Erst einmal möchte ich ein paar nette Worte zu eurem Podcast los werden: Ich freue mich jedes mal, wenn mein Handy mir anzeigt, dass eine neue Lage hochgeladen wurde und finde, dass ihr zwei wirklich sauber recherchiert! Hut ab
So nun zu meinem Themenvorschlag: In der letzten Lage habt ihr ja berichtet, wie sich Klima Aktivist:innen auf den Straßen in Berlin festkleben und welche Konsequenzen das eventuell hat. Nun gibt es einen ähnlichen Fall im Freistaat Bayern, wo noch „Recht und Ordnung“ herrscht (Ironie). Und zwar klebten sich in München Klima Aktivist:innen am Stachus fest und blockierten einen Knotenpunkt der Innenstadt. Nach dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz müssen nun 12 dieser Aktivist:innen 30 Tage lang in Haft. Das Polizeigesetz erlaubt hier eine Präventivhaft zur Verhinderung weiterer Straftaten.
Ich persönlich finde es schockierend, dass man in einem Rechtsstaat wegen so einer Aktion direkt einen Monat weggesperrt wird. Ich frage mich schon sehr, ob man die gleiche Härte auspacken würde, wenn Landwirte aus Protest in München Straßen blockieren würden. Zudem kommt, dass das bayerische Polizeiaufgabengesetz an sich schon problematisch ist. Der Passus mit der Präventivhaft wurde meiner Kenntnis nach erlassen um islamistischen Terror zu verhindern - nun zielt dieses scharfe Schwert auf Aktivisten. Das muss öffentlich mehr diskutiert werden! Außerdem würde ich mich natürlich über eine Rechtseinschätzung von Ulf Freuen.
Danke für den Hinweis! Ich denke die Rechtslage hat Ronen Steinke in der SZ schon sehr gut dargestellt (dritter Link oben).
Ergänzend würde ich noch darauf hinweisen, dass es an der Verhältnismäßigkeit fehlen dürfte, wenn die „Gefahr“ weiterer Straftaten sich durch die Schutzhaft gar nicht bannen lässt.
Bei kurzen Anlässen wie der IAA vor einigen Monaten - wo die Polizei auch einige Demonstrierende eingekerkert hat - kann man noch halbwegs plausibel argumentieren, dass man die Leute genau so lange eingesperrt halte, bis die Veranstaltung vorbei ist. Jedenfalls diese Veranstaltung können sie dann nicht mehr stören. Ich halte das trotzdem für völlig überzogen, aber es macht wenigstens in der Logik dieses Schutzhaft-Paragraphen irgendwie Sinn.
Die Gefahren durch den Klimawandel sind aber in 30 Tagen ganz sicher nicht vorbei, aus der Sicht der Demonstrierenden macht eine Blockade im Dezember noch genau so viel Sinn wie heute. Mit anderen Worten kann keine „Gefahr“ gebannt werden - sie wird allenfalls für 30 Tage auf Eis gelegt. Damit aber kann das Ziel der Schutzhaft denklogisch nicht erreicht werden. Mit anderen Worten: Bei Dauergefahren kann eine Schutzhaft niemals verhältnismäßig angeordnet werden.
Leider wollen die Aktivist:innen in München ihre Inhaftierung bisher nicht juristisch prüfen lassen, sondern setzen eher auf einen „Märtyrer-Mythos“ (Steinke). Sonst würde ich sie sehr gerne von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützen lassen, sofern sie das wollen, um die ganze Absurdität dieser Inhaftierung deutlich zu machen.
Was die CSU mit der Gesetzesnovelle des PAG 2021 erreicht hat ist in diesem konkreten Fall eben keine „Gefahrenabwehr“, sondern recht eindeutig eine verdeckte Strafmaßnahme und ein Einschüchterungsversuch gegenüber Demonstranten im Allgemeinen. Und das ist in der Tat ein großes rechtstaatliches Problem.
Das ist schade, denn wenn diese Haft wegen Rechtswidrigkeit der Maßnahme aufgehoben werden müsste wäre das ein deutlich stärkeres Zeichen, ebenso wenn der Maßnahme im Nachhinein die Rechtmäßigkeit abgesprochen würde. Ich hoffe, da tut sich noch etwas.
Politisch kann ich die Haltung der CDU/CSU hier gut nachvollziehen.
Die Union hat das strategische Problem (wie übrigens auch SPD und FDP), dass die Bekämpfung der Klimakrise in ihrer Wählerschaft sehr populär, einzelne tatsächliche Maßnahmen aber sehr unpopulär sind.
