Kritik an Israel ist kein Antisemitismus - Dies muss von der deutschen Presse klargestellt werden!

Als Deutsche haben wir uns einer historischen Verantwortung zu stellen. Diese Verantwortung verlangt eine fundierte Auseinandersetzung mit der Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten unter dem NS-Regime, um zukünftig zu verhindern, dass derartige Verbrechen an der Menschlichkeit jemals wieder durch deutsches Zutun geschehen. Diese Erkenntnis kann nun auf zwei verschiedene Weise realisiert werden:

  1. Eine bedingungslose Unterstützung des Staates Israels
  2. Eine bedingungsloses Bekenntnis zur Aufrechterhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts

Es steht für mich außer Frage, dass die zweite Herangehensweise die gebotene ist. Bedauerlicherweise ist die erste Herangehensweise jedoch die üblichere. Die Gleichsetzung der Kritik am Staate Israel mit Antisemitismus ist fester Bestandteil der Politischen Identität der Likud Partei. Dies führt in der Praxis dazu, dass sich viele Kritiker der Israelischen Expansionspolitik dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt sehen. Diese Kritik umfasst die Thematik der völkerrechtwidrigen Besetzung der Westbank, die Belagerung Gazas, die Menschenrechts Verletzungen gegen die Palästinenser. Diese Kritikpunkte sind inhaltlich nicht umstritten. Die Resolutionen der UN und die Urteile des Internationalen Gerichtshofes sind eindeutig und erklähren Israels Handlungen in den besetzen Gebieten als völkerrechtswidrig. Menschenrechtorganisationen wie Human Rights Watch sowie die führende Menschenrechtsorganiation B’Tselem nennen israelisches Gebiet (worunter sie das israelische Staatsgebiet, Ostjerusalem, die Westbank und Gaza fassen, also den gesamten Israel-Palästinänsischen Raum) in ihren jüngsten Berichten ein „Apartheids Regime“ sowie „Jewish-Supremacist“. Der Jüdische Politikwissenschaftler und Holocaustüberlebendennachfahre Norman Finkelstein spricht von der israelischen Regierung als einer Rechstextremen Partei. Der Sicherheitsbeauftragte Ya’akov Amidror gab zu Protokoll: “I’ve killed lots of Arabs in my life – and there’s no problem with that.”. Über die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens ist minderjährig. Das Verhältnis der Toten in diesem Konflikt ist seit Jahrzehnten ca. 1 zu 20. Die Organisation „Breaking the Silence“, welche sich aus ehemaligen israelischen Militärs zusammensetzt, welche die Militärgewalt Israels kritisieren, sprechen von einer sog. „Shoot to Cripple“ Policy, nach welcher die Soldat*innen angehalten sind, Gegnern in Beine und den Becken/Genitalbereiche zu schießen.

Es handelt sich hier um massive Menschenrechtsverletzung und Völkerrechtsbrüche welche vom israelischen Staat seit über einem halben Jahrhundert begangen werden. Das Narrativ „Es gibt Gewalt auf beiden Seiten“ ist zwar richtig, aber dennoch realitätsfern, da es die massive Diskrepanz den Intensität dieser Gewalt vernachlässigt.

Wer die Lehre aus dem NS-Regime zieht, ist aus einer historischen Verantwortung heraus meiner Meinung nach verpflichtet die Gewalt gegen das palästinensische Volk, die Belagerung Gazas, die Besetzung und Anexion der Westbank und die Ständigen Bombardements Israels, welche militärisch in keinem Vergleich zu den Angriffen der Hamas stehen, zu denunzieren.

