Hi SevLu,
spannendes Thema das du da anstößt.
Wie und wo will ich wohnen betrifft ja jeden, meist mehrfach in einem Leben, dazu kommt dann die auch die Frage wie und wo kann ich es mir leisten zu wohnen (beruflich & finanziell, wobei die beiden ja meiste stark korrelieren).
Auch kurz meine „Wohnhintergund“ um auch die Argumente besser einordnen zu können.
Bin in einem Dorf in Bayern aufgewachsen, der Auszug aus dem Elternhaus hat mich in zwei kleine Städte getrieben, darauf folgte eine mittelgroße Stadt mit ~500k Einwohnern (das war bis Anfang 30) und von da ging es dann steil bergab bis heute in einem kleinen Dorf (mit Eigenheim) mit ~200 Einwohner, ohne jegliche Geschäfte, Gaststätten und landwirtschaftliche Betrieb - ein reines Wohnidyll
Zum nächsten Ort haben wir aber auch nur 5 Autominuten (15min mit dem Rad), wo man mit Supermärkten, Apotheken, Baumarkt - alles was man für den Alltag braucht - versorgt ist.
Ich bin absolut dagegen, die Urbanisierung weiter voran zu treiben - es werden nur beide Seiten verlieren.
Sicherlich ist gerade auch für junge Menschen attraktiv in Städten zu wohnen, zumindest für eine gewissen Lebensabschnitt, sowohl was die Möglichkeiten des beruflichen Werdegangs angeht, wie auch die Freizeit gestalten. Am Land ist halt oftmals wirklich sprichwörtlich der Hund begraben.
Was die Landflucht heute schon für die Städte und die Bewohner bedeutet ist ja weitestgehend bekannt:
- exorbitant steigende Wohnkosten
- hohe Verkehrsdichte
- teils kritische Versorgung mit Trinkwasser, aber auch die Entsorgungsbetriebe für Müll stoßen immer wieder an Grenzen
- Städte erhitzen sich im Sommer deutlich stärker wie auf dem Land
- Luftverschmutzung/Feinstaub
- hoher permanenter Lärmpegel
Das sind ein paar der strukturellen Probleme die man sicherlich mit hohen finanziellen Aufwand auch in griff bekommen kann, durch mehr Einwohner wird es aber sicher nicht einfacher
Dazu kommen auch aber auch noch zwischenmenschliche Aspekte wie
- hohe Anonymität
- höhere Kriminalitätsrate
- Ghettobildung nimmt zu
Sicherlich gibt es auch Vorteile was Freizeitgestaltung etc. angeht, aber rein aus meiner Lebenserfahrung und Wahrnehmung können viele dieser Punkte auf Dauer krank machen.
Da es für nicht wenige auch ein Eigenheim zum Lebensmodell gehört, die aber Innerstädtisch für die meisten kaum bezahlbar sind, wird auf die Speckgürtel ausgewichen.
Ich kenne einige die am Tag zwischen 2-3Stunden pendeln. Reine Arbeitswege pro Woche zwischen 10-20 Stunden sind nichts außergewöhnliches mehr.
Ich wenn mal ins Büro fahre, was in etwa 50km sind (kommt auch wegen Homeoffice) nur noch 2-4 pro Monate vor, hab ich auf der gesamten Strecke 4 Ampel, die haben die meisten Städter schon hinter sich, bevor der Motor warm ist
Für die Dörfer und kleinen Städte auf dem Land wäre eine forcierte und geförderte Landflucht mindestens genauso verehrend, weil es die oft schon schwachen Strukturen weiter schädigen würden.
Auch wenn bei uns im Dorf viele junge Familien dazu gekommen sind, besteht die ländliche Bevölkerung überwiegend aus älteren Menschen, die brauchen genauso funktionierende Strukturen.
Gut erreichbare Einkaufsmöglichkeiten (bei uns liefert mittlerweile Edeka & Rewe aus), medizinische Versorgung etc. pp.
Damit aber die Gemeinden nicht mit leeren Kassen dastehen, braucht es Arbeitgeber, nur mit denen kommen auch die Ärzte, Handwerker und alles was dazu gehört.
Und die leeren Kassen sind ja vor allem im Osten ein Problem, damit ist es den Ortschaften praktisch alleine unmöglich, die Orte für Investoren interessant zu machen wenn die Infrastruktur schon völlig am Boden ist. Wer schon mal im Osten ländlich unterwegs war, weiß was ich meine.
Sorry das Thema ist so komplex, da schlittert man von einem Punkt zum nächsten.
Ergänzend zum politischen Aspekt mit der AfD, das sind nicht die einzigen die sich im ländlichen Bereich ausbreiten, Spiegel TV berichtet immer wieder über verschiedenste völkisch nationale Gruppierungen die sich im ländlichen Bereich aktiv sind.
Abschließen noch auf ein Blick auf die größte Metropolen, im Großraum Tokio leben 39Millionen Menschen, auf einer Fläche von 13.556m², das sind mehr Menschen als in Hessen, Bayern und NRW zusammen leben auf der gut der halben Fläche Hessens.
Wir sind in D natürlich davon noch gut ein Stück weg, aber das wäre die Richtung in die es gehen würde und ich kann mir das einfach nicht als wünschenswert vorstellen.
Persönlich halte ich so eine Lebensumgebung für toxisch und in gewissen Maße für unmenschlich.
Wir haben in Deutschland die wirtschaftlichen Möglichkeiten, beide Lebensräume für die Menschen gut zu gestalten, und nur wenn wir beide erhalten, können sie überhaupt beide noch lebenswert bleiben.
Den eine aufzugeben würde aus meiner Sicht dem anderen nicht helfen.
Ich bin nicht im Thema Länderfinanzausgleich, aber ist das der richtige Hebel um allen ein vernünftiges Lebensumfeld zu erhalten, in dem man die schwächeren Regionen noch mehr stärkt?
Sind die Veränderung durch die Pandemie an den Arbeitsplätzchen vielleicht eine Chance, jetzt Anreize zu setzten um mit Homeoffice-Arbeitsplätzen Arbeitgeber in schwachen Regionen zu holen?
Grüße