In diesem Fall kann sie exakt diesen Standpunkt einnehmen und mit ihrem Law & Order vermengen: „Wir sind ja auch für Maßnahmen gegen die Klimakrise, aber so doch nicht. Das ist kriminell! Ordnung!“
Übrigens auch der Standpunkt von Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Interview mit der Lage: „Ich bin für eine Bekämpfung der Klimakrise!“ - „Welche konkreten Maßnahmen schlagen Sie vor?“ - Stille
Als juristischer Laie habe ich mal eine Frage bzgl. der „Präventivhaft“:
Man braucht laut Gesetz eine richterliche Anordnung bzw. „eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung“ (PAG Art. 97).
Wie viel Einfluss hat dann der Richter auf die Entscheidung über Präventivhaft? Sollte diese tatsächlich rechtswidrig sein, dann sollte doch der Richter ebendiese verhindern, oder?
Oft kommt es mir so vor, dass viele denken, dass einfach die Polizei vorbeikommt und die Leute wegsperrt ohne Verfahren/Anhörung (habe dazu auch viele Takes auf Twitter mit Vergleichen zu Iran, Russland, etc. gelesen).
Ich habe da, wie gesagt als ultimativer Laie, ein bisschen Vertrauen in die Judikative, dass sie so etwas verhindert. Vielleicht ist das aber auch zu optimistisch gedacht
Würde mich aber trotzdem über eine Erklärung freuen!
Das Problem ist hier ein wenig:
Die Behörden und Gerichte verhalten sich innerhalb des vom Gesetz gesteckten Rahmens - die große Frage ist ja gerade, ob dieses Gesetz verfassungskonform ist.
Bedeutet: Das Gesetz sagt: „Wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten besteht…“ und die Aktivisten haben bei der Anhörung des Richters klar gesagt „Wenn wir hier wieder rauskommen, werden wir weiter rechtswidrige Aktionen machen“. In diesem Sinne macht der Richter nichts „falsch“, denn Richter haben eben den Job, das Recht so, wie es im Gesetz steht, durchzuführen.
Ein Richter könnte in dieser Situation den Antrag der Polizei auf Präventivhaft nur ablehnen, wenn er sich auf den Standpunkt stellt, dass entweder das Gesetz selbst oder zumindest die Anwendung des Gesetzes auf Fälle der Dauergefahr verfassungswidrig sei. So weit ich weiß sind noch einige Klagen gegen das PAG Bayern sowohl vor dem BayVerfGH als auch vor dem BVerfG offen, wobei ich da nicht ganz auf dem aktuellen Stand bin.
Bis dahin gilt:
Die Richterschaft ist ähnlich wie die Polizei eine in der Tendenz eher konservative Gruppe - und ein konservativer Richter wird hier möglicherweise schlicht keine Probleme sehen - nach dem Motto: „So lange das BVerfG oder der BayVerfGH das Gesetz nicht kippen, werden wir es mit seiner vollen Härte anwenden“. Das kann man moralisch problematisch finden, ist aber juristisch zweifelsfrei zulässig.
Ich nicht. Der sogenannte Richtervorbehalt wird immer gerne in solche umstrittenen Gesetze eingepflegt, um Befürchtungen entgegenzutreten irgendwelche Befugnisse könnten sonst unverhältnismäßig angewendet werden. Aber in jedem Fall ist es für einen Richter immer einfacher, eine „Formulierungshilfe“ der Polizei oder Staatsanwaltschaft für einen Beschluss einfach zu unterschreiben, als sich hinzusetzen und from scratch eine fundierte Ablehnung zusammen zu klöppeln. Da muss man dann schon Glück haben, auf einen Richter zu treffen, der das nicht bloß kurz überfliegt und auf wirklich offensichtliche Rechtswidrigkeit checkt, insbesondere weil derartige zusätzliche Arbeit sich ja in den seltensten Fällen positiv auf die Karriere auswirken dürfte. Ein Richter, der regelmäßig Vorbeugegewahrsams-, Durchsuchungs- und ähnliche Beschlüsse ablehnt, gilt dann ja vermutlich eher nicht als „fleißig und gewissenhaft“, sondern eher als „schwierig“ o.ä.
Das ist im Hinblick auf Durchsuchungsbeschlüsse und ähnliches leider korrekt (hier wird in der Tat oft einfach der Stapel unterschrieben, weil die Richter der Staatsanwaltschaft vertrauen, schon keine zu dreisten Beschlüsse zu erwirken…).
Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die Verhängung von Präventivhaft, wozu eine Anhörung des Betroffenen zwingend vorgeschrieben ist (soweit möglich, daher: es gibt Ausnahmen, wenn der Betroffene z.B. nicht anhörungsfähig, weil z.B. im Rausch, ist), daher muss sich der Richter in jedem Fall inhaltlich mit dem Fall auseinandersetzen. Auch muss der Richter hier keine großen Begründungen für eine Ablehnung schreiben, während die Anordnung schon aus rechtstaatlichen Gründen wesentlich stärker begründet werden muss, schließlich wird hier massiv in Grundrechte eingegriffen. Vom Arbeitsaufwand her denke ich daher nicht, dass die Verhängung von Präventivhaft wirklich einfacher für den Richter ist als die Ablehnung.
Das ist schwierig zu sagen. Einerseits macht man sich bei den Staatsanwälten natürlich unbeliebt (und das kann einem natürlich einen schlechten Ruf einbringen), andererseits können sich Betroffene gegen zu leichtfertig erteilte Dursuchungs-, Untersuchungshaft- oder Schutzhaft-Beschlüsse mit Rechtsmitteln wehren - und wenn das zu oft (erfolgreich) passiert, ist das der Karriere der Richter auch nicht zuträglich.
Aber machen wir uns nichts vor - alle Richter beginnen ihre Karriere in der untersten Instanz und die meisten beenden sie auch dort, es ist daher nicht so, dass jeder Richter „Karriere“ in den höheren Instanzen machen wollen würde, viele fühlen sich in den unteren Instanzen auch einfach wohl (lieber der große Fisch in einem kleinen Teich… also lieber Einzelrichter am Amtsgericht als Kammerrichter am Landgericht oder OLG…). Ich würde daher das Karriere-Argument nicht zu hoch hängen - Karrieristen mit Prädikatsexamen gehen in der Regel ohnehin nicht in den Justizdienst…
Wie gesagt, bei Durchsuchungsbeschlüssen und anderen Dingen, die nach Aktenlage entschieden werden, gebe ich dir durchaus Recht, da ist der „easy way out“ einfach die Unterschrift drunter zu setzen… bei Beschlüssen zu Haftfragen (U-Haft, Schutzhaft) eher nicht.
Na das sind ja markige Worte. Könntest du bitte einmal begründen, wie du bei dem verlinkten Artikel zu dieser These mit kommst. Mir erschließt sich nämlich nicht, was das mit der Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu tun hat.
Das steht im Grunde in dem Artikel, jedoch lag ich bei der Sonderrolle von Hamburg daneben, das solche Gebühren auch in anderen Bundesländern schon existieren. Daher habe ich den Originalpost jetzt auch gelöscht, auch wenn ich bei meiner grundsätzlichen Kritik an diesem Schritt bleibe.
edit:
Die taz hat auch was dazu:
edit 2:
Wenn ich die Hamburger Gebührenordnung, genauer deren Anlage 1 (Link), um die es in den Artikeln geht, und deren Polizeigesetz §13 zum Unterbindungsgewahrsam (Link) ansehe, liest es zumindest für mich so, als wenn HH auch für die max. 10 Tage Gewahrsamsgebühren verlangen könnte.
So wie ich die bayrischen Vorschriften zu den Kosten bei Gewahrsam bisher verstanden habe, ist der Unterbindungsgewahrsam dort allerdings kostenlos. Wäre interessant das mal zu vergleichen. Vielleicht kennt sich hier jemand im Forum ja mit den bayrischen Kostenrichtlinien aus.
Ich glaube hier steht nicht die abschreckende Wirkung im Vordergrund, sondern eher die Erschließung von weiteren Einnahmequellen. Ob dies am Ende rechtmäßig ist, muss allerdings auch erst noch weiter geklärt werden, denn ganz so einfach ist es nicht, polizeiliches Tätigwerden dem Verursacher in Rechnung zu stellen. Glaubst du wirklich, jemand geht nicht zu einer Versammlung, weil er damit rechnet, dass ihm später Kosten auferlegt werden?
Bei der Polizei in Hamburg kann man in Sachen Versammlungsfreiheit viel kritisieren. Zum Beispiel auch die jüngsten Aktionen am ZOB Hamburg in Zusammenhang mit anreisenden Klimaaktivisten. Aber solche längerfristigen Gewahrsamnahmen wie in Bayern sind mir nicht mal zu Zeiten von G20 bekannt. Zu dieser Zeit galt übrigens das aktuelle Polizeiaufgabengesetz (SOG) in Hamburg bereits. Bei einer kurzen Recherche habe ich hierzu das folgende Urteil gefunden, wo die Maßnahmen später vom BGH als zulässig erachtet wurden.
