LdN 231: Konsenskultur

Hallo liebe beide,

Ich denke, hier habt Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen: Deutschland hat ein umfassendes System des Interessenausgleichs geschaffen, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen den Generationen und zwischen den Regionen. Dieses System hat uns über Jahrzehnte gut gedient, in denen der Wohlstand durch Industriearbeit und stabilisierende Schrittinnovationen erarbeitet wurde und insgesamt deutlich gewachsen ist, so dass man meist etwas zu verteilen hatte.

Interessenausgleich im Sinne von Verteilung eines wachsenden Kuchens ist aber nicht das, was in der Pandemie zu tun ist. Genau genommen schrumpft der Kuchen mit der Dauer der Verhandlungen und der Untätigkeit…

Noch schlimmer: die Grundlage dieses Gesellschaftsmodells, in dem wir es uns gemütlich gemacht haben, ist akut gefährdet:

  • durch den demographischen Wandel der Interessenausgleich zwischen den weniger werdenden arbeitenden und den mehr werdenden Rentnern
  • durch die aus dem Ausland betriebene Digitalisierung die primäre Quelle der Wertschöpfung
  • durch den Klimawandel unsere natürliche Lebensgrundlage (und wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, die Möglichkeit, wesentliche Kosten unseres Wohlstands zu externalisieren).

Das heißt, wir müssen unser Gesellschaftsmodell „disrupten“, um es wieder handlungsfähig und zukunftsfähig zu machen.

Leider scheinen die aktuellen Regierungsparteien (wie auch FDP, Linke und AfD sowieso) das nicht erkennen zu können oder zu wollen. (S. mein Thread „Lehren aus Corona“).

1 „Gefällt mir“

Liebes Lageteam,

vorab: das Hören der Lage ist ein Höhepunkt des Wochenendes.

In Eurer letzten Folge hat mich der Umgang mit dem Begriff KONSENS und KONSENSGESELLSCHAFT irritiert.

Ich glaube nämlich, dass wir nicht in einer Konsensgesellschaft leben, sondern in einer Kompromissgesellschaft.

Ein Konsens ist die größtmögliche Übereinstimmung, die im Idealfall alle beteiligen Interessen berücksichtigt. Der Nachteil: Konsensfindung dauert. Vorteil: Er gilt auch nach Abschluss.

Ein Kompromiss ist der kleinste gemeinsame Nenner, also das, auf das sich alle beteiligten Interessen einigen können, ohne zuviel Abstriche hinnehmen zu müssen. Kontoverse Standpunkte werden in der Regel ausgeklammert. Vorteil: Ein Kompromiss lässt sich verhandeln. Nachteil: Am Ende muss jeder Abstriche machen und kann seine Unzufriedenheit mit dem Kompromiss zur Schau stellen. Verabredungen können nach Abschluss in Frage gestellt werden.

Das gesamte westliche Politk- und Wirtschaftssystem beruht auf dem Kompromissprinzip. Darum können lautstark vorgetragene Extrempositionen so viel Einfluss ausüben.

Vielleicht wäre es sogar spannend, ein Konsensgesellschaftsmodell zu entwickeln, anstatt zu versuchen, solche Modelle anderer Kulturen durch (kompromiss-)demokratische Systeme zu ersetzen. Aber das wäre ein anderes Thema.

5 „Gefällt mir“

Ich sehe es genau umgekehrt. Wir haben eine politische Konsenskultur, die besser eine Kompromisskultur sein sollte. Wie schon gesagt, ist der Kompromiss etwas, auf das man sich so gerade einigen kann, ohne seine eigenen Überzeugungen über Bord zu werfen.
Das wäre letztendlich eine wirklich pragmatische Politik. Nur, dass diese pragmatische Kompromissfindung eben nicht bedeutet, wie so oft gemeint, dass man das Schnellstmögliche oder nur das „Realistische“ zum Prinzip erhebt. Oder dass man von vielen Gruppen einen „Pragmatismus“ einfordert, was ihre eigenen Interessen angeht.

