Als Deutsche haben wir uns einer historischen Verantwortung zu stellen. Diese Verantwortung verlangt eine fundierte Auseinandersetzung mit der Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten unter dem NS-Regime, um zukünftig zu verhindern, dass derartige Verbrechen an der Menschlichkeit jemals wieder durch deutsches Zutun geschehen. Diese Erkenntnis kann nun auf zwei verschiedene Weise realisiert werden:
- Eine bedingungslose Unterstützung des Staates Israels
- Eine bedingungsloses Bekenntnis zur Aufrechterhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts
Es steht für mich außer Frage, dass die zweite Herangehensweise die gebotene ist. Bedauerlicherweise ist die erste Herangehensweise jedoch die üblichere. Die Gleichsetzung der Kritik am Staate Israel mit Antisemitismus ist fester Bestandteil der Politischen Identität der Likud Partei. Dies führt in der Praxis dazu, dass sich viele Kritiker der Israelischen Expansionspolitik dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt sehen. Diese Kritik umfasst die Thematik der völkerrechtwidrigen Besetzung der Westbank, die Belagerung Gazas, die Menschenrechts Verletzungen gegen die Palästinenser. Diese Kritikpunkte sind inhaltlich nicht umstritten. Die Resolutionen der UN und die Urteile des Internationalen Gerichtshofes sind eindeutig und erklähren Israels Handlungen in den besetzen Gebieten als völkerrechtswidrig. Menschenrechtorganisationen wie Human Rights Watch sowie die führende Menschenrechtsorganiation B’Tselem nennen israelisches Gebiet (worunter sie das israelische Staatsgebiet, Ostjerusalem, die Westbank und Gaza fassen, also den gesamten Israel-Palästinänsischen Raum) in ihren jüngsten Berichten ein „Apartheids Regime“ sowie „Jewish-Supremacist“. Der Jüdische Politikwissenschaftler und Holocaustüberlebendennachfahre Norman Finkelstein spricht von der israelischen Regierung als einer Rechstextremen Partei. Der Sicherheitsbeauftragte Ya’akov Amidror gab zu Protokoll: “I’ve killed lots of Arabs in my life – and there’s no problem with that.”. Über die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens ist minderjährig. Das Verhältnis der Toten in diesem Konflikt ist seit Jahrzehnten ca. 1 zu 20. Die Organisation „Breaking the Silence“, welche sich aus ehemaligen israelischen Militärs zusammensetzt, welche die Militärgewalt Israels kritisieren, sprechen von einer sog. „Shoot to Cripple“ Policy, nach welcher die Soldat*innen angehalten sind, Gegnern in Beine und den Becken/Genitalbereiche zu schießen.
Es handelt sich hier um massive Menschenrechtsverletzung und Völkerrechtsbrüche welche vom israelischen Staat seit über einem halben Jahrhundert begangen werden. Das Narrativ „Es gibt Gewalt auf beiden Seiten“ ist zwar richtig, aber dennoch realitätsfern, da es die massive Diskrepanz den Intensität dieser Gewalt vernachlässigt.
Wer die Lehre aus dem NS-Regime zieht, ist aus einer historischen Verantwortung heraus meiner Meinung nach verpflichtet die Gewalt gegen das palästinensische Volk, die Belagerung Gazas, die Besetzung und Anexion der Westbank und die Ständigen Bombardements Israels, welche militärisch in keinem Vergleich zu den Angriffen der Hamas stehen, zu denunzieren.
Bedauerlicherweise entscheiden sich die meisten Personen in den deutschen Medien und der Politik stattdessen für die ungeteilte Solidarität zu Israel. Es wird permanent das „Existenzrecht des Staates Israels“, „Israels Recht auf Selbstverteidigung“ und eine uneingeschränkte „Ablehnung des Antisemitismus“ vertreten.
Das Existenzrecht Israels wird nicht in Frage gestellt (auch lange nicht mehr von der Hamas). Die Bombardierung von Wohngebieten in welchen über die Hälfte der Bevölkerung minderjährig sind ist keine Selbstverteidigung. Genausowenig wie Kritik am Iran keine Islamophobie ist, ist auch Kritik am Israelischen Staat ist kein Antisemitismus. Diese Themen haben nichts mit dem eigentlichen Konflikt zu tun sondern werden instrumentalisiert um eine Debatte über israelische Annexion der Westbank zu umgehen. Gerade diese Form des Diskurs fördert einen wachsenden Antisemitismus, weil die Gleichsetzung der Staates Israels mit dem Judentum dazu führt, dass berechtigte Kritik an Israel nicht mehr im Diskurs adressiert werden kann.
Antisemitismus muss wie jede andere Form des Diskriminierung bekämpft werden. Deshalb ist es aus meiner Perspektive für Journalist*innen unerlässlich zum einen die Differenzierung zwischen der Kritik an Israel und dem unreflektiertem Antisemitismus hervorzuheben und zum anderen die Grausamkeiten unter welchen die Palästinenser zu leiden haben, klar zu artikulieren.
Besonders die letzte Aufgabe ist für deutsche Politikerinnen der Karrieretod. Gerade deshalb ist es so notwendig, dass Journalistinnen den politischen Druck erzeugen, damit sich unsere Volksvertreter dieser unangenehmen Aufgabe stellen müssen.
Mit eurem Beitrag der letzten Woche habt ihr bereits einen wertvollen Teil zu dieser Aufgabe beigetragen, damit seid ihr aber leider in der deutschen Medienlandschaft ein ziemlicher Einzelfall. Ich würde eine Thematisierung der Berichterstattung über den Konflikt sehr begrüßen und habe Vertrauen, dass ihr die Gratwanderung schaffen könnt und den Mut habt, trotz des sensiblen Diskurses eurer journalistischen Verantwortung nachzukommen.