LdN 260: Digitalministerium und Vergabemodalitäten

Hallo zusammen,

ich habe euch aufmerksam bei der kondensierten Darstellung bisheriger Softwareprojekte zugehört und eure Vorschläge zur Ausgestaltung eines Digitalministeriums verfolgt.
Hierzu meine Gedanken: ich verstehe euren Vorschlag so, dass das Digitalministerium sozusagen einen Architektur-Blueprint erstellt (und sich um APIs / Datenmodelle kümmert). Ich würde von der Idee von einem Blueprint ein bisschen abraten. Das gibt es in Unternehmen immer wieder und funktioniert nur, wenn das nach Augenmaß gehandelt wird, wenn es Ausnahmen geben darf und das Konstrukt fortlaufend kompetent aktualisiert wird. Ich traue das unseren Behörden ehrlich gesagt nicht zu.

Was ich gut finde, ist, wenn das Fachwissen und die Anforderungen in den (Fach-)Ministerien verbleiben. Was man auch nicht ganz so erfolgreichen Projekten erahnen kann, ist doch, dass die Hilfe bei der Vergabe und bei der Ausschreibung brauchen. Die wissen gar nicht, auf was die hier achten müssen. Hier wäre eine Hilfestellung, z.B. in einem zentralen Digitalministerium sinnvoll. Oder guter Prozessvorgaben. Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass ein bietendes Unternehmen seine IT-Architektur erst einmal in einem öffentlichlichen Begutachtungsprozess beweisen muss. So dass der CCC aber auch nicht nur der sondern auch andere Player rechtzeitig auf Schwachstellen hinweisen können. Und dass bei erfolgreicher Vergabe und später auftretenden Schwächen ein Nachteil für den Lieferanten entsteht - so dass Schwächen sich nicht mehr lohnen. Man müsste noch einmal über die genauen Modalitäten nachdenken - es kann gut sein, dass hier der Teufel im Detail liegt. Vielleicht gibt es aber auch schon andere Branchen mit ähnlichen Modalitäten. Oder euer juristischer Sachverstand hat noch ein paar Geheimtipps auf Lager.
Der Vorteil wäre auf jeden Fall, dass es Ressourcen wie den CCC gibt, die seit Jahren kostenlos und gemeinnützig eine sehr gute Review-Arbeit machen. Warum dies nicht im Prozess berücksichtigen? Und das ist bisher auch passiert, nur vom Timing suboptimal - nämlich dann, wenn die Apps fertig waren (Ausnahme: CWA).

Zum Schluss kann ich mir nicht verkneifen: Man könnte auch Architektur-Wettbewerbe ausschreiben - so sind schon Kunstwerke wie Opernhäuser entstanden. (Hier braucht man dann aber wirklich eine Jury)

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So hatte ich es nicht ganz verstanden. Eher, dass sich das Digitalministerium in einem Schichtenmodell (a la OSI) eher um die unteren und mittleren Schichten kümmern soll, während die Applikationsschicht bei den Fachministerien verbleibt. Dazu braucht es natürlich die entsprechende Kompetenz auch bei den Fachministerien, wie man die unter der Applikation liegenden Austausschichten nutzt.

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Hallo zusammen, ich finde die Idee eines zentralen Digitalministeriums sehr gut und auch längst überfällig. Ich arbeite bei einer Unternehmensberatung für Digitalisierung und wir haben sehr gute Erfahrungen mit der Einführung zentraler Digitaleinheiten gemacht. Sie sind Treiber für technische Innovationen (viele Mitarbeitende in anderen Abteilungen wissen oft gar nicht, dass es technische Lösungen für ihre Probleme gibt), Projektleitung bei der Implementierung (oft zusammen mit jemanden aus den Fachabteilungen) und nicht zuletzt Wissensvermittlerinnen in die anderen Bereiche hinein.

Wichtig dabei ist, dass die Mitarbeitenden aus den Digitaleinheiten „Anspielstationen“ (Sparringspartner) in den Fachabteilungen haben. Deswegen sehe ich auch keine Notwendigkeit die Digitalos aus den Fachministerien abzustellen. Sie werden als „Brückenköpfe“ zwischen Digitalministerium und Fachministerium dringend gebraucht.