In der Politik habe ich jedoch das Gefühl, dass eben keine Kompromisse gesucht werden, sondern das Verlangen nach Konsens die eigenen „Ideale“ verrät.

ehmm die Begrifflichkeiten sind hier ziemlich Konfus. Deutschland ist tendenziell eher eine sg. konkordanz Demokratie, das bezieht sich erst mal nur auf den Einbezug relevanter Gesellschaftlicher Gruppe in den Entscheidungsprozess (sprich die ganzen Gremien, AGs etc.) und nicht auf die Entscheidungsfindung. Ich bezweifle, dass man von dieser Struktur aus das eine oder das andere ableiten kann. Gerade, weil es auch strukturelle Aspekte gibt die Konkurrenzverhalten nahe legen. Entsprechend lässt sich beides in der BRD finden.
Sprich die Abgrenzung von AFD beruht auf einem Konsens, ebenso wie die Umgangsformen im Parlament etc.
Die Klassischen omnibusgesetze sind bspw. eher ein kompromiss.

Wie viel der Entscheidungen auf Konsens und Kompromiss beruht ist doch eher schwierig zu sagen, weil im Sinne der medialen Abgrenzung meist die Darstellung als Kompromiss stärker dazu dient die eigene Wählerschaft zu überzeugen als ein Kompromiss, gleichzeitig wird hier unterliegendes Konsensverhalten oft nicht genannt. Bei der Abgrenzung zur AFD ist natürlich der Konsens hilfreicher. Das mag auch Daran liegen, dass ein Konsens eine normativ positive Bewertung in ihrer „Einigkeit“ findet.

Die Forderung nach einem Konsens sehe ich als nicht besonders hilfreich an, wenn dass geteilte Wissen und die Prämissen der eigenen Positionen sich in teilen fundamental unterscheiden (bspw. durch Ideologie oder die unterscheidlichen Erfahrungen der eigenen Wählerschaft)
Erst muss in Wissen und Prämissen ein Konsens erzeugt werden bevor man in Entscheidungen einen Konsens erzeugen kann. Da ist jedoch gerade mittlerweile kaum machbar. Ich bin mir auch nicht sicher ob die Grundprämissen hinter dem diskursiv konsensualen Konzept, also diskursive Erzeugung quasi objektiven Wissens überhaupt sinnvoll ist. Daher gibt es in teilen mit gemeinsamen „Wissen“ oft Konsensbestrebungen und den anderen Kompromiss Bestrebungen.

Alelrdings scheinen die zentralen Parteien im BT einen relativ weitreichenden Konsens im Bezug auf die Wirtschaftspolitik zu haben.

Ein kompromiss ist die Frage der eigenen Verhandlungsmacht nicht zwangsläufig jener der Mitte. Mit anderen Worten je nach dem wie stark eingeschränkt man seinen Verhandlungsspielraum darstellen kann desto eher kann man die eigenen Positionen durchsetzen. der sogenannte Kuhhandel.

Der kleinste gemeinsame Nenner ist ein Konsens und kein Kompromiss.

Ja, wie man an den Entlassungen bei Daimler unschwer erkennen kann. Außer bei der „aus dem Ausland betriebenen Digitalisierung“ stimme ich dir zu. Die Formulierung klingt mir zu gezwungen, aber das war sicher nicht so gemeint.

Das Modell Deutschland funktioniert in mancherlei Hinsicht nicht mehr. Die Krisenanzeichen gab es ja schon zuhauf. Pisaschock, Rückstand in Digitalisierung, drohender Strukturwandel in den Kernindustrien, Rentensystem, Gesundheitssystem. Diskussionen über die Rolle der Parteien.

Unabhängig von der Pandemie selbst wird der Kuchen so schrumpfen, wie es die Deutschen noch nicht erlebt haben. Das ist unvermeidlich, und jeder spürt das. Wenn die Kernindustrien Autobau, Chemie und Maschinenbau schrumpfen, wird das systemische Folgen haben, vom Länderfinanzausgleich (BaWü, Bayern als Nettozahler!) bis hin zur gesellschaftlichen Stabilität. Was dann mit dem gesellschaftlichen Konsens (Arbeitnehmer vs Beamte) passiert, macht mir schon länger Bauchschmerzen. Wer erwirtschaftet dann die Steuergelder?

Jetzt sind viele über die organisatorischen Unfähigkeiten des Staates während Corona fassungslos. Auch Ulf und Philip haben ja ihre Fassungslosigkeit geäußert.

Ich stimme dir zu: Die Disruption ist unvermeidlich, aber das macht vielen einfach noch Angst.

