LdN 213 US-Wahlen; und die Demokraten?

Moin,

danke für euren Beitrag über die Situation in den USA. Eure Erklärungen zu den Besonderheiten der Wahlen und der resultierenden Verzögerung fand ich gelungen. Hervorragend waren auch die deutlichen Worte zu Donald Trump. Es mögen keine „breaking news“ sein, aber trotzdem ist es meiner Meinung nach immer wieder notwendig zu betonen, wie sich diese Person als Feind der Demokratie inszeniert.
Viel zu kurz kam mir allerdings die Rolle der Demokraten. Dazu vielleicht zwei Anstöße.

Erstens geht meiner Meinung nach die Rolle von Joe Biden als Spitzenkandidat vollständig unter. Glenn Greenwald hat das bei Joe Roegan in einem regelrechten rant sehr gut auf den Punkt gebracht. Die Integrität der Presse in den USA scheint nicht nur im rechten Lager massiv angeschlagen zu sein. Die Hunter-Biden Story ist regelrecht unter den Tisch fallen gelassen worden, beziehungsweise von sozialen Netzwerken sogar bewusst unterdrückt worden. Es gibt aber auch andere Beispiele, wie seine Law und Order-Politik in den 90ern, seine Plagiatsaffäre, merkwürdiger Umgang mit Frauen und Mädchen und natürlich seine immer wieder auftretenden geistigen Aussetzer, die bereits in öffentlichen Auftritten sichtbar wurden. All das ist gerade von der vermeintlich linken Presse in den USA wenig bis gar nicht thematisiert worden. In unserer Presse kommt es überhaupt nicht vor.

Zweitens ist aber auch die Position der Demokraten nicht so unangefochten rosig, als Kämpfer gegen die bösen Republikaner, wie es in unserer Medienlandschaft häufig dargestellt wird. Beispielswiese ist die ökonomische Situation unter Trump durchaus mit der unter Obama vergleichbar. Höhere sozialer Sicherheit durch den Versuch einer Krankenversicherung steht ein höheres Lohnwachstum gegenüber. In einem seltenen wirklich guten Artikel (wie ich finde) über das Thema wird in der Zeit unter anderem dargestellt, wie die Demokraten die „bread & butter“-Themen immer mehr aus den Augen verlieren.

Kritik am strukturellen Rassismus ist beispielsweise richtig und allerehrenwert, verliert aber in manchen extremen Zügen der Woke-Bewegung jeglichen Bezug zur Realität und den Alltagsproblemen vieler Amerikaner. Stattdessen sehen sich diese mindestens seit der Clinton Ära einer zunehmenden Verschärfung der sozialen Ungleichheit ausgesetzt, an der weder die Linke noch die Rechte seitdem etwas ändern konnte. Dass sich ein Großteil der Bevölkerung durch die politische Elite nur noch betrogen fühlt, ist da meiner Meinung nach sehr verständlich. Wenn dann noch ein Außenstehender wie Trump daherkommt, möglicherweise genauso viel lügt und nichts verbessert, aber zumindest diese Elite in Washington ebenfalls abstraft, wird er damit bei den Wählern keine Minuspunkte sammeln.

Ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass wir deutschen uns auf unserem hohen Ross sehr wohl fühlen. Wir lächeln über die „doofen, ungebildeten Amerikaner“, die diesen Troll jetzt zweimal in so großer Menge ihre Stimme geliehen haben, scheren uns aber einen Dreck um die Gründe dafür. Dabei wird verkannt, dass es in den USA für viele nur eine Wahl zwischen Pest und Cholera gibt. Und die Erkenntnis, dass die Pest noch tödlicher ist, hilft niemanden.

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Diesen Eindruck kann ich nicht teilen. Ich persönlich habe den Eindruck, dass wir Wähler keinen wirklichen Einfluss auf die Regierung haben und die Regierenden nicht in Sinne des Volkes/der Mehrheit handeln. Scheuer mit Autobahnmaut, Scholz mit CumEx, Kohleausstieg oder die ganzen Kultusminister in der Coronakrise. Mit den Interessen von uns Bürgern hat das nichts zu tun. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass eine ganze Menge politischer Entscheidungen schleichend auf Kosten der Demokratie gehen. So z. B. die desaströse Bildungspolitik: Schlechter ausgebildete Bevölkerung, mehr soziales Gefälle, mehr Leute die durchs Raster rutschen, höhere Anfälligkeit für Querdenken, mehr Radikalisierung,…

Ich bin mit dieser Situation nicht besonders glücklich und würde daran auch gerne etwas ändern. Und ich behaupte mal, dass der Wunsch nach einer Veränderung in der Bevölkerung zunimmt. Ist vielleicht nicht meine Argumentation von oben, vielleicht auch nur ein Gefühl. Auch wenn man kein Lagehörer ist und die Zusammenhänge nicht mitkriegt - man merkt, dass das soziale Gefälle größer wird, auch am unteren Ende.

Wo soll ich mein Kreuz machen, wenn ich will, dass sich was ändert? Und auf diese Frage ist die Antwort erschreckenderweise, bei der AFD. Wenn die an die Macht kommen sollten, dann tut sich was. Und das ist einer der Gründe, warum Trump gewählt wurde. Mir ist klar, dass es dann noch schlimmer wird als jetzt, aber ich fürchte, dass es viele Leute gibt, die einfach die Schnauze voll haben von „weiter so“. Wir haben mehr als zwei Parteien, aber ich weiß nicht wirklich, was ich wählen soll. Von daher sehe ich wie wir uns momentan an vielen Stellen den USA hinterherentwickeln. Und ich fühle mich dabei nicht wohl.

Ich stimme dir weitestgehend zu. Auch ich sehe keinen Sinn darin, einer der sechs großen Parteien nächstes Jahr mein Kreuz zu geben und finde das Ignorieren vieler Probleme in Deutschland durch die Politik besorgniserregend. Ich würde deswegen den von dir zitierten Satz auf „Ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass die deutschen Medien sich auf ihrem hohen Ross sehr wohl fühlen“ korrigieren.

Im Endeffekt drückt deine Sorge aber genau das aus, worauf ich mit meinem Kommentar hinauswollte. Die Lage in den USA ist beunruhigend und deutlich komplexer als häufig dargestellt. Ich finde es auch nicht abwegig Parallelen zu Deutschland zu identifizieren. Unsere Diskurse sind polarisierender spätestens seit der Coronakrise, aber im Grunde schon seit dem Aufkommen der Pegida-Bewegung. Genau wie die Medien in den USA ist es auch bei unseren häufig üblich, sich über die Symptome dieser gesellschaftlichen Veränderung zu echauffieren, aber die Gründe außen vor zu lassen.

Genau deswegen meine Kritik. Mir greift das übliche Trumpbashing einfach zu kurz. Ich schätze die Lage sehr und erhoffe mir deswegen immer das gewohnt differenzierte Bild.