Klaus Stöhr: Ist die Kritik an NoCovid wirklich so abwegig?

Ich gehe auch davon aus, dass der Mann Ahnung vom Thema hat. Dann sollte er aber in Interviews darauf achten, dass er sich so äußert, dass ihm niemand mit einer länglichen Exegese zur Seite springen muss.
Er hat sich hier in einer Boulevardzeitung so geäußert (m.E. auch absichtlich), dass er so verstanden werden muss, dass a) die Epidemie von alleine abflaut und b) die Mutanten keine Herausforderung darstellen.
Und das finde ich schon ziemlich hanebüchen.

Der Artikel über den wir hier reden ist ja vom 12.12., meines Wissens sind danach sowohl in Irland als auch in GB die Zahlen wieder explodiert und eine höhere Ansteckbarkeit von ca. 35% ist für B 1.1.7 zumindest epidemiologisch in mehreren Studien belegt.
Das Wachsen des Anteils erfolgte exponentiell mit einer Verdopplungszeit von 10 Tagen.

Nun hat ja niemand behauptet, dass man die Mutanten nicht auch stoppen könnte, dazu sind nur leider stärkere Kontaktbeschränkungen nötig. Um in den Februar und nach Deutschland zurückzukommen: Diese Projektionen beziehen sich auf unsere Zahlen hier und jetzt. Die aktuellen Maßnahmen senken die Gesamtzahlen ganz passabel, aber die Mutation breitet sich darunter exponentiell aus und wird voraussichtlich diesen Kipppunkt erreichen, mit dem die Fälle dann unter gleichen Maßnahmen wieder steigen würden.

Wieder haben wir einen unschönen Mittelweg. Wenn man nicht an die Mutanten glaubt, hätte man vielleicht etwas mehr öffnen können, aber wie Mitte November werden einfach Maßnahmen verlängert, die wahrscheinlich nicht geeignet sind, das Ziel zu dem sie verlängert werden zu erreichen. Das ist sehr ärgerlich.

Ich wollte hier auch nicht irgendwie pampig wirken oder so. Bin ja auch für andere Modelle offen und denke natürlich auch, dass eher große als kleine Unternehmen in die Pflicht genommen werden sollten.
In Frankreich gab es zwischenzeitlich viel weitreichendere Freiheitseinschränkungen, viel höhere Zahlen. Es ist schwierig bis unmöglich ein „gutes“ hohes Plateau zu halten. Wir hatten im November eins, das aber leider zu hoch war und trotzdem unter nervigen Maßnahmen zustande kam.

Mein Gefühl ist, dass die Mehrzahl der Virologen diese Variante als infektiöser (Basisreproduktionszahl höher) ansieht, da sich diese Mutation nicht nur in einem Land, sondern unabhängig in verschiedenen Ländern ausbreiten und überhand gewinnt. (und dabei wird der Unterschied zw. relativen und absoluten Zahlen berücksichtigt). Ein virologischer Nachweis im Labor, dass die Mutation viel ansteckender ist, ist jedoch bisher nicht geglückt.

Da ich aber in dieser Frage („what?“) selber am Tropf der Epidemiologen hänge, möchte ich auf einen anderen Punkt hinaus; nämlich auf das „So what?“ (siehe MaiLab). Angenommen wir haben noch eine gewisse Unsicherheit, ob die Mutation wirklich so viel infetkiöser ist, besteht eine realistische Chance, dass sie das ist. Wenn Herr Stöhr die dünne Datenlage (andere Wissenschaftler sehen die noch nicht einmal so dünn) beklagt, kann er mit dieser dünnen Datenlage auch schlecht argumentieren, dass die Mutation nicht so viel ansteckender ist.

Also Annahme: Potentiell ansteckendere Mutante. Was folgt daraus hinsichtlich unseres politischen Handelns? Gehen wir auf Nummer sicher oder hoffen wir, dass es doch nicht so ist (Risikoabwägung)? In dieser Frage würde ich vor dem Hintergrund des exponentiellen Charakters der Pandemie immer auf Nummer sicher gehen!

