Kuss-Affäre im „Frauen-Fußball“

Liebes Lage-Team,

danke, dass ihr den Vorfall um Rubiales‘ Übergriff an Hermoso besprochen habt. Ich finde die Erwähnung wichtig, da es eines von vielen Beispielen ist, mit welchen Bedingungen Frauen im Sport zu oft konfrontiert sind. Ich bitte allerdings um das Verständnis einer begrifflichen Kritik, denn ich bin beim Hören über die Worte „Frauenfußball“ oder gar „Frauensport“ gestolpert. Diese Begrifflichkeiten befeuern leider das Konzept des „male default“, durch den Frauen in vielen Bereichen - inklusive Fußball - nicht als repräsentative, prototypische Akteurinnen gelten, sondern nur im Hintergrund ihrer „normalen“ männlichen Mistreiter existieren. Fußball ist die Sportart, die gespielt wird, von verschiedenen Geschlechtern, „Frauenfußball“ ist keine Sportart. Wenn die Benennung des Geschlechts in einer Sportart dennoch für relevant gehalten wird, kann dies natürlich kommentiert werden, in den meisten Fällen wird die Problematik aber auch deutlich, ohne dass dafür „Frauen“ als von der Norm abweichende Kategorie vor das Wort gesetzt werden muss. Der Deutschlandfunk fasst es meiner Meinung nach gut zusammen: Sagen & Meinen: Frauen sind keine Sportart

Liebe Grüße, Julia

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Ich verstehe durchaus worauf du hinaus willst, habe aber trotzdem ein wenig Bauchschmerzen.

Ich schaue leidenschaftlich gerne Volleyball allerdings bevorzugt den durch weibliche Akteure ausgeübten, denn dieser ist deutlich langsamer als der von männlichen Akteuren.

Wie soll ich einen solchen Unterschied deutlich machen ohne jedes mal einen ganzen Roman zu schreiben?

Dazu wird doch in dem verlinkten Radiobeitrag ein pragmatischer Vorschlag gemacht. Da verstehe ich die „Bauchschmerzen“ wirklich nicht.

Ja sehr pragmatisch, wer Frau sagt muss auch Mann sagen.

Mach ich: ich schau lieber Frauenvolleyball.

Und mit dem Satz falle ich dann genau in das Muster das @julial angesprochen hat.

Denn Männervolleyball muss ich ja nicht zwingend zum Sinn des Satzes hinzufügen oder doch?

Die Botschaft des Beitrags ist doch einfach. Die Betonung des Weiblichen wird zu einer Markierung der Abweichung von der Norm. Mit dieser Erkenntnis kann man je nach Situation pragmatisch umgehen. Entweder man lässt das Geschlecht einfach weg - wenn es einfach gerade nicht wichtig ist - oder aber man betont es auch mal, wenn es um die Norm, also um „Herrensport“ geht.
Das dringlichere Problem besteht in diesem Fall m. E. im vorherrschenden unreflektierten Sprachgebrauch und nicht in dem Versuch, diesen zu hinterfragen oder zu ändern.

Ich würde hier sogar weitergehen und nicht dagen „auch mal“ sondern fordern es immer dazu zu setzen, denn dann hätte ich auch keine Bauchschmerzen wenn ich vom Frauenvolleyball und nur davon schreibe.

Da sind wir völlig überein, deswegen schrieb ich ja auch eingangs, dass ich das beschriebene Problem verstehen kann.ä

Ich bring hier jetzt mal eine Gegenmeinung an, nicht weil ich sie 100% vertrete, aber ich denke, dass sie die Diskussion interessanter macht.

