Israel, Staatsräson und Deutschlands Bringschuld

Seit der Berichterstattung zu dem Angriff der Hamas und dem Gegenschlag Israels erwähnt @vieuxrenard immer wieder in unterschiedlichen Formulierungen, das Deutschland eine Art Bringschuld dem Staat Israel gegenüber hätte.
Ich halte dieses Thema für maximal schwierig.
Zum einen war der Staatsgedanke Israels und die zionistische Bewegung ein Relikt aus Zeiten vor dem ersten Weltkrieg. Der damalige Antisemitismus hat sich über die Jahre entsprechend gewandelt und ist obwohl die Juden im Europa und teilweise Weltweit verankert waren unterschiedlich zu Tage getreten. Nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland und anderswo auch als Teil der Grundsuche für die Niederlage oder den Ausgang des Krieges.
Deutschland und der zweite Weltkrieg haben sicher das Projekt eigener jüdischer Staat eher befeuert als es zu versenken, aber Deutschland ist wenn man zynisch sein will nur indirekt Teil der Gründung Israels. Am Ende des damaligen Prozesses kam es nur dazu weil die Großmächte USA und Russland es so wollten. Es gab vor allem auch in den USA durchaus Skeptiker die davor warnten dieses Projekt genau in diesem Gebiet umzusetzen.
Weitere Aspekte ist der Umgang Israels mit den geflüchteten Juden aus Europa nach seiner Entstehung. Hitler hat für die Staatsgründer nur eine Nebenrolle gespielt. Es gab keinen Platz für das Leiden derer die da kamen. Erst über die folgenden Jahre wurde Hitlerdeutschland und der Holocaust politisch genutzt.
Wir sind vorrangig dazu verpflichtet das in Deutschland und durch Deutsche Staatsbürger weder Judenhass noch allgemeine Ausländerfeindlichkeit stattfindet. Wie sind verpflichtet diese Botschaft als Andenken in die Welt zu tragen und ähnliche Vorgehen in anderen Ländern zu verhindern.
Ob wir speziell nur der jüdischen Bevölkerung und dem Staat Israel verpflichtet sind halte ich in der Sache bei der aktuellen Argumentation überall für maximal schwierig und nicht hilfreich.

Hallo Chris,
soweit ich weiß, waren jüdische Siedler in Palästina zu Zeiten des osmanischen Reiches noch relativ willkommen. Hitler Deutschland hat dann nicht nur durch die massenhafte Auswanderung, sondern auch durch Zusammenarbeit mit dem Mufti el-Husseini , dafür gesorgt dass sich die Stimmung massiv gedreht hat.
Ohne die Nazis gäbe es also wahrscheinlich diesen ganzen Konflikt nicht.
Ob Deutschland sich jetzt „nur“ für Israel einsetzen sollte oder stärker auf der Seite der Palästinenser stehen, ist natürlich zu diskutieren. Fakt ist aber, dass nach 45 noch etliche Juden auch in anderen muslimischen Ländern gelebt haben. Diese wurden im Laufe der Zeit mehr oder weniger gezwungen nach Israel zu gehen. Es gibt für Juden also nur ein einziges Land auf dieser Welt in dem sie relativ sicher leben und bleiben können und aufgrund der deutschen Geschichte sollte man sich diesem Land gegenüber besonders verantwortlich machen …

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Der Begriff Staatsräson wird meiner Wahrnehmung nach in diesem Kontext primär deswegen verwendet, weil es sich gut anhört und weniger aufgrund seiner konkreten Bedeutung. Er wurde wenn ich mich richtig erinnere, auch nur zwei Mal von Angela Merkel verwendet und ist seitdem in den allgemeinen politischen Sprachgebrauch übergegangen als stünde er im Grundgesetz.

Der Begriff der Staatsräson (auch: Staatsraison) bedeutet das Streben nach Sicherheit und Selbstbehauptung mit beliebigen Mitteln […] In diesem Sinne ist die Staatsräson […] einzig der Aufrechterhaltung des funktionierenden Staatsgebildes verpflichtet. Quelle

Nach dieser Definition ist Staatsraison nämlich ein extrem weitreichender Begriff.
Insbesondere die kürzliche Äußerung „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“ von Olaf Scholz ist in dem Kontext fragwürdig.
Wäre Israel wirklich deutsche Staatsraison, wäre ein Angriff auf Israel das gleiche wie ein Angriff auf Deutschland und streng genommen wäre auch der Einsatz deutscher Truppen zum Schutz Israels notwendig.

Das ist natürlich nicht das, was irgendjemand meint, wenn er von Staatsraison spricht. Gemeint ist, dass die Existenz Israels aufgrund der deutschen Geschiche ein wichtiger Grundpfeiler der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sein soll und nicht, dass sie gleichbedeutend ist mit der Existenz Deutschlands.

