto seltener wurde ein möglicher Zusammenhang wohl überhaupt in Erwägung gezogen.
Gerade in Verbindung mit Radioaktive ist die Dunkelziffer an wirklichen Opfern wohl deutlich höher.
So ticken die meisten Menschen halt nicht. Nach der Statistik müssten wir Autofahren sofort verbieten. Tun wir aber nicht. Laut Statistik hätte es vermutlich noch gar keinen GAU geben dürfen. Hat es aber.
Ich finde deine Stellungsnahme trifft sehr auf den Begriff „What aboutism“. Ich Stimme dir voll zu, dass die Wissenschaft viele Fehler macht, Korrupte Wissenschaftler existieren und persistieren… aber du listest hier wenige, sehr prominenten Fälle hier auf. Fakt ist, dass die wissenschaftliche Methodik einer der haupt-Antriebe für die Proliferation und der Fortschritt der Menscheit ist, ganz davon abzusehen dass es in der wissenschaftlichen Community genug Stellscharuben gibt, dass die meisten Skandale binnen kurzer Zeit durch die Massenpsychologie in den Boden gestampft werden. Es gibt Regeln und Dogmen die sich über alle Fachbereiche erstrecken, und diese sind unanfechtbar. Ich finde dies einer der wichtigsten Eigenschaften ist. Die Wissenschaft ist nunmal nicht zu vergleichen mit politischen und gesellschaftlichen Diskussionen, weshalb meinererachtens auch so viele Menschen daran scheitern. Ein Beispiel: Das „vaccines cause autism“ paper von Andrew Wakefield war, wenn ich mich recht erinnere, nicht mal 2 Wochen online, bevor es wiederrufen wurde da die Methodik klare Fälschung aufgewiesen hat. Wakefield hat sein Lizenz verloren und Weltweit haben sich die Forscher gefreut. Das war 1998. In der Wissenschafts Community wurde dieses Thema seit dem nicht mehr seriös aufgegriffen. Und, naja, wie soll ich sagen. Schau dich um was in den Medien ist -.-
Die Technology eines modernen AKW ist fundamental anders als die damals in der Sovietunion gebauten RBMK Reaktoren - welche sowieso eine experimentelle Entwicklung der Sovietunion war und folglich - verständlicherweise - nicht mehr verwendet wurde. Zudem muss ich nocheinmal sagen, wenn man sich mit dem genauen Ablauf des RBMK Reactor Meltdown von Tschernobyl befasst und mit der physik der neueren Reaktoren vergleicht, ist es ein Vergleich wie Äpfel und Birnen. Ich kann gerne noch ein paar paper zu der Funktionsweise von modernen Reaktoren posten.
Wie kommst Du zu dieser Einschätzung?
Langfristig unbewohnbar ist ein Gebiet von Radius 30 km (d.h. ca 3.000km²) um den ehemaligen Reaktor (Sperrzone von Tschernobyl – Wikipedia )
Darüber hinaus sagt die Wikipedia (Nuklearkatastrophe von Tschernobyl – Wikipedia):
„Vollends für die menschliche Nutzung aufgegeben werden mussten ca. 6400 km² an landwirtschaftlicher Fläche und Waldgebieten, die nahe dem Kraftwerk liegen und dementsprechend sehr hoch belastet sind.“ und " So können aufgrund der Strahlenbelastung knapp 800.000 Hektar Land und 700.000 Hektar Wald nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden." D.h. 8.000 bzw. 7.000 km².
Deutschland hat eine Fläche von ca 350.000 km².
Die Katastrophe war natürlich schrecklich, sie hätte - wenn sie in Bayern stattgefunden hätte, aber nicht weite teile des Bundesgebiets unbewohnbar gemacht.
Auf der einen Seite zitierst du sehr wohlwollend (Bestcase): Das letzte Kernkraftwerk in der Schweiz ging in den 80er Jahren in Betrieb. In Finnland bauen sie mindestens 2003 (Zeitpunkt der Ausschreibung) und hoffen nächstes Jahre fertig zu werden (19 Jahre). Hinkley Point sollte eigentlich nicht gebaut werden, weil nicht rentabel und ging nur mit Subventionen.
Auf der anderen Seite zitierst du sehr kritisch. Nicht jedes Windkraftwerk dauert sieben Jahre. Du hättest ja auch diese Studie oder diese Quelle nehmen können. Die spricht von einer mittleren Dauer von knapp über vier Jahren.
Uns selbst wenn:
Selbst wenn wir heute anfingen drei AKW zu bauen und nur 19 Jahre wie die Finnen brauchen, das kommt trotzdem zu spät. Und da sind die Risiken, die @vieuxrenard richtigerweise erwähnt, noch nicht mit eingepreist, von Endlagerung gar nicht zu sprechen.
Die Bayern? Die Stromtrassen verhindern? Die Windräder verhindern? Die sollen jetzt aufmal für AKW in ihrem Vorgarten stimmen?