Und wenn er die höhere Infektiösität implizit einräumt, dann sind seine Schlussfolgerungen bzgl. der Modellierung und der „überfälligen“ Schulöffnungen damit logisch nicht konsistent oder doch zumindest stark erklärungsbedürftig. Aber er erklärt diesen Widerspruch nicht und scheint ihn auch nicht zu sehen.

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Kleiner Tipp:
Alles nach dem ? ist Tracking und kann weggelassen werden.
Mit ner Browsererweiterung wie NeatURL geht das sogar automatisch.

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Die Kosten des Lockdowns sind doch in vielen Bereichen nicht mehr als das Problem des Systems selbst, welche durch den Lockdown nur extremer wurden.

Der Einzelhandel würde auch kaputt gehen, wenn es keine Lockdown gäbe. Die Monopolisierung des Versandhandels ist doch nichts neues.
Dass Kulturbetriebe pleite gehen liegt ebenso an deren Prekarität. Die mangelnde staatliche Förderung für Kulturbetriebe, die prekären Arbeitsbedingungen der Angestellten, steigende Mieten, verdrängung durch young urban professionals, welche die innenstädte austrockenen.

Was die Belastung für Kinder angeht, ließe sich diese sicherlich auch zumindest etwas abfedern, wenn die Eltern nicht immer noch in 40 Stundenwochen hängen würden. Auch wäre die Öffnung der achso geheiligten Bildungsfabriken, weniger Problematisch, wenn die Arbeitsstätten stärker reglementiert wären.
Außerdem könnte man soziale Kontakte von Kindern auch mal außerhalb von Schule versuchen in kleineren Gruppen aufrecht zu erhalten.
Aber man muss die Kids auch in Corona Zeiten durch die Schule pressen, sonst laufen die Ausbildungsverbände Sturm…

Was die Flexibilität der Modelle angeht stimme ich dir zwar zu, sehe das allerdings als völlig unrealistisch an, die Schulen sind nicht digitalisiert, die Schüler nicht im Umgang den Geräten geschult oder in Medienkompetenz ausgebildet um diese entsprechend verantwortungsbewusst zu benutzen.

Das Wirtschaftssystem ist keine Naturgewalt und solange man die Probleme die es verursacht nicht anerkennt sondern auf den Lockdown verweist bleibt die Betonung des Kosten des Lockdowns in ihrer normativen Prämissensetzung stecken. Denn nach dem Lockdown sind diese Problematiken wieder egal, ebenso wie es im Bezug auf die Medizinischen Aspekte nach der Pandemie wieder völlig egal sein wird das tausende Menschen an der Grippe sterben.

Bevor jetzt wieder jemand so tut als sei das hier kommunistische System Kritik. Das hier bezieht sich nur auf Ursächliche Blinde Flecken und normative Inkonsistenzen.
Das hier Bezieht sich nur darauf, dass man viele von diesem Effekten mit schnellen Maßnahmen mindestens abfedern könnte, sofern die hinter den Forderungen liegenden wirtschaftlichen Prämissen wenigstens flexibler betrachtet werden könnten.

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Ich hab mir mal die Strategie dort angeguckt und was ich gefunden habe ist schlicht und einfach nichts.

  • Die Strategie besteht darin, dass ein Gremium eingerichtet werden soll, getreu dem Motto „Wenn du nicht weiter weiß, gründet einen Arbeitskreis.“
  • Der Stufenplan sieht vor, dass ein Stufenplan erarbeitet wird. Danach wird erklärt was Stufenpläne sind und dass sie toll sind.
  • Kitas und Schulen. Da wird rumgenölt, polemisiert (Kinder sind keine Treiber…). Zugegeben, dass „Epidemiologisch folgen die Infektionen bei Kindern dem Infektionsgeschehen bei Erwachsenen, sie gehen ihm nicht voraus.“, aber auch gesagt, dass „Die Effektivität von Kita- und Schulschließungen zur Senkung von mit SARS-CoV-2 assoziierten Todesfällen in den Risikogruppen der Alten und Pflegebedürftigen ist in der Literatur nicht belegbar.“ - Häh? Kinder verbreiten das Virus genauso wie Erwachsene, damit gibt es höhere Infektionszahlen und damit mehr Tote.

