Kein Deutschlandticket für Menschen ohne eigenes Konto und Smartphone?

Aufgrund der Petition der CURA e.V. Braunschweig bin ich auf das folgende Thema aufmerksam geworden:

Die CURA e.V. betreut u.a. jährlich über 400 Menschen, die zu einer Geldstrafe verurteilt werden, diese aber nicht in einem Male bezahlen können und denen dann eine Ersatzfreiheitsstrafe droht, wenn sie ihrer Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen. Viele dieser Menschen wurden wegen des Straftatbestandes des „Erschleichens von Leistungen“ verurteilt, umgangssprachlich auch „Schwarzfahren“ genannt. Für Menschen, die ihre Geldstrafe nicht in einem Male begleichen können, nehmen wir Kontakt mit der zuständigen Staatsanwaltschaft auf, vereinbaren eine sozial verträgliche Ratenzahlung und haben damit allein im Jahr 2023 der Solidargemeinschaft 1.952.100 € eingebracht bzw. erspart.

Vor diesem Hintergrund schmerzt es doppelt, dass ausgerechnet die Menschen, für die u.a. das Deutschlandticket gedacht war, dieses häufig nicht nutzen können. Nämlich z.B. Menschen, die kein eigenes Konto haben (Wohnungslose, Überschuldete, Geflüchtete, etc.) und daher keine Einzugsermächtigung einrichten können, was die Grundvoraussetzung für das Buchen eines Deutschlandtickets ist.

Wir sind der Überzeugung, dass die Menschen, die das Deutschlandticket ins Leben gerufen und erdacht haben, dieser Umstand nicht präsent war und dass er nicht im Sinne der Erfinder war.

Was denkt Ihr darüber?

https://www.change.org/p/deutschlandticket-auch-für-menschen-ohne-eigenes-konto-und-smartphone/psf/promote_or_share

Das Problem ist grundsätzlich das Abo-Modell, denn dadurch kommt es erst zu dieser Problematik. Die Deutsche Bahn schreibt dazu:

Das ist einfach ein ganz bescheuertes Modell, für das es keine sinnvolle Rechtfertigung gibt.

Ansonsten kann man zu dem Thema nur sagen, dass mMn jeder Mensch, der Sozialleistungen empfängt oder unterhalb des Existenzminimums lebt (dh. Obdachlose) automatisch ein Deutschlandticket erhalten sollte. Ernsthaft, die Kosten, die es erzeugt, Obdachlose oder Langzeitarbeitslose „umsonst fahren zu lassen“ sind extrem niedrig, die Kosten, die durch Bürokratie, Justiz und vor allem Haft erzeugt werden, übersteigen diese Kosten jedenfalls massiv. Es ist daher sogar wirtschaftlich sinnvoll, „Schwarzfahren“ von offensichtlich in schwierigen Situationen lebenden Menschen entweder generell nicht zu verfolgen oder eben diesen Menschen ein fiktives Deutschlandticket auszustellen (in der Konsequenz das Gleiche: der Staat übernimmt den Finanzierungsanteil dieser Menschen am ÖPNV).

Das generelle Problem in der Sache ist mMn eher der Umgang mit Obdachlosen und anderen Problemfällen und weniger die konkrete, suboptimale Umsetzung des Deutschlandtickets. Also könnte man das Deutschlandticket ohne Konto und Smartphone kaufen würden es vermutlich dennoch die wenigsten Obdachlosen, die wegen Schwarzfahren belangt werden, tun. 49 Euro sind für einen Obdachlosen eben immer noch eine nahezu unbezahlbare Summe. Das Ticket nur mit Konto und Handy kaufen zu können wäre daher kein Problem, wenn Menschen, die üblicherweise weder Konto noch Handy haben, das Ticket gar nicht bräuchten - das wäre daher meine präferierte Lösung.

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Ein Smartphone ist nicht nötig, es gibt Alternativen.
Die Bindung an ein Lastschriftkonto wurde aber vom ersten Tag an kritisiert und wirft ein schlechtes Licht auf das Verkehrsministerium. Denn natürlich hofft man dort auf die Bequemlichkeit der Nutzer, dass sie auch nicht kündigen, wenn sie es mal nicht brauchen. Eine extrem verbraucherunfreundliche Motivation.
Und schließt alle aus ohne Konto, nicht nur Obdachlose sondern auch Touristen, Flüchtlinge (die teilweise auch zusätzlich, weil ein Lichtbildausweis erforderlich ist).

Deshalb würde ich sogar noch einen SChritt weiter gehen und sagen: Machen wir ÖPNV inkl. Regionalbahnen in Deutschland einfach für jeden kostenlos! Dann sparen wir uns den ganzen Bums. Das ganze wäre schon für 13 bis 15 Milliarden Euro im Jahr zu haben (ÖPNV überall und kostenlos. Das geht in 5 Jahren.: DIE LINKE.). Da sparen wir uns die Kosten für Strafersatzvollzug komplett, können Fahrkartenautomaten abbauen, Schaffner in den fachkräftemangelnden Arbeitsmarkt entlassen und ganz nebenbei auch noch sozial verträglich entlasten. Denn zum einen profitiert JEDE(R), aber arme Menschen eben überproportional stark. (Gleichzeitig sparen Studenten und Berufbildene an ihren Semestertickets etc.) Ganz zu schweigen über den echten Umsteigeanreiz vor dem Hintergrund des Klimawandels.
(Und ja, man müsste das Bahnnetz dann ausbauen, damit alle pünktlich und gemütlich fahren können. Aber investieren müssen wir da sowieso und wenn das dann jährlich 17 Milliarden Euro kostet, ist das doch immer gut angelegt. Absolute upside wäre btw, dass die steigenden Kosten jedes Jahr „nur“ in den Haushalt gestellt werden müssten. Wir können doch jetzt nicht zyklisch, wie bei den Bahnstreiks, alle 2-3 Jahre über die Finanzierung / das Ende des Deutschlandtickets diskutieren)