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Das ist so nicht richtig.
Ja korrekt bis zu einem bestimmten Zeitpunkt haben Juden und Muslime und Araber im damaligen Palästina-Gebiet einigermaßen friedlich zusammengelegt. Beginn der Störung dieses Verhältnisses war aber nicht Hitler, sondern der Beginn von gesteuertem Zuzug und Besiedlung über die Zionistische Idee eines eigenen Judenstaates.
Zudem sind während des zweiten Weltkriegs nicht automatisch alle in dieses Gebiet geflüchtet. Die USA vorne weg und andere waren hier mindestens genau wichtige Rettungsanker.
Der Konflikt besteht schon in erster Linie darauf das nicht Juden damals immer mehr Angst bekamen in Ihrem Heimatgebiet zur Minderheit zu werden. Der Druck wurde durch oben genannten Zuzug immer größer. Das der Zweite Weltkrieg und die Zeit danach diesen Druck noch erhöhen ist durchaus richtig.
Ich bleibe dabei, es wird zu sehr vereinfacht die Entstehung Israels und die Grundhaltung dazu immer auf Hitler und Co. zu schieben. Das ist stumpf nicht korrekt.
Man muss schon im Auge haben unter welchen Bedingungen Isreal als Staat entstanden ist. Zudem wird das gerade wieder aktuell da die die jetzigen Regierungsbeteiligten genau die Extremisten sind, die von Hausaus das gesamte Gebiet unter alleiniger jüdischer Regierung sehen wollen.
Da kann man auch als deutscher Staat nicht einfach sagen wird sind aus historischen Ereignissen pauschal verpflichtet alles zu unterstützen. Damit ist keinem geholfen.
Wir müssen uns aus historischer Verantwortung dafür einsetzen Fremdenfeindlichkeit und Minderheitendiskriminierung sowie politische Verfolgung jeder Art zu verhindern.

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Staatsräson gegenüber einem anderen Staat zu erklären ohne dies zu definieren ist so oder so ein Unding. Regierungen und Bedingungen können sich ändern.
Zu interpretieren was wer damit gemeint haben könnte macht die Sache am Ende nicht besser. Denn wie sich jetzt zeigt kann man nur als verlierer dastehen.

Demnach war der Begriff noch nie viel wert.

Habeck hat das in seiner Rede nach dem 7. Oktober ganz gut erklärt: https://www.youtube.com/watch?v=-JfiOOuXG2Y

Ich würde gern im Rahmen des von mir oben angestoßenen Themas zum Blick Deutschlands auf Israel ein sehr Gutes Interview empfehlen.
Bitte komplett ansehen oder Hören als Podcast bei Jung&Naiv mit Adam Tooze.

In diesem Fall passt es sehr gut das es zum einen dieses Thema gut beleuchtet und zum anderen auch das Haushaltsthema Deutschlands in den Blick nimmt.
Hier würde ich euch bitten die Aussage von Tooze bei ca. 2h13min zu beachten, das der Bundeshaushalt ca. 60Mrd nicht gesetzlich gebundene Einnahmen zur Verfügung hat über die in meinen Augen so selten bis garnicht gesprochen wird.

Zum Schmunzeln empfehle ich noch die Stelle 2h30min. :slight_smile:

Jung&Navi mit Adam Tooze

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Ich finde die Position von Tooze ehrlich gesagt nicht so originell. Ist so ziemlich dasselbe was fast jeder Gast zum Thema Nahostkonflikt bei Thilo Jung sagt. Israel ist das Problem, Israel macht alles falsch, Israel sollte vielleicht boykottiert werden etc. pp. Von der anderen Konfliktpartei ist so gut wie nie die Rede. Vor allem verstehe ich nicht ganz, warum er als Ökonom jetzt auf einmal Experte dafür ist, aber egal.
Mir ist Tooze vor allem dadurch bekannt geworden, dass er im Herbst einen Aufruf u. a. von Jürgen Habermas heftig kritisiert hat, der nach dem 7. Oktober vor Antisemitismus warnte und sich an die Seite der israelischen Opfer des 7. Oktober stellte. Das bezeichnete Tooze als eine „einseitige Parteinahme für Israel“ - da musste ich ehrlich gesagt schon etwas schlucken. Mehr zur Reaktion von Tooze findet sich in diesem Artikel.

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Und mal wieder wird die Schublade aufgerissen und eine differenzierte, nicht einseitig parteigreifende Position, mit Verweis auf eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage, dem Gegner zugeordnet.

[gelöscht Mod.]
Arbeite dich doch bitte an den Positionen ab. Sophismen sind einer inhaltlichen Diskussion wenig zuträglich.

Ich weiß zwar nicht, was die Bekundung deines Missfallens an meiner Äußerung jetzt genau zu einer „inhaltlichen Diskussion“ beiträgt, aber ich finde die Position von Tooze eben nicht differenziert, sondern in der Tat recht einseitig. Das ist halt mein Standpunkt, andere mögen das anders sehen. Im Übrigen denke ich nicht in Kategorien wie „Schubladen“ oder „Gegnern“.