Nach den drei Seiten höre ich auf zu lesen. Ich weiß immer noch nicht, was die machen wollen. Sollen die Kitas geöffnet werden oder nicht oder wann? Das ist einfach nur blabla ohne eine einzige Maßnahme zu nennen.

Warum? Folgt aus einer (noch) nicht genau bestimmbaren höheren Infektiösität eines Erregers logisch eine bestimmte Art der Modellierung und eine bestimmte politische Entscheidung über die Öffnung oder Schließung von Schulen? Wenn Du schon eine logische Inkonsistenz unterstellst, schildere doch bitte mal, wo der logische(!) Zusammenhang zwischen den drei Sachverhalten besteht.
Aber vielleicht ist das genau ein Knackpunkt des Diskurses, den u. a. Stöhr kritisiert: Dass so getan wird, als folge aus einer bestimmten (epidemiologischen) Situation quasi automatisch, zwangsläufig und „alternativlos“ eine bestimmte Art und Weise von Maßnahmen. Wenn man aber erst mal das emidemiologische Problem analysiert (was ja nur unzureichend passiert) und, dann schaut, welche individuellen, gesellschaftlichen und politischen Möglichkeiten es gibt, darauf zu reagieren, dazu noch andere Problemlagen miteinbezieht (z. B. negative Auswirkungen von Schulschließungen) - und aus dem Ganzen dann auch noch eine langfristige Strategie entwickelt - kann man auch zu dem Schluss kommen, dann Schulöffnungen unter Umständen sinnvoller sein können. Eine solche Einschätzung kann ja auch kontrovers diskutiert oder verworfen werden, aber jemanden allein schon als „abseitig“ und „hanebüchen“ abzutun, weil er eine andere Herangehensweise an dasselbe Problem hat, sagt m. E. sehr viel mehr über den Diskurs aus als über Einzelpersonen wie Stöhr.

Nein, er ist vom 12.2.2021 - es ist auch aus dem Inhalt des Interviews klar erkennbar, dass er nicht von Dezember 2020 sein kann.

Ich hatte ehrlich gesagt nur die Frage und Antwort zu den Mutationen gelesen und mich beim Datum verlesen. Dann bin ich aber noch deutlicher der Meinung, dass er da einfach kompletten Quatsch erzählt und diverse, epidemiologisch gute Studien ignoriert.

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Nein, aus der höheren Infektiösität folgt m. E. (ich modelliere so etwas allerdings selber nicht) keine bestimmte Art der Modellierung, aber in jedem seriösen Modell bei derselben Kontakthäufigkeit höhere Inzidenzen.

Wenn jetzt die stärker infektiöse Variante nach Deutschland kommt, ist damit wohl die logische Schlussfolgerung, dass man bei höherer Infektiösität und einem aktuellen R-Wert von um die 0,9 Kontakte ggf. sogar weiter reduzieren muss, jedenfalls aber nicht ohne Kompensationen an anderer Stelle die Schulen öffnen kann.

Ich bin aus eigener Erfahrung kein Freund des Home schooling, aber ohne Kontaktreduktion an anderer Stelle werden die Infektionszahlen spätestens nach der Schulöffnung wieder steigen. Der Anteil der Mutanten nimmt aktuell stark zu und die Inzidenz sinkt jetzt schon nicht mehr.

Das scheint mir alles so logisch und offensichtlich, dass es mich wirklich wundert, wie viel Arbeit und Intelligenz Herr Stöhr und Sie darein stecken, diese simple Erkenntnis abzuwehren. Das scheint mir ein Fall von „Motivated Reasoning“ zu sein.

