Innenpolitische (deutsche) Perspektive der Kriegssituation

Vielleicht eine triviale Beobachtung aber ich halte es für sehr bedenklich wie konformistisch sich alle ernstzunehmenden politischen Akteure mit der alten Weisheit „ein Krieg löst alle innenpolitischen Probleme“ verhalten.

Wenn ich mir die heutige Bundestagssitzung anschaue ist es doch beachtlich welche Paradigmenwechsel dort völlig diskussionslos proklamiert wurden.
Mit ist bewusst, dass es bei dieser Sitzung viel um Symbolik ging. Aber aus meiner Sicht hat Symbolik in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen.

Eine schrumpfende Bundeswehr habe ich immer für einen zivilisatorischen Fortschritt gehalten. Militärischen Aufrüstung ist in dieser eskalierten Situation vermutlich unumgänglich aber man sollte doch mindestens ein Konzept erwarten dürfen welchen gesellschaftlichen Nutzen eine hochgerüstete Bundeswehr in den hoffentlich bald wieder eintretenden Friedenszeiten haben wird.
Sonst ist hier doch der „Jojo-Effekt“ absehbar.

Ich fände es interessant wenn ihr in Zukunft die innenpolitischen Auswirkungen der Kriegssituation auch beleuchtet.

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Ich sehe das etwas anders.

  1. Der Konformismus kommt daher, dass wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten wirklich ein dringliches Sicherheitsrisiko für Europa erleben. Nach dem „Fall“ der Sowjetunion und dem Ende des kalten Krieges hatte man keine Angst mehr vor möglichen Aggressoren. Das hat sich jetzt drastisch geändert.

  2. Niemand spricht davon, dass ein Krieg alle innenpolitischen Probleme löst, in einem Konflikt wie dem, der uns jetzt akut bedroht, ist einfach nicht gefragt, wer jetzt recht hat, sondern es muss gehandelt werden. Man kann im Nachhinein sagen, was schlecht gelaufen ist, nicht zu reagieren wäre jetzt aber ein denkbar ungünstiger Fehler.

  3. Ich verstehe nicht, wo es konkret um Symbolik gegangen sein soll. Fakt ist, Deutschland hat heute keine leistungsfähige Armee und wenn wir tatsächlich unsere NATO Verbündeten unterstützen müssen, wären wir momentan in einer schlechten Lage. Das muss man in Anbetracht der derzeitigen Bedrohungssituation etwas anders sehen als in Friendenszeiten (meiner Meinung nach jedenfalls). Es geht also schlicht darum, im Falle eines Bündnisfalls nicht die kompletten Streitkräfte gleichzeitig mobilisieren zu müssen - oder das mangels funktionstüchtigen Materials gar nicht kann.

  4. Weniger Militär ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Es ist eine der wichtigsten Errungenschaften, die wir meines Erachtens in Europa erreicht haben. Aber es ist halt auch einfach so, dass nicht alle Länder der Welt das Thema auch so sehen. Wenn wir Europäer uns im Zweifel nur auf Polen, Frankreich und die USA verlassen, haben wir ja auch wieder ein Problem, denn diese Nationen können nicht ganz Europa retten. Jeder Bündnispartner muss in Zeiten akuter Bedrohung dafür sorgen, dass das Bündnis weiterhin bestehen kann.

  5. Wenn wir wieder einen stabilen Frieden in Europa haben oder allenfalls eine gemeinsame europäische Truppe, kann sich das alles natürlich wieder wandeln. Das ändert nichts daran, dass eine Modernisierung der Bundeswehr dringend nötig war (da haben wir alle doch schon vor Jahren drüber gelacht, siehe verrostende Hubschrauber etc.). Im Zweifel modernisiert sich die Bundeswehr mit der Finanzspritze kurz- und mittelfristig und wir können mit Glück die Ausgaben später wieder senken, aktuell halte ich das aber für einen notwenigen Entscheid.

MIr ist noch etwas sehr wichtig: Ja, ich wünsche mir auch, dass diese Welt abrüstet. Vor Allem auch, dass Deutschland abrüstet. Ich wünsche mir eine Welt, in der wir alle im Urban Garden unsere Erdbeeren ernten können, frei von negativen Umwelteinflüssen und in Liebe, Harmonie und Frieden.

Leider ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Und zwar einer, den weder Deutschland, noch Europa alleine gehen kann. Wir sind nunmal abhängig von anderen Staaten, können nicht ohne den Rest der Welt funktionieren. Das bedeutet auch, dass wir im Zweifel einen Schritt zurück machen müssen, wenn sich die Umstände entsprechend darstellen.

Ich habe die Hoffnung, dass sich mit dieser Zäsur auf der ganzen Welt etwas ändert, egal, in welche Richtung der Konflikt nun verläuft: Ich glaube daran, dass unsere Weltgemeinschaft sich jetzt in Sachen Krieg häufiger selbst hinterfragt und den Dialog sucht und im Falle der nuklearen Eskalation werden wir die Erde ohnehin nicht mehr so erleben, wir wir sie kannten. Das alles werden wir erst mit der Zeit erfahren, jetzt müssen wir uns den anderen Mitspielern anpassen.

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Nach der letzten Woche kann man innenpolitisch das Ende der Ideologien aufrufen- etwas überspitzt. Da wird die Annäherungspolitik von Brandt begraben und der SPD Bundeskanzler erinnert eher an einen Konrad Adenauer. Der FDP Finanzminister gibt 100 Mrd Steuergelder von morgen aus. Die Grünen in der Regierung liefern Waffen in ein Kriegsgebiet und, ich spekuliere mal ganz stark, werden AKW Betreiber überreden, die Laufzeit zu verlängern.

Die Realität kassiert gnadenlos fundamentale Positionen. Spannend zu beobachten und auch spannend, zu welchen Friktionen es innerhalb der Ampelparteien führen wird, wenn die Tagesordnung wieder anders aussieht

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Spannend wird auch sein, wie diese Kurswechsel in der Wählerschaft der jeweiligen Parteien ankommen, insbesondere bei SPD und Grünen. Die Linkspartei bringt sich schon als friedenspolitische Alternative in Stellung.