LdN | 206 | Abtreibungsdebatte & Andrea Nahles

Liebes Lage-Team,

Ihr stelltet die These auf, Andrea Nahles habe die politische Debatte im Herbst/Winter vorvergangenen Jahres aus egiostischen Motiven, vorrangig ihrer Konfession wegen, verengt und eine grundsätzlichere Debatte über die Rechtslage um Informationen zu Abtreibungen so unterbunden.

Könnt Ihr diese These belegen? Ich finde, sowas ist notwendig, handelt es sich doch um einen Vorwurf recht großer Tragweite.

Die Debatte in der SPD wurde sehr mutig, aus Sicht konservativer Kreise sogar übermutig geführt. Die Abschaffung des Par. 218 StGB ist in vielen bedeutenden Parteiteilen derweil Beschlusslage.

Ist die Nahles-These also eine persönliche Mutmaßung oder gibt es dafür Belege?

Viele Grüße

D.

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Du gibst die entsprechende Passage aus der Lage leider unzutreffend wieder. Wir haben gesagt, dass Andrea Nahles durchgeboxt hat, dass der immerhin von der SPD selbst vorgelegte Gesetzentwurf zur Abschaffung von Paragraph 219a des Strafgesetzbuches wieder einkassiert wurde. Wer sich da für Details interessiert, der kann das googeln, das ist ja ein historisches Faktum. Was genau ihre Motivation dafür war, das kann man natürlich nicht belegen, weil das Vorgänge sind, die sich in ihrem Kopf abspielen. Aber wie ich gesagt habe, wird ihre persönliche religiöse Einstellung allgemein als Grund dafür angesehen. Strategisch war das nämlich sehr ungeschickt, weil es den Grünen und Linken ein Thema mehr gelassen hat, um der SPD Konkurrenz zu machen. Und wer den Paragraphen für notwendig hält, der wählt im Zweifel eh nicht die SPD, sondern die Union.

„[…]das hat aber dann Andrea Nahles sabotiert und zwar warum, weil Andrea Nahles eine harte Katholikin ist[…]“

Das geht mir in der Bestimmtheit zu weit. Du hast Recht, es wurde im Zuge der medialen Debatte verstärkt darauf hingewiesen, dass Andrea Nahles Katholikin und ehemalige Messdienerin ist. Eine Motivation für das Zurückziehen des Antrags der SPD daraus zu konstruieren, finde ich nicht seriös.

Nahles hat diverse - auch individuelle -Entscheidungen getroffen, die sich mit harten/streng dogmatischen katholischen Positionen nicht hätten vereinbaren lassen.

Und aus einer Position zu Par. 218 StGB eine Position zu Par. 219 a StGB zu folgern, ist auch wenig seriös.

Dass sich Regierungshandeln im Rahmen einer Koalition darüber hinaus nicht rein wahltaktisch erklären lässt, sollte auch unstrittig sein. Es gab sehr wohl koalitionstaktische Gründe für einen Kompromiss. Historisches Faktum ist ebenso, dass die Union in der Folge ihre Position aufgegeben hat.

Ich habe die Aussage in der Bestimmtheit deshalb schon als tendenziös und unfair empfunden. Im Subtext schwingt auch eine undifferenzierte Sicht auf den katholischen Glauben von PolitikerInnen mit. Ein Bekenntnis zu einer Konfession macht Menschen nicht zu harten AnhängerInnen. Schon gar nicht geben Menschen damit die Fähigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise gesellschaftspolitischer Themen auf. Andrea Nahles hat dazu diverse Male bewiesen, dass ihr Glaube gerade in der Politik nicht ihr Hauptmotiv ist.

Das letzte Argument wird sicherlich eher vom Empfängerhorizont aus zu betrachten sein. Da nehme ich Euch aber sonst auch sensibler wahr.

Ich weiß nicht, warum du versuchst, diese offensichtlich unpolitische Fehlentscheidung von Nahles gesundzubeten. Sie hat die SPD extrem viel Vertrauen gekostet, gerade bei Ärztinnen und Ärzten, aber auch bei Frauen, die naheliegenderweise nicht suchen möchten, falls sie auf eine Abteilung angewiesen sind.

Hast du denn irgendeine plausible Erklärung?

Nein, die große Koalition gab es zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht, deswegen können koalitionstaktische Erwägungen auch keine Rolle gespielt haben. Ganz im Gegenteil wäre es im Sinne einer guten Zusammenarbeit mit der Union wesentlich attraktiver gewesen, das Thema schon vorher abzuräumen, statt den Konflikt mit in die Koalition zu tragen, wie es letztlich passiert ist.

Nahles hat damit allen geschadet, sowohl der Zusammenarbeit mit der Union als auch dem Ansehen der SPD als auch den Ärztinnen und Ärzten in Deutschland, die nun weiterhin mit einem Maulkorb leben müssen. Da fällt mir wirklich keine andere Erklärung mehr ein als eine irrationale, nämlich persönliche Glaubensüberzeugungen.

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Du weichst da aus und argumentierst apolitisch.

Die kritisierte Entscheidung fällt natürlich bereits in eine Phase koalitionstaktischer Erwägungen - eben in den März 2018. Die CDU hat den Streitpunkt im Prozess der Koalitionsverhandlungen natürlich zur Verhandlungsmasse gemacht. Zu suggerieren, dass eine Partei im Koalitionsanbahnungsproress mit der designierten Opposition gegen grundlegende (diese Wertung der Union in der Sache verstehe ich auch nur bedingt) Interessen des gleichsam designierten Koalitionspartners zu stimmen könne, ohne dass dies politische Konsequenzen haben könnte, ist nicht seriös.

Hier allein persönliche Motive nicht nur subjektiv erkennen zu wollen, sondern objektiv für möglich zu halten, scheint mir naiv.

Dass nun von den - erneut sehr einseitig, wenn auch aus meiner Sicht nicht gänzlich abwegig von Dir dargelegten - Konsequenzen der Handlung auf die grundliegenden Motive geschlossen werden soll, ist nicht logisch.

Fakt ist, dass es außer der GroKo zu dem Zeitpunkt wenig Optionen gab. Fakt ist auch, dass die Union im März 2018 gegen jegliche Anpassungen des 219 a StGB war. Dann ist Fakt, dass die Union sich in der Folge bewegt hat.

Dass der abschließende Kompromiss nicht jede Seite voll befriedigt hat, ist klar und liegt in der Natur der Sache eines politischen Kompromisses. Dass die Lage sich für Ärztinnen und Ärzte, aber auch für viele Abtreibungswillige objektiv verbessert hat, ist auch klar.

Die (denkbaren) Motive hier in der Art und Weise auf das persönliche zu reduzieren, ist so nicht ok.

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