@SouSam die Idee Institutionen wie den CCC einzubeziehen ist total sinnvoll. Und auch dafür bräuchte man ein Digitalministerium mit sehr fähigen Mitarbeitenden, die mit dem CCC auf Augenhöhe sprechen können. Meine Erfahrung ist, dass Leute aus den Fachabeteilungen das oft nicht leisten können.

So oder so, es muss in den kommenden Jahren einfach organisatorisch mehr Fokus auf Digitalisierung gelegt werden als bisher (Stichwort: Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung… :roll_eyes: ).

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Grundsätzlich sinnvoll, doch möchte ich ergänzen, dass es hierzu noch einen wichtigen Aspekt gibt: Das Vergaberecht. Das Vergaberecht bietet eine ganze Menge Möglichkeiten, auch z. B. ein Bewertungsgremium, das ein Konzept bewertet und diese Wertung als Zuschlagskriterium gewertet wird. Das ist aber auch keine Standardvergabe. Auch im Punkt Vergabeverfahren sollten hier neue Wege beschritten werden. Sonst hat das eine sehr gute Chance bereits im Ansatz zu scheitern.

Hi!
Ein Ministerium für Digitale Infrastruktur würde ich auch sehr begrüßen! Ich arbeite im Umfeld der Medizininformatik, wo genau dieses Problem zum Tragen kommt. Erfreulicherweise kann ich hier ein (halbwegs) positives Beispiel anbringen: In der Medizin-Informatik-Initative (BMBF gefördert) werden in verschiedenen AGs Dateistandards erarbeitet, die dann von lokalen Akteuren (z.B. Verbünde aus Unikliniken oder Ärzte/Praxisnetzwerken) mit frei wählbarer Software verarbeitet werden können.
Das ist an sich sehr gut, denn so können die standortspezifischen Anforderungen berücksichtigt werden und es bleibt trotzdem interoperabel.
Aber schon allein im Bereich der Medizininformatik gibt es große Schwierigkeiten, so eine Taskforce/AG/… für Infrastruktur einzurichten. Wenn hier ein Digitalministerium das Zepter in die Hand nehmen würde und dafür Sorge und Verantwortung trüge, diese Dinge durchzusetzen, könnte die Digitalisierung in Deutschland richtig vorangehen! :slight_smile:

Wichtig ist, wie christina_dilio auch meint, dass es Sparringspartnerschaften braucht, denn woher soll das Ministerium wissen, was es tatsächlich für Probleme gibt. Eine regelmäßige, transparente Kommunikation zwischen den Beteiligten unter Leitung des Digitalministeriums würde aber auch hier den Weg ebnen können. Beim Punkt Transparenz können (und wollen hoffentlich ;)) dann auch Akteure wie der CCC mit einsteigen und ein weiterer Prüfstein sein.

PS: Und wie immer ein großes Danke an Philip und Ulf für euren wunderbaren Podcast! Eure Stimmen im Ohr sind mir immer eine Freude :hear_with_hearing_aid: :heart_decoration:

Hallo zusammen,

zunächst mal ein großes Dankeschön an LDN. Ihr macht einen tollen Podcast, kritisch, aber vernünftig kritisch, nicht überzogen und stets sachlich und gu recherchiert.

Zum Thema Digitalministerium:

ich kann aus den Erfahren aus der Justiz bei E-Akte und neuen Justiz-Anwendungen sagen, dass das Hauptproblem darin besteht, dass die Behörden gute Informatiker oder zumindest im Bereich Digitalisierung kompetente Personen nicht einstellen kann, weil die viel zu schlecht bezahlt werden. Mit A13 lockst du keinen hinterm Ofen vor. Und Dienstwagen oder Kita-Gebühren-Zuschuss sind bei staatlicher Lohnpolitik Fremdwörter.

Ich habe zwar den Eindruck, dass zB beim BSI ein paar kluge Köpfe sitzen. Behörden können also auch Kompetenz. Ob aber ein solches Digitalministerium diese Kompetenz sich einkaufen oder verschaffen kann, erscheint mir fraglich.

Der vergaberechtliche Ansatz gefällt mir recht gut. Man sollte aber hier schon bei der Erstellung von Leistungsbeschreibung und etc. (externe?) Kompetenz reinholen.