Bedauerlicherweise entscheiden sich die meisten Personen in den deutschen Medien und der Politik stattdessen für die ungeteilte Solidarität zu Israel. Es wird permanent das „Existenzrecht des Staates Israels“, „Israels Recht auf Selbstverteidigung“ und eine uneingeschränkte „Ablehnung des Antisemitismus“ vertreten.
Das Existenzrecht Israels wird nicht in Frage gestellt (auch lange nicht mehr von der Hamas). Die Bombardierung von Wohngebieten in welchen über die Hälfte der Bevölkerung minderjährig sind ist keine Selbstverteidigung. Genausowenig wie Kritik am Iran keine Islamophobie ist, ist auch Kritik am Israelischen Staat ist kein Antisemitismus. Diese Themen haben nichts mit dem eigentlichen Konflikt zu tun sondern werden instrumentalisiert um eine Debatte über israelische Annexion der Westbank zu umgehen. Gerade diese Form des Diskurs fördert einen wachsenden Antisemitismus, weil die Gleichsetzung der Staates Israels mit dem Judentum dazu führt, dass berechtigte Kritik an Israel nicht mehr im Diskurs adressiert werden kann.

Antisemitismus muss wie jede andere Form des Diskriminierung bekämpft werden. Deshalb ist es aus meiner Perspektive für Journalist*innen unerlässlich zum einen die Differenzierung zwischen der Kritik an Israel und dem unreflektiertem Antisemitismus hervorzuheben und zum anderen die Grausamkeiten unter welchen die Palästinenser zu leiden haben, klar zu artikulieren.

Besonders die letzte Aufgabe ist für deutsche Politikerinnen der Karrieretod. Gerade deshalb ist es so notwendig, dass Journalistinnen den politischen Druck erzeugen, damit sich unsere Volksvertreter dieser unangenehmen Aufgabe stellen müssen.

Mit eurem Beitrag der letzten Woche habt ihr bereits einen wertvollen Teil zu dieser Aufgabe beigetragen, damit seid ihr aber leider in der deutschen Medienlandschaft ein ziemlicher Einzelfall. Ich würde eine Thematisierung der Berichterstattung über den Konflikt sehr begrüßen und habe Vertrauen, dass ihr die Gratwanderung schaffen könnt und den Mut habt, trotz des sensiblen Diskurses eurer journalistischen Verantwortung nachzukommen.

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Vielen Dank , daß du dir die Zeit genommen hast, diesen sehr wertvollen Beitrag zu schreiben. Als Begrenzung, wollte ich sagen, dass " Breaking the Silence" auch einen youtube Kanal hat. Sie beschreiben sich so:

„Breaking the Silence is an organization of veteran combatants who have served in the Israeli military since the start of the Second Intifada and have taken it upon themselves to expose the Israeli public to the reality of everyday life in the Occupied Territories. We endeavor to stimulate public debate about the price paid for a reality in which young soldiers face a civilian population on a daily basis, and are engaged in the control of that population’s everyday life.“
https://www.youtube.com/user/shovrim

Ich wollte noch einen Youtube Kanal erwähnen: " Parkour Gaza".

Gaza hat eines der besten Parkour teams der Welt. Ich bewundere sie zutiefst und folge ihre Videos. Aber es ist wirklich " heartbreaking" , daß diese jungen Menschen keine anderen Möglichkeiten und Perspektiven mehr haben, außer auf den Ruinen ihrer Heimat zu trainieren
Hier ist ein Bericht von BBC darüber:

Inside Gaza's epic parkour squad - BBC - YouTube

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Dass „derartige [sic!] Verbrechen an der Menschlichkeit“, wie sie das nationalsozialistische Deutschland ins Werk gesetzt hat, „zukünftig zu verhindern“ seien und im Ausgangsbeitrag in den Kontext gegenwärtiger deutscher Außenpolitik gestellt werden, die sich „einer historischen Verantwortung zu stellen habe“, lässt doch eigentlich nur den Schluss zu, dass hier die angenommenen „Verbrechen“ von Nationalsozialismus und dem jüdischen Staat gleichgesetzt, zumindest aber miteinander verglichen werden. Dieses zu behaupten wäre aber - in der Tat - schlicht Antisemitismus (etwa im Sinne der IHRA-Definition).

