Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgericht zahnlos?

Ich frage mich schon länger wozu dieses Urteil am Ende des Tages wirklich nützlich ist außer als symbolischer Akt. Gibt es überhaupt irgendeine Konsequenz für Klimaschädiger wie Wissing und Lindner, wenn sie schamlos das Urteil ignorieren? Was kann denn bestenfalls passieren? Sie werden wohl kaum verurteilt oder richterlich aus dem Amt entfernt. Kann man Maßnahmen wirklich einklagen oder ist das Urteil doch wieder nur eine Bitte doch ein Gesetz zu machen wenn es geht. Selbst wenn es die traurigen 5% Klientel nicht wollen. Ich bin da wirklich frustriert.

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Das Urteil öffnet tatsächlich die Möglichkeit, Maßnahmen einzuklagen oder z.B. gegen das lächerliche Sofortprogramm des Verkehrsministerium zu klagen. Wann immer die DUH, Oppositionsparteien oder andere Initiativen gegen konkrete Gesetze klagen, wird dieses Urteil in die Bewertung der Rechtslage einfließen. Man darf sich halt nur nicht die Illusion machen, dass dies sofort alles ändern würde. Das Problem mit unserem Rechtssystem ist leider, dass es alles andere als schnell ist - bis die DUH sich zum BVerfG durchgeklagt hat, wird Wissing schon nicht mehr Verkehrsminister sein…

„Verureteilt“ wird hier zudem niemand, weil wir einfach nicht im Strafrecht sind. Es gibt keinen Straftatbestand, als Minister oder allgemein Politiker eine schlechte Politik zu machen - und das ist, wie schon öfters erwähnt, auch gut so, weil ein solcher Straftatbestand äußerst Demokratiegefährdend wäre. Staaten, die aus „schlechter Politik“ Anklagen konstruieren, sind in aller Regel keine Demokratien…

Das Urteil ist im Rahmen der Demokratietheorie (genauer: des Wahlkampfes) natürlich auch ein scharfes Schwert derjenigen, die mehr Umweltschutz fordern und z.B. dem Verkehrsministerium zu Recht vorwerfen, zu wenig zu tun. Man kann schon klar sagen, dass die Weigerung des Verkehrsministeriums, ein angemessenes Sofortprogramm aufzustellen, medial vernichtend für Wissing ist (und einer der Gründe, warum die FDP weiterhin mit der 5%-Hürde ringt…).

Kurzum:
Das Urteil des BVerfG war durchaus bahnbrechend und wird langfristig auch drastische Auswirkungen auf die Politik und Rechtsprechung haben. Aber wenn wir im Bereich Jura und Politik von Langfristig sprechen, sprechen wir halt von Jahren bis Jahrzehnten. Zeit, die wir leider beim Thema Klimawandel nicht haben.

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Als ein Teil der glücklichen Prozent kann ich nur einen Erklärungsversuch anbieten:
Jedes Geld sollte so effizient wie möglich eingesetzt werden- insbesondere bezüglich Klimaschutz.
Einige Euro im Verkehrsklimaschutz könnten vermutlich effizienter woanders klimaschützender eingesetzt werden.
Einige Euro aus Deutschland könnten sehr sicher woanders klimaschützend effizienter eingesetzt werden.

National die Klimaschutzziele einzuhalten bringt Ineffizienzen mit sich- und das kann man durchaus diskutieren. Auch auf politischer Ebene.

Alles was ich hier lese bestätigt mich leider. Es gibt keine Folgen für Verweigerer wie Lindner und Wissing. Die These mit dem Stimmenverlust ist ohne direkte Zusamnenhang damit, da uns dort schlicht die Daten fehlen. Und wenn die Klage für mehr Maßnahmen Jahre dauert ist es schlicht nicht mehr als ein Symbol. Und was passiert wenn in der nächsten Regierung wieder ein CSU Verweigerer sitzt? Die nächste Klage? Wird derjenige dann bei Weigerung der Maßnahme des Amtes enthoben? Sorry aber so sehe ich nicht den Erfolg.

