Hallo,
mein Name ist Roman und ich bin Schauspieler am Theater. Im Zuge des Lockdown-light schweben mir ein paar Fragen im Kopf, die ich gern in der Lage hören würde.
Aber erstmal viel Lob:
Zuerst möchte ich aber ein riesengroßes Lob aussprechen! Ich höhre den Podcast seit gut einem Jahr und höre mit Begeisterung eure breit aufgestellten Hintergrundanalysen und finde auch den Ton von euch richtig klasse und angenehm. Jede Woche mir die Zeit zu nehmen für das Geplaudere, ist zur Routine geworden (und war im ersten Lockdown ein sehr guter Halt.)
Zum Thema:
Im zweiten Lockdown wurden erneut Theater fürs Publikum geschlossen. Für meinen Alltag als festangestellter Schauspieler ändert sich gerade nicht viel, da jetzt weiter geprobt und „auf Halde“ produziert wird. Wenn wieder Publikum kommen darf, werden dann die vorgeprobten Premieren gespielt.
Sollte der Lockdown länger dauern, steht wieder Kurzarbeit an, was bei dem geringen Gehalt für Theaterschaffende schmerzlich ist. Jedoch wird durch die Tarifregelungen mehr garantiert als bei „normaler“ Kurzarbeit. Sollten die Theater die 75% des Umsatzes bekommen (oder je nach ihrer Größe weniger), würden sie auch m.E.n. in Kombination mit Kurzarbeit weniger rote Zahlen schreiben, da die Auslastung deutlich unter 75% liegt, als mit Abstandsregelungen (müsste aber nachgerechnet werden). Haarig wird es bei längerem Lockdown, wenn die Verpflichtung von freien Regisseur*innen und Kunstschaffenden, mit denen es Absprachen gab, wie beim ersten Lockdown zur Disposition steht und evtl. keine Gagen gezahlt werden.
Ihr hattet ja bereits in der letzten Folge die Abwägung vorgenommen, wie schmal der rechtliche Rahmen für den Lockdown eigentlich ist. Die 75% nicht verfolgbare Infektionen leuchten mir ein als Grund und ehrlich gesagt kann ich vor diesen Hintergrund nicht nachvollziehen, woher die Theaterleiter*innen ihr Selbstbewusstsein darüber beziehen, dass sich im Theater niemand ansteckt und bei steigendem R-Wert gesamtgesellschaftlich auch nicht anstecken würde. Ab welchem Wert würden sie denn selber zumachen, wäre da meine Frage.
Klar ist aber auch: Die Konzepte sind sehr sicher und innovativ (und teuer) und erfüllen das Soll meiner Meinung nach über im Vergleich zu Gastro und Verkehr. Aber die Sicherheit „hier steckt sich niemand an“ ist doch ohne Belege recht hoch gegriffen.
Mich interessiert vor allem die Abwägung zwischen Schutz der Bürger vor der Infektion und Kunstfreiheit.
Die Kirchen und religiösen Einrichtungen sollen weiter Gottesdienste und Gebete veranstalten können. Wird das mit der Religionsfreiheit aus dem GG begründet? Wie steht es dann zur Kunstfreiheit Art. 5 GG?
Man hätte den „Freizeitbereich“, der jetzt geschlossen wird ja auch einteilen können in Kunstschaffende (Tendenzunternehmen) und Sport&Freizeit. Da wäre dann die Frage, ob eine Bar mit Livemusik Kunst ist - aber darum soll es mir jetzt nicht gehen.
Die Ausübung von Bühnenkunst z.B. ist von ihrem Wesen her nur vor Publikum zu schaffen. Ist es nicht ein Eingriff in das Grundrecht, wenn das durch den Lockdown nicht mehr geht? Und ist da die Verhältnismäßigkeit gegeben, wenn nicht differenziert wird zwischen einem Restaurant und einer Kultureinrichtung, die Grundrechtsträger (Kunstfreiheit) ist?
Wie sieht es aus mit dem Recht auf angemessene Beschäftigung für Bühnenkünstler*innen? Dieses garaniert im Grunde die Kunstfreiheit der „kleinen“ Tendenzträger gegenüber dem Arbeitgeber. Das Recht auf angemessene Beschäftigung ist im Tarifvertrag NV-Bühne festgelegt und bezieht sich auf die Darstellung auf der Bühne. Stream und alle anderen Medienformate sind meiner Ansicht nach nicht geeignet dieses Recht zu kompensieren.
Wenn eine darstellende Person nun auf Schadenersatz vor dem Bühnenschiedsgericht klagen würde, könnte das Theater dann vom Bund diesen Schadenersatz weitergeben? Würde die Klage abgewiesen, weil die Länder entsprechende Gesetze erlassen hätten? Hebeln die Gesetze gerade das Recht auf angemessene Beschäftigung aus?
Vielleicht ist das Thema auch falsch gedacht und zu nischig. Mich würde eine Diskussion totzdem interessieren.
Mit lieben Grüßen,
Roman