Ansonsten liegt natürlich bei diesem Beitrag einiges im Argen. Man könnte z.B. entgegnen, dass schon eine kursorische Zurkenntnisnahme unterschiedlicher medialer Formate die These widerlegen dürfte, dass „die meisten Personen in den deutschen Medien“ in ihrer Berichterstattung lediglich „die ungeteilte Solidarität zu Israel“ vor Augen hätten. Der Raktenbeschuss auf das AP-Gebäude etwa wurde nachhaltig kritisiert und dass das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza in deutschen Medien eine untergeordnete Rolle spielen würde, dürfte eine ziemlich exklusive These sein. Medien wie die Tagesschau stehen übrigens seit Jahren in der Kritik, dass sie - inbesondere in Überschriften - Israel einseitig als Aggressor im Konflikt darstellen.

Niemand behauptet übrigens, Kritik an Israel sei per se antisemitisch. Kritik an israelischer Politik ist allenthalben zu finden, in Aussagen von Politiker:innen, Medien, Kulturinstitutionen, NGOs, etc. Innerhalb wie außerhalb Israels, zumal in Deutschland. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen erlässt mit deutscher Beteiligung übrigens genau so viele Resolutionen gegen den jüdischen Staat wie gegen alle (!) anderen Staaten zusammen. Zu behaupten man dürfte keine Kritik äußern, weil man sonst als Antisemit:in gebrandmarkt würde ist schlicht ein Strohmann-Argument, das der eigenen Position rhetorisch Legitimität zuraunen soll.

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Es ist schlicht weg falsch zu behaupten, dass eine Gleichstellung der Kritik an Israel mit Antisemitismus von niemandem Praktiziert wird. Diese These ist auch im Interview der letzten Folge (LD241) gemacht worden und schlicht eine mediale Realität. Dies ist in der israelischen Politik unter dem Begriff „New Antisemitisim“ auch schon lange der Fall. Auch der Vergleich zu einigen (ich sage hier bewusst nicht allen) Verbrechen des NS-Regimes mit Israels Menschenrechtsverletzungen sind keines Wegs Antisemitismus. Antisemitismus ist in der Praxis Diskriminierung gegen Semiten bzw. Juden und in der Theorie eine Menge an Verschwörungserzählung. Israel repräsentiert nicht alle Juden und nicht alle Israelis sind Juden. Israel praktiziert Enteignungen sowie Gettoisierungen und praktizierte Vertreibung der Palästinenser in der Nakba. Juden wurden im NS-Regime u.a. enteignet, vertrieben und gettoisiert. Diese Prozesse sind natürlich nicht gänzlich identisch, wie es bei keinen zwei historischen Ereignissen der Fall sein könnte, aber sie sind dennoch in vielen Punkten vergleichbar. Die Form des Leides welches Juden (und andere Minderheiten) im NS-Regime zu erdulden hatten ist eine andere, als die welche die Palästinenser unter israelischer Besatzung zu erdulden haben. Diese Unterschiede müssen festgestellt werden. Die Palästinenser werden bislang nicht systematisch vernichtet. Das NS-Regime dauerte jedoch nur 12 Jahre an, während die Besatzung Palästinas und die Belagerung Gazas bereits seit Generationen andauert. Ich möchte mit dieser Aussage nicht die Grausamkeiten des NS-Regimes verrimindernd relativieren, stattdessen möchte ich hier feststellen, dass wenn wir etwa einen Vergleich anstreben, feststellen müssen, dass die NS-Verbrechen in ihrer Grausamkeit nicht ein einmaliges Ereignis der Geschichte sind, sondern eine Ausprägung menschlicher Tendenzen waren, welche sich in anderen Formen wiederholen können. Dies zu verhindern bedeutet, dass wir uns nicht der Illusion hingeben dürfen, dass so etwas nie wieder passieren wird. Eine Gleichsetzung habe ich im übrigen in meinem Text nirgends vorgenommen, dies könnte ich als ein Strohmannargument deinerseits bezeichnen. Einen solchen Diskurs halte ich jedoch nicht für ratsam, statt einander unredliche Argumentation vorzuwerfen halte ich es für sinnvoller einen konstruktiven und ehrlichen Diskurs zu betreiben, damit es eine Chance geben kann, zur Lösung des Konfliktes einen (wenn auch noch so kleinen) Beitrag zu leisten.