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Siehe Dänemark:

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Solche Dinge sind immer eine Gratwanderung. Es gibt natürlich Straftatbestände wie Rechtsbeugung, Verfolgung Unschuldiger und - im Fall Dänemark - Amtsmissbrauch. Wenn daher ein Politiker ohne Gesetzesgrundlage eine Maßnahme gegen das Gesetz anordnet, liegt u.U. ein Gesetzesverstoß vor.

Der Unterschied zur genau so kritisch zu betrachtenden Präventivhaft in Bayern ist: Letztere ist leider ein Gesetz. Ein Gesetz zu erlassen, welches später als Verstoß gegen das Grundgesetz gekippt wird, ist kein Amtsmissbrauch, eine Maßnahme anzuordnen, die klar gegen ein Gesetz verstößt, hingegen schon. Wäre es eine Straftat, ein Gesetz zu erlassen, welches später vom BVerfG gekippt wird, würde sich kein Politiker mehr an irgendeine Reform trauen, denn solche Reformgesetze werden regelmäßig in einzelnen Punkten gekippt - und das ist auch gut so! Die Gesetzgebung wäre zum Konservativismus verdammt, weil jeder Politiker, der etwas ändern will (egal in welche Richtung) sonst Haftstrafen fürchten müsste. Das kann doch wirklich niemand wollen.

Der Unterschied zum Urteil des BVerfG ist, dass Urteile des BVerfG keine Gesetze sind, sie haben auch nur im Ausnahmefall Gesetzwirkung. Nämlich dann, wenn z.B. ein Gesetz für ungültig erklärt wird. Allgemeine Aussagen, wie z.B. dass der Staat mehr für Klimaschutz tun muss oder dass der Staat Sterbehilfe stärker zulassen muss - beides bedeutende Urteile der letzten zwei Jahre - entfalten hingegen keine direkte Gesetzeswirkung. Sie weisen den Gesetzgeber lediglich auf die Position des BVerfG hin, sodass der Gesetzgeber weiß, dass weitere Klagen in diese Richtung erfolgreich sein werden, wenn nichts passiert.

Eine persönliche Verantwortung von Politikern gegen Verstöße gegen diese Ansagen ist nicht möglich und würde auch zu großen Problemen führen. Denn mit den Urteilen des BVerfG aus den letzten 70 Jahren könnte man letztlich verdammt viele Dinge zwingend begründen, da ist bei weitem nicht alles rosig… Und da wollen wir halt nicht hin: Dass die Urteile des BVerfG der letzten 70 Jahre wie Bibelphrasen mannigfaltig, der eigenen Doktrin entsprechend, aussortiert und interpretiert werden, um darauf Klagen gegen Politiker aufzubauen. Ich glaube auch hier wird deutlich, dass eine Strafbarkeit mehr Probleme erzeugen würde, als sie beheben würde.

Welche Maßnahmen (und damit Kosten) schweben denn dir so vor, die Effizienter (und damit günstiger) als ein allgemeines Tempolimits auf Autobahnen wäre?

Dazu braucht es nämlich nur einen Parlamentsbeschluss der dann Schilder die anders lauten einfach für ungültig erklärt, bis sie irgendwann abgebaut werden.

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Eine persönliche Verantwortung der entsprechenden Politiker fällt halt aus genannten Gründen aus.

Was ich mir allerdings durchaus vorstellen kann ist, dass das Urteil ein guter Hebel sein könnte um den Staat selbst für die Folgen ausbleibender Klimaschutzmaßnahmen haftbar zu machen, wenn dieser offensichtlich seinen verfassungsmäßigen Pflichten bewusst nicht nachkommt.

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Das Urteil zum Tempolimit des BVG zeigt mir nur noch einmal, dass dieses Urteil nur ein zahnloser Tiger ist und keinen echten Wert hat. Ich werde wahrscheinlich jetzt juristisch belehrt, aber für mich ist es lächerlich. Wozu bitte war dieses Urteil denn nun gut?