Herrenfußball ist in Deutschland derzeit massiv beliebter als Frauenfußball, sowohl was Zuschauerzahlen angeht:

In der Saison 2022/2023 besuchten durchschnittlich 2.723 Besucher ein Spiel der Frauen-Fußball-Bundesliga. Die Spiele der 1. Fußball-Bundesliga der Herren hatten einen Zuschauerschnitt von rund 43.000.

statista

Als auch in Anzahl an Vereinsmitgliedern:

Die Zahl der weiblichen DFB-Mitglieder (1,17 Millionen) ist um 5,6 Prozent gestiegen, bei den Männern (6,19 Millionen) lag die Steigerung bei 2,5 Prozent.

sport.sky.de

Das heißt, wenn man sich mit einer Fremden Person über Fußball unterhält, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass diese Person Herrenfußball schaut. Das heißt, dass die andere Person Herrenfußball schaut ist tatsächlich der „Normalfall“ („in der Technik und in der Gesellschaft der am häufigsten anzutreffende Zustand; in der Alltagssprache das in den meisten Fällen zu erwartende Verhalten von Personen, Gegenständen oder anderen Ereignissen.“ - wiki) Und das jemand Frauenfußball schaut, ist die Ausnahme. Das ist natürlich weder gut noch schlecht sondern einfach erst mal Statistik.

Nun zum Thema Sprache: Sprache dient der Kommunikation, das heißt wir versuchen in aller Regel, mit der minimalen Anzahl an Wörtern. Das heißt, wenn man jemanden fragt, ob er am Wochenende Fußball geschaut hat, ist es wahrscheinlich, dass beide sich über Herrenfußball unterhalten. Das ist dann ausnahmsweise mal kein Bias („a disproportionate weight in favor of or against an idea or thing“ - wiki) sondern einfach nur, dass was am wahrscheinlichsten ist. Wenn ich jemanden kenne, der Frauenfußball schaut, würde ich auch fragen, „hast du gestern das Fußballspiel gesehen?“ und nicht „hast du gestern das Frauenfußballspiel gesehen?“, weil davon auszugehen ist, dass beide wissen wovon die Rede ist.

Was man aber meiner Meinung nach schon machen könnte, wäre zumindest die offiziellen Titel der Wettbewerbe in 1. Männer-Bundesliga und Fifa-Men World Cup, etc. umzubenennen, weil offizielle Titel sind nochmal was anderes, als Umgangssprache.

Übrigens nochmal ein Beispiel, dass man meiner Meinung nach noch viel eher kritisieren kann. In den USA ist Frauenfußball beliebter als Herrenfußball, trotzdem heißt die Liga der Frauen National Women Soccer League und die der Männer Major League Soccer. Dort passt das wirklich nicht und sollte wohl mal angepasst werden.

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Das Thema war hier eigentlich die Kuss-Affaire…

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Es könnte auch daran liegen, dass in vielen Sportarten die „Männer-Wettbewerbe“ grundsätzlich jedem Geschlecht offen stehen.
Alles, was nicht Frau ist, spielt in der „Rest“ – Klasse. Dass da überwiegend Männer herumlaufen, ist eigentlich nur Zufall.
Jedenfalls ist das bei der Leichtathletik so.
Ein italienischer Männerfußball Mannschaft hat ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, Birgit Prinz zu verpflichten.

Das finde ich logisch argumentiert. Natürlich zementiert man das Ungleichgewicht sprachlich weiter, indem man von Fußball und Frauenfußball spricht, aber: Es spiegelt die Realität. Man könnte es aktuell - vermute ich - in allen Medien Fußball-WM der Frauen und Fußball-WM der Männer nennen und trotzdem würden 99% aller Leute sagen „bald ist wieder WM-Quali“ und sich damit ausschließlich auf die Männer beziehen.

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Den Eindruck hab ich nicht.
Ich glaube, dass ändert sich gerade.
Für mich ist es jedenfalls kein Unterschied mehr.

Mal zurück zum Thema Kuss-Affäre und Feedback zur Episode.

Ich verfolge das Thema auch, finde das Verhalten von Rubiales unfassbar und das seiner Mutter geradezu lächerlich in dem Kontext (als ob sich ein 43-jähriger nicht selbst verteidigen könnte, macht er ja auch, wie man sieht - an seiner Stelle würde ich sie ja zurückpfeifen, peinlicher geht es kaum).

