Biodiversität zu schützen ist in der Bundesregierung angekommen. Mit großer Freude las ich den Artikel 30 Absatz 2 des kürzlich novellierten BNatSchG, in dem unter anderem die Vernichtung von Biotopen, wie Streuobstwiesen verboten ist (30(2) Satz 1 Nr.7)
Entsprechend überrascht war ich, als ich erfuhr, dass eine einfache Mehrheit der Stadtverordneten eines Ortes beschließen kann, eine solche Streuobstwiese im Aussenbereich der Stadt zum Gewerbegebiet zu erklären (Aufstellungsbeschluss).
Im Bemühen diesen Widerspruch zu verstehen, habe ich erfahren, dass in der Föderalismusreform im Jahre 2006 der bis dahin der Rahmengesetzgebung des Bundes zugeordnete Kompetenztitel für das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege in die konkurrierende Gesetzgebung überführt wurde. Gleichzeitig wurde den Ländern in Art.72 Abs .3 S.1 Nr. 2 GG die Möglichkeit eröffnet, in diesen Bereichen abweichende Regelungen zu treffen, aber nur, soweit nicht die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes betroffen sind.
Ist das BNatSchG damit Makulatur?
Denn obwohl auch das Hessische Naturschutzgesetz einen besonderen Schutz für Streuobstwiesen vorsieht (Paragraf 25), - allenthalben liest man von durch die Hessischen Landesregierung getragene Streuobstwiesen-Initaitiven, es gibt sogar Fördergelder für deren Erhalt und Pflege - so wird dieser Schutz durchlöchert, sobald eine Kommune beschließt mit der Fläche etwas anderes vorzuhaben. Zwar ist dann von erforderlichem Ausgleich die Rede, da macht es sich Kommune jedoch leicht, indem sie die Grünflächen einfach teilt, und den einen Teil der Streuobstwiese zu roden, und den andren Teil als Ausgleichsfläche auszuweisen.
Wenn ich das richtig verstanden habe - ist die Kommune laut BauGB lediglich verpflichtet, ihr Vorhaben in einen Bebauungsplan zu gießen, diesen öffentlich zu machen (Öffentlichkeitsbeteiligung), und die gesetzlich vorgeschriebenen Aspekte gegeneinander abzuwägen (Abwägungserfordernis laut BauGB 1a Absatz 2), und eine begründete Entscheidung zu treffen. Diese wird dann der unteren Naturschutzbehörde (Kreisausschuss) vorgelegt (Behördenbeteiligung), die genau einen Monat Zeit hat, Einwände zu erheben. Meldet sie sich in dieser Zeit nicht, gilt das Vorhaben als genehmigt - das nennt sich dann Umweltprüfung.
Ohne den absoluten Schutz wird aber die Natur in einer solchen Gemengelage immer den Kürzeren ziehen. Denn der menschliche Interessenvertreter ist nunmal beschränkt auf das Hier und Jetzt und vermag es nicht, seine Handlungen an Konsequenzen auszurichten, die sich erst in einer vaguen aber nicht zu fernen Zukunft abspielen werden. Sehenden Auges bei sich häufenden Starkregen-Ereignissen, kostbare Grünflächen zu versiegeln, das will mir nicht in den Kopf.
Aber ich sehe keine Handhabe. Außer Leserbriefe zu schreiben. Habt Ihr hierzu Ideen? Hinweise?
Wenn man möchte, das Bauvorhaben in Deutschland nicht noch langwieriger werden, wird man irgendwo Vereinfachungen und Beschleunigungsmöglichkeiten einbauen.
Ein Monat scheint mir persönlich nicht zu wenig um Widersprüche vorzubringen.
Hallo Christian,
Es geht nicht darum, das Bauen per se zu untersagen, sondern zunächst zu prüfen, wo das Ziel erreicht werden kann, ohne neue Flächen zu versiegeln.
Auch wäre der eine oder andere einer neuen Autowaschanlage ggü weniger gewillt Grünflächen zu opfern, als ggü einem neuen Handwerksbetrieb.
Nur sind die Prozesse irgendwie seltsam, denn die Entscheidung, Flächen für Gewerbe freizugeben erfolgt offenbar zu einem Zeitpunkt, an dem überhaupt nicht absehbar ist, was dann da hin gebaut werden soll. Im Rahmen eines zu erstellenden Bebauungsplans sollte das dann vermutlich definiert werden. Dann erfolgt auch die Öffentlichkeitsbeteiligung und die „Umweltprüfung“.
Aber zurück zum Widerspruch der Behörde, woher soll die Untere Naturschutzbehörde wissen, welche Arten bspw. in dem Biotop leben, wenn die Kommune das nie ermittelt hat.
Weiß jemand, ob ich als Bürger den Umweltbericht einsehen kann, den die Kommune der Behörde vorlegt, so dass ich ggf. die Behörde auf Versäumnisse hinweisen kann?
Kann dir nur von Bayern berichten (ausgerechnet).
