Ich sehe das ähnlich. Ich glaube es ist klar, dass ich selbst nichts von Atomkraft halte, aber vielleicht ist es gut, hier von Seiten des Wirtschaftsministeriums sauber zu prüfen und die Fakten auf den Tisch zu legen.
Ich kann mir vorstellen, dass ein Referent im Wirtschaftsministerium gerade einen Bericht schreibt und die Prüfung etwa wie folgt ausfallen kann:
- Neubauten wären viel zu teuer und kämen (sowohl in der aktuellen Krise als auch im Kontext der Dekarbonisierung) zu spät.
- Laufzeitverlängerungen der laufenden drei Kraftwerke sind technisch denkbar, aber nur, wenn an den laufenden Reaktoren jetzt umfangreiche Wartungsarbeiten stattfinden und Brennelemente-Nachschub beschafft wird.
- Das bedeutet, dass die drei verbleibenden Reaktoren schon im Sommer/Herbst 2022 zu Wartungen abgeschaltet werden und erst wieder (mit viel Glück) im Winter 2022/23 zur Verfügung stehen. Wir hätten also im Falle der Laufzeitverlängerung in der aktuellen Krise weniger Kraftwerke online.
- Neue Brennelemente müssten spätestens ab Frühjahr 2023 verfügbar sein (das hängt davon ab, inwieweit die alten Brennelemente nach den Wartungen weiterverwendet werden könnten). Auf dem Markt beträgt die normale Vorlaufzeit zwei Jahre; die Betreiberfirmen bräuchten also eine staatliche Intervention. Habecks Staatssekretäre müssten persönlich in Frankreich Brennelemente einkaufen gehen.
- Angesichts der voranschreitenden Energiewende müssten die AKWs, um ausfallende Gaslieferungen zu kompensieren, auch Regelenergie liefern und damit womöglich in einem Betriebsmodus gefahren werden, mit denen man in Deutschland wenig Erfahrung hat. Frankreich fährt seine Reaktorflotte wohl teilweise flexibel, aber in Deutschland ist das noch nicht geschehen. Habeck müsste also Techniker*innen aus Frankreich einfliegen lassen und das Personal in den deutschen AKWs schulen lassen.
- Es wird mehr als 4GW Regelenergie benötigt, also wird man im Zweifelsfall immer noch Gaskraftwerke brauchen. Die AKWs werden zunehmend nicht mehr ihre volle Leistung ausspielen können.
- Überhaupt müsste schnell neues Personal in den AKWs eingestellt oder davon abgehalten werden, in die geplante (Früh-)Rente zu gehen.
- Die Betreiberfirmen bräuchten viel Geld und logistische Unterstützung durch Politik und Verwaltung.
- Die Frage nach der Übernahme der Entsorgungskosten müsste neu aufgebohrt werden. An der Debatte müssten dann auch die Firmen, die keine AKWs mehr betreiben, beteiligt werden.
- Der gesellschaftliche Widerstand wird gigantisch sein.
Insgesamt wären Laufzeitverlängerungen also eine große logistische Herausforderung und die Betreiberfirmen bräuchten eine Menge Geld und politisch-logistische Ressourcen, die dann nicht für andere Dinge, wie Ausbau der Erneuerbaren zur Verfügung stünden. Die Vorteile einer Laufzeitverlängerung sind zweifelhaft, denn kurz- bis mittelfristig müsste man sogar Reaktoren zu Wartungen abschalten und würde ungeplante Energieengpässe erzeugen. Mittel- bis langfristig werden die AKWs nicht benötigt (die erzeugte jährliche Strommenge der drei verbleibenden AKWs wird nach den Absichten der Bundesregierung über den Daumen gepeilrt bis spätestend Mitte 2023 durch Zubau Erneuerbarer ersetzt sein). Zudem macht Gas derzeit nur 10% der Stromerzzeugung aus; die eigentlichen Probleme bestehen bei Heizung und Industrieprozessen, für die derzeit sowieso für 2022 und 2023 Gas eingekauft werden muss.
Also kann eine Laufzeitverlängerung der AKWs weder kurz- noch langfristig bestehende Probleme lösen, aber sie schafft viele neue Probleme und bindet wertvolle Ressourcen.
Habe ich noch was vergessen?