Eine inhaltliche Ergänzung habe ich zur Darstellung im Podcast, da evtl nicht ganz korrekt. Der Ablauf des Kusses selbst scheint mir - vielleicht gibts da zwischendurch aber auch noch mal neue mir unbekannte Infos - gar nicht so 100% klar. Aus einem Artikel der SZ:

Rubiales’ Erklärungen korrelierten mit Videos, auf denen man Lippenbewegungen erkennen kann, die darauf hindeuten, dass er Hermoso auf dem Siegerpodest tatsächlich fragte: „Pico?“, sinngemäß also: „Küsschen auf den Mund?“. Nicht zu sehen ist, ob Hermoso dort - wie von Rubiales behauptet - „vale“ sagte, also: „Okay“. Auf einem anderen Video ist zu sehen und zu hören, wie Hermoso später in der spanischen Kabine zur Szene befragt wird: „Und was hast du gesagt?“ - „Vale“, antwortete Hermoso lachend, unter dem Gejohle der Kameradinnen.

Das klingt dann erst einmal nicht unbedingt danach, dass der Kuss in dem Moment ohne Einverständnis war. Das Festhalten des Kopfes würde ich auch nicht überinterpretieren, das kann ja in einem… naja, sagen wir leidenschaftlichen Moment durchaus passieren, nicht nur bei einem unerwünschten Kuss. Das nur als ergänzendes Detail, weil es nicht vorkam im Podcast und so klang, als hätte sie nein gesagt und festgehalten werden müssen.
So oder so: Aus meiner Sicht macht das das alles aber auch nicht besser, es ist in dem Moment ein nicht zu erwartender „Überfall“ auf Hermoso, die völlig überrumpelt wird und vielleicht bei „Pico“ auch nicht abschätzen kann, was da gleich folgt. Dazu passt, dass sie nochmals später sagt, dass ihr das nicht gefallen hat. Insofern finde ich das in jedem Fall einen Übergriff und Machtmissbrauch seitens Rubiales, der mal besser - wie ihr auch schon anmerkt - sich in aller Form entschuldigt hätte. Übrigens hat er sich auch noch jubelnd neben dem Königspaar an die Eier gefasst. Zusammen mit seinem absolut ekelhaften Auftreten im Nachgang ist hier m.E. nach nur zu hoffen, dass er aus des Amtes enthoben wird. Zumal es ja offenbar generell im spanischen Fußball strukturelle Probleme mit (mittel)alten weißen Männern zu geben scheint…

War auch nur eine Annahme aufgrund des Sprachgebrauchs in meinem Umfeld, zB unter Kolleginnen und Kollegen. Vermutlich spielt da aber auch der zeitl. Aspekt eine extrem wichtige Rolle, da die Welt- und Europameisterschaften der Frauen und Männer nie im gleichen Jahr stattfinden und es allein deswegen weniger Verwechslungsgefahr gibt. Also sprich, wenn während der „Männer-WM“ von WM gesprochen wird, würden da wenige an die Frauen denken und vice versa. Wenn von Profifußball allgemein die Rede ist, wird allgemein vermutlich eher an „Männerfußball“ gedacht und das auch gemeint.

Das war nur der Titel/Aufhänger.

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Also der Ausgangspost klingt meiner Einschätzung nach definitiv anders

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Na dann möchte ich noch Tennis in den Raum werfen.
Da sind die Frauen ähnlich bekannt wie ihre männlichen Konkurrenten.
Keiner versteht bei dem Wort „Tennis“ Männertennis.
Damit zeigt sich, dass die Kritik von @julial berechtigt ist.
Von Fußball als Männerfußball zu sprechen, wertet den Frauenfußball ab.
Im täglichen Sprachgebrauch kann das ja jeder (und jede) halten, wie er (und sie) das möchte.
Im journalistischen Alltag sollte man aber, wie grundsätzlich beim Gendern, überlegen, ob die Berichterstattung wirklich derart darunter leiden würde, dass sie gleich zum „Roman“ wird.