Leider nicht nur der relative Anteil. Die neusten absoluten Zahlen aus Köln zeigen leider, dass sich die Mutante tatsächlich mit R>1 ausbreitet, siehe https://twitter.com/CorneliusRoemer/status/1362788141099343876?s=09

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Das sehe ich anders, es wird ausdrücklich gesagt, dass die 7-Tages-Inzidenz als alleinger Stuerungsmechanismus nicht ausreicht und eine Anzahl von verschiedenen Bewertungskriterien vorgeschlagen nur Zahlen werden nicht genannt, aber das ist ja gerade der Teil, der dann politisch asgehandelt werden muss. Im Moment fehtles an allem, was über den etwas bräsigen Lockdown hinausgeht und da muss der Anspruch an die Politik höher sein, das ist das Petitum dort!

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Ich vermute, dass sich das auf folgenden Absatz bezieht:
" Die entscheidenden Erfolgskriterien zur Abbildung der Pandemiesituation müssen dringend festgelegt werden: R-Wert-Trend, risikogruppenspezifische Inzidenzen, Belastung Gesundheitssystem, Belegung Intensivstationen, Sterbefälle. Weitere Indices wären vorstellbar. Zur gesundheitlichen und epidemiologischen Bewertung der Pandemiestufen ist die mittlere 7-Tage Melderate allein nicht geeignet."

Was heißt das? Was genau soll die Regierung tun? Ich kann das dem Text nicht entnehmen. Die genannten Werte sind jetzt auch keine neuen Dinge. Der R-Wert wird bereits erhoben (und den Trend daraus abzuleiten, sehe ich nicht als neu an - da muss man nur auf die Kurve gucken), die freien Betten kann man genau wie die Sterbezahlen nachgucken. Und es ist ja nicht so, dass diese Werte nicht berücksichtigt werden würden, Merkel hat diese ja selbst erwähnt in ihren Ansprachen. Es wird also etwas gefordert was schon da ist, neu wären konkrete Zahlen, die fehlen jedoch.
Neu sind lediglich die „risikogruppenspezifische Inzidenzen“. Soweit ich weiß, ist bisher noch gar nicht klar wer einen schweren Verlauf haben wird und wer nicht. Alter ist ein Risiko, aber da werden diese Zahlen ja bereits erhoben. Verstehe ich also auch nicht.

Ich stimme zu, dass wir in der Pandemiebekämpfung besser werden müssen (Stichwort: Digitalisierung der Gesundheitsämter, Schnelltests etc). Aber das wird in der Breite gefordert, auch von NoCovid.

Dass die Inzidenz nicht als alleiniger Indikator fungieren sollte, ist kein Alleinstellungsmerkmal von der Stöhr-Gruppe. Positivquote, R-Wert, regionale Verteilung, etc wird schon seit Ewigkeiten betrachtet. Das was ich aber für einen riesigen Fehler halte ist, sich an der ITS-Auslastung und Altersverteilung der Infektionen zu orientieren. Letzteres wird nicht funktionieren, da somit ein R-Wert von >1 in manchen Bevölkerungsgruppen tolleriert werden würde (exponentielles Wachstum) und wir langfristig wegen Diffusionseffekten ein Überschwappen auf die vulnerable Bevölkerung sehen würden. Zudem ist die ITS-Auslastung ist kein sinnvoller Parameter, da sie einen großen zeitlichen Verzug aufweist („Wir können eine Pandemie, die eine Zeitskala von 2 Wochen hat, nicht mit Entscheidungsprozessen, die 6 Wochen dauern, kontrollieren.“, Prof. Meyer-Hermann). Für eine langfristige und nachhaltige Strategie ist das daher der falsche Weg, weil Jojo-Lockdowns vorprogrammiert wären.

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Klaus Stöhr sagte auch am 7. Mai in Nature „Weil das Virus die Weltbevölkerung durchseuchen werde, seien »Impfstoffe nicht notwendig.«“
Man kann nur froh sein, dass niemand auf ihn gehört hat…

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