Ok, dann ist das Thema breiter gedacht, über die Sprache hinaus.
Was ist es denn was Deutsche kompliziert macht?
Der Hang zur Perfektion? (Für die wir im Ausland ja durchaus bewundert werden/wurden)
Die wohl daraus resultierende Neigung, alles bis ins Detail regeln und unter Kontrolle haben zu wollen? Und die damit verbundene Bürokratie?
Die hohen Maßstäbe die wir an andere anlegen, aber oft selbst nicht einhalten?
Das manchmal Oberlehrerhafte, wenn wir anderen aus unserer Froschperspektive die Welt erklären wollen, ohne dabei zuzuhören?
Aber ich denke jedes Volk, jede kulturelle Ausprägung hat für Außenstehende etwa befremdliches und Kompliziertes….
Bin mir wirklich nicht sicher, ob Deutsche komplizierter sind als andere … Aber auf jeden Fall kann ich aus allen meinen inter- und transkulturellen Erfahrungen sagen: Woran sich wirklich viele stoßen, das ist das von Dir erwähnte Oberlehrerhafte. – Das ist etwas, was von Spanien bis Finnland als sehr unangenehm wahrgenommen wird. Wenn wir hingegen nach Ungarn schauen, würde ich sagen, dass da ähnlich belehrend kommuniziert wird, jedenfalls unter Intellektuellen.
Wichtig wäre halt, dass wir uns nicht damit aufhalten, wir seien soundso und die anderen womöglich völlig anders, sondern dass wir – in erster Linie innerhalb der EU, aber auch generell – nach Gemeinsamkeiten streben und kulturelle Unterschiede nicht verabsolutieren. So kann man gemeinsam sinnvolle Politik machen. (Oder, anders gesagt: Es bringt uns kaum weiter, wenn wir uns einreden, wir als Volk müssten eigentlich ganz anders sein als wir sind. Konkrete Missstände beseitigen – ja! Pauschal „wir sind inkompatibel“ o.ä. – eher kontraproduktiv.)
Wenn ich mir an den Weihnachtstagen anschaue, wie sich meine 60+ jährigen Eltern und Großeltern das Leben mit maximaler Selbstverständlichkeit in den einfachsten Alltagssituationen verkomplizieren würde ich gar nicht so sehr ins Detail gehen wollen.
Ich glaube auch, dass wir gut darin sind Fehler, bzw. Staatsversagen zu entdecken. Durch die Masse an strukturellem Versagen, vergessen aber auch sehr viele Menschen die bekannten Probleme und Details und empören sich regelmäßig aufs neue über unser gesellschaftliches und institutionelles Versagen.
Unser Problem ist glaube ich, dass lang bekannte Probleme nicht gelöst werden.
Eine Kollegin ist Amerikanerin und findet Deutsch deshalb anstrengend, weil das Verb oft erst am Satzende kommt und dann auch noch gerne am Ende von langen Sätzen. In ihrer Muttersprache ist das Verb oft das zweite Wort im Satz und man kann dann schon ahnen, wohin der Hase läuft. Im Deutschen muss sie bis zum Satzende „gespannt“ zuhören und das war und ist für sie anstrengender über die Fremdsprache hinaus.
Derartige Probleme gibt es aber öfter. In vielen Sprachen muss man z.B. genau wissen, in welchem Verhältnis man zu seinem Gesprächspartner steht, um ihn korrekt ansprechen zu können. Also: biologisches Alter, Dienstalter, Chef/Untergebener, Verwandtschaftsverhältnis mütterlicher oder väterlicherseits, etc. Sowas würde mich wahnsinnig machen.
Ja, Sprachen, die typologisch sehr unterschiedlich sind, erhöhen die Barrieren.
Aufgrund der Verbendstellung zu postulieren, dass die Sprachgemeinschaft kompliziert ist, überzeugt mich nicht.
Die meisten Daten, die den interkulturellen Trainings zugrunde liegen, stammen aus den 80er Jahren, abgesehen von der Globe-Studie (2004). Seitdem ist viel passiert und auch Länder-Kulturen verändern sich. Und anekdotische Evidenz reicht nicht, um das abzubilden. Wir bräuchten neuere Daten, aber die Forschung interessiert sich kaum dafür, zumal diese Forschung sehr aufwändig ist.
Zu Inter- und Transkulturalität gibt es ohne Ende auch aktuelle Forschung.
Was am Ende ziemlich ohne Ausnahmen herauskommt, ist die Erkenntnis: Wenn man sich nicht darauf einlässt, dass andere Menschen anders gestrickt sind, dass es verschiedene Kulturen und Traditionen gibt und v.a. auch widersprüchliche Ziele innerhalb wie außerhalb von Gemeinschaften (welcher Art und Größe auch immer, vom politischen Bündnis bis hinunter auf die individuelle Ebene), hat man keine Chance, im Umgang miteinander zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen.
Natürlich ist es wichtig, die Codes der jeweils anderen Gemeinschaft zu kennen. Aber das reicht nicht – ganz abgesehen davon, dass es unendlich viel zu erlernen gäbe. Wichtig ist die Einsicht, dass es Unterschiede gibt und dass diese meistens historisch gewachsen sind, teilweise rational begründbar, teilweise nicht, und stets von Wandlung betroffen, aber dass man jedenfalls mit diesen Unterschieden umgehen muss. Im Idealfall lernt man voneinander, aber oft wird es dabei bleiben, dass man sich damit begnügen muss, voneinander zu wissen, dass man unterschiedlich ist. Das zu akzeptieren und nicht dem jeweils anderen vorzuwerfen ist eine Herausforderung. (Ich meine damit keineswegs, dass es z.B. egal ist, ob es Gleichberechtigung gibt oder nicht, aber das ist hoffentlich klar. Es geht darum, dass man ein Grundverständnis dafür aufbringt, dass andere anders sind.)
Ein ganz wichtiger Faktor ist die Motivation. Sobald man sich entschieden hat, sich auf etwas anderes als man selbst einlassen zu wollen, kommt man weiter (vgl. z.B. rasend schnelles Lernen von Sprachen, wenn man in eine*n Sprecher*in derselben verliebt ist). Dann spielt es oft keine Rolle, dass der andere „kompliziert“ ist (um den Bogen zur Eingangsfrage wieder herzustellen).
Bei dem Training ging es ganz konkret um das Training neuer Mitarbeiter in einem internationalen Konzern. Studien spielten keine große Rolle, dafür geballte episodische Evidenz aus der täglichen Arbeit. Es ging letztlich darum, anstehende Aufgaben möglichst effizient über mehrere Zeitzonen und Kulturräume hinweg zu koordinieren und zu verteilen, ohne dabei Leute unnötig vor den Kopf zu stoßen.