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Ist Tennis nicht eigentlich ein schlechtes Beispiel? Gerade weil hier Männer und Frauen ungefähr gleich erfolgreich und bekannt sind? Genau das ist ja beim Fußball nicht der Fall. Insofern kann Tennisturnier logischerweise mit beiden Geschlechtern assoziiert sein, bei Fußballturnier wird die Mehrheit aber vermutlich (noch) eher an Fußball spielende Männer denken. Daher an sich doch irgendwie logisch, in der Berichterstattung darauf hinzuweisen, wenn es sich um ein Turnier mit Frauen handelt. Kann natürlich sein, dass das beim Begriff „Frauenfußball“ weiterhin so zementiert wird und das kontraproduktiv ist. Aber irgendwie drauf hinweisen, wer da spielt, ergibt schon Sinn, oder nicht? „Frauensport“ so komplett über alle Sportarten rübergebügelt hingegen bspw. als Begriff empfinde ich eindeutig (nur Gefühl) als schwierig, das klingt in der Tat irgendwie abwertend.
Initialposting war jedenfalls ein guter Denkanstoß, finde ich.

Ich finde in der Diskussion hier im Thread geht einiges aneinander vorbei. Im Ausgangspost hat @julial kritisiert, dass die Rede von „Frauenfußball“ wenn Frauen Fußball spielen und „Fußball“ wenn Männer Fußball spielen gerade dazu beiträgt, die Vorstellung von einer männlichen Norm in den Köpfen zu verfestigen. Indem die Abweichung von der Norm („Frauen.-XYZ“) immer wieder als solche markiert wird, wird die Norm (bei der eben gerade nicht erwähnt wird, wer spielt) gefestigt.
Dagegen wurde dann argumentiert, es sei doch aber (empirisch) die Norm, weil mehr Männer Fußball spielen als Frauen. Das ist aber aus meiner Sicht 1. ein falsches Verständnis von Norm, da es einfach relative Mehrheit mit Norm verwechselt. Mal ein blödes Beispiel: Wenn mehr Menschen VW fahren als Mazda, ist VW deshalb noch lange nicht die Norm, sondern eben nur häufiger. 2. ist das empirische Argument arg ahistorisch. Es vergisst, dass es bestimmte Gründe gibt, warum Frauen seltener Fußball spielen als Männer (u. a. weil es ihnen lange offiziell verboten war und inoffiziell lange nicht als akzeptiert galt). und 3. läuft das Argument auf eine Festschreibung der derzeitigen Zustände hinaus. Die Kritik zu Beginn des Threads zielte aber (so habe ich es zumindest verstanden), darauf ab, die derzeitigen Zustände zu verändern und dahin zu kommen, dass es in erster Linie um Fußball geht und es erst mal sekundär ist, ob ihn gerade Männer oder Frauen spielen.
Das Ganze ist für mich ein Beispiel dafür, wie performativ Sprache ist - das heißt, wie sehr der Gebrauch von Sprache mitbeeinflusst, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen (ähnlich wie beim Gendern in all seinen möglichen Formen). Darüber zu reflektieren und sich bewusst für einen bestimmten Umgang mit Sprache zu entscheiden, kann man als anstrengend und überflüssig abtun, aber egal im Sinne von ohne Auswirkungen ist es sicherlich nicht.
TL/DR: Aussschlaggebend sollte nicht sein, wie viele Männer oder Frauen gerade Fußball spielen, sondern ob wir das Bild einer männlichen Norm bestätigen wollen oder nicht.

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Ich wollte damit zeigen, dass du völlig recht hast.
Wer von Fußball redet, meint (meist) Männerfußball, da wir im Gegensatz zum Tennis ein Ungleichgewicht in der Wahrnehmung haben.
Das im Alltag so zu handhaben ist nicht verwerflich.
Im Journalismus aber kann das durchaus reflektiert werden, ob es Sinn machen würde in Situationen, in denen man bei Frauen Frauenfußball statt Fußball sagen würde auch Männerfußball sagt. Damit streicht man heraus, dass das Wort Fußball geschlechtsneutral ist.

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