Ja und nein. Sowohl die Innovatoren als auch die Profiteure der Digitalisierung sitzen halt überwiegend im Ausland.

Und wenn wir Arbeit durch KI ersetzen, werden die Wohlstandsgewinne davon nicht hier erzielt, sondern bei den (überwiegend ausländischen) Software-Anbietern bzw. deren Shareholdern.

Das ist sicher richtig. Während andere Länder wie die USA und China die Innovationen und die technologische Revolution vorangetrieben haben, hat sich Deutschland halt mit Bedenken und Datenschutz auseinandergesetzt.
Und so sind Schlüsseltechnologien an Deutschland vorbeigegangen: Cloud, Machine Learning und Deep Learning (ich vermeide bewusst KI), Software, Plattformökonomie (Amazon, Facebook etc.), Social Media, Technologien wie Smartphone, Tablet, Blockchain, 3D-Druck, E-Mobilität, Gentechnik, 5G… In allen Bereichen ist Deutschland völlig irrelevant und hat sich zum Konsumenten degradiert.

In keinem der zukünftigen Bereiche hat Deutschland nennenswerte Spieler. Im Bereich Digitalisierung (Bandbreiten, Glasfaser, 5G) ist Deutschland hinter afrikanische Länder zurückgefallen, in der EU auf Platz 27.
Wenn es einen Konsens gibt, dann ist es Innovationsfeindlichkeit, Zukunftsangst und Sicherheitsdenken. Wie ich mal zugespitzt formuliert habe, Deutsche übernehmen Innovationen, wenn sie eine DIN-Norm bekommen haben. Das ist aber schon seit Jahren bekannt und jetzt nicht überraschend.

An die Disruption, die du beschreibst, glaube ich daher schon lange nicht mehr. Dafür weiß ich, wie viel Dynamik in anderen Ländern steckt. Die Afrikaner und Asiaten sind noch hungrig, Deutschland ist satt. Deswegen bin ich manchmal auch erstaunt, dass viele glauben, dass wir uns die Corona-Politik so leisten können. Vielleicht ist es auch schwer, den echten Zustand und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft zu sehen. Ich glaube, das Erwachen wird in den nächsten Monaten für viele noch sehr unschön und dann ist das Gejammer über die „böse Technologie“ groß.

Ich empfehle allen, die können, schon seit langem, ins Ausland zu gehen. Das ist schwieriger geworden, aber zum Beispiel bei den skandinavischen und niederländischen Nachbarn ist mehr Bewegung drin.

1 „Gefällt mir“

Hihi diese Afrikaner und diese Asiaten.

Naja das schwedische ericson hängt Huawei genauso hinterher, wenn nicht sogar noch mehr als cisco. Außerdem sind die skandinavischen Länder doch eher regulationsfreundlich. Das libertäre Argument der innovationshindernden Regularien ist allgemein kaum haltbar. Das beispielsweise Siemens keine schnelleren Züge baut liegt daran, das keine Infrastruktur existiert, welche solche Züge benötigt. Hier wären offentliche Mittel notwendig ein entsprechendes deutsches bzw europäisches Netz zu schaffen.

Die mangelnde Innovation in der dt autoindustrie liegt doch eher an deren Trägheit. Hat doch bmw brennstofzellen tec. lieber an toyota verkauft als es selbst weiter zu entwickeln. Auch hier hätte der staat dies unterstützen können durch eine frühe Schaffung einer Wasserstoffinfrastruktur. Elektroautos hielt man zu lange für nicht marktfähig während andere Konzerne diese längst angeboten haben. Während dessen hat die Regierung den Betrug bei den Regularien zugelassen anstatt innovationsdruck zu erzeugen, indem man die Regularien durchsetzt.

Nicht zuletzt hat man in Deutschland chinesische Firmen solange belächelt bis diese einen überholt hatten.

Ich hab nicht viel übrig für die Anti-gen-tek hippies. Trotzdem sollte man sich im klaren sein, das Regulierungen hier sehr schwammig sind und es durchaus nicht wenig gen tec in vielen lebensmitteln gibt. Trotzdem würde ich dir dahingehend zustimmen dass man diese nicht so rundheraus ablehnen sollte. Aber deutschland und seine anthroposphen sind ein ganz anderes Problem.