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Es gibt noch eine Gruppe von Menschen auf die im Prinzip dasselbe Problem trifft: Kinder. Hier haben die Eltern zwar ein Konto, aber das Ticket muss man selber ausdrucken. Und dann ist das Ding nur gültig in Verbindung mit einem Ausweis, den man oft nicht hat. Wenn das Kind dann mit wechselnden Personen Bahn fährt, macht es das nicht einfacher.

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Ehrenwerter Ansatz, jedoch problematisch. Soll dieser Personenkreis ein Ticket bekommen? Falls ja wer stellt es aus und wie viele würden sich dann so ein Ticket holen. Falls nein und das interpretiere ich in das Statement „virtuelles Ticket“ wie soll ein Kontrolleur erkennen, dass es sich um einen Obdachlosen oder Langzeitarbeitslosen etc. handelt?

Die für die Genehmigung der Sozialleistungen zuständigen Behörde könnte einfach das Ticket gleich mit ausstellen. Problem gelöst.

Aber schon der gesetzliche Beschluss für so eine Maßnahme würde viel bringen. Denn man kann nicht schwarzfahren, wenn man ein gültiges Ticket besitzt, selbst wenn man es bei Kontrolle nicht vorlegen kann. Dann würde vom Kontrolleur vielleicht erstmal ein Strafzettel ausgestellt, der wäre aber nach einer späteren Vorlage des Tickets (bzw. der rechtlichen Grundlage für den Anspruch, z.B. ein Bürgergeldbescheid) wirkungslos.

Für Sozialleistungsempfänger ist die Lösung einfach, wie @ped korrekt anmerkt.

Für Obdachlose: Ganz ehrlich, diejenigen, die das betrifft, erkennt man. Und wenn doch mal ein Nicht-Obdachloser tatsächlich so aussieht, dass er für einen Obdachlosen gehalten wird und deshalb „Gnade vor Recht“ erfährt, ist das auch keine Katastrophe (denn die Person hat dann vermutlich auch so einige Probleme…). Also es wird sicherlich keinen Trend geben, dass Menschen mit Einkommen über dem Existenzminimum sich „als Obdachlose verkleiden“ um Schwarzfahren zu können.

Für die wenigen Zweifelsfälle, in denen der Schaffner davon ausgeht, dass jemand vielleicht nicht Obdachlos sein könnte, gilt doch jetzt schon, dass die Polizei gerufen wird, weil die Obdachlosen i.d.R. keine Ausweisdokumente dabei hat. Bei der Überprüfung der Personalien durch die Polizei ergibt sich dann spätestens, dass die Person keinen gemeldeten Wohnsitz hat.

Also das Problem ist mit etwas gesundem Menschenverstand lösbar. Wenn ich als täglicher S-Bahn-Fahrer an die letzten Situationen denke, in denen Menschen ohne Fahrkarten angetroffen wurden, war sehr eindeutig, dass es sich dabei um Obdachlose oder Menschen mit erheblichen psychischen Problemen handelte.

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Die Tatsache, dass wir viele Menschen sehen, bei denen wir von Obdachlosigkeit ausgehen und damit auch richtig liegen, bedeutet nicht, dass wir nicht auch viele Menschen sehen, bei denen wir nicht von Obdachlosigkeit ausgehen, die aber dennoch obdachlos sind. Was sollte man diesen Menschen raten? Ihr Erscheinungsbild besser an Obdachlosenstereotypen anpassen?

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Die nicht als Obdachlos erkennbaren Obdachlosen beziehen oft Sozialleistungen („Wohnungslose“) oder leben zumindest in Obdachlosenunterkünften, wo man ihnen entsprechende Nachweise ausstellen kann.

Wenn sie sich ausweisen können, aber nicht nachweisen können, obdachlos zu sein, bekommen sie im Zweifel ein „erhöhtes Beförderungsentgelt“ ausgestellt, spätestens beim Einfordern dessen wird der Verkehrsbetrieb feststellen, dass er keine Anschrift ermitteln kann und sollte das Verfahren entsprechend einstellen. Spätestens wenn die Verkehrsbetriebe einen Strafantrag stellen (und der ist ja das Problem der Obdachlosen, Pfänden kann man sie ohnehin nicht…) sollte langsam klar werden, dass es sich um einen Obdachlosen handelte, spätestens jedenfalls wenn die Polizei die Person aufgreift… kurzum: Es mag Fälle geben, in denen es länger dauert, aber letztlich können diese Fälle immer aufgeklärt werden, bevor jemand für Schwarzfahren in den Strafvollzug gehen muss…

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