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Das Urteil ist dazu gut, ein Argument für die Abwägung „pro Umweltschutz“ zu liefern.

Nicht mehr, nicht weniger. Und das ist das Problem an der Sache: Ein Umweltschutzaktivist liest das so, als wäre gar keine Abwägung mehr nötig, als würde das Urteil quasi automatisch sagen: „Umweltschutz hat Priorität“. Aber so ist das halt nicht.

Jura, in komplexen, gesellschaftspolitischen Fragen, ist immer eine Sache der Abwägungen, es muss immer alles gegen alles abgewogen werden. Das Urteil des BVerfG hat hier eine Seite der Abwägungen etwas gestärkt, aber mehr auch nicht. Es hat diese Seite nicht, wie z.B. die Menschenwürde, mit Absolutheit belegt, sodass sie alles andere aussticht.

Der Beschluss zum Thema Tempolimit war daher vorhersehbar. Dass es schon deshalb abgelehnt wurde, weil nicht genug Belege geliefert wurden, ist natürlich eine besondere Schlappe, aber auch wenn es in die tiefere Prüfung gegangen wäre, hätte am Schluss mit ziemlicher Sicherheit gestanden, dass die Einführung eines Tempolimits jedenfalls nicht zwingend ist, sondern im Ermessensspielraum der Regierung liegt. Auch mit einer besseren Begründung wäre die Sache daher mMn nicht anders ausgegangen.

Das sage ich, obwohl ich ganz klar ein Tempolimit unterstütze, gerne 120 km/h, meinetwegen auch 100 km/h. Aber auch aus rein juristischer Sicht vertrete ich klar die Meinung, dass die Entscheidung über ein Tempolimit nicht vom Verfassungsgericht getroffen werden kann, sondern vom Gesetzgeber (und letztlich dem Wähler) getroffen werden muss. Das ist frustrierend, weil Demokratie leider nicht so reibungslos funktioniert, wie wir uns das wünschen, aber gesellschaftliche Richtungsentscheidungen durch Gerichte vornehmen zu lassen muss eine Ausnahme bleiben, alleine schon, weil Gerichte auch sehr schnell sehr konservativ besetzt werden können…

Das magst du als Jurist so sehen und will ich dir auch glauben, für mich als Nicht-Jurist ist es schlicht ein nettes PR-Urteil. Ich sehe wirklich gar keine Konsequenzen aus diesem Urteil. Verweigerungsparteien wie die FDP (besonders Wissing) dürfen weiter jeden Klimaschutz torpedieren ohne irgendeine Konsequenz. Für mich einfach nur lächerlich. So kann man sich natürlich auch als Gericht einen schlanken Fuß machen. Man ist erstmal voll pro Klimaschutz und man kann sich juristisch wieder super rauswinden.

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Und das ist das Problem. Du siehst die Konsequenzen nicht, weil du

a) zu viel erwartest

und

b) nicht sehen kannst, wie die Abwägungen auf allen Ebenen von diesem Urteil beeinflusst werden.

Das Haupt-Problem ist wie gesagt, dass du zu viel erwartest, weil du das Urteil so liest, als würde daraus hervorgehen, dass das BVerfG nun alles dem Klimaschutz untergeordnet hätte. So funktioniert Recht nicht. Es hat den Klimaschutz gestärkt. Eine Abwägung, die vor dem Urteil haarscharf gegen den Klimaschutz ausgefallen wäre, wird jetzt u.U. haarscharf für den Klimaschutz ausfallen, weil dieses Urteil berücksichtigt wird.

In der juristischen Literatur und Lehre ist das Urteil massiv eingeschlagen, es hat wirklich verhältnismäßig hohe Wellen geschlagen. Aber auch das darf man nicht überbewerten.

Ich kann verstehen, dass das enttäuschend ist - gerade weil über das Urteil auch in den Medien so stark berichtet wurde und viele Menschen, denen Umweltschutz wichtig ist, aus diesem Urteil so viel Hoffnung geschöpft haben. Es wurden einfach zu hohe Erwartungen geweckt, die jetzt mit der juristischen Realität kollidieren…

Damit

kann man weitere Klagen vor dem Verfassungsgericht zum Thema Tempolimit erstmal vergessen.

