Kein Rechtsruck in Skandinavien: Was können wir aus der letzten Europawahl aus Finnland und Schweden lernen?

Liebes Lage-Team, liebe Community,

der aktuelle Höhenflug der AfD beunruhigt viele Menschen in Deutschland. Auch in der Lage habt ihr das schon oft thematisiert und auch mögliche Strategien diskutiert.

Dabei kommt man wiederholt zu der Erkenntnis, dass man die AfD nicht durch Regierungsbeteiligung „entzaubern“ kann. Auch das oft zitierte „inhaltliche Stellen“ hat bisher nicht den gewünschten Effekt gezeigt.

In der vergangenen Europawahl hat sich aber gerade in Skandinavien ein anderes Bild gezeigt: Statt rechtspopulistischer Parteien haben insbesondere grüne und linke Parteien viele Stimmen gewonnen:

Woran liegt das? Was hat die skandinavische Politik anders gemacht, um den Zustroß zu rechten und europakritischen Parteien zu stoppen? Was können wir für Deutschland daraus lernen?

Beste Grüße,
Jens

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DE in seinem offensichtlichen Stillstand (seit 16 + 3 Jahren) gerät im Vergleich zu vielen Ländern, vor allem den Skandinaviern, in eine üble Rückständigkeit. ich wäre gern ein wenig stolz auf mein Heimatland, aber ich tue mich schwer. Wenn ich nur denke, was die Union rückgängig machen will, was wenigstens ein bisschen nach Fortschritt aussieht in der jetzigen Regierung, dann wird mir schlecht. Als in der Sache weniger wichtig, aber die Denkweise krass offenbarend, nehme ich gerne die Cannabis-Legalisierung, die sie gleich wieder kassieren wollen, während z.B. Söder wettert vor mehr oder weniger Zugedröhnten, halt mit der „richtigen“ weil gewohnten Droge.

Und die rückständige Union und teilweise SPD ebnen den Weg für die komplett reaktionäre AfD. Sie bringen die Veränderungsunwilligen auf den Geschmack, und die AfD verspricht den „vollen Genuss“.

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Naja, innerhalb der EU sind Schweden und Finnland in einer sehr angenehmen Situation, was das Thema Migration betrifft, welches ja das Haupt-Wahlkampf-Thema der Rechten ist (oder gibt es daran Zweifel?).

Da Dänemark schon seit 8 Jahren die Grenze zu Deutschland kontrolliert, kommen kaum Migranten von Südeuropa nach Skandinavien, weil die alle durch den Filter Dänemarks müssten. Das hindert die Rechtsextremen (z.B. die Wahren Finnen oder die Schwedendemokraten) natürlich nicht daran, trotzdem mit dem Thema Migration Wahlkampf zu machen, aber es verfängt eben nicht so stark, weil es von der Bevölkerung (und vermutlich auch den Medien) nicht so sehr als Problem wahrgenommen wird.

Die Zahlen der Asylbewerber (hier von 2022) sind da schon sehr deutlich:

https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/asylum-applications-eu/

Deutschland hatte knapp 243.835 Asylanträge, Finnland 5.780… das ist schon ein recht deutlicher Unterschied, auch in der Pro-Kopf-Betrachtung, wenn man die Bevölkerungsgröße der Staaten einbezieht.

Ich sage damit übrigens nicht, dass Migration das Problem ist, sondern ich sage, dass die Rechtsextremen das Thema Migration - leider oft mit Schützenhilfe von demokratischen Parteien und Medien - so hoch jazzen und für den Wahlkampf ausschlachten, dass es leider bei vielen traditionell geprägten Bürgern verfängt. Das klappt natürlich schon besser, wenn es viel sichtbare Migration gibt und dadurch auch medienwirksame Probleme auftreten (z.B. Anschläge wie in Solingen, aber letztlich jeder Messerangriff und jede Vergewaltigung, die von 20 Jahren im Lokalteil gelandet wäre, heute aber Deutschlandweit präsentiert wird und damit daran mitwirkt, dass sich eine Anti-Migrations-Stimmung bildet).

Deutschland als reiches Land im Herzen Europas hat da einfach eine grundsätzlich andere Ausgangslage als die skandinavischen Länder, Kanada oder Neuseeland, die ja auch immer wieder als „Positivbeispiele“ genannt werden. Die meisten Migranten wollen eben lieber nach Deutschland als nach Osteuropa, sodass eine faire Verteilung die einzige Lösung wäre, aber da sind wir meilenweit von einem Kompromiss entfernt.