Der Datenschutz ist etwas ganz anderes. Das dieser Innovation nicht im weg steht hat der CCC oft genug gezeigt. Im Gegenteil würde man Gruppen wie den CCC oder ähnliche hackergruppierungen mit einbeziehen würde dies die innovation wohl eher beschleunigen. Auch hier gilt übrigens opensource projekte wie tor oder signal entstammen staatlicher förderung durch die usa. Gerade die Befürworter des Datenschutzes sind einige der wichtigsten Lobbygruppen für mehr Digitalisierung.

Die mangelnde Digitalisierung von Schulen und Unis ist doch weniger Regularien bzw sicherheitsbedenken vorzuwerfen als viel mehr der Reformträgheit des deutschen bildungssystems das auf veralteten Bildungsvorstellungen beruht.

Auch die online Plattformen waren langezeit kaum reguliert und sind es immernoch sehr wenig. Auch hier kommen regularien wie jenes zum Urheberrecht doch eher aus der industrie als dass die Bevölkerung oder die Politik hier hemmende Regularien fordert.

Ich stimme dir im Problem der mangelnden innovationskraft zu nur nicht in den ursachen.

3 „Gefällt mir“

Achso Zur Normierung: Ich dachte das der Unfug der aufgehobenen Gurkenverordnung durch die EU und die Beibehaltung durch die Industrie gezeigt hätten dass Standartisierung im Interesse der Unternehmen liegt und sich sogar durchsetzt ohne das der Staat das reguliert.

Ich mag ja die din normen ganz gerne, passen doch meine Kochtopfdeckel auf verschiedene Töpfe und meine Töpfe meistens auf die Herdplatte. Während meine ungenormte Pfanne es scheinbar zustande bringt in zwei temperaturzonen zugleich zu sein.

Meine Aussage war eher sarkastisch gemeint in der Hinsicht, dass Deutsche niemals das Risiko einer neuen Technologie eingehen, wenn sie nicht woanders schon verprobt wurde. Beispiel: 10 Jahre nach Paypal versuchen die Banken, etwas ähnliches nachzubauen. So wird das natürlich nichts mit Vorreiterrollen und Deutschland läuft hinterher.

In der Theorie hast du Recht. In der Praxis habe ich leider zu oft erlebt, dass Datenschutz von Verhinderern vorgeschoben wird, um jede Form der Veränderung zu blockieren. Da nehme ich oft eine Erleichterung wahr, wenn etwas aus „Datenschutzgründen nicht geht“. Meistens stimmt das so nicht, aber allein die Drohung reicht, um vielen Projekten einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Oder Entscheidungsträger entscheiden lieber gar nicht, aus Angst vor schlechter Presse. In der Realität ist Datenschutz, wie in den Köpfen vieler gelebt, für mich ein großer Grund für die Lähmung, während andere machen und vorbeiziehen.

Ja leider. Gilt auch für öffentliche Verwaltungen. Dazu kommt noch Segmentierung durch föderalistische Insellösungen, die inkompatibel miteinander sind.

Ich habe sie als deutlich offener in der Adaption neuer Technologien erlebt. Im Sinne einer Geisteshaltung.

Das ist bei den Brennstoffzellen sicher richtig. Das war das klassische Problem, dass der Bau eines Elektroautos andere Kompetenzen braucht als der Bau eines Verbrenners. Da sind die Autobauer in dieselbe Falle gegangen wie die Schweizer Uhrenhersteller bei der Erfindung der Quartzuhr - mit der Folge, dass 90% der Uhren innerhalb von 1960 bis 1970 dann aus einem asiatischen Land kamen. Das droht den deutschen Konzernen nun auch beim Automobil. Für die deutsche Wirtschaft eine Katastrophe.

Auf der anderen Seite habe ich im manager magazin ein interessantes Interview gelesen, dass ein Manager sagte, dass beim selbstfahrenden Auto die Amerikaner in Hinsicht auf Algorithmenkompetenz nicht weiter seien als die Deutschen. Aber die Amerikaner sind risikobereiter, Testfahrzeuge auf die Straße zu bringen, um Daten zu sammeln. Und Daten sind nun mal das Gold für Deep Learning-Netzwerke.
In dieser Hinsicht haben die Autokonzerne das Thema fehlender Daten aus Angst, dass bei einem Unfall sofort eine Riesendebatte losbricht. Und ich glaube, die Angst ist in diesem Lande absolut real.
Insofern auch hier wieder das Phänomen, was ich sarkastisch mit der DIN-Norm meinte: Es gibt in diesem Land eine Angst, Fehler zu machen und damit einhergehend eine fehlende Risikobereitschaft. Früher war das kein Thema, aber jetzt verlieren wir halt wertvolle Zeit und die Kuchen werden verteilt.