Die Beschwerdeführer haben ja hoffentlich alle Informationen und Studien angeführt.
Wenn es sich daraus nicht belegen lässt, wird es sich auch in den nächsten Jahren nicht mehr belegen lassen.

Mal abwarten - ich glaube da kommt noch mal etwas seitens des EuGH.

Na herzlichen Glückwunsch, dann können ja jetzt alle Gegner eines Tempolimits (also eine kleine meist eher wohlhabende Minderheit) vor’s EUgH ziehen und die Aufhebung von Tempolimits europaweit erstreiten ^^

Apropos nicht belegen lassen: da man jetzt das Tempolimit nicht will, wird man irgendwann zu Fahrverboten kommen um noch irgendwas zu retten.

Hatten wir schon alles, je länger man wartet umso radikaler müssen die Maßnahmen werden, die man benötigt und umso teurer wird es.

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Das ist ein Fehlschluss. Im Zitat geht es darum, dass der Kläger gegen die Bundesregierung ein Tempolimit erzwingen wollte. Da sagen die Richter, dass dafür nachgewiesen werden müsste, dass die CO2 Ziele ohne Tempolimit nicht erreichbar wären. Es fehlen schlicht die zwingenden Gründe. Genauso wenig gibt es aber zwingende Gründe dafür, Tempolimits abzuschaffen.

Solange es die nicht gibt kann eben auch jede Regierung im Rahmen ihres Ermessens frei entscheiden.

Passt vielleicht ganz gut hier hinein:

https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-01/klimaaktivist-verfassungsbeschwerde-verurteilung-letzte-generation

@vieuxrenard - so etwas ähnliches hattet ihr ja auch schon diskutiert (Stichwort Vorbeugehaft in Bayern)

Ich hatte gehofft, dass die Ironie deutlich genug ist.

Da habe ich die Erklärungen von @Daniel_K gelesen und auch so verstanden, dass es juristisch eigentlich nicht möglich ist das einzuklagen, da Einzelmaßnahmen (hier Tempolimit) eher selten so groß durchschlagend sind, dass sie Alternativlos wären und somit unvermeidbar.

Ja und Nein.

Natürlich kann sie grundsätzlich frei entscheiden, aber so wie ich das sehe erzwingen die bereits gefassten Entscheidungen durch die Klimagesetzgebung und den damit verbundenen Sektorzielen eigentlich ein rasches gegensteuern.
Geschieht das nicht müssten aus meiner Sicht irgendwann Fahrverbote fällig werden um den Sektor Verkehr irgendwie noch auf die Zielgerade zu bringen.

Da wäre für mich fast die Frage ob man nicht die Einhaltung der Sektorziele Verkehr einklagen könnte? Immerhin sind die ja geltendes Gesetz.

Das wären dann aber durch die inzwischen vergangene Zeit Fahrverbote um irgendwie noch den Ausstoß zu begrenzen.

Das eigentlich Schlimme ist dann, wenn das funktioniert und so kommt, dass die üblichen Verdächtigen dann auch wieder nur die Klagenden Umweltschützer incl. Grünen beschimpfen und anklagen werden und nicht die eigentlich Schuldigen Bremser aus CSU und FDP.

Für wen?

Für Verbrenner? Weil Elektroautos, die mit eigener PV geladen werden, stoßen ja kein CO2 aus.
Noch schwieriger durchzusetzen.

Für alle

Da du bei Kontrolle nicht nachweisen kannst, dass die Elektronen in der Batterie aus deiner heimischen PV stammen gilt es für eben für alle.

Und das quasi ab dem Punkt wo der Sektor Verkehr respektive Deutschland das CO2 Budget verbraucht hat.

Dann muss eben wegen Durchsetzbarkeit der gesamte PKW gebundene Individualverkehr ruhen bis sichergestellt werden kann, dass alle BEV mit „CO2 freier“ Energie versorgt werden können.