Die Berichte in Tagesschau und Tagesthemen habe ich scheinbar anders wahrgenommen, als du es getan hast. Die Berichte über die Bundestagsdebatten beinhalteten Äußerungen aller Demokratischen Parteien, die ausschließlich Israels Recht auf Selbstverteidigung bekräftigt, lediglich Gregor Gysi bekannte sich ebenfalls zu dem palästinensischen Recht auf Nationalität und Selbstbestimmung. Auch der Bericht über die Anwesenheit von Politikern aller demokratischer Parteien auf der Demonstration gegen Antisemitismus und in Unterstützung für Israel und ihre Abwesenheit bei Demonstrationen in Solidarität zu Palästina repräsentieren nicht das Meinungsbild der Bevölkerung: Umfrage zum Israel-Bild: Viele Deutsche wollen Schlussstrich unter NS-Vergangenheit - Politik - Tagesspiegel sowie Bild der Deutschen von Israel | Statista zeigen hier ein Meinungsbild (Ich teile übrigens nicht die Meinung, dass wir einen Schlussstrich unter die NS Vergangenheit setzten sollten, sondern die gegenteilige Position, wie aus meiner vorherigen Nachricht wohl hervorgegangen sein sollte). Die Position unserer Volksvertreter stimmt hier offensichtlich nicht mit der Position der Bevölkerung überein und in einer Demokratie muss dies kritisiert werden.

Auch die Berichterstattung der Korrespondent*innen der ARD stammen nahe zu ausschließlich aus israelischem Gebiet. Darüber hinaus halte ich die Schilderung der Lebensumstände in Gaza für unzureichend. Das 95% des Trinkwassers für Menschen unverträglich ist, dass Gaza nahe zu keine Wirtschaft mehr durch die Belagerung hat, dass 60% der Bewohner Gazas jünger als 19 Jahre sind und das eine massive Diskrepanz zwischen der Streitkräftestärke Israels und der Hamas besteht, ist für diesen Konflikt von absoluter Relevanz in ZDF und ARD sah ich jedoch bislang keine Erwähnung dazu. Ich muss hier erwähnen, dass ich nicht den ganzen Tag Nachrichten schaue, sondern nur die Tagesschau täglich und an ca. jedem zweiten Tag die Tagesthemen und das Heute-Journal, es ist also durchaus möglich dass es eine Erwähnung gab und ich sie nicht sah. Dennoch halte ich dies für relevant genug, dass es mindestens im Hauptprogramm Erwähnung finden sollte.

Zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass deine Verwendung des Begriffs eines „Jüdischen Staates“ im Gegensatz zum „Staat der Juden“ bzw. „Israel“ dem Diskurs eher schadet. Das ursprüngliche Ziel der zionistischen Bewegung war es ja schließlich einen säkularen Staat der Juden zu erschaffen um u.a. religiöser Verfolgung zu entgehen. Die Verkehrung in einen jüdischen Staat mit religiös Jüdischer Identität ist eine moderne Erscheinung, welche vor einigen Jahren in Israel rechtlich verankert wurde und zur Vermischung der Konzepte Judentum und Israels beiträgt, eine Vermischung, welche den Antisemitismus fördert. Ich halte es deshalb für ratsam auch hier klar zu differenzieren.

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Um nicht zu sagen: „ein Vogelschiss“ in der Geschichte, nicht wahr? Keine Relativierung, nirgends.

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Man muß die Menschen aber richtig zitieren. Wenn man einen einzigen Satz aus dem Kontext nimmt und die Erklärung die unmittelbar folgt einfach weglässt, es ist sehr unfair und für die Diskussion schädlich. Das ist der ZItat:

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