Ich glaube auch, dass wir nicht so weit auseinander sind, wahrscheinlich betonen wir eher unterschiedliche Aspekte, denke ich.

1 „Gefällt mir“

Nja ein wenig möchte ich dir widersprechen, es ist weniger die Angst einen Fehler zu machen, das geht gerade noch, sondern viel mehr die Angst einen Fehler zugeben zu müssen.

An der Fehlerkultur in Deutschland muss echt gearbeitet werden.

Das beginnt schon beim Bewerbungsgespräch. Um in Deutschland dabei zu sein musst du im Bewerbungsgespräch quasi der/die fehlerfreie Superman*women sein.

Hier in Schweden musst du auf jeden Fall auch eine Schwäche von dir wissen und zugeben können.

Ja es ist schwer zu lernen, aber möglich.

Es bedeutet aber zuallererst eine Änderung im Umgang mit gemachten Fehlern. Ich rede jetzt nicht von Toten oder anderen unumkehrbaren Folgen. Aber die Deutschen als solches brauchen einen wesentlich lockereren Umgang bei ausschließlich materiellen Folgen eines Fehlers.

Das sofortige Ende einer Karriere ist auf jedenfall nicht sinnvoll.

Z.B. aktuell unser Tegnell würde offiziell vom König für seine Strategie gerügt und hat inzwischen auch Fehler zugegeben, ganz offen in Pressekonferenzen.
Er sitzt aber immernoch an genau derselben Stelle und macht weiter seine Arbeit, eben weil es wesentlich weniger Leute von der Sorte gibt, die hinterher behaupten sie hätten es vorher schon alles viel besser gewusst.

3 „Gefällt mir“

Das Problem dass ich habe ist der Begriff Geisteshaltung bzw steht ja dieser thread auch unter dem Begriff Kultur. Leider sind beides Begriffe die so bissel als der sonstiges Ordner der Politik gelten. Wenn man sonst nicht weiß, wie man es beschreiben soll ist halt die Kultur.
Ich würde argumentieren, dass das harte neoliberale Ideologie ist. Ein Beispiel hier für ist das ganze verantwortungsgerede, wenn es um das eigene Leben von Menschen geht. Dabei haben mittlerweile großeteile der Bevölkerung, dass Gefühl so gelähmt zu sein, dass diese denken mal wieder von Juden kontrolliert zu werden. Man könnte hier auch versuchen die notorische Abstiegsangst des Mittelstandes durch bessere Sozialsysteme abzustützen und so eventuell Risikobereitschaft erhöhen. In den Sozialsystemen hier fehlt auch jegliche Innovationskraft ^^

Ein anderes Beispiel das Innovation stark hemmt ist die konservative Ideologie der schwarzen Null. Dabei wären und hier scheinen wir uns ja einig zu sein öffentliches Investment in die Infrastruktur bitter nötig.
nicht Missverstehen bitte, die linken Parteien haben auch keine Idee wie man eine moderne weniger neoliberale Wirtschaft aufbaut. Das stete beziehen auf die mittlerweile veraltete Theorie von Keynes zeugt ja davon…

Bezüglich der selbstfahrenden Autos ist genau wie in den anderen Punkten eine frühzeitige Rahmensetzung des Staates notwendig. Im Idealfall entwickelt man gerade für Großstädte ein Verkehrskonzept, das ÖPV und Individualverkehr kombiniert bzw auch möglichst davon weg kommt dass Menschen eigene Autos besitzen müssen.

Es gibt durchaus Bereiche wo hohe Fehlertoleranz gar kein Problem ist, Stichwort deutsche Bank, obwohl man es hier schon mehrfach bitterst bereut hat. Ebenso so bei der Überwachungsgesetzgebung, Vorratsdatenspeicherungsgesetze werden immer wieder verabschiedet und dann gekippt, ebenso wie der mittlerweile dritte Anlauf des BND gesetztes. Hier hat man gar kein Problem (wahrscheinlich auch gar keine alternative Idee) den selben Unsinn immer wieder zu machen. Der dann vom Gericht gekippt wird.