Ich sehe das leider viel zu oft beim Thema Barrierefreiheit. Obwohl dazu im Vergaberecht besondere Vorschriften existieren (Zuschlagskriterium etc), wirkt sich das in der Praxis nicht aus, weil einfach keiner Ahnung hat, wie man das in die Leistungsbeschreibung reinschreiben kann oder soll. Da steht dann häufig nur „barrierefreiheit“ als leere Hülle, ohne auf Definitionen oder Standards einzugehen. Und der Auftragnehmer verspricht natürlich alles, liefert am Ende aber nichts. Und dann muss der Staat über eigene Leute oder externen Sachverstand erst einmal Barrierefreiheitskonzepte entwickeln und dann über teure CRs beim Auftragnehmer nachliefern lassen.
Da werden noch nicht einmal die Schwerbehindertenvertreter vor der Vergabe einbezogen. Es gibt dafür auch keine Beteiligungsrechte.

Wenn man schon ein Digitalministerium schaffen will, dann müsste man mE zusätzlich über das Vergabrecht auch eine Pflicht zur Einbindung dieses Ministeriums bei Länder-Vergaben regeln. Dann legen zB die Länder einen Entwurf der Leistungsbeschreibung vor und das Ministerium kann Verbesserungsvorschläge unterbreiten.Oder entwickelt Musterleistungsbeschreibungen.

Die allgemeine Definition von Standards und APIs usw. wäre natürlich auch begrüßenswert, gehört aber vermutlich sogar noch höher, auf Ebene der EU aufgehängt. Und von da kommen ja schon Verordnungen, zB die eIDAS-VO für Signaturen.

Ich glaube, es wäre schon mal wichtiger, wenn man bei den Ländern Kompetenzstellen mit fähigen und gut bezahlten Leuten einrichtet. Dafür müsste man dann halt mal ein paar B2, B3 oder B4-Stellen streichen, um das zu finanzieren.

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Ich stimme 100% zu, und möchte erhöhen: Wenn man sich dennoch entschliesst in einer Behörde diese Arbeit für weit weniger Geld zu machen als in der privaten Wirtschaft, trifft man dort in weiten Teilen auf verkrustete Strukturen, alte Seilschaften und allgemein eher das Bestreben, dass doch bitte alles so bleiben soll wie bisher. Viele haben es sich in ihren Nischen bequem bis zur Pension eingerichtet, und kommt man dort als Neuer von außen rein, wird man sehr bald von der Realität eingeholt.
Einige rennen dann noch ein paar Jahre gegen Mauern, andere erkennen schnell wie der Hase läuft und passen sich an oder verlassen den laden schnell wieder.

Es mag natürlich sein dass eine neu gegründete Behörde weniger solche Probleme hat, nur muss man als solche „Meta“-Behörde eben mit den anderen zusammen arbeiten, und ich habe so die Befürchtung dass diese Zusammenarbeit schwierig wird.

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Das würde ich auch so unterschreiben. Ich glaube auch, dass es in Deutschland viele engagierte und gut ausgebildete Leute gibt, die auch für die Gehälter von normalen Staatsbediensteten arbeiten würden. Im CCC engagieren sich ja genug Leute sogar ehrenamtlich.
Es scheitert halt u.A. an den genannten Punkten.

Hinzu kommt z.B. noch der sog. „Hackertool Paragraph“ (müsste StGB §202c sein). Das macht den Staat als ganzes für Informatiker aus dem Sicherheitsbereich ja auch nicht gerade sympathisch.

Mfg
Matder

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darauf wurde der Fokus gelegt, in der Sendung, ja. Aber ich denke, es wurde auch die Security bei der Führerschein-App kritisiert und die sollte durch Vorgaben aus dem Digital-Ministerium verhindert werden. Das Securtiy-Problem war ein Architektur-Problem. Wenn das zentral verhindert werden soll, muss das Digital-Ministerium Architektur-Kompetenz haben.

Ich bin mir nicht sicher, ob du meinen Ursprungspost richtig verstanden hast. Ich habe nie gesagt, dass das Vergaberecht das bisher nicht abbilden kann. Wenn ich als Fachabteilung nicht weiß, worauf ich wert legen muss, dann kann ich das auch nicht im Ausschreibungsprozess als Kriterium aufnehmen. Z.B. auf die Idee zu kommen, ein Bewertungsgremium einzusetzen und wie das zu besetzen ist und dass es überhaupt einen Gegenstand zur Bewertung gibt, der über die Fachlichkeit hinausgeht, das ist Fachlern vielleicht nicht klar. Am konkreten Beispiel ein fiktiver Verlauf: Bei der Führerscheinapp denkt die Fachabteilung, sie weiß was gefordert ist, sieht den Führerschein in der App und sagt „das passt“. Auf Security kommt sie gar nicht richtig auf die Idee zu achten.

