In der aktuellen Diskussion über die Evakuierung der Ortskräfte und ihrer Familien wird der Grünen-Antrag, der am 23. Juni im BT abgestimmt wurde, in der Regel so gehandelt, als wäre das eine Art verpasste letzte/späte Chance gewesen – so höre ich das auch in der aktuellen Ausgabe der Lage.
Vorweg, obwohl selbstverständlich: Was wir in Afghanistan gerade sehen, zerreißt einem das Herz, und ich bin wie wahrscheinlich fast alle hier sprachlos über dieses politische und humanitäre Versagen Deutschlands und vieler anderer.
Gerade deshalb finde ich es aber wichtig, genau zu bleiben, und wenn man sich den Antrag in der Sache, in seiner Geschichte und in der Debatte anschaut, hat er weder das Ziel noch das Potenzial noch die Aussicht, die Katastrophe abzuwenden oder zu mildern – die zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon zu erwarten war, aber von so gut wie niemandem erwartet wurde.
Letzteres gilt ganz offenkundig auch für die antragstellende Fraktion, die Grünen. Schaut man sich die Aufzeichnung an, waren (wie bei allen anderen) nicht gerade viele Abgeordnete vor Ort, und die Rede von Luise Amtsberg ist zwar in der Sache klar, aber weder übermäßig engagiert noch auf die konkret drohende Lage bezogen. Das mache ich ihr auch überhaupt nicht zum Vorwurf, es zeigt nur, dass auch die Grünen nicht hellsichtiger waren als andere.
Hier könnt Ihr selbst schauen: Deutscher Bundestag - Antrag zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte abgelehnt
Dann das Ziel des Antrags: Absolut berechtigt und in der Sache auch von anderen Fraktionen und Politiker:innen getragen, nicht zuletzt der SPD. Aber mit der Einführung eines neuen Verfahrens, was ja einen gewissen exekutiven Rattenschwanz hat, der sich nicht zuletzt durch das BMI schlängelt, wäre für die akute Situation mit größter Wahrscheinlichkeit nichts zu gewinnen gewesen. Womit auch schon alles über die realen Erfolgsaussichten gesagt ist: Allein ein Seehofer wäre nicht so schnell in Gang gekommen bei einem positiven Beschluss, dass es am Ende, in der Situation, die eingetreten ist, etwas ausgemacht hätte.
Das schiefe Framing, das es in der Berichterstattung fast ohne Ausnahme hat, erkläre ich mir mit Recherchemängeln – es passt halt oberflächlich betrachtet zu gut ins Bild, dass diese Regierung wirklich alles nur Denkbare versemmelt habe. Nota bene: Da sind übelste Fehler gemacht worden, das ist keine Frage. Wenn aber dieser Antrag für die aktuelle Notlage tatsächlich bedeutsam hätte sein können, fände ich eine ausführlichere Gegenrecherche zu diesem Punkt schon wichtig. Z. B. Helge Lindh würde sicher gern erläutern, warum die SPD-Fraktion so abgestimmt hat.
An sich gehört dieses Kapitel wie viele andere in den Untersuchungsausschuss, den es hoffentlich geben wird.