Keine Frage, dass die Skandinavier progressiver sind als Deutschland. Es gibt auch sicherlich für viele Innovationen in Deutschland schlicht keinen Markt, gerade im Softwarebereich. Hier ist die Infrastruktur zu schlecht und alte Strukturen zu sehr eingefahren. Man könnte ja mal in der Bildung anfangen

Ich finde es nur nicht gut, wenn hier alles in einen Topf geworfen wird. Gerade die Verteidiger des Datenschutzes, deren ehrenamtlcihe Arbeit und Vernetzung so gefühlt das einzige ist was es an digitaler innovationskraft in dt zu geben scheint ^^ und diese nervigen Hippies/fundamental Ökos etc. ja die sind reaktionär und wissenschafftsfeindlich. Das ist ein riesen Problem.
Außerdem ist es glaube ich weniger dem Datenschutz vorzuwerfen, dass irgendwelche Beamten oder Politiker den benutzen um die Verantwortung von sich zu schieben. Diese Argumentation ist nicht neues. Zu mal es doch grundsätzlich sinnvoll wäre eine stabile digitale infrastruktur mit entsprechenden Konzepten, wie Datenschutz oder Verschlüsselung aufzubauen. Ich denke weder China noch USA sollten da unser Standard sein, gerade da es keinen Nullsummenspiel zu sein scheint.

Kleine Randnotiz zur Risikobereitschaft gerade der silcon Leute. Es gibt bei denen nicht wenige die auf dieses raw water stehen, also"unverarbeitetes" wasser. ^^ Bakterien gut für immunsystem, industrie schlecht und so weiter :smiley:

Danke für die Präzisierung, das ist genau das, was ich eigentlich meinte. Die Angst, einen Fehler zu machen, ist dann die unmittelbare Folge daraus, was du schilderst. Wenn ich Konsequenzen fürchten muss, ist es am Ende besser nichts zu machen als aktiv zu werden und einen potentiell „gefährlichen“ Fehler zu machen. Insofern reden wir über dasselbe, vielleicht habe ich mich nicht präzise genug ausgedrückt.

Ich finde es gut, dass Tegnell entgegen der herrschenden Meinung eine Entscheidung getroffen hat und auch zu ihr stand. Inklusive des Eingeständnisses, dass seine Einschätzung nicht 100% korrekt war. Und dass er dennoch im Amt bleibt. Das hat meinen allerhöchsten Respekt.

Diese Haltung erlaubt es auch, den Mut zu haben, zu handeln und Entscheidung zu treffen.

Das finde ich ja an Skandinavien so sympathisch. Ich habe selbst für einige Zeit in einem Nachbarland von dir gelebt, und habe diese Kultur sehr genossen. Ich hoffe, du fühlst dich dort wohl!

Genau! Das ist dann aber absolut kein Argument gegen Datenschutz, sondern ein Armutszeugnis für die Verantwortlichen, die ihre eigene Unlust und Blockadehaltung hinter dem angeblichen Datenschutz verstecken. Ich verstehe schon, dass der Datenschutz deswegen bei vielen einen schlechten Ruf hat, sehe das Problem aber wie gesagt nicht da, sondern bei den Verantwortlichen.
Wollte man wirklich etwas tun und sich nicht einfach nur hinter dem Datenschutz verstecken, würde man für nahezu alles, wo Datenschutz als Argument vorgeschoben wird, auch eine Lösung finden. Der CCC als Befürworter von Datenschutz und Digitalisierung&Fortschritt wurde hier ja schon genannt.