Bevor ein Pfosten in eine Wiese betoniert werden darf turnt eine Biologin Monate dort herum. Wird dabei ein Exemplar einer geschützte Art gefunden, dann ist bis auf weiteres alles gestoppt. Verstehe deshalb deine Sorge nicht
Das scheint mir eine anekdotische Erfahrung zu sein. Das hessische Naturschutzgesetz jedenfalls erlaubt die Vernichtung von gesetzlich geschützten Biotopen, solange die Gemeinde irgendwo anders „Ausgleichsflächen“ benennt. Auf diesen muss sie dann Öko-Punkte sammeln, indem sie diese „ökologisch aufwertet“.
Ich kann hier nur von einer Maßnahme von uns Jägern berichten (in einer Gemeinde in Bayern):
Absicht war, eine Fichtenmonokultur (Altersklassenwald) anzukaufen, zu roden und auf der Fläche eine Streuobswiese und mehrere hundert Meter Heckenstreifen anzulegen.
Vor der Rodung wurde von der Unteren Naturschutzbehörde und vom Forstamt Personal geschickt, um die Fläche zu begutachten (Biologen und Forstwissenschaftler, Plural ist Absicht). Dauer etwa 1,5 Jahre bis zum Gutachten, da die Fläche ja zu jeder Jahreszeit begutachtet werden musste.
Nutzungsänderung der Fläche geht dann seinen Weg von der Gemeindeebene bis zur Oberen Naturschutzbehörde (Regierungsbezirkebene) mit Zwischenstopp bei der Naturparkverwaltung, im Landrarsamt etc…
Für die Anlage der Streuobswiese und der Heckenstreifen geht der Weg dann über die Untere Naturschutzbehörde und die Wildlebensraumberaterin (also Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten). Hier wird nicht nur vorgeschrieben, welche Arten und Sorten von Bäumen und Sträuchern verwendet werden darf, auch der Pflanzabstand (selbst in der Hecke), die Pflanzreihenfolge der verschiedenen Sorten und Arten, welches Gras auf der Wieße gesäht werden darf und welche Regionalzertifizierung Pflanz- und Saatgut erfüllen muss. Auch wird vorgeschrieben, mit welcher Methode die Bäume zu Anfang gegen Sturm gesichert werden müssen. Weiter wird vorgeschrieben, dass der Heckenstreifen gegen Verbiss geschützt werden muss, wobei dann auch festgelegt wird, welcher Zaun mit welchem Maschenabstand, bis in welche Höhe angebracht werden muss.
Das geschieht alles in einer Abstimmung zwischen AELF, UNB und Naturparkverwaltung. Hier waren neben den Verwaltungsbeamten auch studierte Biologen und Agrarwissenschaftler beteiligt. Dauer: gute zwei Jahre, dafür gibt’s dann aber auch eine Förderung für das Pflanzgut.
Von den Spendenkampagnen-Naturschützern war keiner beteiligt.
Ja, in Deutschland erfolgt die Beplanung von Flächen „vom Großen ins Kleine“, also erst der Flächennutzungsplan, dann der Bebauungsplan und dann der konkrete Bauantrag.
Google Mal „Ratsinformationssystem“ und den Namen deiner Gemeinde (bzw. der zuständigen Gebietskörperschaft). Ich glaube das inzwischen alle Kreistage und Gemeinderäte sämtliche Sitzungen ihrer verschiedenen Gremien online dokumentieren (müssen?). Bei uns ist da zu jeder Sitzung das Protokoll und alle Schriftsachen abgelegt und bei F- und B-Plänen gehören da auch die unterschiedlichen Gutachten dazu.
Alternativ kannst du aber auch einfach der zuständigen Behörde eine nette Email schreiben. Die Mitarbeiter sind oft hilfsbereiter als man das denkt.
Das ist grundsätzlich überall so. Bei der Intel-Neuansiedlung in Magdeburg wurden auf der Fläche zum Beispiel streng geschützte Feldhamster gefunden. Die mussten umgesiedelt werden und für die bebaute Fläche muss die Gemeinde in bestimmten Umfang und Qualität Ausgleichsflächen bereitstellen.
Das Problem ist, dass ohne eine solche Art von Regelung praktisch keine größere Fläche in Deutschland mehr bebaubar wäre. Ob die Balance richtig gesetzt ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Kommt drauf an, in welchem Stadium sich das Verfahren befindet. Solche Leute sind in der Regel in jedem Fall unabhängig (sollen ihre Gutachten also ungeachtet der Prioritäten des Auftraggebers schreiben). Bei F- und B-Plänen werden die glaube ich von den zuständigen Gemeinden beauftragt, bei Bauanträgen (wenn zum Beispiel beim Ausbau einer Scheune der Dachstuhl auf geschützte Arten überprüft wird) vom Bauherren.
Ja, so soll es wohl sein, aber der Antrag auf Änderung des Flächennutzungsplans kommt von der Gemeinde, die zuvor per Stadtverordenentenversammlung darüber abstimmt, ob sie eine Flächennutzung haben möchte. Das war wohl der Zeitpunkt, zu dem ich davon erfuhr. Ohne zu ahnen, welch Hürden seitens der Stadt da noch genommen werden müssen.
Ja, des Ratsinformationssystems bin ich mir bewusst. Und ich weiß ja inzwischen, dass es noch keinen Umweltbericht geben kann, ob des frühen Stadiums des Prozesses.