Daher kam genau der Vorschlag, dass ein Digitalministerium bei den Ausschreibungen unterstützen soll. Damit die Möglichkeiten gut und zum Produkt passend ausgenutzt werden können.

danke!

zur Klarstellung / Einordnung:
Mein ursprünglicher Beitrag war nicht so gemeint, dass es kein Digitalministerium geben sollte. Man braucht genau dort eben auch Leute, die z.B. mit dem CCC sprechen können. Die Frage für mich war eher, wie schlank oder wie groß es ist. Man verfällt bei Behörden in meiner Vorstellung dann gerne in einen Modus, bei dem sehr viel reguliert wird. Und hier muss man aufpassen, dass es nachher nicht zu viele Vorgaben gibt.

Ja, ich glaube schon, aber anscheindend war meine Antwort nicht präzise genug. Du hast völlig Recht mit Deinem Post und es ist natürlich die Grundvoraussetzung, dass die Fachabteilung weiß, wo die Reise hingehen soll. Aber auch wenn dieses Problem gelöst ist, gibt es immer noch das Vergaberecht. Wenn da nur absolute Basics für Dinge aus dem Regal zur Verfügung stehen wird es schwierig.
Vor wenigen Jahren habe ich das am eigenen Leib erfahren. Wir haben fachlich hochkomplexe Ausschreibungen und es gab als einzige Option das Kriterium Preis und dann Mindestanforderungen mit Ja/Nein. Kein Gremium, keine Bieterpräsentation, keine Verhandlungen, usw. Da wird es dann echt schwierig, das zu bekommen, was man als Fachabteilung auch möchte.

Dazu kommt, dass Fachleute statt wirklicher Anforderungen („ich benötige ein Loch in der Wand“) meistens schon halb ausgedachte Lösungen („ich will einen.Bohrer“) fordern - die aber in aller Regel einfach nur die Digitalisierung des schlechten Prozesses erzielen und keine Innovation zulassen.

Meine Erfahrung ist, dass das Vergaberecht schon Agilität und Dialog mit Anbietern zulässt, das Problem ist nur, dass die ausschreibende Stelle dafür ein Verständnis von Software-Entwicklung bzw. IT-Projekten braucht, an dem es in der Vergangenheit oft gefehlt hat.

Es ist halt einfach nicht sinnvoll, bei komplexer Software einen Werkvertrag auf Basis eines Lastenheftes auszuschreiben. Da glaubt man zwar Sicherheit zu haben, was man bekommt und was es kostet (und deshalb fordern Juristen das), aber dann stellt sich im Projekt heraus, dass die Anforderungen gar nicht klar waren oder eine andere Lösung besser gewesen wäre.

Zudem dauern solche Verfahren sowieso lange (min. 6 Monate), wenn man dann noch ein Vorprojekt macht, um ein Lastenheft zu schreiben, kann man locker ein Jahr rechnen, bevor das eigentliche IT-Projekt beginnt…

Ich habe in den letzten Jahren bei meinen Kunden daher mehr und mehr Dienstleistungs-Rahmenverträge gesehen, in denen im Dialog mit dem Dienstleister agil die Anforderungen definiert und die Lösung entwickelt wird.

Eine Digitalisierungsministerium muss daher verstehen, wie IT-Projekte wirklich funktionieren und das richtige Vergabeverfahren richtig managen.

Edit: fehlende Worte

Ein Hinweis: der Bund verfügt mit dem Bundesverwaltungsamt

über eine Einheit, die eigentlich genau die Aufgaben wahrnehmen sollte, die jetzt beim Digitalministerium gesehen werden (wahrscheinlich allerdings nur für Bundesbehörden).
Es fragt sich, warum es nicht die entsprechende Durchschlagskraft hat.

Zumindest die IT der Bundesbehörden wurde ja schon zentralisiert. Da wo früher 14 IT-Abteilungen gearbeitet haben, wird heute alles von zweien erledigt. Ich denke, genau das ist auch der Ansatz, dort dann Personal mit KnowHow einzustellen und dann eben auch die Prozesse zentral zu erarbeiten.
Will sagen, es hat sich schon einiges getan, auch wenn man das nicht so sieht.