Bei dem meisten, was du schreibst, stimme ich dir zu. Bei dem Punkt allerdings bin ich nicht bei dir. Ich glaube, dass Selbstverantwortung ein zentrales Konzept ist, unabhängig von ökonomischen Theorien.
Beispiel Bereitschaft zu Fortbildungen: Viele Arbeitnehmer erwarten, dass der Arbeitgeber oder der Staat verantwortlich für ihre Fortbildungen sind. Nur wenige sind meiner Ansicht nach bereit, sich proaktiv und auf eigene Kosten fortzubilden. Eher gibt man in Deutschland 2000 Euro für einen Urlaub aus als für Fortbildung oder Ausbildung. Diese Konsumentenhaltung ist eine Verantwortungsverschiebung. Das äußert sich dann in „die Firmen müssen mehr für die digitale Weiterbildung ihrer Mitarbeiter tun“.
In meiner jetzigen Firma erlebe ich es, dass über digitale Plattformen kostenlose Fortbildungen angeboten werden. Und es sind immer dieselben wenigen Leute, die es intensiv nutzen. Da fehlt mir die intrinsische Motivation, zumal es noch nie so einfach war, sich fortzubilden (Udemy, freie Ressourcen, Youtube), entweder online oder offline.
Da fehlt mir klar der Biss, und ich weiß nicht, ob bessere Sozialsysteme diese fehlende intrinsische Motivation ankurbeln können.

Da sprichst du etwas an, was mich schon lange umtreibt. Was ist aus der SPD geworden, eine Partei, die mal für Fortschritt stand, für Zukunftsoptimismus? Keine Konzepte. Bei den Grünen ist das klar, da ist Technikfeindlichkeit quasi in der DNA (Ich empfehle das ältere Buch „Nerd Attack“; sehr aufschlussreich, wie sie schon in den 80ern Computer gesehen haben).
Und die Konservativen - ach, da hat Sascha Lobo ja diese Woche eine wunderbare Kolumne im Spiegel. Nur - die wurden ja die ganze Zeit gewählt. Merkel wurde doch die ganze Zeit gelobt. Eine Mehrheit der Deutschen wollte das doch so.

Wenn das so ist, und ich stimme dir voll zu, dann ist deine Aussage zu Ende gedacht ein Todesurteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Nicht dem Datenschutz an sich, sondern dem „kulturellen Umgang“ damit in der Praxis. Die Interpretation wird richtig dogmatisch geführt - in Behörden, aber auch in Teilen von Betriebsräten von Unternehmen. Meist nicht, um Datenschutz umzusetzen, sondern um Veränderung, vor der man Angst hat, zu verhindern. Und hier entscheidet sich doch der Erfolg oder Misserfolg im alltäglichen. Nicht in Statements und Konzepten von CCC oder anderen Organisationen. Der Erfolg oder Misserfolg findet tagtäglich im Feld statt, und da ist die Interpretation wichtiger als das Ding an sich. Hier kann man, glaube ich schon, von einer Kultur der Fortschrittsangst sprechen.

Kleine Randnotiz zur Risikobereitschaft gerade der silcon Leute. Es gibt bei denen nicht wenige die auf dieses raw water stehen, also"unverarbeitetes" wasser. ^^ Bakterien gut für immunsystem, industrie schlecht und so weiter :smiley:
No risk no fun! :laughing:

1 „Gefällt mir“

Ich tue mich irgendwie schwer mit zitieren -.-

Gut ich nehme den „Widerspruch“ zurück und ändere in „präzisieren“ ^^

Ja das mit Tegnell ist wirklich imponierend und zeugt eben davon, dass es in keinem Fall falsch sein darf überhaupt irgendwie zu entscheiden.

Die Entscheidung selbst kann richtig oder falsch sein, dass ist erstmal dahingestellt.

Hier ist es dann so, dass im Nachhinein untersucht wird „warum wurde falsch entschieden“ um beim nächsten Mal eine bessere Grundlage zu haben.

Allein schon diese Untersuchung ist mir in Deutschland niemals begegnet und trägt sicherlich zur Angst vor Entscheidungen bei.

Es führt aber nach meinem Dafürhalten auch zu der absurden Situation, dass man fast schon verzweifelt an erkannten Fehlentscheidungen fest hält, bis sich der Fehler nicht mehr leugnen lässt.

Auch hier gibt eine bessere Fehlerkultur mehr Raum und Möglichkeiten frühzeitig umzusteigen, selbst wenn man dann in die völlig entgegengesetzt Richtung aufbricht.

Was mein Befinden angeht, so fühle ich mich hier sehr wohl und „fahre nach Hause“ wenn ich von Deutschland zurückkomme.