Wenn sowas tatsächlich öfter passieren würde, dann schon. Hinzu kommt, das man vermutlich ja auch im Gefängnis landen kann, wenn man solche Gebühren gar nicht zahlen kann, ist bei GEZ und Schwarz-fahr-Strafen auch so.
Allgemein besteht kaum Zweifel, dass eine Präventivhaft generell in Ordnung sein kann. Beim G20-Gipfel ging es um ein zweitägiges Event, eine Person ist am Vortag des Gipfels mit einer kleineren Gewalttat (Flasche gegen Wasserwerfer geworfen) aufgefallen und deshalb bis zum Ende des G20-Gipfels in Gewahrsam genommen worden (daher etwas mehr als 48 Stunden).
Aber dort wird von vielen Juristen die Grenze gezogen: Wenn eine Präventivhaft dazu dient, eine Person, von der strafbare Aktionen erwartet werden, davon abzuhalten, an einem spezifischen Event tätig zu werden, ist das okay. Eine Präventivhaft bei Dauergefahren hingegen nicht - eben weil es hier keinen zeitlich einschränkenden Rahmen gibt.
Hier muss man differenzieren, weil die rechtliche Situation jeweils eine ganz andere ist.
Schwarzfahren ist eine Straftat. Wer hier zu einer Geldstrafe verurteilt wird, hat die Option, statt die Strafe zu zahlen für die der Zahl der Tagessätze entsprechende Zeit in Haft zu gehen (in Zukunft nur noch die Hälfe der Tagessätze). Das kann auch Menschen betreffen, die die Geldstrafe nicht zahlen können.
Bei der GEZ-Gebühr handelt es sich um eine Forderung, die im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Forderungen sofort vollstreckbar ist. Während also ein Unternehmen die Forderung erst einklagen müsste, bevor es eine Vollstreckung der Forderung durch den Gerichtsvollzieher betreiben kann, kann die GEZ (jetzt Beitragsservice) ihre offenen Forderungen sofort vollstrecken lassen. Ähnlich übrigens wie öffentliche Bibliotheken, bei denen man seine Verzugsgebühren nicht zahlt
Der Gerichtsvollzieher würde nun versuchen, das Geld zu bekommen - und wenn das nicht geht, weil nix pfändbares da ist, eine eidesstattliche Versicherung abnehmen. Daher: Der GEZ-Schuldner erklärt, dass er kein verwertbares Vermögen hat. Die Konsequenz ist, dass die Bonität im Arsch ist, aber keine Haft. Zu einer Haftstrafe kommt es hier nur, wenn der Schuldner die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verweigert, z.B. indem er den Gerichtsvollzieher mehrfach trotz Androhung der Beantragung eines Haftbefehls gar nicht erst empfängt. Oder wenn er sich weigert, das Geld zu zahlen, obwohl er Geld hat, also wenn er die Pfändung nicht zulässt.
Der Fall von Einsatzkosten dürfte wie die GEZ-Schulden zu bewerten sein, daher: Auch hier ist eine Behörde der Gläubiger, auch hier muss die Behörde das Geld nicht erst einklagen, sondern kann es direkt vollstrecken. Auch hier wird man nur in den Knast kommen, wenn man die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verweigert (oder die Pfändung verweigert).
Der Unterschied ist daher:
Bei Geldstrafen (z.B. für’s Schwarzfahren) kann man in Haft kommen, wenn man sie nicht bezahlen kann oder will.
Bei öffentlichen Forderungen (GEZ, Einsatzkosten) kann man in Haft kommen, wenn man sie nicht bezahlen will und sich weigert, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben. Wenn man sie nicht zahlen kann, kommt man nicht in Haft.
Ein Mitglied (?) der letzten Generation wurde heute präventiv festgenommen um zu verhindern, dass er an einem angekündigten Protest teilnimmt. Wie kann denn sowas mit dem Grundgesetz vereinbar sein? Ich fände es interessant, das Mal aus juristischer Perspektive erläutert zu bekommen.
Du beziehst dich vermutlich auf diesen aktuellen Fall:
Inhaltlich wurde glaube ich zu dem Thema das meiste gesagt, aber ich stimme zu, dass es wichtig ist, das Thema „auf dem Schirm“ zu behalten. Sowohl politischer Druck als auch eine verfassungsrechtliche Klärung sind hier mMn dringend nötig…