Das Thema Migration ist jedenfalls unzweifelhaft das große Zugpferd der rechtsextremen Parteien, und das funktioniert in Deutschland, Frankreich und Italien aus den oben genannten Gründen (vor allem der geographischen Lage) leider deutlich besser als in Skandinavien.

Die relevantere Frage wäre vielleicht, ob die Situation in Griechenland und Spanien besser ist, weil deren Situation im Hinblick auf das Wahlkampfthema „Migration“ eher mit Deutschland vergleichbar ist. Dabei muss man aber bedenken, dass in Griechenland zwar keine dominante rechtsextreme Partei wie die AfD im Parlament sitzt, dafür aber gleich drei kleine rechtsextreme Parteien mit jeweils 4%. In Spanien kamen die Rechtsextremisten 2023 auch auf 12,4%, wir waren zwar froh, dass es keinen deutlichen Rechtsruck gab, aber die AfD lag 2023 bei Umfragen auch etwa auf dem Niveau der rechtsextremen VOX. Es gibt also keinen so großen Unterschied.

Ich sehe daher keine wirklichen Positivbeispiel, aus denen wir etwas lernen könnten. Außer natürlich, man möchte die Strategie verfolgen, einfach die problematischen, migrationspolitischen Forderungen der AfD umzusetzen, um dann zu hoffen, dass die Leute die demokratischen Parteien statt den Faschisten wählen, aber ich bin nicht nur inhaltlich dagegen, sondern auch skeptisch, ob die Leute dann nicht eher „das Original“ wählen.

Das einzige, was Finnland und Schweden von den Ländern, in denen ein Rechtsruck stattfand, sonst noch unterscheidet, sind die hohen Ausgaben für Bildung. Hier könnte man argumentieren, dass es dadurch möglicherweise zu einer positiveren Anbindung an den Staat und die Demokratie als Ganzes kommt, denn gerade die Schulzeit ist für die meisten Menschen die Zeit, in der sie am stärksten geprägt werden. Deshalb sollte man nicht an der Bildung sparen… ein Allheilmittel ist das aber natürlich auch nicht.

Ein weiteres Mittel ist natürlich, etwaige Verlustängste gering zu halten. Verteilungskämpfe unter den Ärmsten (dh. dem Präkariat und den Migranten) sind Gift für das gesellschaftliche Klima, und genau dieses Problem haben wir aktuell (und wird dann angefeuert, wenn Merz von Zahnärzten fabuliert…). Die meisten Menschen wählen Rechtsaußen-Parteien, weil sie daran glauben, dass Migration „das Problem“ und eine Gefahr für „ihren Lebensstil“ ist. Das halte ich für falsch, aber Menschen sind leider nicht unbedingt rational. Und ich bin wie gesagt dagegen, jetzt quasi rechte Appeasement-Politik zu betreiben, also dem rechten Mob wie beim „Asylkompromiss“ 1993 einfach zu geben, was er verlangt…

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Die Skandinavier haben seit über 10 Jahren schon eine „rechte“ Politik, das heißt die Sozialdemokraten z.B. in Schweden und Dänemark haben die Positionen der Schwedendemokraten bzw. der Dansk Folkeparti übernommen und dadurch beide Länder unattraktiv gemacht.

Zum Beispiel war das Einziehen von Wertgegenständen bei Einreise als Pfand eine sozialdemokratische Politik.

Insofern würde ich die Ergebnisse als Gegenwelle interpretieren, nachdem das Migrationsthema aus Sicht der Bevölkerung „gelöst“ ist…

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Danke für eure Antworten.

Das stimmt nur für Dänemark.

SD hat bei der Europawahl zum ersten mal überhaupt Stimmen bei einer Wahl verloren, hauptverantwortlich dafür war ein Skandal um eine Trollfabrik in der Parteizentrale und dass sie als Stützpartei der Regierung (böse Stimmen behaupten sie steuern die Regierung ohne Teil zu sein) so gut wie nichts gebacken bekommen.

Ja Migration ist in Schweden nicht das große Zugpferd auch wenn SD ziemlich viel in die Richtung verlauten lässt. Hier ist es mehr die organisierte Kriminalität wo keins ihrer Rezepte wirklich hilft, auch das registriert der Wähler.