Der Plan ist mir schlussendlich schwedische Radieschen von unten zu betrachten, wenn es denn soweit ist (hab hoffentlich noch ein paar Jahrzehnte ^^)

Natürlich ist Eigenverantwortung, ebenso wie Selbstwirksamkeit ein elementares Prinzip menschlichen Handelns. Der Apell an die Eigentverantwortung kann aber ebenso gut zur neoliberalen Idelogie werden, uns zwar dann, wenn ich von den gesellschaftlichen Bedingungen außer acht lasse und die unterschiedlichen Möglichkeiten, Ressourcen und Lebensbedingungen von Menschen schlicht ignoriere. Das ist etwa der Fall wenn ein (fiktiver) FDP-Politiker private Altersvorsorge propagiert, aber nicht erzählt, wie das bei einem Nettoeinkommen von 1000 Euro gehen soll.
Ein gutes Beispiel für die Ambivalenz der Eigenverantwortung ist m. E. das Thema Ernährung. Wissenschaftlich ist vollkommen klar, dass die Ernährung einen enormen Einfluss auf Wohlbefinden und Gesundheit hat. Genau so klar ist auch, dass viele Menschen sich mehr oder weniger bewusst ungesund ernähren - teilweise sogar direkt entgegen ärztlichem Rat. Hier scheint es also ganz klar um Eigenverantwortung zu gehen. Ebenso klar ist aber, dass ärmere und weniger gebildete Menschen sich statistisch gesehen sehr viel ungesünder ernähren als reichere und höher gebildete. Zudem haben sie statistisch gesehen schlechtere Chancen, reich und gebildet zu werden (also quasi die Gruppe zu wechseln) und bekommen zudem eine schlechtere medizinische Versorgung. Und spätestens da wird das Gerede von der Eigenverantwortung dann ebenso zynisch wie der erwähnte fiktive FDP-Politiker.

1 „Gefällt mir“

Du schreibst mir aus der Seele. :slight_smile:

Das klingt gut! Ich kann es mir gut vorstellen. Die schwedische Kultur ist ja auch sehr konsensig, aber deutlich entspannter und freundlicher.

In der Sache hast du ja recht. Ich habe selber in zwei Firmen bei der Datenschutzumsetzung gearbeitet und eine beraten. Aber wir reden ja über Konsenskultur oder politische Kultur im Allgemeinen, und da gehört der instrumentalisierte Ansatz des Datenschutzes für mich einfach dazu. Und ist noch gelebte Praxis, das ist ja das Schlimme.

2 „Gefällt mir“

Da bekommst du keinen Widerspruch. So ist es natürlich. Das sind ja massive Systemfehler, die durch die große Umverteilungspolitik der letzten 20 Jahre forciert wurden. Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen sollte; Umbau des Rentensystems, Abbau des öffentlichen Schulsystems, Kaputtsparen der öffentlichen Infrastruktur (auch Schule) - all das ist zu Lasten der Schwächsten gegangen.
In dieser Hinsicht sehe ich das sehr ähnlich.

Meine Idee ist noch eine sozialdemokratische Idee der 70er Jahre, die einen Boost an Bildungsgleichheit gebracht hat - Öffnung der Universitäten, zweiter Bildungsweg. Das hat einen beispiellosen Aufstieg und echte Chancengleichheit gebracht. Und GLEICHZEITIG blieb es immer noch beim Einzelnen, diese Chancen auch zu nutzen. Das ist seit den 90ern konsequent abgebaut worden, auch durch die massive Absenkung des Bildungsniveaus in den Schulen. Es sind ja die sozial Schwächeren, die von einem hohen Bildungsniveau in den Schulen profitieren.

Was ich sagen will: Oft sind die Satten, die Selbstverantwortung nach meiner Vorstellung ablehnen, ja nicht die von dir geschilderten sozial Benachteiligten. Sondern die in sicheren Mittelklassejobs sitzenden und durch das Arbeitsrecht geschützten Arbeitnehmer, die die Verantwortung für die Vorbereitung auf die digitale Welt gerne dem AG und dem Staat überantworten wollen. Nicht alle, klar, aber diese Haltung nehme ich schon wahr.
Die Abgehängten nehme ich da (begrenzt) aus. Die große Revolution unserer Zeit ist ja die Bereitstellung von Fortbildungsangeboten und Wissen für jede Preisklasse.