Moin,
danke für euren Beitrag über die Situation in den USA. Eure Erklärungen zu den Besonderheiten der Wahlen und der resultierenden Verzögerung fand ich gelungen. Hervorragend waren auch die deutlichen Worte zu Donald Trump. Es mögen keine „breaking news“ sein, aber trotzdem ist es meiner Meinung nach immer wieder notwendig zu betonen, wie sich diese Person als Feind der Demokratie inszeniert.
Viel zu kurz kam mir allerdings die Rolle der Demokraten. Dazu vielleicht zwei Anstöße.
Erstens geht meiner Meinung nach die Rolle von Joe Biden als Spitzenkandidat vollständig unter. Glenn Greenwald hat das bei Joe Roegan in einem regelrechten rant sehr gut auf den Punkt gebracht. Die Integrität der Presse in den USA scheint nicht nur im rechten Lager massiv angeschlagen zu sein. Die Hunter-Biden Story ist regelrecht unter den Tisch fallen gelassen worden, beziehungsweise von sozialen Netzwerken sogar bewusst unterdrückt worden. Es gibt aber auch andere Beispiele, wie seine Law und Order-Politik in den 90ern, seine Plagiatsaffäre, merkwürdiger Umgang mit Frauen und Mädchen und natürlich seine immer wieder auftretenden geistigen Aussetzer, die bereits in öffentlichen Auftritten sichtbar wurden. All das ist gerade von der vermeintlich linken Presse in den USA wenig bis gar nicht thematisiert worden. In unserer Presse kommt es überhaupt nicht vor.
Zweitens ist aber auch die Position der Demokraten nicht so unangefochten rosig, als Kämpfer gegen die bösen Republikaner, wie es in unserer Medienlandschaft häufig dargestellt wird. Beispielswiese ist die ökonomische Situation unter Trump durchaus mit der unter Obama vergleichbar. Höhere sozialer Sicherheit durch den Versuch einer Krankenversicherung steht ein höheres Lohnwachstum gegenüber. In einem seltenen wirklich guten Artikel (wie ich finde) über das Thema wird in der Zeit unter anderem dargestellt, wie die Demokraten die „bread & butter“-Themen immer mehr aus den Augen verlieren.
Kritik am strukturellen Rassismus ist beispielsweise richtig und allerehrenwert, verliert aber in manchen extremen Zügen der Woke-Bewegung jeglichen Bezug zur Realität und den Alltagsproblemen vieler Amerikaner. Stattdessen sehen sich diese mindestens seit der Clinton Ära einer zunehmenden Verschärfung der sozialen Ungleichheit ausgesetzt, an der weder die Linke noch die Rechte seitdem etwas ändern konnte. Dass sich ein Großteil der Bevölkerung durch die politische Elite nur noch betrogen fühlt, ist da meiner Meinung nach sehr verständlich. Wenn dann noch ein Außenstehender wie Trump daherkommt, möglicherweise genauso viel lügt und nichts verbessert, aber zumindest diese Elite in Washington ebenfalls abstraft, wird er damit bei den Wählern keine Minuspunkte sammeln.
Ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass wir deutschen uns auf unserem hohen Ross sehr wohl fühlen. Wir lächeln über die „doofen, ungebildeten Amerikaner“, die diesen Troll jetzt zweimal in so großer Menge ihre Stimme geliehen haben, scheren uns aber einen Dreck um die Gründe dafür. Dabei wird verkannt, dass es in den USA für viele nur eine Wahl zwischen Pest und Cholera gibt. Und die Erkenntnis, dass die Pest noch tödlicher ist, hilft niemanden.